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Wie wir leben, lernen, arbeiten. Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2009, 175 S., 16,90 €, ISBN 978-3-515-09397-2

Im Herbst 2008 haben namhafte Experten aus der Philosophie, der Psychologie und aus den Erziehungswissenschaften in einer Vortragsreihe des Südwestrundfunks („SWR 2 Aula“) „konkrete gesellschaftliche, bildungspolitische Alternativen“ entwickelt, „die ohne große Strukturrevolutionen sofort realisiert werden könnten“. Viele, die über die Zukunft der Gesellschaft nachdenken, werden es begrüßen, dass Moderator Ralf Caspary, Sender und Verlag mit dem vorliegenden Band diese recht anregenden Vorträge auch einem breiten Leserpublikum nahe bringt. Schon der Titel zeigt, wie ernst es den Experten mit der

Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft ist. Ihnen geht es wahrlich nicht um Utopien für den Sankt-Nimmerleins-Tag.

Rolle des Staates

Dr. Reinhard K. Sprenger zeigt in seinem Beitrag auf, wie Staat und Verwaltungsbürokratie den Bürger heute sehen, und wie sie ihm „eine bestimmte Lebensführung“ vorschreiben wollen. „Direkte“ Formen des Engagements der Bürger sollen aus dieser Sicht

„möglichst verhindert“ werden. Deshalb brauche die Gesellschaft „dringend eine Diskussion, was des Staates ist und was nicht“.

Alle die Lenkungsnormen in der Gesetzgebung, vor allem in der Steuergesetzgebung, gehörten abgeschafft. Wer Bürger

„reaktivieren“ wolle, „muss kleine Einheiten befürworten“ und dürfe sich auch einer „schrittweisen Wiedereinführung plebiszitärer Elemente in unsere Verfassung“ nicht widersetzen. Der Staat müsse das Private schützen, „nicht durchlöchern“.

Staat der Zukunft

„Eine Politik, die drohende Übel erst erkennt, wenn sie sich deutlich zeigen, verletzt ihre Grundaufgabe. Ebenfalls verletzt sie ihre Aufgabe, wenn sie statt Chancen rechtzeitig zu ergreifen, ihr Gemeinwesen für Innovation und Kreativität nicht offen hält“, mahnt Prof. Dr. Otfried Höffe. Er wirft die Frage auf, ob „unsere Demokratie“ für ihren zweifellosen Legitimationsvorsprung gegenüber allen „Nichtdemokratien“ nicht „den hohen Preis (…) einer geringen Zukunftsfähigkeit zahlt“. Mit Blick auf die Rahmenbedingungen moderner Politik, auf Tendenzen zur Politisierung und Ökonomisierung von immer mehr Lebensbereichen, stellt er die Rolle eines solidarischen Verhaltens und einer allgemeinen moralischen Hilfspflicht, eines guten Sozial- und Gesundheitswesens der Demokratien, ihres „schon relativ guten Umweltschutzes“, ihrer materiellen Infrastruktur, ihres Rechts-und Kulturkapitals Rechts-und eines „zusätzlichen selbstkritischen Lernvorsprungs“ besonders heraus, der „die fraglos bestehenden Defizite an Zukunftsfähigkeit künftig noch stärker ausgleichen“ könne.

Bildungssystem der Zukunft

Der frühkindlichen Bildung und dem „Kindergarten der Zukunft“ widmet sich Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilios Fhtenakis. Dabei weist er auf die Schwächen des föderal organisierten Bildungssystems hin, die dazu führten, „dass wir gegenwärtig nicht in der Lage sind, bundesweit die gleiche Bildungsqualität für alle Kinder anzubieten“. Ungleiche Chancen würden so weiter „etabliert“. Man müsse

„endlich handeln“. Ein zukunftsfähiges System frühkindlicher Bildung erfordere neue Pläne, die die Basiskompetenzen, die

gefordert werden müssen, genau definieren, des Weiteren eine „Akademisierung der Fachkräfte“ und eine Bildungspartnerschaft mit den Eltern. Das gesamte Bildungssystem müsse auf Kooperation und Kommunikation der einzelnen Bereiche aufbauen und Brüchen in den „Bildungsbiografien“ entgegenwirken. Ein Bildungskonzept, das sich der „Postmoderne“ verpflichte, folge einem Weltbild der „kulturellen Diversität und sozialen Komplexität“.

Prof. Dr. Bernhard Bueb fordert „die Leidtragenden einer verfehlten Bildungspolitik“ auf, selbst aktiv zu werden und daran mitzuarbeiten, dass viele gute Ideen und Konzepte – wie jene von verpflichtenden und flächendeckenden Ganztagsschulen, von Änderungen im Selbstverständnis und der Rolle von Lehrern, von der institutionellen Absicherung der Zusammenarbeit von Eltern und Lehrern und von einer wirklichen Führungs- (nicht primär Verwaltungs-) Tätigkeit der Schulleiter - vielerorts nicht mehr so halbherzig verfolgt würden wie bisher. Jungen Menschen mangle es heute vor allem an wirklich „gestaltenden Gemeinschaften und an Zuwendung von Erwachsenen“. Eine ganze Reihe von Modell- und Reformschulen zeige bereits den Weg, wie man dabei vorankomme, wie man den Selbstwert von Kindern und Jugendlichen so stärke, dass sie ihren Weg selbstständig gehen können.

Diese Schulen räumten der Persönlichkeitsbildung den Vorrang vor der akademischen Bildung ein. Kein Kind dürfe verloren gehen!

Sekundarschule der Zukunft

Prof. Dr. Ulrich Herrmann plädiert für Abschaffung der aus vordemokratischen Zeiten stammenden „Sortiermaschinerie“ des dreigliedrigen Schulsystems, die selbst zu einer Quelle sozialer Ungleichheit geworden sei. Die „Sortiermaschinerie“ nach Klasse 4 stelle „eine auch juristisch-verfassungsrechtlich bedenkliche Praxis dar, weil sie mit den Rechten auf Bildung und Erziehung, auf schulische Ausbildung und berufliche Qualifizierung in den Verfassungen, Gesetzen und UN-Konventionen (soweit sie in der Bundesrepublik geltendes Recht sind) kollidieren“. Zugleich betont er aber, dass der Umbau der bisher getrennt geführten Haupt-und Realschulen Haupt-und Gymnasien zur „SekHaupt-undarschule der Zukunft“ beileibe nicht nur eine „technische Organisationsfrage“ sei Haupt-und

„mit dem Auswechseln der Türschilder“ erledigt werden könne. „Dieser Umbau erfordert anders ausgebildete Lehrkräfte, andere Lehr- und Arbeitspläne, andere Schulgebäude mit Arbeitsräumen (auch für die Lehrer), Projekträume und Studios, Ateliers und Labors, Übungsräume für Chor und Orchester, Theater, Zirkus und Bewegung, einen Speisesaal, eine Cafeteria, Rückzugs- und Ruheräume, die intensive und daher nicht einflusslose Mitarbeit der Eltern – kurzum all das, was eine gute Schule im

Ganztagsbetrieb ausmacht.“ Er beschreibt, wie die neuen Sekundarschulen organisiert werden müssten, damit sie „nicht, wie heute, individuelle Differenzen erzeugen oder gar verstetigen, sondern dazu dienen, die unterschiedlichen Potenziale der Schüler zu erkennen, um sie zu pflegen und zu fördern“.

Hochschule der Zukunft

Mit der „Hochschule der Zukunft“ beschäftigt sich Prof. Dr. Detlef Müller-Böling, in der nach Meinung einiger Zukunftsforscher die Studenten zuhause sitzen und den Lehrstoff „über Satelliten-Fernsehen und Internet“ erhalten würden, „während die Dozenten in Kameras blinzeln oder ihre Texte mittels PC-Tastaturen eingeben“. Aber entgegen solcher Zukunftsbilder werde die

„Universität der Zukunft“ nicht „entmenschlicht“. Den persönlichen Kontakt zwischen Professor und Student werde es auch weiterhin geben. Vor allem aber werde die „Hochschule der Zukunft“ neue Zielgruppen ansprechen, den Anteil der Frauen unter den Studierenden weiter erhöhen, eine größere Rolle im Prozess des lebenslangen Lernens spielen und eine größere

Verantwortung für die Studierenden und den wissenschaftlichen Nachwuchs wahrnehmen. Die „Einheit von Forschung und Lehre“, die man heute „teilweise wie eine Monstranz“ vor sich hertrage, werde sich mehr und mehr auflösen. Es werde sich eine differenzierte Struktur aus reinen Forschungseinrichtungen, wenigen „Spitzenuniversitäten“ und einer großen Zahl regionaler Lehr- und Weiterbildungseinrichtungen mit vielfältigsten Angeboten und Studiengängen herausbilden.

Unternehmen der Zukunft

„Transparent und selbstorganisiert“ – so sehen Dr. Stefan Kaduk, Dr. Dirk Osmetz und Prof. Dr. Hans A. Wüthrich das Unternehmen der Zukunft. Anschaulich legen sie dar, dass vieles, was heute bei der Organisation von Unternehmen geschieht und bestimmte Prämissen, von denen die Führung und das Management mehrheitlich ausgingen, „im Grunde grotesk“ seien. Demgegenüber entwickeln sie ihre Vorstellungen vom zukunftsfähigen Unternehmen, vom Manager der Zukunft und denken so oft „das

Undenkbare“: Organigramme gibt es nicht mehr. Gehälter werden in den Teams bestimmt. Mitarbeiter, kommen und gehen, wann sie wollen. Sie suchen sich ihre Chefs selbst aus. Budgetvorgaben gibt es nicht mehr. Außendienstler setzen sich ihre Ziele und Prioritäten selbst. Alle wissen, wie es finanziell um das Unternehmen steht und wie viel der Geschäftsführer verdient. Warum, so fragen die Autoren, hält man solche „alternativen Organisationsprinzipien“ in unserer Gesellschaft für utopisch und nicht für praktikabel? Zukunftsfähigkeit hänge davon ab, inwieweit Unternehmen „ausbalanciert“ seien. In den „ausbalancierten Organisationen“, die es ja bereits gebe, könne man „versteckte Systemkosten“ erkennen, gehe von anderen Prämissen aus und experimentiere mit „alternativen Führungsmustern“.

Arbeit der Zukunft

Wer im 21. Jahrhundert erfolgreich sein wolle, der müsse „vor allem die Fähigkeiten der Flexibilität, Mobilität und Erreichbarkeit entwickeln. Wir sollen wissenschaftlich neugierig, unternehmerisch mutig und politisch lernfähig sein“. Das ist eine der

Botschaften, die der Beitrag von Prof. Dr. Norbert Bolz vermitteln will. Das sich immer mehr ausbreitende „Networking“ helfe den Menschen dabei, sich ständig an die Erfordernisse des Arbeitsmarktes anzupassen, quasi spielerisch Neues zu erlernen, sich selbst zu vermarkten und an sozialen Bewegungen teilzunehmen. Zudem werde künftig „einer der wichtigsten Mechanismen zur Produktion von sozialem Reichtum“ darin bestehen, dass eine „Arbeit, die Spaß macht“ mit „gutem Leben“ vereinbar wird. Ganz selbstverständlich erwarte man schon heute „einen familienfreundlichen Arbeitgeber, der den Mitarbeitern eine Balance zwischen Arbeit und Leben ermöglicht“. Die Firma werde „gleichsam zur Sekte“, die ihren Mitarbeitern nicht nur Geld, „sondern auch Sinn“

biete. Sie fordere nicht nur Arbeit, sondern fördere auch die Familie. Allerdings tue sich hier noch „eine gewaltige Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ auf. Aber in Arbeit und Leben breche sich das Zeitalter „postökonomischer Werte“ unaufhaltsam Bahn.

Erst mit der Möglichkeit, wirklich inter-aktiv zu sein, verdiene das „Inter-Net“ wirklich seinen Namen und lasse ahnen, „was noch kommen mag“, meint Dipl.-Ing. Ulrich Klotz. Der Zeitpunkt sei nicht mehr fern, „wo ein beträchtlicher Teil der Menschheit nicht mehr extra ´ins Internet gehen´ wird, sondern zu jeder Zeit, an jedem Ort mit ungezählt vielen anderen Menschen und

Gegenständen in Echtzeit interaktiv in Beziehung treten kann“.

Welche Wirkungen wird diese rasante Entwicklung auf Arbeit und Unternehmen, auf die Ideenwelt und die Gesellschaft haben?

Immer mehr Menschen werden zu „Wissensarbeitern“. Man finde sie schon in der Produktion, wo sie Fertigungsprobleme selbständig analysierten, in der Wartungstechnik und der Lagerhaltung. Damit sie „ihr Know-how optimal mit den Kenntnissen anderer Spezialisten verbinden und zu neuen Wissen umsetzen können“, brauchten sie Organisationen, die nicht hierarchisch strukturiert sind und wo nicht – wie heute noch fast überall - Vorgesetzte „über Dinge entscheiden, von denen sie in der Regel weit weniger verstehen als man selbst, die aber – weil sie nun einmal dieses Amt innehaben – meinen, sagen zu müssen, ´wo es lang geht´“. Die alten Strukturen und Organisationsformen riefen schon bei zahlreichen „Net-Kids“ von heute nur noch

Kopfschütteln hervor. In der „Arbeit 2.0“ würden oft unterschiedliche Denkmuster aufeinander treffen. Dabei (und nicht „in wöchentlichen Abnick-Runden“) entstünden durch die „Intelligenz der Masse“ neue Ideen, aber natürlich auch eine „nie da gewesene Transparenz“. Die „neue Freiheit“ im Umgang mit Informationen helfe, neue Bedeutungen und Zusammenhänge zu entdecken. Ob sie es wollten oder nicht, die Unternehmen würden sich ändern müssen. Noch grundlegender wandeln müssten sich allerdings die Gewerkschaften, um „erfolgreich fortbestehen zu können“.

Mensch der Zukunft

Der Begriff von einer angeblichen „Umwelt“ täusche darüber hinweg, dass diese „in Wahrheit nicht um den Menschen herum, sondern mitten durch ihn hindurch“ geht. Jahrhunderte lang wurde sie zur Beherrschung und Ausbeutung freigegeben. Die Forderung nach „Nachhaltigkeit“ habe lange Zeit ihre Adressaten nicht erreicht. Nun aber, davon ist Prof. Dr. Wilhelm Schmid überzeugt, brauchen wir „eine ökologische Revolution, und sie wird kommen, je mehr die menschliche Einwirkung auf ökologische Zusammenhänge auf den Menschen selbst zurückwirkt.“ Aus den Anstrengungen zur ökologischen Umgestaltung der Gesellschaft werde eine „neue andere Moderne“ hervorgehen: „Wenn Moderne die Anstrengung war, alles möglich zu machen, was nur denkbar ist, wird die andere, nachhaltige Moderne auf der Einsicht beruhen, dass nicht alles das, was möglich ist, auch wirklich werden muss. Viele Menschen werden die bewusste Wahl treffen, wieder eine Bindung an die Natur einzugehen, ein Maß für den Umgang mit ihr ausfindig zu machen, auch verzichten zu können und ´Nein´ zu sagen (…).“ Aber eine nachhaltige Lebenshaltung wolle gelernt sein. Und das geschehe „mit der Arbeit an der inneren Nachhaltigkeit in der Beziehung zu sich selbst“. Man müsse selbst die Werte festlegen, an denen man seine Haltung und sein Verhalten orientieren will: „Kurzfristigkeit oder Dauerhaftigkeit.“

Auch soziale Sicherungssysteme müssten nachhaltig gestaltet werden. Das vorgefundene System müsse („ohne lange

Anlaufszeit“) durch Anstrengungen der „großen Politik“ und der „Kleinstpolitik“ fortwährend zu einer ökologischeren und sozialen Marktwirtschaft hin modifiziert werden – und dies auch global. Nicht die Erde müsse gerettet werden, sondern der Mensch selbst.

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