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M ethoDische r eflexion

Im Dokument Gesellschaft der Unterschiede (Seite 188-192)

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4.4 M ethoDische r eflexion

Die hier vorliegende Arbeit steht in einem Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch, die unterschiedlichen Datenkorpora zu verknüpfen und die jeweils sehr reichhaltigen Datenkorpora für sich einer intensiven Analyse zu unterziehen. Grundsätzlich stehen die Datenkorpora für sich. Die Interviews orientieren sich an einem Leitfaden, der sich nicht direkt auf das »Nationa-le Präventionsprogramm Jugend und Gewalt« bezieht, jedoch gebraucht die Interviewerin Wissen, das in diesem Zusammenhang relevant ist, etwa bezüg-lich der Problematisierung von Jugendgewalt, »guter« Prävention und betroffe-ner Adressatinnen und Adressaten von Maßnahmen im Kontext von Jugendge-waltprävention. Auch die befragten Fachpersonen nehmen auf dieses Wissen Bezug, grenzen sich aber auch davon ab und positionieren sich nur mit weni-gen Ausnahmen explizit zum Programm. Jedoch lassen sich mit dem Subjekt als analytische Kategorie die beiden Ebenen des Sprechens über Jugendge-waltprävention durchaus zusammen denken und aufeinander beziehen. Eine Distanzierung zu kriminalpolitischer Programmatik lässt sich insbesondere in den Einstiegspassagen der Interviews beobachten, wo sich die Befragten kritisch mit den Adressierungsweisen der Interviewerin auseinandersetzen.

Diese Auseinandersetzung zeigt sich sowohl auf der Gesprächsebene, etwa an der Ironisierung der Fragen bzw. der ihnen zugeschrieben Bedeutungen oder der Umformulierung der Fragen, als auch auf inhaltlicher Ebene. Sie zeigt sich an einer gesellschaftskritischen Positionierung, die in Abgrenzung von Prob-lemdiskursen entwickelt wird, und darin, dass die Fachpersonen angeben, die ihnen von außen zugeschriebenen Erwartungen hinsichtlich Jugendgewalt-prävention nicht erfüllen zu können. Im Verlauf der Interviews wechseln die Fachpersonen ihre Positionierungen, was auch im Zusammenhang mit den Zuschreibungen durch die Interviewerin steht. Die Beobachtung der Relativie-rung ist also zentral, weil sie im Zusammenhang mit der Beobachtung steht, dass die Fachpersonen Jugendgewaltprävention nicht als wesentlichen Teil ihrer jeweiligen Fachbereiche und Expertisen ansehen. Das lässt darauf schlie-ßen, dass die mit der als »(un-)doing expertise« bezeichnete Strategie nicht nur der Interviewform geschuldet ist, sondern im Kontext der Jugendgewaltpräven-tion zu lesen ist. Außerdem fällt auf, dass die meisten der befragten Fachper-sonen ihre eigene Expertise nicht allein aus ihren Berufsbiografien und ihren Handlungskontexten heraus entwickeln, sondern auch andere lebensweltliche Erfahrungen, etwa mit den eigenen Kindern, Familienangehörigen oder sons-tigen Schlüsselerlebnissen, mit einfließen lassen. In dieser Hinsicht zeich-nen sich die Interviews durch eizeich-nen häufig wiederholten Wechsel von Posi-tionierungen aus, der als Distanzierung von einer einseitigen Adressierung als Expertin bzw. Experte für Jugendgewaltprävention durch die Interviewerin gedeutet werden kann und auch auf Ambivalenzen hinweist, die aus dem

Be-streben, unterschiedlichen Erwartungen gerecht zu werden, resultieren. Es ist davon auszugehen, dass nicht nur die (Einstiegs-)Fragen im Interviewverlauf, sondern bereits das Anschreiben relevante Zuschreibungen enthält. Beispiels-weise ist Herr Tanner sogar schriftlich auf bestimmte Inhalte vorbereitet und zeigt an, mit bestimmten Fragen gerechnet zu haben. Auch Herr Vonderstatt hat bereits seine eigenen Relevanzen gesetzt, insofern zu beobachten ist, dass er die Fragen der Interviewerin gar nicht beantwortet, sondern umformuliert und letztlich seine eigenen Fragen beantwortet. Möglicherweise werden die durch das Anschreiben erweckten Erwartungen der Befragten durch die zu-nächst gewählte Einstiegsfrage befördert. Diese Frage verbinden die Fachper-sonen nicht mit ihren eigenen Expertisen: Die Erfahrungen mit Jugendgewalt begrenzen sich hier nicht auf die Fachbereiche, sondern auf unterschiedlichste Lebenswelten. Die Interviews, die mit einer offenen Erzählaufforderung sei-tens der Interviewerin eingeleitet werden, lassen mehr Offenheit zu, sodass die Befragten sich zu erwarteten Erwartungen positionieren und eigene Relevanz-setzungen entwickeln können. Das zeigt sich beispielsweise an dem Interview mit Frau Schock, die sich eben nicht primär über ihr Pilotprojekt im Kontext von Jugendgewaltprävention, sondern über ihre Arbeit als Familientherapeu-tin identifiziert. Daraus kann geschlossen werden, dass sich das Subjekt nicht allein über Anrufungsprozesse konstituiert, sondern auch über Erfahrungen, die jedoch in anderen Kontexten relevant sind und wiederum als Teil eines Diskurses bzw. als Diskursfragmente angesehen werden können. So kommen die Fachpersonen im Kontext des Programms in ihrer Verantwortung und Ver-antwortlichkeit als Subjekte eines bestimmten Diskurszusammenhangs, der Prävention, Aktivierung und Sicherheit miteinander verknüpft, in den Blick.

Die Außenorientierungen der Fachpersonen beziehen sich auf das für diesen Diskurszusammenhang relevante Wissen, insbesondere die Durchführungs-weisen und Ziele von Jugendgewaltprävention, und brechen mit deren Innen-orientierungen. Diese Außenorientierungen kommen als Erwartungen in den Blick, die von außen an die Fachpersonen herangetragen werden, und werden hier als Orientierungen im Sinne eines kollektiv geteilten Deutungsrahmens an kriminalpolitischer Programmatik bezeichnet. Das Subjekt fungiert in der vorliegenden Arbeit also als analytisches Bindeglied. Des Weiteren ermöglicht die subjekttheoretische Perspektive auf Jugendgewaltprävention, in diesem Kontext angesiedelte Prozesse der Objektivierung in den Blick zu nehmen. Zu-dem ist anzumerken, dass im Rahmen dieser Arbeit nicht Praktiken in den Blick kommen, sondern das Sprechen über Praktiken im Kontext von Jugend-gewaltprävention, das Aufschluss über Orientierungsweisen in diesem Kon-text gibt. Insofern sich die Fachpersonen in ihren Orientierungen auf Wissen beziehen, das diskursiv vermittelt ist, wird hier allgemein von »Praktiken des Wissens« und spezifisch vom »Gebrauch von Prävention« gesprochen.

Präven-tion bzw. JugendgewaltprävenPräven-tion als Praktik ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht sichtbar:

»Das ›praktische Wissen‹, das in einer sozialen Praktik mobilisiert wird und das die Praxistheorie rekonstruieren will, umfasst dabei verschiedene Elemente: ein Wissen im Sinne eines interpretativen Verstehens, d.h. einer routinemäßigen Zuschreibung von Bedeutungen zu Gegenständen, Personen, abstrakten Entitäten, dem ›eigenen Selbst‹ etc.; ein i.e.S. methodisches Wissen, d.h. script-förmige Prozeduren, wie man eine Reihe von Handlungen ›kompetent‹ hervorbringt; schließlich das, was man als ein motivational-emotionales Wissen bezeichnen kann, d.h. ein impliziter Sinn dafür ›was man eigentlich will‹, ›worum es einem geht‹ und was ›undenkbar‹ wäre. Durch die Zu-ordnung zu einzelnen, historisch und kulturell spezifischen Praxiskomplexen setzt die Praxistheorie diese Wissensformen dabei nicht als ›universal‹, sondern als historisch-spezifisch, als ein letztlich kontingentes ›local knowledge‹ (Geertz) voraus.« (Reckwitz 2003: 292)

Die Ergebnisse dieser Arbeit, die u.a. zeigt, dass die Fachpersonen kein ex-plizites Verständnis von Jugendgewaltprävention äußern, lassen es fraglich er-scheinen, inwiefern Prävention als Praktik überhaupt denkbar ist, insoweit der Begriff der Praktik überhaupt ernst genommen wird.6

6 | Auch auf programmatischer Ebene wird von »Praktiken« gesprochen im Sinne einer

»Good Practice« oder »Best Practice«. Diese Begriffe beziehen sich jedoch nur auf ein Ergebnis, das sich in der Statistik widerspiegelt.

5.1 r

esPonsibilisierung unD Die

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