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Donat Büchel

Einleitung

Am Ostermontag 1926, dem 5. April, fanden in Liechtenstein vorgezo-gene Landtagswahlen statt, weil sich die beiden Parteien, die Volkspartei (VP) und die Fortschrittliche Bürgerpartei (FBP), nach den Landtags-wahlen vom Januar des gleichen Jahres nicht auf die Zusammensetzung der Regierung hatten einigen können. Der höchste Geistliche in Liech-tenstein, Landesvikar Dr. Georg Marxer, appellierte im Vorfeld in den beiden Landeszeitungen – den Liechtensteiner Nachrichten und dem Liechtensteiner Volksblatt – «[a]n das katholische Volk von Liechten-stein», «in diesen Tagen doch nichts zu tun oder zu reden, was der Hei-ligkeit der kommenden Tage nicht entspricht.»1Offensichtlich stiess die-ser Aufruf aber auf taube Ohren, denn in beiden Landeszeitungen, gleichzeitig Parteiorgane, war schon wenig später von «persönlichen Anfeindungen»,2«haßerfüllten Unwahrheiten»3und «gemeinen» Flug-blättern4die Rede. Die Liechtensteiner Nachrichten berichteten, es habe sich um «einen beispiellos heftigen Wahlkampf» gehandelt.5

Diese Landtagswahlen waren keine Ausnahme. Klagen über «Aus-wüchse im Wahlkampf»6 sowie über «persönliche Verunglimpfungen

1 Liechtensteiner Nachrichten und Liechtensteiner Volksblatt, 24. März 1926.

2 Liechtensteiner Volksblatt, 3. April 1926.

3 Liechtensteiner Nachrichten, 3. April 1926.

4 Liechtensteiner Volksblatt, 14. April 1926.

5 Liechtensteiner Nachrichten, 7. April 1926. Die Landtagswahlen brachten keine Lö-sung im Streit um die Ernennung von Dr. Ludwig Marxer zum Regierungsrat. Der von der Bürgerpartei nominierte Marxer wurde von der Volkspartei abgelehnt. Die beiden Parteien einigten sich schliesslich im September 1926 (siehe Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 288–292).

6 Liechtensteiner Nachrichten, 19. Juli 1928.

und Verleumdungen»7 finden sich in den beiden Landeszeitungen in allen Wahlkämpfen der Zwischenkriegszeit. Diese Wahlkämpfe erreich-ten eine Heftigkeit, die weit über das damals als normal angesehene Mass hinausging. Das ist schon daran ersichtlich, dass die Zeitungen sie oft mit emotional aufgeladenen, martialischen Begriffen wie «kleiner Bür-gerkrieg»,8 «Krieg»,9 «Wahlterror»,10 «politischer Bruderkrieg»11 oder

«Wahlschlacht»12beschrieben. Im Folgenden soll anhand der Landtags-wahlkämpfe der Zeit zwischen 1918 und 1932 ein Einblick in die politi-sche Kultur Liechtensteins in der Zwipoliti-schenkriegszeit gegeben werden.13 Ziel ist dabei nicht die konkrete Einordnung der jeweiligen Wahlkämpfe ins betreffende Jahr, sondern die Skizzierung eines Stimmungsbildes.14 Diese Periode wurde gewählt, weil vor 1918 aufgrund des Fehlens poli-tischer Parteien nur bedingt von Wahlkämpfen gesprochen werden kann und sich nach 1932 das Parteiensystem in Liechtenstein veränderte.

Historischer Hintergrund und Kurz-charakterisierung der beiden Parteien

Politische Parteien entstanden in Liechtenstein im Vergleich zu anderen europäischen Staaten mit einiger Verspätung.15 Ab 1913/1914 begann sich um den Triesenberger Juristen Dr. Wilhelm Beck eine politische Opposition zu sammeln. Die Befürworter der bestehenden Ordnung formierten sich in der Folge ebenfalls. Aus diesen beiden Gruppierungen entstanden 1918 die ersten beiden liechtensteinischen Parteien, aus der

7 Liechtensteiner Nachrichten, 16. Januar 1926.

8 Liechtensteiner Volksblatt, 23. Januar 1926.

9 Liechtensteiner Volksblatt, 30. März 1926.

10 Liechtensteiner Volksblatt, 21. Juli 1928.

11 Liechtensteiner Nachrichten, 10. März 1932.

12 Liechtensteiner Volksblatt, 15. März 1932.

13 Wo nicht anders angegeben, beziehen sich die Aussagen auf die Lizentiatsarbeit des Verfassers (siehe Büchel, Wahlschlachten und kleine Bürgerkriege).

14 Für eine umfassende Darstellung des Untersuchungszeitraums sei auf die Grundla-genwerke von Rupert Quaderer und Peter Geiger verwiesen (Quaderer-Vogt, Be-wegte Zeiten; Geiger, Krisenzeit).

15 Wo nichts anderes vermerkt ist, beziehen sich die folgenden Aussagen auf Geiger, Krisenzeit, Bd. 1, S. 60–65, und Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 53–70.

Gruppe um Wilhelm Beck die Christlich-soziale Volkspartei, die sich ab 1920 auch Liechtensteinische Volkspartei nannte,16 und aus ihren Kon-trahenten die Fortschrittliche Bürgerpartei.

Die liechtensteinische Bevölkerung war damals überaus homogen:

Es gab neben den Katholiken keine namhafte andere religiöse Gruppe und kein eigentliches Grossbürgertum. Die Fabrikarbeiterschaft bestand grösstenteils aus Frauen, die nicht wahlberechtigt waren, und die Mehr-heit der Bevölkerung fand ihr Auskommen in der Landwirtschaft. Auch die zahlreichen liechtensteinischen Saisonniers, die aufgrund fehlender Beschäftigungsmöglichkeiten im Inland ihr Einkommen im Ausland fanden, betrieben meist im Nebenerwerb eine kleine Landwirtschaft.

Die weltanschauliche Grundlage beider Parteien bildete der Katho-lizismus, es bestanden aber auch Unterschiede. Die Volkspartei verstand sich als Motor des Fortschritts. Sie strebte eine Demokratisierung an, aber keine Republik, eine sozialere Politik und eine Anlehnung an die Schweiz. Die Bürgerpartei war konservativer, monarchistischer und kle-rikaler ausgerichtet als die Volkspartei. Die Bürgerpartei trat zwar eben-falls für Veränderungen ein, diese sollten aber nicht gegen den Willen des Fürsten und der Regierung geschehen. Beide Parteien verfügten über eine Zeitung als Plattform. Das 1878 entstandene Liechtensteiner Volks-blatt war ab 1918 Organ der Bürgerpartei, und die von einer Gruppe um Wilhelm Beck 1914 gegründeten Oberrheinischen Nachrichten wurden Parteiblatt der Volkspartei. 1924 benannte sich diese Zeitung in Liech-tensteiner Nachrichten um.

Die Zeiten waren schwierig. Im Ersten Weltkrieg (1914 bis 1918), in den das neutrale Liechtenstein nicht direkt involviert war, brach die Wirtschaft zusammen, und Teile der liechtensteinischen Bevölkerung lit-ten Hunger. 1919 kündigte das Fürslit-tentum den seit 1852 bestehenden Zollvertrag mit Österreich und schloss 1923 einen neuen mit der Schweiz. Zur gleichen Zeit fand der von der Volkspartei forcierte Kampf um den Ausbau der Volksrechte statt, der zur neuen, demokratischeren

16 Das am 26. Dezember 1925 verabschiedete «Partei- und Arbeits-Programm» be-zeichnete die Partei als «liechtensteinische [sic!] Volkspartei» (Liechtensteiner Nachrichten, 20. Februar 1926), womit dieser Name offiziell gültig geworden sein dürfte. In den Zeitungen fand sich aber auch weiterhin hauptsächlich die Bezeich-nung «Volkspartei».

Verfassung von 1921 führte.17 Das Volk honorierte den Einsatz der Volkspartei. Sie gewann die Landtagswahlen 1922 sowie die beiden Wah-len von 1926. 1928 ging die staatseigene «Spar- und Leihkasse des Fürs-tentums Liechtenstein» (kurz Sparkassa, heute Liechtensteinische Lan-desbank) durch Betrügereien praktisch bankrott.18Die Verantwortlichen wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Dieser sogenannte Spar-kassaskandal führte zu einem politischen Erdbeben: Da der Hauptver-antwortliche, Anton Walser-Kirchthaler, sowie der Sparkassaverwalter Franz Thöny Mitglieder der Volkspartei waren und diese zudem den Verwaltungsrat der Bank dominierte, lasteten Fürst Johann II. und die Bürgerpartei der regierenden Volkspartei die Verantwortung für das Ver-brechen an. Der Fürst löste den Landtag auf und zwang die Regierung zur Demission. Die Neuwahlen gewann die oppositionelle Bürgerpartei, die in der Folge bis 1970 Mehrheitspartei blieb.

Die politische Unruhe in Liechtenstein wird auch dadurch ver-deutlicht, dass der 15-köpfige Landtag19zwischen 1914 und 1939 auf vier verschiedene Arten gewählt wurde.20 Dabei sorgte das Majorzsystem, das letztmals bei den Landtagswahlen von 1936 angewandt wurde, jeweils für klare Mehrheitsverhältnisse.21Die folgende Tabelle zeigt die Mandats- und Stimmenverteilung von Volkspartei und Bürgerpartei bei den Landtagswahlen von 1922 bis 1932.22Für 1918 lassen sich keine

ein-17 Zur Verfassung 1921 und ihrer Entstehung siehe Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 221–328.

18 Zum Sparkassaskandal und seinen politischen sowie juristischen Auswirkungen siehe Geiger, Krisenzeit, Bd. 1, S. 86–111.

19 1988 wurde die Mandatszahl auf 25 Landtagsabgeordnete erhöht (siehe Paul Vogt,

«Landtag», in: HLFL, S. 485–490).

20 Siehe hierzu Wille, Landtag und Wahlrecht im Spannungsfeld, S. 61–67, 73–75, so-wie Geiger, Krisenzeit, Bd. 1, S. 318–320, und Bd. 2, S. 325–326.

21 So wurden 1922 und 1926 im Oberland nur Volkspartei-Kandidaten in den Landtag gewählt, 1926 und 1928 im Unterland sowie 1932 im landesweiten Wahlgang nur Bürgerpartei-Kandidaten.

22 Zu den Ergebnissen der Landtagswahlen von 1918 bis 1932 siehe Vogt, 125 Jahre Landtag, S. 202–208; Korfmacher, Landtag, S. 59, 94, 104, 142, 197; Paul Vogt,

«Landtag», in: HLFL, S. 485–490. Nicht berücksichtigt wurden die Ergänzungs-wahlen von 1930 (siehe hierzu Geiger, Krisenzeit, Bd. 1, S. 305–306). Die in obiger Tabelle angegebene Stimmenverteilung wurde durch das Addieren der Stimmen der offiziellen Kandidaten der beiden Parteien bei den jeweiligen Hauptwahlen

errech-deutigen Aussagen machen,23auch weil die Fortschrittliche Bürgerpartei erst im Dezember 1918 entstand.24

Tabelle 1: Mandats- und Stimmenverteilung von Volkspartei und Bürgerpartei bei den Landtagswahlen von 1922 bis 1932

1922 Januar 1926 April 1926 1928 1932

Mandate VP 11 9 9 4 2

Mandate FBP 4 6 6 11 13

Stimmenanteil VP 59 % 51 % 52 % 46 % 41 %

Stimmenanteil FBP 41 % 49 % 48 % 54 % 59 %

Einige Aspekte des Wahlkampfes in der Zwischenkriegszeit

Für die Beeinflussung der Wähler setzten beide Parteien insbesondere drei Kanäle ein. Dies waren die beiden Medien Parteizeitung und Flug-blatt25 sowie die interpersonelle Kommunikation in Form von politi-schen Versammlungen oder persönlichen Gesprächen. Aus Platzgründen wird im Folgenden nur auf die Zeitungen und Flugblätter eingegangen.

net. Für 1932 wurden die Stimmenzahlen des zweiten, landesweiten Wahlgangs als Grundlage genommen. Nicht berücksichtigt wurden Stichwahlen sowie die auf nicht offizielle Kandidaten entfallenen Stimmen. Letztere, die sogenannten Splitter-stimmen, sind mit Ausnahme von 1922 allerdings ohnehin nicht mehr eruierbar, be-trugen damals aber 4,4 Prozent (siehe Korfmacher, Landtag, S. 59). Da es sich auf-grund dieser unbekannten Grössen um Näherungswerte handelt, wurde auf ganze Zahlen gerundet. 1922 trat die Bürgerpartei als Partei nicht hervor, sondern stellte gemeinsam mit dem Liechtensteiner Bauernverein Kandidaten auf (siehe Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 3, S. 180–185 und 190–191). Es wurden für 1922 trotz-dem alle nicht der Volkspartei zuzurechnenden Stimmen zur Bürgerpartei gezählt.

23 Siehe Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 52.

24 Ebenda, S. 56. Die Volkspartei war im Vorfeld der Wahlen vom März 1918 entstan-den (siehe ebenda, S. 55–56).

25 Die Flugblätter wurden wohl auch als Plakate verwendet (siehe zum Beispiel Liech-tensteiner Volksblatt, 21. Juli 1928, und Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 46). Zum Einsatz kamen aber auch grössere Plakate. So berichtete das Volksblatt 1926 über «tischplattengroße Plakate» der Regierungspartei (Liechtensteiner Volks-blatt, 9. Januar 1926).

Zeitungen

Die beiden nicht täglich erscheinenden Landeszeitungen waren die

«[w]ichtigsten Informationsorgane über Landesangelegenheiten»;26 ent-sprechend gross war ihre Bedeutung auch im Wahlkampf. In der Regel abonnierte man damals nur eine Zeitung, «die meistens der privaten politischen Richtung entsprach.»27Unmittelbar vor den Wahlen nahmen die beiden Parteiblätter häufig an Umfang zu.28Zudem publizierten sie dann teilweise zusätzliche Nummern.29 Auch wurden die Zeitungen, zumindest in manchen Jahren, nicht nur den Abonnenten zugestellt. So beklagten sich die Liechtensteiner Nachrichten 1928 darüber, dass «das Volksblatt [...] zur Zeit jedem, ob er es wolle oder nicht, ins Haus ge -schickt wird».30 Den Zeitungen lagen zudem Stimmzettel der Parteien bei – zumindest bei manchen Wahlen.31

Die beiden Zeitungen trugen mit ihrer polemischen Schreibweise massgeblich zur Eskalation des Parteienstreits bei.32Dafür verantwort-lich waren neben den Redaktoren auch die Autoren der zahlreichen, als

«Eingesandt» bezeichneten Leserbriefe. Diese waren in der Regel

ano-26 Vogt, Mier z Balzers, Bd. 3, S. 369. Die Landeszeitungen erschienen 1918 wöchent-lich einmal, 1922 sowie 1926 zweimal und 1928 sowie 1932 dreimal.

27 Ebenda, S. 373.

28 Dies ist bei den Zeitungen ausser 1922 und 1932 in allen Wahlkämpfen feststellbar.

29 Die Volkspartei-Presse gab 1918, im Januar und April 1926 sowie 1928 je eine zu-sätzliche Ausgabe heraus, das Volksblatt im Januar und April 1926 je zwei zusätzliche Ausgaben. Zudem publizierte die Volkspartei im Januar 1926 zwei Zeitungs -ausgaben, die den Titel «Volksbote» trugen (siehe Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 3, S. 268–269). Der Volksbote wurde nicht in die Untersuchung einbezogen.

30 Liechtensteiner Nachrichten, 13. Juli 1928. Siehe analog Liechtensteiner Volksblatt, 27. März 1926.

31 Siehe Liechtensteiner Volksblatt, 9. Januar 1926: «Der dem Volksblatte heute beilie-gende Stimmzettel kann für die Wahl benützt und in die Urne gelegt werden.» Ana-log in Liechtensteiner Nachrichten, 3. April 1926.

32 Mit der Begründung, die – gemäss Peter Geiger auch objektiv betrachtet vorhande-nen – Missbräuche der Pressefreiheit und insbesondere die persönlichen Angriffe zu unterbinden, erliess der seit den Ergänzungswahlen von 1930 zur Gänze aus Bür-gerpartei-Abgeordneten bestehende Landtag 1930 ein Pressegesetz. Die oppositio-nelle Volkspartei, die das Gesetz nicht zu Unrecht als Angriff auf ihre Zeitung empfand, ergriff das Referendum und das Gesetz wurde am 26. Oktober 1930 in einer Volksabstimmung äusserst knapp verworfen (siehe Geiger, Krisenzeit, Bd. 1, S. 311–313).

nym verfasst, stammten aber wohl häufig ebenfalls aus der Feder der Redaktoren.33

Anhand der Untersuchung von 1002 für den Wahlkampf relevan-ten Zeitungsartikeln zwischen 1918 und 1932 konnte eine Zunahme von Artikeln mit polemischem Inhalt festgestellt werden, also solcher mit scharfen und unsachlichen sowie oft persönlichen Angriffen.34Die fol-gende Tabelle zeigt deren Anteil bei den jeweiligen Landtagswahlen:

Tabelle 2: Anteile polemischer Artikel in den Landeszeitungen in den Wahlkämpfen von 1918 bis 1932

1918 1922 Januar 1926 April 1926 1928 1932

Volkspartei-Presse* 27 % 25 % 64 % 86 % 90 % 77 %

Bürgerpartei-Presse** 34 % 43 % 57 % 65 % 87 % 58 %

* Oberrheinische Nachrichten, Liechtensteiner Nachrichten, Liechtensteiner Volkswirt

** Liechtensteiner Volksblatt

In den ersten beiden untersuchten Wahlen bildeten die polemischen Artikel mit 25 bis gut 40 Prozent noch recht deutlich die Minderheit.

Dann jedoch verkehrte sich das Verhältnis ins Gegenteil. In den folgen-den vier Wahlkämpfen waren polemische Beiträge mit 60 bis 90 Prozent klar Trumpf. 1928 scheint diesbezüglich der heftigste Wahlkampf gewe-sen zu sein. Das Volksblatt beurteilte damals die Arbeit der gegnerischen Redaktion – Bezug nehmend auf zwei Artikel im Liechtensteiner Volks-wirt35– folgendermassen: «Wer mit solchen Mitteln noch Wähler fangen will, der kann nicht mehr recht im Kopfe sein, oder er gehört dorthin,

33 Information von Hans Brunhart.

34 Siehe Büchel, Wahlschlachten und kleine Bürgerkriege, besonders S. 24–26, 84–91.

Ein Artikel wurde der Kategorie «polemisch» zugeordnet, wenn er mindestens ei-nen polemischen Ausdruck oder Satz enthält. Es erfolgte kein Reliabilitätstest, es codierte also keine zweite Person nach diesem System. Aus diesem Grund und weil die Zuordnung bis zu einem gewissen Grad grundsätzlich subjektiv ist, wurden die Prozentzahlen gerundet.

35 Der Liechtensteiner Volkswirt erschien vom 16. April 1927 bis zum 17. Juli 1928 als Dienstagsausgabe der Liechtensteiner Nachrichten (siehe Wilfried Marxer, «Liech-tensteiner Volkswirt», in: HLFL, S. 554).

wo gegenwärtig der frühere Chef der Volkspartei gastiert».36 Dieser, Anton Walser-Kirchthaler, sass aufgrund seiner Verwicklung in den Sparkassaskandal zu diesem Zeitpunkt im Gefängnis. Die Liechtenstei-ner Nachrichten begegneten dem Volksblatt ebenfalls mit wenig Res-pekt. So war etwa in einem «Brief» an die «Liebe Tante ‹Volksblatt›» zu lesen: «Die Sorge um Deine Gesundheit, liebe Tante, gebietet mir, diesen Brief zu schreiben. Die Aufregung und Ueberanstrengung der letzten Zeit können unmöglich spurlos an Deinem Wohlbefinden vorüberge-hen. Bedenke doch, wie leicht bei Deinem vorgerückten Alter Dein lie-bendes zartbeseitetes [sic!] Herz Schaden nehmen könnte. Auch für Dei-nen Teint ist eine so aufregende Lebensweise sehr nachteilig. Wie schön stand Dir doch zu Deiner gelblichen Gesichtsfarbe Dein mit Fettdruck reichlich geschmücktes Gewand! Nun aber hat die Farbe des Neides dem Grün und Blau des Hasses Platz gemacht. Als Dame von Stand hast Du Dir eine Sprechweise angeeignet, die jeder Kommunistin Ehre ma -chen würde.»37

Flugblätter und Gerüchte

Flugblätter wurden zwar schon bei den Landtagswahlen 1918 verwen-det, aber in grossen Mengen kamen sie wohl erst ab 1926 zum Einsatz.

Darauf lassen zumindest die – nicht komplette – Flugblattsammlung des Liechtensteinischen Landesarchivs38 und Aussagen in den Zeitungen schliessen. So «regnete es» gemäss den Liechtensteiner Nachrichten im Januar 1926 «Flugzettel [...] mehr als in einer Großstadt».39Sie waren in der Regel anonym und sehr polemisch verfasst und zielten häufig auf

36 Liechtensteiner Volksblatt, 14. Juli 1928. Der Artikel bezog sich auf zwei «Einge-sandt» (Leserbriefe) im Liechtensteiner Volkswirt vom 10. Juli 1928, welche die Vorkommnisse bei der Sparkassa relativierten und der Bürgerpartei unterstellten, sie beabsichtige, wieder einen Zollvertrag mit Österreich abzuschliessen.

37 Liechtensteiner Nachrichten, 14. Juli 1928.

38 Im Landesarchiv befindet sich zu den Landtagswahlen die folgende Anzahl Flug-blätter: 1918 (0), 1922 (1), 1926 (beide Wahlen: 45), 1928 (14), 1932 (20). Da 1918 in den Zeitungen ebenfalls Flugblätter erwähnt werden (siehe zum Beispiel Liechten-steiner Volksblatt, 15. März 1918), kann die Sammlung nicht komplett sein (siehe LI LA, SgZg).

39 Liechtensteiner Nachrichten, 13. Januar 1926.

«Die Rache! ist das Schlagwort der Bürgerparteiführer!». Flugblatt der Volks -partei im Landtagswahlkampf 1926.

Amt für Kultur, Landesarchiv, Vaduz (LI LA, SgZg 1926/43).

«Wer hat uns um Millionen betrogen? Führer der Volkspartei!». Flugblatt der Fortschrittlichen Bürgerpartei im Landtagswahlkampf 1928.

Amt für Kultur, Landesarchiv, Vaduz (LI LA, SgZg 1928/13).

ein zelne Personen oder wurden zu deren Verteidigung verfasst. Gegen den Bürgerpartei-Kandidaten Emil Risch kursierte im Vorfeld der April-wahlen 1926 ein ehrverletzendes Flugblatt, auf dem zu lesen war: «Wollt Ihr einem Lehrer Risch die Stimme geben, von dem vor Gericht gesagt worden ist, daß er seine Mutter (selig) geprügelt hat und sich daher gegen das 4. Gebot vergangen hat. Von Lehrer Risch stellte seinerzeit das Land-gericht fest, daß der Ausdruck Lügner u. Betrüger unter Bezugnahme auf eine Versteigerungs-Angelegenheit nicht voll ungerechtfertigt war.»40 Die Bürgerpartei warf dem wichtigsten Volkspartei-Exponenten, Wilhelm Beck, 1926 auf einem Flugblatt vor, er habe sich abfällig über den Fürsten und die Monarchie geäussert; konkret soll Beck gesagt ha

-40 LI LA, SgZg 1926/45.

ben: «[W]ir wollen vom Fürsten und den Prinzen einfach nichts wissen, man lasse den Fürsten, diesen a … S … (Beschimpfg.)[,] jetzt noch machen, solange er lebe, dann aber fahre man ab mit diesem ‹Sämikla -sazüg›.»41

Auf Flugblättern verbreitete Aussagen dieser Art kursierten zusätzlich auf mündlichem Wege. Damit war es noch viel schwieriger, übler Nachrede einen Riegel vorzuschieben oder Gerüchte zu entkräf-ten. Wenn man die Urheber von Ehrbeleidigungen ausfindig machen konnte, versuchte man diese vor Gericht zur Rechenschaft zu ziehen.42

Als Flugblätter wurden nicht nur die eigenen Kandidatenlisten ver-breitet. Die Zeitungen warnten wiederholt vor sogenannten Sprenglis-ten. So schrieb das Volksblatt 1932: «Achtung! Die Volkspartei gibt, um die Mehrheit zu bekommen und unsere Gesinnungsfreunde zu spalten, sogenannte Sprenglisten heraus, d. h. sie stellt neben dem einzigen offi-ziellen Kandidaten der Bürgerpartei noch einen andern bürgerparteili-chen Kandidaten auf. Jede Stimme, die für einen solbürgerparteili-chen Sprengkandi-daten abgegeben wird, ist für uns verloren und kommt nur dem Gegner zugute.»43

Mittels Flugblättern und Gerüchten wurde zudem die Falschmel-dung verbreitet, ein Kandidat nehme eine allfällige Wahl nicht an, wes-halb es keinen Sinn mache, für ihn zu stimmen. Manövern dieser Art wurde, sofern dies noch möglich war, in den Zeitungen und auf Flug-blättern entgegengetreten. Im Vorfeld der Wahlen vom Januar 1926 war auf einem Flugblatt der Bürgerpartei zu lesen, die Volkspartei wolle

«glauben machen, Postmeister Fritz Walser, in Schaan, nehme die Wahl nicht an. Er nimmt sie an.»44

41 Zitiert nach Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 3, S. 277. Dort sind auch weitere Ausschnitte aus dem betreffenden Flugblatt gegen Wilhelm Beck abgedruckt.

42 Siehe zum Beispiel Liechtensteiner Nachrichten, 9. Januar 1926: «Der bisherige Landtag und die Regierung werden [im Wahlkampf] in solcher Art besudelt […], daß bereits etliche Strafklagen beim Strafrichter eingereicht worden sind.» Siehe zu den Gerichtsprozessen 1926 auch Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 3, S. 263, 272–273, 278–281.

43 Liechtensteiner Volksblatt, 5. März 1932. Siehe analog zum Beispiel Liechtensteiner Nachrichten, 3. April 1926.

44 LI LA, SgZg 1926/25.

Wahlkampfthemen

Um die Schärfe der damals verwendeten Sprache und die Heftigkeit der Vorwürfe noch etwas mehr zu verdeutlichen, werden im Folgenden einige Wahlkampfargumente angeführt. Wie schon festgestellt, waren die beiden liechtensteinischen Parteien weltanschaulich sehr ähnlich ausge-richtet. Liest man aber die Zeitungen und Flugblätter der Zwischen-kriegszeit, ging es bei Wahlen stets um alles oder nichts. Komprimiert lässt sich das an den bis heute gebräuchlichen Farbbezeichnungen für die beiden grossen liechtensteinischen Volksparteien – Schwarz und Rot – feststellen, denn dabei handelt es sich ursprünglich um Beschimpfungen der Gegner. Die Volkspartei-Anhänger verunglimpften die Bürgerpar-tei-Sympathisanten als «rückständig-reaktionäre Schwarze».45 Den Anhängern der Volkspartei wurde vorgeworfen, sie seien sozialistische, unchristliche und republikanische «Rote».46 Zudem behauptete das Volksblatt beziehungsweise die Bürgerpartei, nur ihre Kandidaten stün-den für stün-den Schutz des katholischen Glaubens («Religion») und die Treue zur Monarchie ein. So berichtete das Volksblatt 1918: «In Balzers kommen viele junge Leute mit roten Bändchen im Knopfloch oder mit roten Krawatten zur Wahl. Diese Leute nennen sich ‹Christlichsoziale›, vergessen aber ganz, daß sie die Abzeichen der Sozialdemokraten trugen und wohl auch in Gesinnung mit diesen gehen.»47

Die Oberrheinischen Nachrichten wehrten sich schon 1918 gegen die Vorwürfe, die ihr nahestehende Partei bestehe aus Sozialisten sowie Republikanern und sei dem Katholizismus gegenüber feindlich einge-stellt: «Der mit Hartnäckigkeit von gegnerischer Seite [...] aufgestellten Behauptung, wir verfechten einen verkappten, aus der benachbarten Schweiz eingeführten Sozialismus und manche neigen zu republikani-scher Gesinnung hin, treten wir hier mit einem feierlichen Proteste ent-gegen. Nie hätte ein solcher unwahrer Anwurf den Leuten in unserm von ausschließlich katholischer Bevölkerung bewohnten Lande gemacht werden [...] sollen».48

45 Geiger, Krisenzeit, Bd. 1, S. 65.

46 Ebenda. Die Farbe Rot wird seit 1936 der Vaterländischen Union zugeordnet.

46 Ebenda. Die Farbe Rot wird seit 1936 der Vaterländischen Union zugeordnet.