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Zur Konstruktion von »Jugend«

Im Dokument Gesellschaft der Unterschiede (Seite 167-180)

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4.2 J ugenDgewaltPrävention auf e bene Des P rograMMs

4.2.2 Zur Konstruktion von »Jugend«

Zunächst ist festzuhalten, dass sich das Kollektiv konstruiert in Abgrenzung zur sozialen Gruppe der Jugend im Allgemeinen und im Besonderen: »Die Ju-gend« steht »Gruppen mit Mehrfachproblematik« (EDI/BSV 2010a: 5) gegen-über. Dabei wird auf utopische und dystopische Szenarien verwiesen, die den Präventionsdiskurs tragen: Eigentlich ist die Jugend als »gut« anzusehen, je-doch stellt eine kleine Gruppe von Jugendlichen eine enorme Bedrohung dar, die sich nicht nur an das Kollektiv und seine »Professionen« richtet, sondern an diese als Stellvertreter einer friedlichen Gesellschaft. Die Differenz einer

»guten« und einer »schlechten« Jugend im Kontext einer friedlichen Gesell-schaft ist hier zentral und wird fortwährend reproduziert:

»(…) leben wir in einer sehr zivilen und sehr friedlichen Gesellschaft und auch bei den Jugendlichen aber das heißt nicht dass wir jetzt alle nach Hause gehen können und da n Fanta trinken können oder was auch immer sondern wir müssen wie es so schön heißt am Ball bleiben (…) wir haben etwa 7-10 % junge Menschen mit doch erheblichen Problemen der Dissozialität das ist jetzt nicht nur Gewalt das ist Delinquenz und viele andere Phänomene die ja sehr relevant und sehr schädlich sein können für die Betrof-fenen (…).«

Die Wir-Perspektive verweist wiederum auf eine Reproduktion kollektiver Betroffenheit, die sich zunächst darauf bezieht, in einer »sehr zivilen und friedlichen Gesellschaft« zu leben. Dies trifft in gewisser Weise auch auf »die Jugendlichen« zu, die hier jedoch nicht als Teil des Kollektivs adressiert wer-den. Ein kleiner Teil, »etwa 7-10  % junger Menschen mit doch erheblichen Problemen der Dissozialität«, wird nochmals abgegrenzt und problematisiert, insofern als sie eine Bedrohung für »die Betroffenen« darstellen. Wer die Be-troffenen im dem Fall sind, wird nicht expliziert. In diesem Kontext lässt sich die Bedrohung also auf das Kollektiv als Stellvertreter einer »zivilen und fried-lichen Gesellschaft« beziehen, insbesondere deshalb, weil dieser eine Gruppe gegenüberstehe, die sich durch »Dissozialität« auszeichnet. Besonders auffäl-lig ist die Formulierung eines Besitzanspruchs, der im Laufe der gesamten Konferenz präsent ist und sich sowohl in Bezug auf die Gruppe der »guten« als auch der »schlechten« Jugendlichen richtet.

»[…] wir haben eine ganz vorzügliche Jugend natürlich haben wir so ein paar schwarze Schafe multiple Rückfälligkeiten an den Tag legen die uns das Leben etwas sauer ma-chen aber ohne sie wären wir ja auch arbeitslos also sollten wir ihnen auch ein bissma-chen Tribut zollen (.) eine sehr gute gesunde Jugend haben wir man sagt es viel zu wenig denke ich […].«

Auch das Bild der »schwarzen Schafe«, das von einer »vorzüglichen Jugend«

bzw. »sehr gesunden Jugend« unterschieden wird, kehrt über alle Konferen-zen hinweg wieder. Hier tritt die Differenzierung zwischen »normaler« und

»pathologischer« Jugend bzw. Jugendgewalt besonders deutlich hervor, die auch im Dokument »Gesamtschweizerisches Präventionsprogramm Jugend und Gewalt« als zentrales Unterscheidungskriterium dient: »Aggressive Ver-haltensweisen gehören zum normalen Verhaltensrepertoire von Kindern und Jugendlichen, sofern sie sich nicht verfestigen und über ein gewisses Mass hinausgehen. Problematisch sind jene Fälle, in denen sich gewalttätiges Ver-halten manifestiert und einen bestimmten Schweregrad erreicht.« (EDI/BSV 2010a: 4) Das »Pathologische«, Schwarze«, wird hier eigentlich nicht ab-gegrenzt vom »Normalen«, sondern von etwas, das besser ist als »normal«, nämlich »sehr gesund« und »vorzüglich«. Der Anspruch, eine »gute Jugend zu haben«, scheint nicht hoch genug zu sein: Jugend soll »vorzüglich« und

»sehr gesund« sein. Hier tritt auch das ambivalente Verhältnis zu der »patho-logischen« Gruppe deutlich hervor, da sie zwar das kollektive Leben vermiese, aber auch existenziell sichere. Dies ist eine zentrale Beobachtung, die sich über die gesamte Konferenz hinweg machen lässt. Nicht primär Gewalt im Sinne (jugendlichen) Gewalthandelns wird problematisiert, sondern eine bestimmte soziale Gruppe der Jugendlichen selbst. Diese bedrohe zwar das Kollektiv, »er-nähre« jedoch auch gleichzeitig seine »Professionen«. Dieser »dissoziale« oder

allgemeine »pathologische« Teil der Jugendlichen wird damit gleichzeitig als Bedrohung und Sicherung wahrgenommen. Sicherheit wird damit über die Konstruktion eines Bedrohungsszenarios inszeniert:

»[…] für mich ganz beeindruckend in der Schweiz wie viel es gibt wie engagiert man zu Werke geht äh es war die Frage mit Recht sonst würden wir ja arbeitslos Gewalt ernährt in gewisser Weise auch Ihre Professionen es kam heute Nachmittag bei dem Schulforum eine sehr interessante Frage auf ja wenn dieses PFADE Projekt wir arbeiten auch mit außerschulischen Versionen davon wenn das s0 erfolgreich ist werden dann nicht die Schulsozialarbeiter arbeitslos ich kann sie beruhigen die Probleme werden weitergehen sie werden manchmal stärker, manchmal bissl schwächer sein und wir müssen auch aus meiner Sicht und das nehm ich auch mit das kam mehrfach das Positive nicht immer nur die negative Seite der Entwicklung unserer Jugend sehen es ist eine kleine Kerngruppe die wir auf den richtigen Pfad bringen müssen und die ernährt in gewisser Weise selbst die Hochschulen nämlich meine Universität ›Name einer Universität‹ einen Lehrstuhl innehatte wäre nicht nach ›Name einer Stadt‹ gekommen wenn die Jugend nicht ein bissl gewalttätig gewesen wäre in ›Name einer anderen Stadt‹.«

Nicht nur die eigene »Profession«, sondern auch die im Publikum vertretenen

»Professionen« würden von den gewalttätigen Jugendlichen »ernährt«, was wiederum als Appell an kollektive Betroffenheit, im Sinne einer Legitimation, sich fortwährend mit dem Thema auseinanderzusetzen, angesehen werden kann. Hier wird mit der Sorge aufgeräumt, dass erfolgreiche Präventions-konzepte die Probleme lösen könnten: »Die Probleme werden weitergehen«.

Jugendgewalt wird dabei in hohem Maße normalisiert. Es wird als kollekti-ve Pflicht angesehen, die jeweiligen »kleinen Kerngruppen auf den richtigen Pfad« zu bringen. An dieser Stelle wird daran erinnert, dass die im Rahmen der hier vorliegenden Arbeit befragten Fachpersonen sich hinsichtlich ihrer Problematisierungsweisen von Jugendgewalt und ihren eigenen Präventions-verständnissen und -konzepten von kriminalpolitischer Programmatik zwar in kritischer Weise abgrenzen, indem sie eigene Deutungen und Relevanzen von äußeren Erwartungen differenzieren. Bezüglich der Logik von Jugendge-waltprävention, die in der Bestandssicherung der (eigenen) »Professionen« so-wie der generationalen Ordnung und der gesellschaftlichen Strukturen liegt, gehen sie jedoch mit kriminalpolitischer Programmatik konform. Auf beiden Ebenen zielt Prävention letztlich auf die Anpassung Jugendlicher an gegebene Strukturen ab. Wie und ob das zu bewerkstelligen und zu messen ist, ist eine andere Frage. Dabei rekonstruieren die befragten Fachpersonen zwar auch eine Differenz zwischen »normalen« und »pathologischen« jugendlichen Ge-waltformen, jedoch ist diese Differenzierung nicht entscheidend für ihre Prä-ventionsarbeit. Das Kollektiv situiert sich also in ein beständiges Bedrohungs-szenario, das seine Existenz sichert. Wie ist die Bedrohung genau beschaffen?

Wie werden Jugendliche dabei adressiert? Die Äußerungen greifen auf Bedro-hungsszenarien zurück, welche die kollektive Betroffenheit vertiefen und Ver-antwortung ins kollektive Bewusstsein stellen. Ein Bild, das sehr deutlich ins Zentrum rückt, ist die hohe Präsenz Jugendlicher im öffentlichen Raum zu bestimmten Zeiten und in Zusammenhang mit Alkohol: »Jedes Wochenende strömen beispielsweise 1000de von Jugendlichen in die größeren Städte in den Ausgang.« Anderen Beobachtungen nach

»[…] kommen Freitag Samstag Sonntag an einem schönen Sonntag oder an einem schö-nen Wocheschö-nende […] in der Stadt ›Name einer Stadt‹ bis zu 25 Jahre bis zu 100000 Ju-gendliche die in den Ausgang gehen und die sich vergnügen in dieser Stadt 100000 das ist eine Rießenzahl da wäre jede andere Gemeinde oder viele andere Gemeinde wenn sie dieses auf einen Schlag haben massiv überfordert wenn die Polizei nur 1 Promill von diesen 100000 Jugendlichen sich damit beschäftigen muss intensiv beschäftigen muss dann ist die Polizei schon sehr stark an ihrem Limit […].«

Im Gegensatz zu den vorigen Beschreibungen geht die Bedrohung hier weni-ger von der pathologisierten Gruppe der Jugendlichen aus, sondern vielmehr von der »Masse« an Jugendlichen, die zu bestimmten Zeiten in den öffent-lichen Raum strömen. Als bedrohlich werden dabei nicht bestimmte Hand-lungsformen problematisiert, sondern allein die starke Präsenz Jugendlicher im öffentlichen, städtischen Raum. Diese Beschreibung transportiert eine Sorge um die Polizei, die überfordert sein könnte, wenn sie sich nur mit »1Pro-mill« dieser Masse an Jugendlichen beschäftigen müsste. Weiter problemati-siert wird der Alkoholkonsum der Jugendlichen.

»Ein Großteil der Gewalttaten unter Jugendlichen ereignet sich zu diesen Zeiten an ei-nigen weei-nigen Brennpunkten. Das ist in allen größeren Städten gleich. Die Städte ha-ben aber wenige Kompetenzen und Handlungsspielraum um diese Probleme dann auch wirklich angehen zu können. Beispiel Alkohol. Bei den meisten Gewalttaten die Jugend-liche begehen ist heute Alkohol im Spiel.«

Auch hier wird eine Besorgnis kundgetan, und zwar um die Städte, die über-fordert sein könnten, wobei unklar bleibt, womit eigentlich genau. Folgende Sequenz ist eine der wenigen, die »das Problem« genauer beschreibt, jedoch auch dramatisiert.

»[…] nun die Pluspunkte ich habe deren drei wie die heilige Dreifaltigkeit erster starker Punkt erster Pluspunkt der mich herausgefordert ist die Tatsache dass diese Gewalt in aller Leute Mund sei sie sei nicht im Steigen begriffen ich kann das auch statistisch be-legen sie nimmt eher ab aber es gibt sie trotzdem diese Gewalt also muss man darüber reden die Gewalt verändert mitunter ihr Antlitz insofern als man sieht dass die

Jugend-lichen vermehrt zuschlagen sie wollen die Leute niedertreten sie haben zum Teil auch blanke Waffen und Alkohol ist immer mit im Spiel in solchen Schlägereien in solchen Raufereien die vor den Kadi gelangen es gibt immer Alkohol oder andere Suchtmittel Betäubungsmittel die mit im Spiele sind […].«

Gewaltverhalten nehme zwar nicht zu, wie eben die Statistik zeigt, verändere aber ihr »Antlitz«. Die Jugendlichen würden vermehrt körperlich gewalttätig – dies mit Absicht – und würden sich »blanker« Waffen, Alkohol und anderer Suchtmittel bedienen. Diese Bedrohungsszenarien seien Realität und Norma-lität. Vorstellbar sind jedoch auch Szenarien, die in ihrem dystopischen Cha-rakter noch stärker ausgeprägt sind.

»[…] auch ›Name einer Stadt‹ wo ich jetzt in den letzten 7 Jahren gelandet bin wäre nicht

›Name der selben der Stadt‹ die Universität wenn nicht in ›Name einer anderen Stadt‹

die Ausschreitungen des jungen Menschen gewesen wären so dass eine kleine Gruppe von Studenten und Dozenten in das verschlafene Städtchen gezogen ist wenige Jahre begannen dort auch die Ausschreitungen also es gehört in gewisser Weise zur Jugend dazu und wir müssen differenzieren diese schweren und gravierenden Entwicklungen von diesen alltäglichen Aggressionen die auch im Tierreich dazugehören (.) Kämpfe, sich balgen, Rangordnungen definieren und da ist ein bisschen die Gefahr dass wir viel-leicht manchmal überreagieren und normale Entwicklungsphänomene pathologisieren was ich als Ausblick noch sagen möchte wir müssen auch die strukturellen Aspekte so sehr wir Familie Schule weil ich eben genuin Psychologe bin aber sehen sie an wenn wir in Spanien 45 % Arbeitslosigkeit junger Gebildeter haben dann ist nicht auszuschließen dass irgendwann hier auch Dinge explodieren die nicht mehr durch die herkömmlichen Erklärungsmuster falsch erzogen und so weiter sondern durch strukturelle Probleme im-mer und das ist vielleicht eines der nächsten Themen das bei uns auf der Tagesordnung stehen wird.«

Einer Normalisierung und Naturalisierung von Jugendgewalt (im Sinne einer biologischen Grundstruktur), die »auch im Tierreich dazugehören«, stünden

»pathologische« Formen gegenüber, die hier als »Ausschreitungen« bezeich-net werden und deren Ursache »strukturelle Probleme« seien, die nicht als herkömmliche Erklärungsmuster fungieren. Von einer »natürlichen« Jugend-gewalt seien organisierte Handlungsformen abzugrenzen. Die Bedrohung durch diese Form von »Jugendgewalt« bezieht sich darauf, dass es sich dabei eben nicht um »natürliche« Gewaltformen handele, die biologisch erklärbar seien. Die Bedrohung bezieht sich also auf Ungewisses, Unvorhersehbares, das seine Ursachen in »strukturellen Problemen« habe. Hervorzuheben ist, dass hier jedoch nicht die strukturellen Bedingungen der Gesellschaft hinterfragt und kritisiert werden, sondern das Handeln bestimmter Jugendlicher, die als soziale Gruppe selbst zur Zielscheibe kriminalpolitischer Interventionen

ge-macht werden. Jugendliche werden nicht als gefährdete, sondern das Kollektiv gefährdende soziale Gruppe konstruiert. Sie werden nicht als Teil der Mehr-heitsgesellschaft angesehen, die sich von dem Programm mehr Sicherheit er-hofft, im Sinne einer Aufrechterhaltung des Status quo, d.h. der gegebenen Machtverhältnisse, die auch die generationale Ordnung sichern soll. Die Be-obachtung, dass der Status quo der Bedrohung des Kollektivs aufrechterhalten werden soll, macht auch Schreiber in ihrer Analyse kommunaler Kriminal-prävention. »Wenn die Prävention bestehen will, muss sie notwendig unver-wirklicht bleiben.« (Schreiber 2011: 145) Die Vision einer friedlichen Gesell-schaft, die an ihren »Professionen«, die für Sicherheit sorgen, hängt und das Bedürfnis hat, Machtverhältnisse zu sichern, benötigt ein gewisses Maß an Bedrohung. In diesem Zusammenhang beobachtet Schreiber die Bedeutung, Gewalt in seiner Omnipräsenz zu visualisieren. Auch über die Naturalisierung und Historisierung von Jugendgewalt wird diese zu einer omnipräsenten Kate-gorie, welche reproduziert wird, was die Fachpersonen, die im Rahmen der vor-liegenden Arbeit befragt werden, insofern tun, als sie Handlungsweisen pro-blematisieren und kontextualisieren. Auch Schreiber kommt zu dem Schluss, dass Prävention

»als Steuerungsinstrument gar nicht bestrebt ist, Kriminalität gänzlich abzuschaffen.

Vielmehr versucht sie, die Kriminalität und ihre Wahrnehmung in einem für das Funk-tionieren der Gesamtbevölkerung erträglichen Maß zu halten. Bevölkerung durch Prä-vention verwalten meint dann, die zuvor durch KonPrä-vention bestimmten Normgrößen einzuhalten.« (Ebd.: 152)

Die Anrufung der Fachpersonen in ihrer kollektiven Verantwortung kann auch als Aktivierung durch einen moralischen Diskurs über Schuld interpre-tiert werden. Der »Einzelkämpfer« gefährde nicht nur das Kollektiv, sondern

»schaffe sich selbst ab«: »Über das Moment der Aktivierung stellt die Präven-tion nicht nur die Forderung, Verantwortung zu übernehmen, sondern kommt auch zu einer moralischen Bewertung. Wer nichts tut, macht sich schuldig.«

(Ebd.: 158) Die hier vorliegende Arbeit zeigt, dass die Fachpersonen im Kontext von Jugendgewaltprävention nicht nur hinsichtlich ihrer Verantwortung, son-dern auch ihrer Verantwortlichkeit als Subjekte angerufen werden und dies im Sprechen über ihre Fachbereiche reproduzieren, indem sie Jugendliche hin-sichtlich der Art und Weise, wie ein »gutes Leben« zu führen sei, adressieren.

Dieser Beobachtung nach machen sich die Subjekte im Kontext von Jugend-gewaltprävention nicht nur schuldig, wenn sie nichts tun, sondern auch, wenn sie etwas tun, aber »falsch«.

4.2.3 Legitimationsweisen

Dystopien, so macht Schreiber die Beobachtung, dienen der Legitimation von Prävention:

»Die Anrufung dystopischer Elemente bildet die notwendige Voraussetzung für die Rechtfertigung präventiver Interventionen. Prävention lebt davon, in den Menschen Ängste hervorzurufen. Erst die Angst vor einer unsicheren Zukunft legitimiert Ordnungs-phantasien, deren Resultat die freiwillige Unterwerfung des Selbst unter die Handlungs-maxime der Prävention ist.« (Schreiber 2011: 146)

Neben der Metapher des Eisbergs, dem gemeinsam entgegenzusteuern ist, kommen hier weitere dystopische Szenarien in den Blick, die auf die Zukunft verweisen. Die Utopie wird hingegen in der Gegenwart verortet – in »unserer«

Gesellschaft, die »friedlich« sei. Andere Länder werden als Beispiele für Kol-lektive in den Blick genommen, die mehr als nur bedroht seien. Diese Bedro-hung rührt u.a. von der Unmöglichkeit her, Jugendgewalt auf herkömmliche Weise, eben als biologische, kulturelle oder historische Konstruktion, zu erklä-ren und zu normalisieerklä-ren. Die Angst davor, die eigene Gesellschaft und deerklä-ren Strukturen anzugreifen, infrage zu stellen und dort mögliche Ursachen für Jugendgewalt auszumachen, tritt hier deutlich hervor. Die Unsicherheit – die Gewalt – wird außerhalb der eigenen Gesellschaft verortet. Ähnlich wie Schrei-bers Beobachtung, dass sich Prävention in Bezug auf Zukunft legitimiert und es ihr »gelingt, sich durch die Berufung auf die Zukunft, sich einer Bewer-tung im Jetzt zu entziehen« (ebd.: 147), stellt die vorliegende Arbeit in Bezug auf die Frage der Bewertung und Legitimation auch rückblickend, angesichts der Kriminalstatistik, die eigentlich auf eine Minderung der Bedrohungslage hinweist. Die hieraus möglicherweise resultierende Legitimationskrise wird jedoch überdeckt durch die Versicherung darüber, dass der Status quo, d.h.

auch die »Professionen«, bereits »gut« ist und es deshalb notwendig ist, nichts zu ändern. Hier wird das Bestreben verstärkt, die eigene Gesellschaft und ihre Prävention nicht zu verändern und zu hinterfragen: »Positive Entwicklungen der Kriminalstatistik werden als Effekt gelungener Prävention ausgedeutet.

Die Bezugnahme auf Instrumente der quantitativen Wissenschaft leistet, dass sich die Prävention als seriöse Wissenschaft präsentieren kann.« (Ebd.: 153) So wird die zu Beginn der Konferenz gemachte Beobachtung, dass die Delikte be-züglich Jugendgewalt zurückgegangen seien, nicht als Bedrohung, sondern als eine Bestätigung des Programms dargestellt. Eine weitere zentrale Legitima-tionsgrundlage der hier vorliegenden Äußerungen wird aus der ökonomischen Kalkulation gezogen, die besagt, die Kosten der Prävention seien geringer als die der Repression. Angesichts der Tatsache, dass sich bereits historisch gese-hen, Präventionsarbeit mehr und mehr professionalisiert und sich als sozialer

Apparat etabliert hat, mag dies plausibel erscheinen. Ein Staat, der Steuern spart, ist Zeichen einer »friedlichen« und »guten« Gesellschaft. So misst sich den Beobachtungen der hier vorliegenden Arbeit nach gute Prävention nicht nur daran, dass sie »sich finanziell lohnt, uns in Arbeit bringt, Kosten senkt, neue Arbeitsplätze schafft« (ebd.: 169), sondern auch daran, dass sie den Sta-tus quo aufrechterhält. Somit enthält Prävention hier ein »doppelt normatives Versprechen«, nämlich »Entwicklungen abzuwehren, die normativ – nämlich als problematisch, gefährlich, ungerecht oder einfach schlecht – beschrieben werden und es wird versprochen, die Kontinuität und (relative) Unversehrtheit einer Gegenwart zu erhalten« (Reder/Ziegler 2011: 365). Wobei sich die Unver-sehrtheit der hier gemachten Beobachtungen nicht auf die UnverUnver-sehrtheit als Folge der Bändigung der Gruppe gewalttätiger Jugendlicher bezieht, sondern auf die Unversehrtheit des Präventionsapparats einer friedlichen Gesellschaft, der nur über die Konstruktion der Gruppe gewalttätiger Jugendlicher aufrecht-erhalten wird. In diesem Sinne lautet die Formel für Jugendgewaltprävention:

Sie muss alles so verändern, dass alles beim Alten bleibt. Die Fachpersonen hingegen positionieren sich gesellschaftskritisch, woran sie hinsichtlich ihrer Konzepte von Prävention und der damit verbundenen Ziele und Ergebnisse jedoch nicht anschließen. Insofern positionieren sie sich in eine hoch ambiva-lente Situation: Einerseits haben sie Interesse an der Sicherung ihrer eigenen

»Profession« und ziehen von der Orientierung an kriminalpolitischer Pro-grammatik implizit und explizit Nutzen; andererseits sehen sie auch, dass Ge-sellschaft strukturelle Ungleichheit und somit Chancenungleichheit hervor-bringt und dies jugendliches (Gewalt-)Handeln beeinflusst. Zwar kritisieren die Fachpersonen, dass Gesellschaft die Problematisierung von Jugendgewalt zu einem Dauerthema macht; sie sehen darin allerdings auch die Sicherung ihrer »Professionen«, die daran orientiert sind, Jugendliche in Schutz zu neh-men und ihnen »kontrollierte« Lernfelder anzubieten. Ziele und Ergebnisse von Prävention betreffen jedoch letztlich das individuelle Handeln Jugendli-cher, verstanden als Anpassungshandeln. Auf diese Weise wird Jugendgewalt als Deutungsmuster reproduziert und normalisiert, damit gesellschaftliche Ordnung und ihre Professionen aufrechterhalten bleiben. Demnach greift, entgegen Schreibers Beobachtungen (vgl. Schreiber 2011: 147), das utopische Szenario einer gewaltfreien Gesellschaft in der Zukunft hier nicht ganz: Auch eine Gesellschaft ohne Gewalt bedroht Gesellschaft, und zwar in substanzieller Weise. In der zweiten und dritten »Nationalen Konferenz Jugend und Gewalt«

»Profession« und ziehen von der Orientierung an kriminalpolitischer Pro-grammatik implizit und explizit Nutzen; andererseits sehen sie auch, dass Ge-sellschaft strukturelle Ungleichheit und somit Chancenungleichheit hervor-bringt und dies jugendliches (Gewalt-)Handeln beeinflusst. Zwar kritisieren die Fachpersonen, dass Gesellschaft die Problematisierung von Jugendgewalt zu einem Dauerthema macht; sie sehen darin allerdings auch die Sicherung ihrer »Professionen«, die daran orientiert sind, Jugendliche in Schutz zu neh-men und ihnen »kontrollierte« Lernfelder anzubieten. Ziele und Ergebnisse von Prävention betreffen jedoch letztlich das individuelle Handeln Jugendli-cher, verstanden als Anpassungshandeln. Auf diese Weise wird Jugendgewalt als Deutungsmuster reproduziert und normalisiert, damit gesellschaftliche Ordnung und ihre Professionen aufrechterhalten bleiben. Demnach greift, entgegen Schreibers Beobachtungen (vgl. Schreiber 2011: 147), das utopische Szenario einer gewaltfreien Gesellschaft in der Zukunft hier nicht ganz: Auch eine Gesellschaft ohne Gewalt bedroht Gesellschaft, und zwar in substanzieller Weise. In der zweiten und dritten »Nationalen Konferenz Jugend und Gewalt«

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