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VI.1.1 Retrospektives Studiendesign

Eine grundlegende Limitation der vorliegenden Studie ist ihre Konzeption als retro-spektive Studie. Da im Wesentlichen (bis auf die Stichtagsbefragung an niedersäch-sischen Tageskliniken) nur auf vorhandene Daten zurückgegriffen werden konnte, war eine gezielte Erfassung für die Fragestellungen relevanter Daten nicht möglich.

Dies bedeutet eine Einschränkung z.B. im Hinblick auf die Informationen zur Migrati-onsbiographie, die nicht systematisch vorlagen und aus den Patientenakten zusam-mengestellt werden mussten.

VI.1.2 Stichprobe

Die relativ kleine Stichprobengröße von N=55 Migranten (und N=55 einheimischen Patienten bei den Untersuchungen im Vergleich mit der Parallelstichprobe) ist eben-so wie die heterogene Zusammensetzung der Stichprobe dem naturalistischen Cha-rakter der Studie geschuldet. Von den Patienten, die in der Tagesklinik während des Untersuchungszeitraums behandelt wurden, wurden die Patienten mit Migrationshin-tergrund für die Studie herangezogen. Dementsprechend ist das Sample auch sehr verschiedenartig bezüglich Herkunft, Alter, Geschlecht und Diagnosen. Neben dem

Migrationshintergrund liegen also jeweils eine Reihe weiterer Faktoren vor, die den Behandlungsverlauf potentiell beeinflusst haben könnten. Die Parallelisierung der Stichprobe aus einheimischen Patienten nach Alter, Geschlecht und Hauptdiagnose und die Überprüfung der beiden Stichproben bezüglich krankheitsbezogener und soziodemographischer Daten gewährleisten jedoch zumindest eine Begrenzung da-mit theoretisch verbundener Verzerrungen.

Eine größere Stichprobe hätte die genauere Untersuchung von Subgruppen ermög-licht (z.B. bezüglich Alter, Geschlecht, Herkunftsregion und Akkulturationsniveau).

Dies konnte aufgrund der geringen Zellenbesetzung in der vorliegenden Studie nur sehr bedingt erfolgen.

Im Hinblick auf die qualitativen Auswertungen in dieser Studie ist allerdings anzu-merken, dass diese aufgrund des im Vergleich zu quantitativer Methodik ungleich höheren Arbeitsaufwandes naturgemäß nur an kleinen Stichproben vorgenommen werden können. Gerade für eine detaillierte Erfassung von Behandlungsprozessen bieten jedoch qualitative Auswertungsmethoden einen geeigneten Zugang, da sie bestimmte Aspekte (z.B. die Bedeutung von kultur- und migrationsspezifischen The-men im Behandlungsverlauf) besser abbilden können als etwa entsprechende Fra-gebögen. Aufgrund der dieser Studie zugrunde gelegten kleinen Stichprobe können die Ergebnisse sicher nur als eingeschränkt repräsentativ gelten und sollten eher im Sinne einer Hypothesengenerierung als Anstoß für weitergehende Untersuchungen gewertet werden.

VI.1.3 Quantitative Methodik

Die für diese Studie verwendeten Fragebögen sind größtenteils verbreitete und etab-lierte Verfahren (vgl. Kap. IV.4.3 – IV.4.8). Bezüglich der Fremd-Beurteilungen (AMDP, GAF) ist hier aufgrund der personellen Kontinuität im Team der Tagesklinik von vergleichsweise hoher Reliabilität auszugehen. Die Selbsteinschätzungen (z.B.

SCL-90-R) unterliegen den bekannten Einschränkungen durch das Antwortverhalten der untersuchten Personen, wobei angenommen werden kann, dass es sich dabei nicht um systematische Verzerrungen handelt, die die Ergebnisse dieser Studie betreffen würden.

Ein Problem bei der Auswertung der Fragebogendaten in der vorliegenden Studie ist das hohe Ausmaß an fehlenden Daten bezüglich der Erhebungen am Ende der Be-handlung (vgl. Kap. IV.4.9). Dies ist zum einen durch vorzeitige BeBe-handlungsbeendi- Behandlungsbeendi-gung und zum anderen durch einen zeitlich versetzten Einsatz einzelner Verfahren begründet (d.h. nicht alle Fragebögen wurden über den gesamten Untersuchungs-zeitraum angewandt).

Ein weiterer problematischer Aspekt betrifft grundsätzlich die mangelnde Kultursensi-tivität der im psychiatrisch-psychotherapeutischen Bereich angewandten Fragebö-gen. Während z.B. die Intelligenzdiagnostik sich schon seit langem um die Berück-sichtigung unterschiedlicher Kulturen und sprachlicher Fähigkeiten der Probanden bemüht, finden diese Überlegungen in den Instrumenten für die Erfassung erkran-kungsbezogener Aspekte bislang wenig Beachtung. So ist beispielsweise anzuneh-men, dass etwa die Einschätzung der Art und des Ausmaßes sozialer Unterstützung starken kulturellen Einflüssen unterliegt und daher nicht ohne weiteres mit den An-gaben westlich sozialisierter Probanden zu vergleichen ist. Dies gilt ebenso auch für das Erleben und die Präsentation von Symptomen (vgl. Kap. II.3.5), was für die im SCL-90-R angegebenen Beschwerden relevant ist.

VI.1.4 Qualitative Methodik

Das für diese Studie entwickelte Kategoriensystem ermöglicht die Erfassung einiger spezifischer Aspekte von Behandlungsverläufen von Patienten mit Migrationshin-tergrund. Grundsätzlich können die hier konzipierten Kategorien, insbesondere zur kultur- bzw. migrationsspezifischen Thematik, jedoch auch für weitere Fragestellun-gen angewandt werden.

Die unterschiedliche Güte der erzielten Urteiler-Übereinstimmungen weist allerdings darauf hin, dass vor allem die Kategorien II und VI (Kulturspezifische Aspekte und Kränkbarkeit) noch einer weiteren Präzision bedürfen. Dort scheint das subjektive Empfinden der Beurteiler einen stärkeren Einfluss zu haben als bei den anderen Ka-tegorien. Diese Schwierigkeit in der Auswertung der Dokumentation in den Patien-tenakten lässt vermuten, welchen Verzerrungen die Wahrnehmung von therapeuti-schen Situationen bezüglich dieser Gesichtspunkte unterliegen kann. So wirken

gewiss der persönliche und der eigene kulturelle Hintergrund auf das Erleben von gesteigerter Kränkbarkeit ein.

Sicherlich ist auch die Untersuchung von Behandlungsverläufen anhand von Patien-tenakten nicht optimal. Zwar bietet das schriftliche Vorliegen der Dokumentation den Vorteil eines verhältnismäßig unkomplizierten technischen Vorgehens in der Auswer-tung. Allerdings ist davon auszugehen, dass die in den Akten dokumentierten Beo-bachtungen bereits zahlreiche Selektionsprozesse unterlaufen haben und dadurch bestimmt sind, was die schreibende Person zu einem konkreten Zeitpunkt als rele-vant erachtet hat. Gerade für das Vorkommen von und den Umgang mit kulturspezi-fischen Besonderheiten wäre sicherlich die Auswertung von Verbatim-Protokollen von therapeutischen Gesprächen wertvoll. Auch für die Untersuchung der Kategorie VI. (Kränkbarkeit) wäre eine höhere Validität zu erzielen, wenn jeweils Interaktions-sequenzen (u.U. unter Einbezug non-verbaler Interaktion) analysiert werden könnten.