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Mechanik-Begriff | Paul Brakmann

Im Dokument JOSEPH FURTTENBACH (Seite 35-39)

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Mechanik-Begriff |

Paul Brakmann

Im MANNHAFTEM KUNST-SPIEGEL, erschienen knapp zwanzig Jahre nach der MECHANISCHE REISSLADE, kommt die Mechanik selbst zu Wort. Furttenbach setzt dort dem Kapitel der Architectura militaris eine ausführliche Folge von Versen voran, in denen die personifizierte Mechanica mit „ihren lieben Söhnen vnd Töchtern“113 die Verantwortung der Wissenschaften und Künste für die Misere des Krieges diskutiert. „Was saget ihr hierzu?“, fragt sie schließlich,

„was man in disen Sachen // (Gebt ein getrewen Rath) auffs fürderlichst soll machen?“114

Unisono nehmen die Wissenschaften und Künste Stellung: „Daß ists / daß vns betrübt/ daß man mit grossem Schaden // Die Künsten sehr mißbraucht:

daher muß Teutschland baden // In seinem eignen Blut“115. Dass darin aber ein Missbrauch bestehe, und dass die Künste eigentlich, als gottgegebenes Verstandesvermögen, jedem zum Guten gereichen sollen, das möchten sie in Gestalt einer Bergfestung beweisen, die ihre Insassen vor aller Unbill des Krie-ges bewahren könne. Was sie zu deren Bau beizutragen vermöge, äußert nun jede Wissenschaft und Kunst einzeln: Architectura militaris will „das Corpus recht formieren // Daß es hab ein Bestand“116, das Grottenwerk besorgt den Ge-wölbebau, Büchsenmeisterei und Feuerwerk kümmern sich um die Verteidi-gung und so fort. Doch interessanterweise antwortet auf ihren eigenen Aufruf auch die Mechanik selbst:

Das laß ich mir gar wol belieben: ich deßgleichen Will halten bey euch vest / nicht einen Fuß außweichen:

Mechanisch Instrument gib ich her ohne Zahl / Damit das gantze Werck befördert werd zumal / Die Schlögel / vnd Geißfüß / Hebstangen vnd die Keidel / Daß man den Felsen klöb / vnd schrotte grosse Speidel / Daß man die grosse Stein fein recht zusammen füg Daß man zieh Speiß hinauff / geb ich her die Hebzeug.117

113 Joseph Furttenbach, Mannhaffter Kunst-Spiegel …, Augsburg 1663, S. 218.

114 Ebd., S. 219.

115 Ebd.

116 Ebd., S. 220.

117 Ebd.

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Zweierlei lässt sich diesen Versen entnehmen: Erstens ist die Mechanik hier als Mutter aller Wissenschaften und Künste vorgestellt, allerdings in ihrer herausgehobenen Stellung nicht von der Zuständigkeit für ein praktisches Wissensfeld entbunden. Sie ist nämlich zweitens als prima inter pares selbst eine dieser Künste und zwar eine in erster Linie auf Hebezeug spezialisierte Maschinenbaukunst. In diesem Sinne besteht ihr Nutzen darin, Handlungs-räume zu erschließen, die höhere Kraftaufwendungen erfordern, als sie die reine menschliche Physis leisten kann:

In Summa: wo der Mensch zu schwach ist in den Beinen Da thut er sich auff die Mechanicam hinleinen:

Die hilfft ihm dapffer auff / das er durch sie solch Ding Die sonst vnmüglich seyn / mit aller Macht bezwing.118

Sie ist Technik zur Bewegung schwerer und großer Lasten. Ganz in diesem Doppelsinn tritt Mechanik auch in der MECHANISCHEN REISSLADE auf. Sie ist Namensgeberin des Textes und der darin vorgestellten Instrumenten-sammlung, sie ist aber zugleich eine der mit diesen Instrumenten ausübbaren

„Recreationen“.

Viel ist Furttenbach hier an Pragmatismus gelegen und auch daran, seine Mechanik von spekulativen Ideen abzugrenzen: „die sonsten sawr Saturnisch außsehende Mechanica“ lasse sich „mit vnnöttigem Geschwätz / oder der nur Schattenwerffenden Speculationen, keines wegs abspeisen“. Sie sei eine ange-wandte Kunst, die darauf abzielte, „das Werck selber zu vollziehen“.119 Derart umfasst sie in allgemeiner Bedeutung als Arte ingegnieri alle Fertigkeiten des Ingenieurs, technische wie künstlerische und ist so mit dem universellen Bau-meisterwissen, dessen prominenter Träger Furttenbach selbst ist, identisch.120 In diesem Sinne definiert auch Johannes Faulhaber in seiner INGENIEURS -SCHUL einen Wissenskanon, der den mechanischen Künsten Furttenbachs sehr ähnelt.121 Dagegen grenzt Andreas Jungnickel in seinem SCHLÜSSEL ZU MECHANICA Ingenieurswesen und Mechanik insofern voneinander ab, als er

118 Ebd., S. 137f.

119 Joseph Furttenbach, Mechanische ReißLaden …, Augsburg 1644, S. 53.

120 Margot Berthold, Joseph Furttenbach (1591–1667). Architekturtheoretiker und Stadtbaumeis-ter in Ulm. Ein Beitrag zur TheaStadtbaumeis-ter- und Kunstgeschichte, unveröff. Diss. Ludwig-Maximili-ans-Universität München 1951, S. 185; Dies., Josef Furttenbach von Leutkirch. Architekt und Ratsherr in Ulm (1591–1667), in: Ulm und Oberschwaben 33 (1953), S. 119–179, hier S. 171f.

121 Johannes Faulhaber, Anderer Theil Der Ingenieurs Schul …, Ulm 1633, S. 3.

MECHANIK-BEGRIFF

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sie in der dialogischen Anlage seines Werkes durch zwei unterschiedliche, ei-nander befragende Fachleute repräsentiert. Ein „Mechanicus“ definiert hier einem fragenden „Ingenieur“ Mechanik als Überbegriff aller „Künste, Hand-werck und Handthierungen, welche mit Handarbeit umbgehen“122.

Um die Maschinenbaukunst innerhalb dieser besonders hervorzuheben, schlägt er für sie den Ausdruck „machinatio“ vor.123

Gemein ist all diesen Autoren der Rekurs auf das kanonische Modell der Einteilungen der Wissenschaften und Künste, das den Artes liberales seit dem Frühmittelalter mit den Artes mechanicae einen Begriff der „unfreien“ Künste, der Handwerke entgegengestellt hatte und das bis in die Frühe Neuzeit hin-ein wirkmächtig blieb. Mit Maschinenkunde im engeren Sinne oder gar mit einem modernen Begriff von Mechanik waren die Artes mechanicae jedoch nicht verbunden.124 Etymologisch damit durchaus frei rekonfiguriert Furtten-bach in seinem Gebrauch des Ausdrucks Mechanik das Verhältnis der Künste zueinander.125 Mechanik im Sinne einer praktischen Maschinenkunde wird so zum begrifflichen Ursprung der Gesamtheit aller „Recreationen“. Anders als Jungnickel trennt er Mechanica und Machinatio nicht voneinander, womit Me-chanik als allgemeine Gattung und MeMe-chanik als konkrete Art ineinander fal-len, mit einem Akzent auf letzterer. Sie steht im Zentrum einer Ordnung der Einzelwissenschaften und Künste, die – wenn grafisch repräsentiert – in je eine Siebenzahl (annäherungsweise) „freier“ und „mechanischer“ Künste zer-fällt.126 Doch endet Furttenbachs Orientierung an der überkommenen Wis-sensordnung zugleich darin wieder, dass es beide Gruppen sind, die „vnder der Mechanischen protection“127 stehen. Vermuten ließe sich darin ein Versuch der Aufwertung der traditionell geringeschätzten „mechanischen“ gegenüber

122 Andreas Jungnickel, Schlüssel zur Mechanica …, Nürnberg 1661, S. 15.

123 Ebd., S. 25.

124 Marcus Popplow, Neu, nützlich und erfindungsreich. Die Idealisierung von Technik in der frühen Neuzeit, Münster 1998, S. 15; vgl. auch Jutta Bacher, Artes Mechanicae, in: Hans Hol-länder (Hg.), Erkenntnis, Erfindung, Konstruktion. Studien zur Bildgeschichte von Naturwis-senschaften und Technik vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Berlin 2000, S. 35–49.

125 Vgl. Jan Lazardzig, Theatermaschine und Festungsbau. Paradoxien der Wissensproduktion im 17. Jahrhundert, Berlin 2007, S. 97.

126 So auf dem Titelblatt und dem Frontispiz der MECHANISCHEN REISSLADE.

127 Furttenbach 1663, S. 138.

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den „freien“ Künsten. Gleichzeitig kommt es in dieser Ordnung dem An-spruch nach „zu einer expliziten Gleichgewichtung theoretischen und prakti-schen Wissens unter dem Dach der Mechanik.“128

De facto jedoch wahrt Furttenbach Distanz zu den Neubegründungen der Mechanik als abstrakter Naturwissenschaft bzw. als an der Mathematik ori-entierter Lehre von den Bewegungen überhaupt, wie sie seit dem 16. Jahrhun-dert von Italien ausgehend und im kritischen Rückgriff auf klassische Texte stattfand.129 Zwar hatte er in seiner italienischen Zeit deren bedeutendsten Ex-ponenten, Galileo Galilei, persönlich kennen gelernt, doch war es nicht dessen Begründung der Kinematik und der Festigkeitslehre, die bei dem Gast aus Ulm bleibenden Eindruck hinterließ. Furttenbach berichtet lieber davon, wie Galilei in seiner Anwesenheit ein Modell des berühmten Hebezeuges von Do-menico Fontana verbessert habe, das sich in seinem Besitz befinde130 und vom Modell einer endlosen Spindel, die er ebenfalls von diesem erhalten habe.131 Dabei besteht für Furttenbach augenscheinlich Galileis große Leistung darin, eine Welle in diesem Modell mehrfach eingekerbt zu haben, sodass das darauf aufgewickelte Seil nicht abrutscht.132 Überhaupt richtet sich Futtenbachs me-chanisches Interesse vorranging auf das Nützliche und unmittelbar Brauch-bare. Entsprechend berichtet er in der MECHANISCHEN REISSLADE von spek-takulären Erfolgen, die mittels verschiedenem Hebezeug erzielt werden konnten: Fontanas Versetzung des Vatikanischen Obelisken, die Aufrichtung hoher Marmorsäulen oder der Umzug eines ganzen Gewölbes.133 Aber im Ge-gensatz vor allem zum Mechanik-Diskurs Italiens, der den Dialog einer Suche nach abstrakten Naturprinzipien mit bautechnischer Praxis durchaus

128 Jan Lazardzig, Theater- und Festungsbau. Zur Architektonik des Wissens im Werk des Kriegs- und Zivilbaumeisters Joseph Furttenbach (1591–1667), in: metaphorik.de (2008) 14, S.

179–203, hier S. 191, unter: http://www.metaphorik.de/sites/www.metaphorik.de/files/jour-nal-pdf/14_2008_lazardzig.pdf (Zugriff vom 20.9.2016).

129 Gisela Buchheim/Rolf Sonnemann (Hg.), Geschichte der Technikwissenschaften, Basel 1990, S. 64–69.

130 Berthold 1951, S. 187.

131 Ebd., S. 186.

132 Joseph Furttenbach, Architectura martialis …, Ulm 1630, S. 42. Dieser verbesserte Argano ist auch prominent im Frontispiz der MECHANISCHEN REISSLADE dargestellt. Vgl. hierzu den Beitrag von Lars Weitemeier und Sebastian Fitzner in der vorliegenden Einleitung.

133 Furttenbach 1644, S. 53f.

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