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M ODERNE M EDIEN ALS M ÖGLICHKEIT DER T RADIERUNG VON H ISTORIE

Im Dokument Universität Regensburg (Seite 173-177)

V. SCHLUSS: EINORDNUNG DER ARBEIT IN DEN ZUSAMMENHANG DER

V.II M ODERNE M EDIEN ALS M ÖGLICHKEIT DER T RADIERUNG VON H ISTORIE

Die Möglichkeit, die Schrecken des Massenmordes in Film und Fernsehen einem breiten Publikum zugänglich zu machen, mag auf der einen Seite als Fortschritt betrachtet werden, andererseits birgt gerade diese Verbreitungsform die Gefahr in sich, ein falsches Bild der Ereignisse zu entwerfen und damit Geschichtsklitterung zu betreiben. Mit diesem Vorwurf sahen sich beispielsweise die Produzenten des Films Der Untergang konfrontiert. So etwa bezeichnete der Filmkritiker Knörer den Film als „einzige Lüge“:

„Mit seinem handwerklichen Biedersinn fällt Oliver Hirschbiegel den eigenen Naturalismusabsichten ständig in den Rücken. Das macht den "Untergang", der eine einzige Lüge ist, dann nicht nur zu einem Machwerk, sondern auch noch zu einem so unbedarften wie langweiligen Machwerk.“518

Eine deutlich differenziertere Darstellung des Films stammt von dem Philosophen Josef Früchtl. Dieser geht auf den kritischen Einwand, Hitler wäre in diesem Werk zu menschlich dargestellt, folgendermaßen ein:

„So viel Hitler wie in Der Untergang sah man im Kino noch nie. Und weil dies zwangsläufig bedeutet, nicht nur den öffentlichen Hitler vorzuführen, den man aus Filmaufnahmen schon kennt, argwöhnt so mancher Kritiker, Hitler könne zu sehr ‚als Mensch’ in Erscheinung treten“519.

In seinem Artikel relativiert er diese Vorbehalte jedoch und kommt zu dem Schluss:

„Der Film vermenschlicht Hitler und seine Gefolgschaft in der Tat, aber zunächst einmal schlicht anthropologisch und dann erst bescheiden moralisch. Er zeigt ihn als Teil der menschlichen Spezies und damit in seinen physischen Gebrechen und psychischen Schwankungen. Dass dabei auch moralische Züge zum Vorschein kommen, er sich von Zeit zu Zeit als freundlich und sogar charmant erweist, kann nur den verwundern, für den Hitler nicht zur Spezies Mensch gehört.“520

Auch der Produzent des Films, Bernd Eichinger, geht auf die Vermenschlichungs-These bezüglich Der Untergang ein und lässt sich in einem Interview über seinen Film zum Phänomen Hitler vernehmen:

„Ob man zwangsläufig Mitleid empfindet, ist eine andere Frage, bei Hitler zumindest nicht. Für mich ist er der Inbegriff des Barbaren, der sentimentale Anflüge hat. Mag sein, daß ich dafür gelegentlich Verständnis habe, aber Sympathie garantiert nicht.“521

518 Ekkehard Knörer, Riecht wie Führerbunker, Essay vom 22.09.2004, Internetadresse des Artikels:

http://www.perlentaucher.de (25.10.2004).

519 Josef Früchtl, Hitler als einer von uns - Menschsein im "Untergang", in: FR, 24.09.2004. Internetadresse des Artikels: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=509621 (24.09.2004).

520 Josef Früchtl, Hitler als einer von uns - Menschsein im "Untergang", in: FR, 24.09.2004. Internetadresse des Artikels: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=509621 (24.09.2004).

521 Hitler spielen - Interview von Frank Schirrmacher mit Corinna Harfouch und Bernd Eichinger, in: FAS, 22.08.2004, S.21.

Bei Spielfilmen, die den Massenmord an den europäischen Juden zum Thema haben, geht es vor allem darum, dem Publikum dieses mit dem Verstand nicht greifbare Ereignis näher zu bringen. Meist wird mittels Identifikation des Publikums mit einem oder mehreren Protagonisten versucht, eine Emotionalisierung zu erzielen, um ein Mitleiden seitens der Rezipienten in Gang zu setzen. Dies soll dazu dienen, die Geschehnisse dieses Pogroms nachvollziehbar darzustellen. Beispiele für diese Verfahrensweise sind der 1979 in Deutschland erstmals gezeigte vierteilige Film Holocaust, der die Geschichte der Familie Weiß vor dem Hintergrund der Shoah erzählt, und natürlich Spielbergs Film Schindlers Liste, der den Industriellen Oscar Schindler in den Mittelpunkt der fiktiven Darstellung rückt. Nicht eine wissenschaftlich fundierte Darstellung ist dabei das Ziel, sondern eine Bearbeitung der damaligen Geschehnisse, die dem jeweiligen Zeitgeist entsprechend einem breiten Publikum plausibel gemacht werden kann. Spielbergs Monumentalfilm beispielsweise wurde von der Kritik nicht nur positiv aufgenommen. So sprach unter anderem die Literaturkritikerin Sigrid Löffler davon, dass der Film aufgrund seiner geschickten Gefühlsdramaturgie als „seelische Schnellreinigung“ sozusagen als „Instant-Absolution, als Gefühls Quickie“ angesehen werden könne.522 Mit diesem harschen Urteil macht es sich die Kritikerin jedoch zu leicht, sie wird dem Facettenreichtum des Films damit nicht gerecht, zumal dieses mehrstündige monumentale Werk keinesfalls als „Quickie“ bezeichnet werden kann.

Im folgenden Abschnitt sollen nun kurz einige der Gedanken Reinhard Hanauschs aus dessen Vortrag Auschwitz als Talkshow? - Einige Bemerkungen zu der Frage, wie man heute über Auschwitz sprechen sollte und worüber dabei zuvorderst zu sprechen sei, wiedergegeben werden.523 Der Antiquar zitierte beispielsweise die Kritik Claude Lanzmanns, des Regisseurs des Films Shoah, an Spielbergs Version des Holocausts in Schindlers Liste: „In Schindlers Liste gibt es etwas, was nicht ehrlich ist, weil Spielberg den Eindruck erweckt, als habe man die Gaskammer lebend verlassen können.“ 524 Lanzmann warf Spielberg damit eine Verharmlosung der Vorgänge in Auschwitz vor, da aus den Gaskammern keinerlei Entrinnen möglich war. Hanausch kommt in seinem Vortrag auch auf Andreas Kilb zu sprechen, der in seiner Kommentierung des Films in der ZEIT vom 04.03.1994 die Schwierigkeit erkannte,

522 Das Zitat wurde folgendem Artikel entnommen: Manuel Köppen, Von Effekten des Authentischen - Schindlers Liste, in: Bilder des Holocaust, Literatur - Film - Bildende Kunst, herausgegeben von Manuel Köppen und Klaus R. Scherpe, (Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte, Kleine Reihe Band 10), Köln, 1997, S.145-170, hier: S.149, Anmerkung 12.

523 Die Anregungen dieses Absatzes verdanke ich folgender Publikation: Reinhard Hanausch, Auschwitz als Talkshow? - Einige Bemerkungen zu der Frage, wie man heute über Auschwitz sprechen sollte und worüber dabei zuvorderst zu sprechen sei, Vortrag im Haus der Begegnung in Regensburg am 28.06.1999 (unveröffentlichtes Manuskript). Herr Hanausch war so freundlich, mir seinen 24 Seiten umfassenden Vortrag zuzusenden.

524 Claude Lanzmann, zitiert nach: Reinhard Hanausch aus dem oben erwähnten Vortrag vom 28.06.1999, S.9.

dem Massenmord an den Juden ästhetisch gerecht zu werden. Spielbergs Film käme aber das Verdienst zu, den „Bann, der bis heute über der Darstellung dieser Hölle lag“525, zu brechen.

Andererseits fand er kritische Worte für den Mangel an Aufmerksamkeit, welche der Film den jüdischen Opferzahlen widme. Die Zahl der Menschen, die von Oskar Schindler vor dem sicheren Tod gerettet worden waren, bliebe weitgehend unerwähnt.

„Nur viertausend Juden, so erfährt man aus einer Einblendung, leben heute noch in Polen, doch aus den Familien auf Schindlers Liste ist ein Volk von sechstausend Menschen geworden. So endet alle Erinnerung in Daten und Zahlen, Jahrestagen und Geschichten. Zurück bleibt das Unzählbare, von dem kein Buch und kein Film erzählt.“526

Nur kurze Zeit später macht der Rezensent den Film in der ZEIT vom 25.03.1994 erneut zum Thema. In seiner Glosse schreibt er: „Es gibt nur die Bilddokumente von damals, die das, was Spielberg erzählt, gerade nicht zeigen, und die Zeugenaussagen der Opfer.“527 Spielberg breche nach den Worten Kilbs „das Tabu“, das über der filmischen Verarbeitung von Auschwitz liege. Die entscheidende Wichtigkeit liege in dem Umstand,

„daß die wenigen Überlebenden, die noch das Grauen bezeugen können, allmählich aussterben, und daß nur Bilder im Stande sind, ihre Erinnerungen wenigstens in Bruchstücken einer fernsehsüchtigen Nachwelt zu überliefern.“ 528

Aus dem Gesagten zieht der Filmkritiker folgendes Resümee:

„Die Menschen, die in Schindlers Liste strömen, wollen nicht vergessen, sie wollen das Vergessen überwinden. Das war Spielbergs Ziel. Er hat es erreicht.“ 529

Werner Beiweis hingegen vertritt die Auffassung, dass mit dem Tod der Zeitzeugen die Erinnerung an den Holocaust auch ohne filmische Rekonstruktion nicht aussterbe. Es gebe nämlich eine mündliche Tradierung ihrer Erzählungen, welche außerdem auch niedergeschrieben worden seien. Mit der Behauptung, dass das Aussterben der Zeugen die Erinnerung bedrohe, unterschlage man das Faktum, dass die seit Menschengedenken primäre Artikulationsmöglichkeit der Erinnerung die mündliche Überlieferung gewesen sei. Es gehe in Spielbergs Film daher nicht darum, das Gedenken zu retten, sondern lediglich um einen Paradigmenwechsel vom tradierten Wort hin zum technischen Bild.

525 Andreas Kilb, Des Teufels Saboteur - Steven Spielbergs Film - Epos über den Völkermord an den europäischen Juden - „Schindlers Liste“, in: Die Zeit, Nr. 10, 04.03.1994, S.57-58, hier: S.58.

526 Andreas Kilb, Des Teufels Saboteur. Steven Spielbergs Film - Epos über den Völkermord an den europäischen Juden - „Schindlers Liste“, in: Die Zeit, Nr. 10, 04.03.1994, S.57-58, hier: S.58.

527 Dieses Zitat wurde folgender Publikation entnommen: Werner Beiweis, Zur Realität des Imaginären - Steven Spielbergs Film Schindlers Liste, Wien 1995, S.6.

528 Dieses Zitat wurde folgender Publikation entnommen: Werner Beiweis, Zur Realität des Imaginären - Steven Spielbergs Film Schindlers Liste, Wien 1995, S.6.

529 Dieses Zitat wurde folgender Publikation entnommen: Werner Beiweis, Zur Realität des Imaginären - Steven Spielbergs Film Schindlers Liste, Wien 1995, S.6.

Der Holocaust sei das entscheidende Ereignis im 20. Jahrhundert gewesen, welches filmisch jedoch nicht belegt worden sei. Es sei daher das Verdienst des Regisseurs aus Hollywood, mit seinem Werk Abhilfe geschaffen zu haben. An Spielbergs Film zeige sich aber auch die gesamte Problematik, dem Phänomen des Massenmordes an den Juden mit den Mitteln der Regie gerecht zu werden. Demnach bildeten nicht mehr die unmittelbaren Erlebnisse der Zeitzeugen das Primat der Überlieferung, sondern ihre Stimmen dienten im Gegensatz dazu nur noch zur Bekräftigung der Rezeption des Spielberg-Films in der breiten Öffentlichkeit.530 Eine wesentlich positivere Meinung über den Film Spielbergs vertritt der Historiker Wolfgang Benz. In seinem Artikel in der Zeit führt der Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin aus, dass die Figur des Oskar Schindler „scharf und überzeugend gezeichnet“ sei, dass zwar die Handlung des Films gegenüber der Dokumentation ohne „fiktionale und dramatische Elemente“ nicht auskäme, was aber aus seiner Sicht keinen Einwand darstelle, sondern notwendig sei, um „begreiflich zu machen, was geschah“. Abschließend kommt er zu folgendem Urteil:

„Die Zerstörung von Menschen durch Todesangst, die Mordlust der Täter, die Ambivalenzen der Moral in chaotischer Zeit und unter existentieller Bedrohung kann man nicht dokumentieren. Um begreiflich zu machen, was geschah, braucht es eben die literarische und dramatische Form. In der Schlußszene von Steven Spielbergs Film treten die Schauspieler Hand in Hand mit den Originalpersonen ans Grab Oskar Schindlers. Damit ist auch das Verhältnis von Authentizität und Fiktion geklärt. ‚Schindlers Liste’ ist mehr als Dokumentation und Geschichtsschreibung. Der Film ist über den Appell an die moralische Sensibilität des Betrachters hinaus ein dramatischer Beitrag zu Geschichtsschreibung und Aufklärung.“531

Die filmische Verarbeitung der Ereignisse zwischen 1933 und 1945 beschränkt sich jedoch bedauerlicherweise nicht ausschließlich auf Versuche zur möglichst authentischen und geschichtstreuen Vermittlung dieser historischen Fakten. Die mannigfaltigen Möglichkeiten der heutigen Film- und Fernsehtechnik sollten nicht dazu führen, die Medien allein aus Gründen wirtschaftlicher Natur dahingehend zu missbrauchen, Darstellungen des Holocaust

530 Werner Beiweis, Zur Realität des Imaginären - Steven Spielbergs Film Schindlers Liste, Wien 1995, S.6f. Zu diesem Gedankengang ist folgendes einzuwenden: Das Phänomen der Dienstbarkeit von Personen, die an den Ereignissen, die in einem Film entweder in dokumentarischer oder fiktiver Weise verarbeitet werden, unmittelbar beteiligt waren, ist nicht nur bei der ästhetischen Verarbeitung des Holocausts zu beobachten, sondern auch in anderen Sparten. Man denke dabei zum Beispiel an die Dokumentationen des Historikers Guido Knopp, gegen die immer wieder der Vorwurf erhoben wird, die darin vorkommenden kurzen Stellungnahmen der Zeitzeugen würden lediglich dessen subjektives Bild untermalen. Auch der Film „Der Untergang“, der sowohl mit dem gleichnamigen Buch von Joachim Fest (Der Untergang, Hitler und das Ende des Dritten Reiches - Eine historische Skizze, Reinbek bei Hamburg 2004), als auch über die Aufzeichnungen von Hitlers Sekretärin Traudl Junge (Bis zur letzten Stunde - Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben, unter Mitarbeit von Melissa Müller, Berlin 2004), beworben wurde, kann dafür als Beispiel herangezogen werden. Beide Werke dienten ebenfalls der Werbung für den Film, wurden also ebenfalls für den Film dienstbar gemacht. Böse Zungen könnten behaupten, das geflügelte Wort „There is no business like shoah business“, könnte daher auch auf Themenkomplexe rund um den Nationalsozialismus in Deutschland angewendet werden.

531 Wolfgang Benz, Bilder statt Fußnoten. Wie authentisch muß der Bericht über ein geschichtliches Ereignis sein? Anmerkungen eines Historikers zu „Schindlers Liste“, in: Die Zeit, Nr. 10, 04.03.1994, S.59.

zu verbreiten, welche die Gefahr in sich bergen, ein falsches Bild der deutschen Geschichte zu vermitteln. So stellt sich beispielsweise die Frage, ob jeder Kinogänger die Stilmittel der Karikatur zu erkennen und richtig einzuordnen vermag. Andernfalls erschienen die Deutschen in den Indiana Jones-Filmen etwa als Prototyp einer unmenschlichen und einfältigen Nation.

Im dritten Teil dieser Reihe, der den Titel Der letzte Kreuzzug trägt, wird nicht nur auf die Bücherverbrennung angespielt, sondern Adolf Hitler tritt in einer Szene des Films sogar als eine Art Popstar auf, der vor dem Schauspieler Harrison Ford steht, und diesem ein Buch signiert. Für den unbedarften Zuschauer banalisiert diese Darstellung den tatsächlichen Hitlerkult und verharmlost dadurch das wirkliche Geschehen der Apotheose um den deutschen Reichskanzler. Die geschichtlichen Ereignisse werfven die Frage auf, ob ein solches Thema überhaupt persifliert werden darf.

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