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Mensch-Umwelt-Beziehung

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Die Biosphäre dürfte wohl die am stärksten vom Globalen Wandel betroffene Umweltsphäre sein.

Der Beirat versteht unter dem Globalen Wandel die Veränderung der Leitparameter des Systems Erde (z. B. die Temperatur der Atmosphäre oder die Be-völkerungszahl), die Verschiebung großräumiger Strukturen, Prozesse und Muster, die Abnahme von Naturgütern mit strategischer Funktion sowie die Modifikation der Zusammenhänge im System Erde (WBGU, 1993). Von allen diesen Veränderungen ist die Biosphäre direkt und indirekt betroffen; sie prägt, modifiziert und stabilisiert die menschliche Umwelt in einem Ausmaß, das durch eine einfache reduktionistische Beschreibungsweise nicht ausrei-chend darstellbar ist.

Eingriffe des Menschen in die Biosphäre betref-fen nicht nur die Biosphäre selbst, sondern immer auch mittelbar die Pedo-, Hydro- und Atmosphäre.

Sie lösen komplexe Wirkungskaskaden aus, die nicht nur den Menschen direkt, sondern Biosphäre und Umwelt auch über indirekte, vermittelte Wirkungs-pfade betreffen, deren Dynamik sich unserem Ver-ständnis noch weitgehend entzieht.

Modulare, analytische Systemansätze können im-mer nur Teilaspekte des ganzen Problemkreises er-fassen. Daher hat der Beirat eine Methodik der phä-nomenologischen Systemerfassung entwickelt, die den Globalen Wandel als Gesamtphänomen erfaßt und für weitergehende Analysen problemzentrierte Beziehungsgeflechte zur Verfügung stellt (WBGU, 1996b).

Im Vordergrund steht dabei die Beschreibung der Veränderungen im System Erde als qualitative Mu-ster, den sog. Trends des Globalen Wandels, und ihrer Wechselwirkungen in Form von Beziehungsgeflech-ten.

Es ist offensichtlich, daß ein biosphärenzentriertes Beziehungsgeflecht nicht in einem Schritt erstellt werden kann. Die Anwendung dieser Vorgehenswei-se verlangt zunächst die Identifikation der wichtig-sten Trends. Die Biosphäre selbst ist bereits von einer Reihe interner Veränderungen geprägt, die sich wechselseitig beeinflussen (Kap. C 1.2). Im nächsten Schritt wird diese Analyse auf alle mit der Biosphäre

zusammenhängenden Trends erweitert. Hierbei be-steht selbst bei der gewählten hochaggregierten Be-trachtungsweise das Problem, die Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Darstellung zu wahren.

Um dieser Anforderung zu genügen, ist eine Zerle-gung des biosphärenzentrierten Beziehungsgeflech-tes in drei Problemgruppen sinnvoll. Dies sind die Wechselwirkungen, die mit

1. der Reduktion der Gen- und Artenvielfalt, 2. der Funktionalisierung und Homogenisierung von

Ökosystemen und Landschaften,

3. der Modifikation der planetarischen Regelungs-leistungen der Lebenswelt

in Verbindung stehen.

Diese Aufteilung erscheint auf den ersten Blick willkürlich. Die Analyse wird zeigen, daß damit typi-sche Wirkungsketten erkennbar werden, die die Dy-namik und Ausprägung der Schadensbilder wider-spiegeln. Wirkungsketten oder -schleifen lassen sich zudem regional wiedererkennen. Der Beirat hat hierzu das sog. Syndromkonzept entwickelt, das eine Zerlegung des Globalen Wandels in regionale Scha-densbilder ermöglicht (WBGU, 1994). Die oben ge-nannten Wirkungsketten, die nach den wichtigsten Problemfeldern geordnet sind, lassen sich als Kern-elemente der Syndrome kennzeichnen. Dieser Zu-sammenhang wird im letzten Teil des Kapitels darge-stellt.

C 1.1

Die Trends des Globalen Wandels in der Biosphäre Versetzt man sich in die Rolle eines globalen Beob-achters, der mit einem „Verkleinerungsglas“ den weltweiten Wandel in der Biosphäre betrachtet, las-sen sich globale Trends identifizieren, welche die Biosphäre als Folge ihrer Wechselwirkung mit der Anthroposphäre gefährden. Im folgenden werden jene biosphärischen Trends identifiziert und be-schrieben, die der Beirat als besonders wesentlich für den Globalen Wandel ansieht. Diese Trends stehen teilweise untereinander oder mit Trends aus anderen Sphären (z. B. Hydrosphäre, Wirtschaft) in

Wechsel-wirkung. Diese Verkettungen zu Wechselwirkungs-geflechten werden in den Kap. C 1.2 und C 1.3 ge-nauer beschrieben.

Konversion natürlicher Ökosysteme

Der auffälligste Trend ist die Konversion natürlicher Ökosysteme. Hiermit ist die Umwandlung natürli-cher oder naturnaher Ökosysteme in stark anthropo-gen geprägte gemeint. Dieser Vorgang ist auf abseh-bare Zeit irreversibel. So werden z. B. Wälder in Äcker, Weiden oder Plantagen umgewandelt, aber auch natürliche Wasserläufe in Kanäle. Diese Form der Landnutzungsänderung ist ein wesentlicher Fak-tor des Globalen Wandels und die vielleicht wichtig-ste Ursache für den Verlust biologischer Vielfalt (UNEP, 1995). So wird z. B. der Flächenverlust durch Konversion für die indomalaiischen Länder mit 68%

und für die tropischen Länder Afrikas mit 65% an-gegeben (MacKinnon und MacKinnon, 1986). Heute gelten nur noch 27% der mit Vegetation bedeckten Erdoberfläche als vom Menschen nicht gestört (Tab.

C 1.1-1).

Dieser Trend läßt sich vom Trend Degradation natürlicher Ökosystemeunterscheiden, bei der keine direkte Zerstörung natürlicher Strukturen stattfin-det, sondern eine meist schleichende, anthropogene Beeinflussung, die sich durch allmählichen Struktur-oder Funktionsverlust auszeichnet (UNEP, 1995).

Um eine genauere Differenzierung zu ermöglichen, wird der Trend Degradation natürlicher Ökosysteme in die drei folgenden Trends untergliedert.

Fragmentierung natürlicher Ökosysteme Mit Fragmentierung ist die räumliche Zergliederung einst flächendeckender natürlicher Ökosysteme in kleinere, isolierte Teilgebiete gemeint, die z. B. durch Bau von Verkehrsinfrastruktur oder durch Konversi-on entsteht (Noss und Csuti, 1997). Hierdurch wer-den die Lebensräume einzelner Arten verkleinert und die Populationen voneinander isoliert. Die

Frag-mentierung verlangsamt den genetischen Austausch zwischen Populationen oder kann ihn sogar zum Er-liegen bringen, so daß ein schleichender Artenverlust in den Fragmenten auftreten kann. Fragmentierung ist häufig nach einer großflächiger Konversion zu be-obachten, z. B. bilden die bei der Rodung von Primär-wald ausgenommenen Flächen einzelne „Inseln“ in-mitten von Ackerflächen, Weiden oder Sekundärve-getation, die vielfach zu klein sind, um ein längerfri-stiges Funktionieren der Teilökosysteme zu gewährleisten. Sowohl global als auch regional ist Fragmentierung eine der großen Bedrohungen für die biologische Vielfalt (WRI et al., 1992).

Schädigung von Ökosystemstruktur und -funktion

Hiermit ist der Verlust funktioneller Einheiten in ei-nem Ökosystem angesprochen, der z. B. durch Aus-rottung dominanter Arten oder von Schlüsselarten (Kap. D 2), durch Einwanderung nichtheimischer Arten (Kap. E 3.6) oder durch stoffliche Überlastung (Kap. E 3.2) ausgelöst werden kann. Hierdurch kön-nen die funktionellen Wechselwirkungen zwischen den Arten (z. B. Nahrungsnetze) so modifiziert wer-den, daß sich das Ökosystem stark verändert (Auslö-sung von Sukzession) oder die ursprünglichen ökolo-gischen Leistungen nur noch eingeschränkt erbracht werden können (UNEP, 1995).

Stoffliche Überlastung natürlicher Ökosysteme

Es gibt eine Vielzahl von Substanzen, die negative Einflüsse auf Ökosysteme ausüben. Übermäßige Be-lastung durch organische (abbaubare) Stoffe und Nährsalze (z. B. Nitrat, Phosphat) können eine Eu-trophierung in Seen, Fließ- und Küstengewässern auslösen und das Grundwasser gefährden. Schad-stoffeinträge aus der Luft (z. B. SO2, NOx) und da-durch verursachter „saurer Regen“ schädigen Wäl-der und Seen. Biologisch schwer abbaubare

(persi-Asien 53.311.557 42,2 29,1 28,7

Afrika 33.985.316 48,9 35,8 15,4

Nordamerika 26.179.907 56,3 18,8 24,9

Südamerika 20.120.346 62,5 22,5 15,1

Australasien 9.487.262 62,3 25,8 12,0

Antarktis 13.208.983 100,0 0,0 0,0

Welt gesamt 162.052.691 51,9 24,2 23,9

Welt gesamt 134.904.471 27,0 36,7 36,3

(ohne Fels- und Eisgebiete sowie unfruchtbares Land)

Forstwirtschaft), die Bevölkerungsdichte, menschliche Besiedlung und Landdegradation (z. B.

Desertifikation) berücksichtigt.

Quelle: nach Hannah et al., 1994

stente) Organochlorpestizide (z. B. DDT oder Lin-dan) aus Land- und Forstwirtschaft können direkte Schäden verursachen, aber auch indirekt über die Anreicherung in Nahrungsketten wirken. Nicht zu-letzt gelangt aus vielerlei Quellen eine große Vielfalt toxischer Stoffe in die Biosphäre: z. B. belastet Quecksilber südamerikanische Fließgewässer als Folge von Goldgewinnung, Zyanide werden in süd-ostasiatischen Riffen für die Lebendfischerei ver-wendet (Kap. E 2.4), Dioxin gelangt aus industriellen Prozessen in die Umwelt oder radioaktiver Abfall wird im Meer entsorgt (Strahlenbelastung). Die Fol-ge dieser Stoffdeposition ist, daß heute kein Fleck der Erde mehr als frei von anthropogenen stofflichen Belastungen angesehen werden kann.

Gen- und Artenverlust

Der Gen- und Artenverlust ist eine einschneidende Folge der oben angesprochenen Ökosystemtrends (WBGU, 1996a; Stork, 1997). Die Erde befindet sich derzeit mitten in der „6. Auslöschung“ (Leakey und Lewin, 1996), also eines drastischen Zusammen-bruchs der Artenzahlen (Kap. D 1.2). Es wird ge-schätzt, daß die heutige Aussterberate von Arten 1.000–10.000mal höher liegt als die natürliche Hin-tergrundrate (May und Tregonning, 1998). Das heute zu beobachtende Artensterben ist in Größenord-nung und Geschwindigkeit durchaus mit der 5. Aus-löschung am Übergang von der Kreidezeit zum Ter-tiär vergleichbar (Wilson, 1995). Auch die genetische Verarmung der wildlebenden Arten, das Aussterben der traditionellen Kulturpflanzensorten und ihrer wildverwandten Arten (Generosion) sind in den letz-ten Jahrzehnletz-ten zu besorgniserregenden Merkmalen des Globalen Wandels geworden (FAO, 1996b; Mey-er et al., 1998; Kap. D 3.4 und I 2).

Resistenzbildung

Die Resistenzbildung beschreibt die Anpassungs-fähigkeit von Parasiten oder Krankheitserregern bei Menschen, Tieren und Kulturpflanzen auf anthropo-gene Eingriffe, wie z. B. die zunehmende Wider-standsfähigkeit gegen Antibiotika oder Biozide. Die-ser Trend ist der Grund, warum sich der Mensch bei der Bekämpfung von Krankheiten ständig in einem Wettlauf mit der Natur befindet: die Forschung muß gegen resistente Stämme neue Medikamente ent-wickeln und immer neue Gene in Nutzpflanzen ein-kreuzen (WBGU, 1999a; Kap. D 3.4). Dieser fortlau-fende Entwicklungsprozeß ist seinerseits auf immer neues biologisches Material bzw. biologische Infor-mation aus der Natur angewiesen (Kap. D 3.3). Die erneute Verbreitung von Krankheiten, die man be-reits unter Kontrolle glaubte, ist ein Indiz für die Be-deutung dieses globalen Trends (WHO, 1998;

WBGU, 1999a).

Zunahme anthropogener Artenverschleppung

Dieser Trend bezeichnet die Verschleppung von Ar-ten in andere Regionen, z. B. unbeabsichtigt durch das Ballastwasser von Schiffen oder beabsichtigt durch gezielte Ansiedlung (Sandlund et al., 1996).

Auch die zunehmende Freisetzung genetisch modifi-zierter Arten kann unter diesem Begriff gefaßt wer-den. Dieser Trend ist eine der für die Biosphäre auf-fälligsten Folgen der Globalisierung und des zuneh-menden internationalen Verkehrs und Handels. Er hat erhebliche Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und gilt neben Ökosystemkonversion als wichtigste Ursache für die bislang dokumentierten Verluste von Tierarten (WCMC, 1992). In Kap. E 3.6 wird der Trend eingehend behandelt.

Zunehmende Übernutzung natürlicher Ressourcen

Mit diesem Trend ist die nichtnachhaltige anthropo-gene Nutzung biologischer Ressourcen z. B. durch Jagd, Fischerei, Weide- oder Waldwirtschaft gemeint.

Sie kann für die genutzte Art und häufig auch für das gesamte Ökosystem schwerwiegende Folgen haben und zu einer wesentlichen Ursache für den Arten-verlust werden. Dieser Trend ist z. B. für 23% der bis-lang dokumentierten Verluste von Tierarten verant-wortlich (WCMC, 1992). Damit ist das bewußte oder unbewußte Überschreiten der Grenze der Nachhal-tigkeit im engeren Sinn gemeint: es wird mehr geern-tet als nachwächst. Ein klassisches Beispiel ist die ge-genwärtige Hochseefischerei (Kap. E 3.4). Die Folge ist im Extremfall die Ausrottung der „Zielart“, häufi-ger die Schädigung der Ökosystemstruktur und -funktion. Der Trend muß gegen die Konversion natürlicher Ökosysteme abgegrenzt werden: wenn z. B. ein Wald abgebrannt oder gerodet wird, dann wird die biologische Ressource nicht nur genutzt, sondern vollständig entfernt. Genutzt wird danach vor allem der Standort, z. B. für Ackerbau oder Sied-lungen. Im Gegensatz hierzu steht die Übernutzung, z. B. der selektive Einschlag einer wertvollen art, so daß der Wald bestehen bleibt, aber die Baum-art aus dem Wald verschwindet.

Biosphärische Quellen und Senken

Von besonderer Bedeutung sind die Wirkungen der Biosphäre auf das Klima und den Wasserkreislauf (WBGU, 1998b). Durch den Trend Verlust bio-sphärischer Senkenkönnen beispielsweise anthropo-gene Einträge in die Atmosphäre eine größere Wir-kung entfalten, weil die Biosphäre eine aktive Rolle in den Stoffkreisläufen spielt. Sie ist einerseits eine direkte Senke, beispielsweise für klimarelevante Spurengase. Andererseits wirkt sie als „Katalysator“

in den biogeochemischen Kreisläufen. Sie

beschleu-sphäre – Wasser, Wasser – Boden) und intensiviert so auch über Verwitterungprozesse die Stoffsenken.

Neben dem Verlust von Senken ist auch die Ver-stärkung biosphärischer Quellen nicht unerheblich.

Die Biosphäre kann eine Reihe umwelt- und auch klimarelevanter Substanzen direkt emittieren. Ne-ben der Beeinflussung des lokalen Wasserkreislaufs werden zunehmend auch komplexere Kontrollme-chanismen diskutiert. Die Emission von Dimethyl-sulfid (DMS) durch manche Meeresalgen führt z. B.

zu verstärkter Wolkenbildung und damit über die Al-bedo der Wolken zu einer homöostatischen Beein-flussung des Klimas (Kap. F 1). Weitere Aspekte sind die Emission von CO2durch Bodenlebewesen oder die Freisetzung von Nährstoffen durch biogene Ver-witterung von Mineralien.

C 1.2

Direkte Wirkungsmechanismen innerhalb der Biosphäre

Die in Kap. C 1.1 beschriebenen Trends der Biosphä-re sind nicht isoliert voneinander zu betrachten, sie stehen teilweise unmittelbar in Wechselwirkung. Da-bei sollte der Begriff „Wechselwirkung“ nicht rein mechanistisch verstanden werden, vielmehr sind fol-gende Muster gemeint: Trend A und Trend B treten gemeinsam in einer Region auf, in der eine Umwelt-degradation erkennbar ist. Dieses ist in vielen Fällen

inzidenz schließen läßt.

Abb. C 1.2-1 veranschaulicht diese dynamische Vernetzung. Besonders wichtige Wechselwirkungen betreffen vor allem die beiden Trends Schädigung von Ökosystemstruktur und -funktion sowie Gen-und Artenverlust. Beide Trends korrelieren miteinan-der und können sich wechselseitig soweit verstärken, daß im Extremfall das Ökosystem kollabiert und durch einen anderen Ökosystemtyp ersetzt wird (Kap. D 2.4). Direkte Einwirkungen auf beide Trends gehen von den „primären“ Verursachern aus: Kon-version, Fragmentierung und stoffliche Überlastung natürlicher Ökosysteme, Artenverschleppung und Übernutzung. Die Konversion ist besonders schwer-wiegend, da sie nicht nur Artenverlust zur Folge hat, sondern auch die Senkenwirkung der natürlichen Ökosysteme verringert und außerdem biosphärische Quellen (z. B. CO2, CH4) verstärkt werden (WBGU, 1998b). Der bereits oben erwähnte enge Zusammen-hang zwischen Konversion und Fragmentierung wird durch eine entsprechend starke Wechselwirkung ab-gebildet. Fragmentierung und Isolierung haben durch populationsbiologische Prozesse in der Regel Gen- und Artverlust des natürlichen Ökosystems zur Folge (Loeschke et al., 1994). Die sich nach Konver-sion und Fragmentierung entwickelnde Kul-turlandschaft kann unter Umständen infolge des höheren Angebots an Ökosystemtypen sogar an Ar-tenreichtum zunehmen, die biologische Vielfalt der ursprünglichen Ökosysteme nimmt allerdings ab

Abbildung C 1.2-1 Trends und ihre Wechselwirkungen innerhalb der Biosphäre.

Dicke Pfeile beschreiben besonders wichtige Wechselwirkungen.

Quelle: WBGU

Konversion natürlicher Ökosysteme Fragmentierung

natürlicher Ökosysteme Stoffliche Überlastung natürlicher Ökosysteme

Schädigung von Ökosystem-struktur und -funktion Zunahme anthropogener

Artenverschleppung

Resistenzbildung Verlust von

biosphärischen Senken

Verstärkung von biosphärischen Quellen

Zunehmende Übernutzung biologischer Ressourcen

Gen- und Artenverlust BIOSPHÄRE

(dies gilt z. B. für das nacheiszeitliche Mitteleuropa;

Kap. E 2.1). Die Zunahme anthropogener Artenver-schleppung kann einen verheerenden Einfluß auf die Struktur der betroffenen natürlichen Ökosysteme ausüben, wenn die eingeschleppte Art auf ein hohes Ressourcenangebot bei nur wenigen biologischen

„Gegenspielern“ (z. B. Konkurrenten, Räuber, Para-siten) trifft. Direkter oder indirekter Gen- und Art-verlust kann die Folge sein (Kap. E 3.6).

C 1.3

Wirkungsschleifen im biosphärenzentrierten Beziehungsgeflecht des Globalen Wandels

Die oben dargestellten Beziehungen innerhalb der Biosphäre prägen einen großen Teil ihrer Dynamik.

Die Biosphäre ist aber auch mit den anderen Sphären des Globalen Wandels vernetzt: Trends z. B.

aus der Hydrosphäre oder der Wirtschaft wirken in die Biosphäre hinein und lösen dort Wirkungsketten aus, die die Degradationstrends in der Biosphäre ver-stärken können. Diese tieferliegenden Triebkräfte sollen hier beschrieben werden.

Wenn man sich die Fülle der weltweiten Verände-rungen im Rahmen des Globalen Wandels vergegen-wärtigt, dann sind es überraschenderweise nur relativ wenige, allerdings wichtige Trends, die von „außen“

auf die Biosphäre einwirken. Man kann versuchen, die Komplexität einzelner Biosphärenschädigungen zu erfassen, indem diese wichtigen Trends markiert und ihre Zusammenhänge mittels verstärkender oder abschwächender Pfeile verdeutlicht werden.

Dabei sind charakteristische Wirkungsketten zu er-kennen, d. h. über Pfeile verbundene Trends, die Se-quenzen in einer größeren, geschlossenen Wirkungs-schleife darstellen. Solche WirkungsWirkungs-schleifen weisen spezifische Degradationsmuster auf und identifizie-ren die wesentlichen Probleme in der Biosphäre.

Natürlich läßt eine Wirkungsschleife nicht alle Ursa-chen und Folgen erkennen, das könnte nur eine voll-ständige Syndromanalyse leisten, bei der einzelne Sequenzen oder Wirkungsketten der Wirkungs-schleife einem oder mehreren Syndromen zugeord-net werden (z. B. Raubbau-Syndrom; Kap. G). Den-noch verdeutlichen die Wirkungsschleifen die Ein-bettung der Biosphärenschädigungen in die Dyna-mik des Globalen Wandels. Im folgenden werden beispielhaft 7 dieser typischen Wirkungsschleifen vorgestellt, die wesentlichen Einfluß auf die weltweit zu beobachtende Degradation der Biosphäre haben.

C 1.3.1

Gefährdung der Gen- und Artenvielfalt

Für die Beschreibung von Wirkungsschleifen, in de-nen die Auswirkungen des Trends Gen- und Arten-verlustim Mittelpunkt stehen, wurden zwei global re-levante Beispiele ausgewählt, die für die Funktion der biologischen Vielfalt als „Überlebensversiche-rung“ typisch sind (Abb. C 1.3-1):

1. Gefährdung der Ernährungssicherheit durch Ver-lust von Gen- und Artenvielfalt

2. Gefährdung der Gewinnung von Natur- und Wirk-stoffen durch Verlust von Gen- und Artenvielfalt.

Gefährdung der Ernährungssicherheit Wie stark die Sicherung der Ernährung und die dafür notwendige Gen- und Artenvielfalt durch den Glo-balen Wandel beeinflußt werden, wurde vom Beirat bereits mehrfach dargestellt (WBGU, 1998a, b) und wird in diesem Gutachten weiter vertieft (Kap.

D 3.4). Die globale Bedeutung dieses Themas wurde 1997 durch die Behandlung auf dem UN-Wel-ternährungsgipfel und der FAO-Konferenz zu pflan-zengenetischen Ressourcen deutlich (BML und ZADI, 1997).

Zwei Trends führen direkt zu Gen- und Artenver-lust: die Intensivierung der Landwirtschaft und der Rückgang der traditionellen Landwirtschaft. Beide Trends bewirken, daß traditionelle Kulturpflanzen-sorten und seltene Nutztierrassen durch Hochlei-stungssorten bzw. -rassen verdrängt werden. Die tra-ditionellen Landsorten bilden ein wertvolles Genre-servoir, um für die Welternährung wichtige Kultur-pflanzen durch Züchtung oder Gentransfer an veränderte Umweltbedingungen oder neue Krank-heitserreger anzupassen (Kap. D 3.4; Kap. I 1.2). So-mit können Gen- und Artenverluste den Fortschritt in der Bio- und Gentechnologie blockieren bzw. ver-langsamen und letztlich die Steigerung der Nah-rungsproduktion behindern. Als Folge kann sich der Zwang erhöhen, die landwirtschaftliche Fläche aus-zuweiten oder zu intensivieren, was den selbstver-stärkenden Wirkungskreis schließt. Diese Wirkungs-schleife motiviert eine der biosphärischen Imperati-ve des Beirats: die Bewahrung der Ressourcen für Ernährungssicherung (Kap. I 1.2).

Der Verlust von Natur- und Wirkstoffen Der Gen- und Artenverlust behindert die Entwick-lung neuer Wirkstoffe, die stoffliche Substitution, Fortschritte in der Medizin und in der Bio- und Gen-technologie dadurch, daß der Vorrat an biologischem Material mit Vorbildcharakter kleiner wird. Es sind bereits Fälle bekannt geworden, in denen eine Art, die im Labortest wertvolle Eigenschaften zeigte, bei

Automatisierung, Mechanisierung

Medizinischer Fortschritt Fortschritt in der Informationstechnologie Verbesserung des technischen Umweltschutzes Entwicklung regenerativer Energien und Rohstoffe Entwicklung neuer Werkstoffe, stoffliche Substitution

Verstärkung des nationalen Umweltschutzes

Bedeutungszunahme der NRO Demokratisierung Verarmung

Zunahme der internationalen sozialen und ökonom. Disparitäten

Zunahme regionaler Konflikte Institutionalisierung von Sozialleistung

Wissens- und TechnologietransferZunahme der internationalen Abkommen und Institutionen Sensibilisierung für globale Probleme

Ausbreitung westlicher Konsum- und Lebensstile

Anspruchssteigerung Emanzipation der Frau Individualisierung

Wachsendes Umweltbewußtsein

Bevölkerungswachstum Zunehmende Gesundheitsschäden

Urbanisierung Erhöhung der Mobilitätsbereitschaft

Zersiedelung

Internationale MigrationLandflucht Zunehmender Tourismus

Tertiärisierung Globalisierung der Märkte Internationale Verschuldung

Zunehmende Deposition und Akkumulation von Abfällen

Verdichtung

Versauerung, Kontamination

Fertilitätsverlust (Humus, Nährstoffe) Erosion, morphologische Änderungen Versiegelung Konversion natürlicher ÖkosystemeFragmentierung natürlicher Ökosysteme

Stoffliche Überlastung natürlicher Ökosysteme Schädigung von Ökosystem- struktur und -funktion Zunahme anthropogener Artenverschleppung

Resistenzbildung

Verlust von biosphärischen SenkenVerstärkung von biosphärischen Quellen Zunehmende Übernutzung biologischer Ressourcen Gen- und Artenverlust

Veränderung des GrundwasserspiegelsVerstärkter Treibhauseffekt Zunahme von Spurengasen Globaler und regionaler Klimawandel Troposphären- verschmutzung

Reduktion stratosphärischen Ozons Zunehmende lokale Luftverschmutzung Änderung ozeanischer Strömungen

Veränderte Frachten von partikulären und gelösten Stoffen Veränderung der Eiskappen und Gletscher Süßwasserverknappung

Meeresspiegelanstieg Veränderung der lokalen Wasserbilanz

Versalzung, Alkalisierung Zunahme der nationalen sozialen und ökonomischen Disparitäten

Ausweitung landwirtschaftlich genutzter Fläche

Steigerung der Nahrungsmittelproduktion Bedeutungszunahme nationaler wirtschaftspolitischer StrategienAufbau technischer Großprojekte Intensivierung der Landwirtschaft

Zunehmender Verbrauch von Energie und Rohstoffen Ausbreitung der Geldwirtschaft Zunahme umweltverträglicher Wirtschaftsweisen

Zunehmender Protektionismus Fortschritt in der Bio- und Gentechnologie

Zunehmender Protektionismus Fortschritt in der Bio- und Gentechnologie

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