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V.1 Ergebnisse der statistischen Auswertung

V.2.4 Der Einfluss migrationsspezifischer Aspekte auf die Behandlung

Der migrationsspezifischen Thematik kam im Vergleich mit den anderen hier unter-suchten Aspekten am meisten Gewicht zu. Über 40% der Behandlungsepisoden von Migranten waren durch migrationsspezifische Aspekte gekennzeichnet. Für 18 ver-schiedene Patienten war die Behandlung in irgendeiner Form durch migrationsspezi-fische Problemlagen geprägt, für viele in mehrfacher Hinsicht. Tabelle 8 gibt einen Überblick über die migrationsspezifischen Aspekte, die in dieser Untersuchung ge-funden wurden.

Als Aufnahmeanlass wurden verschiedene Belastungen im Zusammenhang mit der Migrationsbiographie genannt, wobei sich diese unterscheiden lassen in

1) Erlebnisse, die letztlich die Emigration aus dem Heimatland begründet haben, z.B. Krieg im ehemaligen Jugoslawien,

2) Akkulturationsschwierigkeiten, z.B. Gefühle von Heimatlosigkeit und Einsamkeit, Sehnsucht nach nahe stehenden Personen, familiäre Konflikte um Remigra-tionsabsichten und

3) schwierige soziale und rechtliche Bedingungen wie das Leben im Ausländer-heim und Einschränkungen aufgrund erschwerter Ein- bzw. Ausreisebedingun-gen (z.B. in den Iran).

Die Symptomatik vieler Patienten mit Migrationshintergrund war sowohl im zeitlichen Zusammenhang ihres Auftretens als auch in ihrer Gestalt in spezifischer Weise durch migrationsspezifische Aspekte geformt. So berichtete ein Patient in einer paranoid-halluzinatorischen Verarbeitung seiner Migrationsgeschichte, er könne zwar nicht perfekt deutsch, die Stimmen in seinem Kopf würden jedoch perfektes Deutsch spre-chen. Ein anderer gab an, er sei wegen Problemen mit der Telepathie nach Deutsch-land gekommen, in Polen habe er zuviel gewusst. Ein Patient aus dem ehemaligen Jugoslawien konnte sich gedanklich nicht von den Ereignissen in seiner ehemaligen Heimat lösen und litt in diesem Zusammenhang immer wieder unter depressiven Verstimmungen und Grübeleien. Bei mehreren Patienten manifestierten sich ihre Er-fahrungen im Zusammenhang mit ihrer Migration auch als posttraumatische Sym-ptomatik, so z.B. in Form von Albträumen oder Intrusionen, die Kriegserfahrungen zum Inhalt hatten, im Erleben eines Gerichtstermins als Trigger für traumatische Er-fahrungen mit der Justiz in der Heimat oder als anhaltende Angst vor dem Türklin-geln vor dem Hintergrund von Problemen mit dem Geheimdienst in der Heimat.

Daneben begründeten zwei Patienten auch ihre gesteigerte Kränkbarkeit mit ihren Erfahrungen als Ausländer in Deutschland. Zwei Patientinnen gaben als Beginn ihrer Symptomatik den Zeitpunkt eines erneuten Kontaktes mit ihrem Heimatland (Besuch der Mutter aus dem Iran, erzwungener Kontakt mit einer Mitschülerin der gleichen Nationalität) an.

Für die Prägung des Therapieverlaufes durch migrationsspezifische Aspekte ist ins-besondere eine vielfältige innere Bezogenheit auf die Heimat zu verzeichnen. Diese machte sich dadurch bemerkbar, dass Patienten Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer seelischen Gesundheit eher in ihrem Heimatland vermuteten und daher der hie-sigen tagesklinischen Behandlung ambivalent bis ablehnend gegenüber standen. Ein Patient sagte jedoch auch, er wolle nur im Falle einer Gesundung in seine Heimat zurückgehen, was auf das Konzept der Migration als Chance auf Erfolg verweist. Der zumindest latente Wunsch nach einer Rückkehr wurde spätestens angesprochen, wenn es um die Planung konkreter Maßnahmen wie berufliche Rehabilitation oder

Wohnung ging. Durch die Ambivalenz zwischen dem Wunsch nach Stabilisierung und Integration am jetzigen Aufenthaltsort einerseits und einer inneren Verbunden-heit zum Heimatland erlebten mehrere Patienten immer wieder Schwankungen im Befinden während des Behandlungsverlaufes. Eine Patientin konnte durch eine Be-urlaubung über die Weihnachtsfeiertage, die sie für eine Reise zu ihrer Verwandt-schaft in Polen nutzte, tatsächlich eine innere Klärung und Verbesserung ihres Be-findens erfahren. Ein anderer Aspekt der inneren Bezogenheit war die Sorge um na-he stena-hende Menscna-hen in der Heimat, insbesondere bei Krankna-heit, Tod oder Be-sorgnis erregenden Vorkommnissen in ihrem Land oder der Wunsch nach deren Rat und Unterstützung insbesondere im Rahmen der psychischen Erkrankung. Auch von Kontakten mit Mitpatienten gleicher Herkunft konnten Patienten teilweise sehr profi-tieren, für andere bot die gleiche Sprache und Kultur jedoch keine Entlastung.

Anlass zur Behandlung

16.4% (N=9)

• Gefühl von Heimatlosigkeit (3)

• Konflikte um Rückkehrwünsche (2)

• Kontakte zu nahen Personen erschwert/unmöglich (2)

• Belastung durch Ereignisse im Heimatland (3)

• Sonstige (4) Symptomatik/

Krankheits-verarbeitung

14.5% (N=8)

• Posttraumatische Symptomatik mit spezif. Triggern/Bildern (3) Gesteigerte Sensitivität für Kränkungen im Zshg. mit Status als Ausländer (4)

• Paranoide Verarbeitung der Migration (2)

• Stimmung an Ereignisse im Heimatland geknüpft (2) Therapie/

Planung (Patient)

23.6% (N=13)

• Hoffnung auf Verbesserung durch Aufenthalt in der Heimat (3)

• Rückkehrpläne in Abhängigkeit vom Behandlungsergebnis (2)

• Entwicklung von Perspektiven (Arbeit, Wohnen) durch Ambivalenz zur Rückkehr erschwert (6)

• Verschlechterungen durch Ereignisse in der Heimat (5)

• Sonstige (5) Therapie/

Planung (Therapeut)

3.6% (N=2)

• Ermutigung zum Aufenthalt in der Heimat

• Gemeinsames Gespräch mit spezialisierten Betreuern Tabelle 8: Migrationsspezifische Aspekte in der Behandlung

a Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtstichprobe von Migranten

Aus der Dokumentation gingen nur wenige, den beschriebenen migrationsspezifi-schen Problemlagen begegnende therapeutische Interventionen hervor. Es fand sich die Ermutigung zu einem Heimaturlaub von therapeutischer Seite und die Initiative für ein gemeinsames Gespräch mit dem Betreuer vom ethnomedizinischen Zentrum.

V.2.5 Umgang mit Informationen zum Migrationshintergrund

Abbildung 11 zeigt, dass für 70.9% der Behandlungsepisoden von Migranten (N=39) Informationen zum Migrationshintergrund vorlagen, die über kultur- und migrati-onsspezifische Angaben zu Aufnahmeanlass, Symptomatik und Krankheitsverarbei-tung und Therapie und Verlauf in der Tagesklinik hinausgehen. Solche Informationen umfassten u.a. Hinweise auf die Umstände der Migration (z.B. politische Verfolgung, Begleitung des Partners), Konsequenzen der Migration (z.B. Familienzerfall, sozialer Abstieg, Ringen um Akzeptanz), und relevante, krankheitsbezogene Informationen aus Vorbehandlungen.

25,5 41,8

70,9

10,9 0

10 20 30 40 50 60 70

% 80

II III IV.1 IV.2

Eingang der Information in diagnostische und

therapeutische Überlegungen

Abbildung 11: Umgang mit Informationen zum Migrationshintergrund

II: Kulturspezifische Aspekte in der Behandlung III: Migrationsspezifische Aspekte in der Behandlung IV.1: Zusätzliche Angaben zum Migrationshintergrund

IV.2: Eingang der Information in diagnostische und therapeutische Überlegungen

Lediglich für 10.9% der Fälle (N=6) fanden die mittels der Kategorien Kulturspezifi-sche Aspekte (II), MigrationsspezifiKulturspezifi-sche Aspekte (III) und Zusätzliche Angaben zum Migrationshintergrund (IV.1) erfassten Informationen nachvollziehbaren Eingang in diagnostische und therapeutische Überlegungen. Eine Betrachtung und Einordnung des Behandlungsverlaufes von einer Meta-Perspektive in Kategorien von Kultur und Migration findet also im Vergleich zu der prinzipiell gegebenen Informationsbasis nur recht selten statt.

Das Vorhandensein ergänzender Informationen nimmt mit der Dauer des Aufenthal-tes tendenziell etwas zu, allerdings nicht signifikant. Ob solche ergänzende Informa-tion im Therapieverlauf reflektiert wurde, erwies sich als unabhängig von der Be-handlungsdauer.

Die aus der Dokumentation hervorgehenden ergänzenden Informationen lassen sich unterscheiden in:

1) Angaben zum Migrationsprozess (z.B. Motiv, Entscheidung zur Migration), 2) Traumatisierungen und Verluste im Heimatland und

3) Umgang mit Akkulturationsanforderungen in Deutschland und Entwurzelung.

Die Art der vorliegenden Informationen schien keinen Einfluss auf deren Berücksich-tigung in der therapeutischen Arbeit zu haben. Als Beispiel für 1) kann eine Patientin dienen, die ihren Partner, der sich aus beruflichen Gründen für die Migration ent-schieden hatte, nach Deutschland begleitet hatte. Die Trennung von diesem wurde jedoch nur auf der Partnerschaftsebene thematisiert, wobei weniger berücksichtigt wurde, dass damit auch jeglicher Halt im Gastland verloren war. Zu 2) wurden mehr-fach Kriegserfahrungen und Verlust von nahe stehenden Personen beschrieben, so-wie Verfolgung aufgrund politischer Aktivitäten. Vermutlich auch aufgrund der trau-matischen Qualität der Erlebnisse wurden diese Hinweise im Therapieverlauf in der Regel nicht weiter exploriert. In einigen Fällen wurde die Diagnose dennoch in Zu-sammenhang mit diesen Erfahrungen gebracht. Häufig wurde jedoch kein Bezug zwischen den Symptomen und den Berichten über Traumata und Verluste herge-stellt. Bezüglich 3) findet sich z.B. die Angabe, die Familie habe bei der Ankunft in Deutschland mit einem sehr leistungsorientierten Verhalten um Akzeptanz gekämpft.

Die Berücksichtigung derartiger Hintergrundinformation könnte hilfreiche therapeuti-sche Ansatzpunkte eröffnen, gerade im Hinblick auf das Zusammenwirken von

Migrationserfahrung und depressiver Persönlichkeitsstruktur.

Grundsätzlich ist an dieser Stelle anzumerken, dass selbst die Erfassung der basa-len Informationen zum Migrationshintergrund aus den Patientenakten sich oft müh-sam gestaltete, und diese nur selten aus einer entsprechenden gezielten biographi-schen Anamnese hervorging. Insofern ist das eher zufällige Vorliegen von Informati-onen, die darüber hinaus gehen, an sich schon als wichtiges Ergebnis zu werten.

Gleichzeitig erklärt die fehlende Systematik in der Informationserhebung zum Teil, weshalb die Informationen häufig nicht explizit wieder aufgegriffen wurden.

V.2.6 Migrationsassoziierte Einflussfaktoren auf die tagesklinische