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Václav Horcˇicˇka

Die Problematik der Bodenreform auf dem liechtensteinischen Gross-grundbesitz in der Tschechoslowakei erfuhr lange Zeit wenig Aufmerk-samkeit.1Dies änderte sich mit der 2010 ins Leben gerufenen Liechten-steinisch-Tschechischen Historikerkommission.2 Nun wandte sich das Bemühen von Historikerinnen und Historiker verstärkt in diese Rich-tung.3

Beginn und rechtlicher Rahmen der Reform

Die Diskussion über die Durchführung der Bodenreform begann bereits kurz nach der Verkündung der selbstständigen Tschechoslowakischen Republik am 28. Oktober 1918. In den ländlichen Gebieten herrschte ein beachtlicher Hunger nach Boden, und im Zusammenhang mit der Ge -fahr einer Bolschewisierung war den wichtigsten politischen Kräften im neuen Staate klar, dass sie den Forderungen der Landlosen entgegen-kommen mussten. Im Januar 1919 wurde die erste einer ganzen Serie

1 Dieser Artikel erscheint im Rahmen der Bearbeitung des Projekts GA CˇR No. 17-07730S.

2 Die Liechtensteinisch-Tschechische Historikerkommission wurde 2010 von der liechtensteinischen und der tschechischen Regierung eingesetzt, «mit dem Auftrag, die gegenseitigen Beziehungen über die ganze wechselvolle Geschichte hinweg bis zur Gegenwart zu untersuchen» (siehe Geiger / Knoz et al., Liechtensteinischtschechische Beziehungen, S. 9). Den Vorsitz hatten Peter Geiger und Tomáš Knoz ge -meinsam inne.

3 Siehe insbesondere Horák, Kontinuitäten und Diskontinuitäten; Horák, Die recht-lichen Aspekte; Keller-Giger, Zwei Länder – ein Fürstenhaus; Quaderer, Liechten-stein und die Tschechoslowakei; Horcˇicˇka, Die Enteignungen.

von legislativen Massnahmen beschlossen, die diese Forderungen regeln sollten, nämlich das sogenannte Gesetz zur Beschlagnahme von Gross-grundbesitz (Beschlagnahmungsgesetz).4Auf dessen Grundlage wurde umfangreicher Grundbesitz konfisziert, sofern die Besitzer über mehr als 150 ha Ackerboden oder 250 ha sonstigen Boden verfügten. Im Januar 1920 folgte das sogenannte Zuteilungsgesetz,5das die Regeln für die Zuteilung der beschlagnahmten Flächen an neue Besitzer zum Inhalt hatte. Im April 1920 wurde das Kompensationsgesetz6 angenommen, das wiederum die Art und Weise der Entschädigung der ursprünglichen Eigentümer regelte. Die Höhe der Entschädigung richtete sich allerdings nach den durchschnittlichen Bodenpreisen von 1913 bis 1915, wodurch die Grossgrundbesitzer wesentliche Einbussen hinnehmen mussten, be -sonders diejenigen mit Flächen über 1000 ha, für welche die Entschädi-gung noch geringer war. In der Endphase des Ersten Weltkrieges waren die Bodenpreise nämlich kontinuierlich gestiegen. Neben den bereits genannten wurden im Rahmen der Bodenreform noch weitere Gesetze beschlossen.7Die Reform betraf alle grossen Güter, also auch diejenigen, die sich im Besitz von ausländischen, souveränen Herrschern befanden, darunter auch die Güter von Fürst Johann II. von Liechtenstein.8

4 Zákon ze dne 16. dubna 1919 o zabrání velkého majetku pozemkového [Gesetz über die Beschlagnahme großen Landeigentums vom 16. April 1919], in: Sbírka zá-konu˚ a narˇízení státu cˇeskoslovenského [Sammlung Gesetze und Verordnungen des tschechoslowakischen Staates], Jahrgang 1919, Teil 48, Nr. 215, hrsg. am 24. April 1919, S. 289–290.

5 Zákon ze dne 30. ledna 1920, kterým se vydávají po rozumu §u10 zákona ze dne 16. dubna 1919, cˇ. 215 Sb. zák. a narˇ., ustanovení o prˇídeˇlu zabrané pu˚dy a upravuje se právní pomeˇr ku prˇideˇlené pu˚deˇ (Zákon prˇídeˇlový) [Gesetz vom 30. Januar 1920, das im Sinne des § 10 des Gesetzes vom 16. April 1919 Nr. 215 Bestimmungen über die Zuteilung des beschlagnahmten Bodens herausgibt und die Rechtsbeziehung zum zugeteilten Boden regelt (Zuteilungsgesetz)], in: Sammlung Gesetze und Ver-ordnungen des Tschechoslowakischen Staates, Jahrgang 1920, Teil 16, Nr. 81, hrsg.

am 17. Februar 1920, S. 135–145.

6 Zákon ze dne 8. dubna 1920 o prˇevzetí a náhradeˇ za zabraný majetek pozemkový (zákon náhradový) [Gesetz vom 8. April 1920 über die Übernahme und Kompen-sation für beschlagnahmtes Grundeigentum (KompenKompen-sationsgesetz)], in: Sammlung Gesetze und Verordnungen des Tschechoslowakischen Staates, Jahrgang 1920, Teil 63, Nr. 329, hrsg. am 12. Mai 1920, S. 777–786.

7 Horák, Liechtensteinové, S. 75–85.

8 Ein weiteres Beispiel ist der bulgarische Zar Ferdinand, der in der Mittelslowakei Be sitzungen hatte (siehe Holec, S cárskou korunou).

Die Familien Liechtenstein und Schwarzenberg waren die grössten Land eigentümer in den Böhmischen Ländern.9Im Jahre 1898 umfasste das Eigentum der liechtensteinischen Primogenitur10in den böhmischen Ländern, das heisst ohne Feldsberg / Valtice, insgesamt 155 923 ha Land.

Davon waren 119 485 ha Forstflächen, den Rest bildete Ackerboden.11 Die grossen Güter lagen hauptsächlich in Mähren und Schlesien, weni-ger in Böhmen. Fürst Johann II. hielt sich meistens auf den Gütern Eis-grub-Feldsberg-Lundenburg (Lednice-Valtice-Brˇeclav) an der Grenze zu Niederösterreich auf. Ausserdem besass er in Süd- und Mittelmähren weitere grosse Güter: Butschowitz-Schdanitz / Bucˇovice-Ždánice, Plu-menau / Plumlov, Posorschitz / Pozorˇice, Ungarisch Ostra / Uherský Ostroh und andere. Daneben verfügte die Primogenitur noch über einen riesigen Komplex von überwiegend Waldbesitz im Grenzland zwischen Mähren, Schlesien und Ostböhmen (darunter Karlsberg / Karlovec, Hohenstadt / Zábrˇeh, Landskron / Lanškroun, Mährisch Trübau / Mo -ra vská Trˇebová, Troppau- Jägerndorf / Opava-Krnov) sowie über eine kleinere, aber trotzdem bedeutende Domäne östlich von Prag (darunter Schwarzkosteletz / Kostelec nad Cˇernými lesy, Aurinowes / Uhrˇíneˇves und Kaunitz / Kounice). Isoliert in Nordböhmen an der Grenze zu Sachsen lag das Gut Rumburg / Rumburk.

Fürst Johann II. war zwar Herrscher eines unabhängigen und im Ersten Weltkrieg neutralen Staates, die Prager Behörden waren sich jedoch des Status des Fürsten und der Unabhängigkeit seines Fürsten-tums keineswegs sicher. Sie standen unter grossem Druck seitens der tschechoslowakischen Öffentlichkeit und des Parlaments, die eine exem-plarische Bestrafung der Familie Liechtenstein für die Taten Fürst Karls I. von Liechtenstein in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts for-derten.12Bei den Verhandlungen über das Beschlagnahmungsgesetz zur Bodenreform im April 1919 verlangten einige Abgeordnete ausdrücklich

9 Zu Angaben über den Landbesitz des böhmischen Adels bis 1921 siehe Mittermair, Die Neutralität Liechtensteins.

10 Als Primogenitur – wörtlich das Erstgeburtsrecht – wird hier der Allodialbesitz des Oberhaupts einer adeligen Familie und das von diesem in Form eines Fideikom-misses verwaltete Gut bezeichnet.

11 Dallabona, Bodenreform in der Tschechoslowakei, S. 36–39.

12 Siehe dazu Winkelbauer, Karl von Liechtenstein und das «Prager Blutgericht» (mit weiterer Literatur); Uhlirˇ, Drama Bílé hory; Kavka, Bílá hora a cˇeské deˇjiny; Petránˇ, Staromeˇstská exekuce.

die Konfiskation des immobilen und mobilen Vermögens des Fürsten Johann II. (das heisst des Fideikommisses der Primogenitur und des Allods), und zwar entschädigungslos.13Sogar einer der damals führen-den tschechischen Historiker, Josef Pekarˇ, der sonst ein grosser Kritiker der Enteignung des Adels war, räumte ein, bei der Familie Liechtenstein könne eine Ausnahme gemacht werden.14Antonín Hobza, Professor für internationales Recht an der Karls-Universität in Prag, sah kein Hinder-nis für die Eingriffe in das liechtensteiHinder-nische Eigentum, auch nicht in der Position des Fürsten als souveräner Herrscher. Er war der Ansicht, der Fürst stehe «zweifelsfrei in einem Untergebenenverhältnis zu Öster-reich». Einerseits sei er zwar ausländischer Souverän, andererseits aber auch «einheimischer Adliger».15 Das Fürstentum Liechtenstein war Hobza zufolge ein «Anhängsel» Österreichs und somit nicht vollständig souverän, weshalb die Tschechoslowakei den exterritorialen Status des liechtensteinischen Staatsoberhaupts nicht anerkennen müsse. Der Fürst war nach Meinung des Professors ein feindlicher Ausländer, dessen Eigentum entschädigungslos beschlagnahmt werden konnte. Hobza räumte jedoch ein, dass, sollten die Siegermächte Frankreich, Grossbri-tannien und Italien die Unabhängigkeit und Neutralität des Fürstentums anerkennen, die Konfiskation im Hinblick auf internationales Recht nicht möglich sei.16

Die tschechoslowakischen Behörden sahen am Ende von einer Konfiskation des liechtensteinischen Eigentums ab. Die internationale Position Liechtensteins erwies sich nämlich als nicht so schwach, wie es Hobza vermutet hatte. Die Grossmächte hatten zwar aufgrund des Zollvertrags des Fürstentums mit Österreich-Ungarn Zweifel an der liechtensteinischen Neutralität.17Nach dem Krieg jedoch verhielten sie sich grosszügiger. Zwar waren sie nicht mit der Teilnahme Liechten-steins an der Pariser Friedenskonferenz einverstanden, jedoch wurden im Friedensvertrag von St. Germain mit Österreich in Teil II, Artikel 27,

13 Horák, Liechtensteinové, S. 118.

14 Pekarˇ, Omyly a nebezpecˇí, S. 77.

15 Siehe zu dieser Frage Županicˇ, Das Haus Liechtenstein in Österreich-Ungarn.

16 Mittermair, Die Neutralität Liechtensteins, S. 61–62.

17 Ebenda, S. 54; Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 1, S. 140–155. Die Vereinbarung zwang die Schweiz 1916 dazu, die Lieferung von Lebensmitteln und Rohstoffen nach Liechtenstein einzustellen.

Absatz 1 die Grenzen des neuen österreichischen Staates behandelt und dabei ausdrücklich auch die Grenze zu Liechtenstein angeführt, was einer Anerkennung gleichkam.18

Das Prager Aussenministerium bestand dennoch darauf, der Fürst sei in der Tschechoslowakei lediglich als Ausländer zu betrachten, kei-nesfalls als Oberhaupt eines souveränen Staates. Es war der Ansicht, das Gesetz Nr. 15 des österreichischen Reichsrates von 1893 (fortan: Fami -lienvertragsgesetz),19 das den liechtensteinischen Familienvertrag aus dem Jahre 1842 zuliess und für verbindlich erklärte, sei nicht in Über-einstimmung «mit der neuen Staatsordnung» ergangen und gelte schon deshalb nicht mehr, weil dadurch die Tschechoslowakei gezwungen wäre, Fürst Johann II. als souveränen Herrscher anzuerkennen.20 Es lehnte daher auch die Versuche der Schweiz ab, die Vertretung des Fürs-tentums in der Tschechoslowakei zu übernehmen, ebenso wie die gelegentlichen Bemühungen Liechtensteins, in Prag sogar eine eigene Ge -sandtschaft zu eröffnen.21

Dieser Standpunkt wurde zudem von einem Urteil des tschecho-slowakischen Obersten Gerichtes unterstützt, das die Anwendung des Familienvertragsgesetzes von 1893 ablehnte.22Prag musste dennoch hin-sichtlich des Vermögens der Primogenitur weniger radikal vorgehen, als es einige Hitzköpfe in der Nationalversammlung empfohlen hatten. Eine

18 Friedensvertrag zwischen den Alliierten und Österreich, der in Saint-Germain-en-Laye am 10. September 1919 abgeschlossen wurde, in: Sammlung Gesetze und Ver-ordnungen des Tschechoslowakischen Staates, Jahrgang 1921, Teil 133, Nr. 507, hrsg. am 31. Dezember 1921, S. 1853–2300. Liechtenstein wurde 1920 nicht in den Völkerbund aufgenommen mit der Begründung, es könne aufgrund seiner geringen Grösse, des Fehlens einer Armee und so weiter die sich aus einer Mitgliedschaft er-gebenden Verpflichtungen nicht erfüllen.

19 Reichsgesetzblatt für die am Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder 1893, Nr. 15, Stück 5, S. 14, Gesetz vom 12. Januar 1893 betreffend die Genehmigung des fürstlich Liechtenstein’schen Familienvertrages vom 1. August 1842.

20 NA, Fonds des Justizministeriums, Karton 1700, Aussenministerium an Finanzmi-nisterium, 12. Mai 1925, No. 33.913/III/24.

21 Zu den diplomatischen Verhandlungen zwischen Prag, Bern und Vaduz siehe näher Quaderer, Ein «Annex Österreichs» oder ein souveräner Staat?; QuadererVogt, Be -wegte Zeiten, Bd. 1, S. 515–534.

22 LI LA, V 13/3, Urteil des Obersten Gerichts, 3. Februar 1928, No. Z. B. II 28/28/1.

Das Gericht urteilte über die Berufung Fürst Johanns II. gegen das Urteil des Bezirksgerichts in Olmütz, das als Unterinstanz den Antrag auf Revision der Bodenreform auf dem Gut Zábrˇeh abgewiesen hatte.

Konfiskation war ausgeschlossen, in Betracht kam lediglich eine Enteig-nung mit Kompensationsleistungen im Rahmen der ersten tschechoslo-wakischen Bodenreform.

Der Verlauf der Reform auf den liechtensteinischen Gütern in den 1920er-Jahren

Diese Reform wurde bereits zu Anfang der 1920er-Jahre auf den Gütern der Familie Liechtenstein begonnen. Geleitet wurde sie vom Staatlichen Bodenamt, das seine Tätigkeit Anfang November 1919 aufgenommen hatte.23Obgleich die Situation ernst war, zeigten sich hochrangige Ver-treter des Bodenamts sowohl zu Gesprächen als auch zu gewissen Kon-zessionen bereit. Anfangs wurde insbesondere über die grossen Güter Hohenstadt, Mährisch Aussee, Mährisch Sternberg, Rumburg und Jägerndorf verhandelt.24Bei den Verhandlungen mit den Vertretern des Fürstenhauses, die im Juli 1921 stattfanden, kündigten die Vertreter des Bodenamtes zunächst an, neben den oben genannten Gütern auch Inte-resse am Gut Lundenburg zu haben. Offensichtlich war man bestrebt, die Wälder im Grenzgebiet in staatlichen Besitz zu bringen, was die liechtensteinische Zentraldirektion25zu der Einsicht führte, den

Gross-23 Horák, Liechtensteinové, S. 79.

24 MLA, F 29, Karton 90, Liechtensteinisches Justizreferat an den Fürsten, 7. Juli 1921.

25 Die für die Verwaltung der fürstlichen Güter in der neu entstandenen Tschechoslo-wakei zuständige «fürstlich liechtenstein’sche Zentraldirektion» mit Sitz in Kolodei wurde im Juli 1919 gegründet. An ihrer Spitze standen zwei Direktoren, Franz Kresl und Viktor Kaplan. Die Forstdirektion Olmütz, welche auch die fürstlichen Wälder ausserhalb der Tschechoslowakei verwaltete, war jedoch davon ausgenom-men. Diese wurde von Anton Anderka geleitet. Daneben gab es noch zwei weitere fürstliche Ämter mit Sitz in Wien. Die persönlichen Angelegenheiten des Fürsten wurden von der Kabinettskanzlei verwaltet, die Verwaltung des Eigentums ausser-halb der Tschechoslowakei ab 1920 von der Fürstlich Liechtensteinischen Zentral-kanzlei (bis dahin HofZentral-kanzlei genannt). Siehe SL-HA, Fonds KabinettsZentral-kanzlei, Richtlinien für die Reorganisation der Zentralbehörden. Höchste Entschliessung, Nr. Präs. No. 823, 23. November 1920, sowie Keller-Giger, Zwei Länder – ein Fürs-tenhaus, S. 112. Laut Keller-Giger siedelte die Direktion zum 1. Oktober 1924 aus Kolodei nach Olmütz um. Die Olmützer Zentraldirektion wurde von Anton An -derka geleitet, der für die Verwaltung des Eigentums in den Böhmischen Ländern, im Falle der Wälder auch für Österreich zuständig war. Für die Information danke ich Dr. Arthur Stögmann von Liechtenstein, The Princely Collectionsin Wien.

grundbesitz Rumburg abschreiben zu müssen. Hierbei spielte auch das Bestreben des Bodenamts, mindestens einen vollständig enteigneten Grossgrundbesitz vorweisen zu können, eine wichtige Rolle. Im Falle von Mährisch Sternberg, Jägerndorf und Lundenburg waren die Vertre-ter des Bodenamts bereit, sich auch mit einer Teilenteignung zufrieden-zugeben. Als komplizierter erwies sich die Diskussion über Hohenstadt und Mährisch Aussee, an denen das Bodenamt grosses Interesse hatte.

Doch auch hier zeigte sich, dass Teile davon aus liechtensteinischer Sicht zu retten waren, wenngleich im Falle von Mährisch Aussee zum Preis der Übergabe des dortigen fürstlichen Forstmuseums an den Staat.26

Im August 1921 formulierte der Fürst privat seine Ansicht zur Bodenreform auf einigen seiner Grossgrundbesitzungen: Im Prinzip war er dazu bereit, das Gut Plumenau zu opfern, das relativ isoliert von sei-nem südböhmischen und nordmährischen Kernbesitz lag, sowie Teile der Besitzungen Jägerndorf, Neuschloss, Landskron, Mährisch Stern-berg, Mährisch Trübau und Feldsberg. Hierbei wollte er entweder ein-zelne Höfe ausgenommen wissen (zum Beispiel Neuschloss) oder er zeigte sich nur zur Übergabe eines sehr kleinen Teils einiger Besitztümer bereit (Feldsberg). Dem Fürsten war es interessanterweise sehr wichtig, dass der Verlauf der Bodenreform auf seinen Gütern weder den dortigen tschechischen noch den deutschen Bewohnern zum Schaden gereichte.27 Die Ansprüche des Bodenamts wuchsen allerdings immer weiter und lagen schliesslich höher, als die Familie Liechtenstein zu akzeptieren bereit war. Daher wandte sich die fürstliche Verwaltung Anfang 1922 an den Innenminister der damaligen Beneš-Regierung, Jan Cˇerný, einen parteilosen Fachmann mit mährischen Wurzeln, sowie an Josef Dolanský und Jan Šrámek, die christdemokratischen Minister der Justiz respektive der Eisenbahn, mit dem Ersuchen, sie möchten in der Regie-rung für eine MildeRegie-rung des sogenannten Forstprogrammes eintreten, das im Rahmen der Bodenreform durchgeführt wurde. Der Fürst be -tonte, er wolle für sich keine Ausnahme aus der Reform im Hinblick auf seinen Status als souveräner Herrscher, er bestehe jedoch auf der

Tatsa-26 MLA, F 29, Karton 90, Liechtensteinisches Justizreferat an den Fürsten, 8. Oktober 1921.

27 MLA, F 29, Karton 90, Zusatz zu den Bemerkungen Seiner Durchlaucht (wahr-scheinlich des Fürsten) anlässlich der bevorstehenden Bodenabgabe in der Tsche-choslowakei vom 16. August 1921, 18. Oktober 1921.

che, dass er ein neutraler Ausländer sei. Er beschwerte sich, das Boden-amt wolle ihm 25 Prozent der ertragreichsten Wälder abnehmen, und verlangte, dass «die von ihm gekennzeichneten Wälder nicht in das erste [Wald-]Arbeitsprogramm aufgenommen werden». In erster Linie sollte es sich um die Forste auf dem Grossgrundbesitz Lundenburg handeln, weiterhin um jene in Adamsthal-Krtiny / Adamov-Krˇtiny, Karlsberg, Jägerndorf und Hannsdorf/Hanušovice.28

In einem Schreiben vom 22. April 1922, das allerdings vom Präsi-denten des Bodenamts, Karel Viškovský, erst am 9. Juni desselben Jahres unterzeichnet wurde, verkündete das Bodenamt der liechtensteinischen Zentralverwaltung in Kolodei / Kolodeˇje, einen Teil des enteigneten Bodens des Fürsten übernehmen zu wollen. Der Umfang für die einzel-nen Güter war genau spezifiziert. Interesse zeigte das Bodenamt in die-ser frühen Phase vor allem an Ackerboden in der Umgebung von Prag und in Mittelböhmen. Besonders viel, nämlich 2655 ha, beanspruchte es auf dem Gut Kaunitz; in Aurinowes waren es ungefähr 1700 ha, in Schwarzkosteletz und Radim jeweils 1500 ha. Die Reform sollte auch Güter in Mähren und Schlesien betreffen. Im Jahre 1922 erhob das Bo -denamt Anspruch auf insgesamt etwa 13 700 ha, was etwa einem Drittel der Ackerflächen des liechtensteinischen Grundbesitzes entsprach. Im sogenannten verkürzten Zuteilungsverfahren durften sie 20 bis 33 Prozent des zu sechs verschiedenen Höfen gehörigen, hauptsächlich sternbergi-schen Bodens verkaufen, und zwar an vom Bodenamt festgelegte Käu-fer. Noch grösser waren die Forstflächen, an denen der Staat Interesse zeigte. Dies hing unter anderem damit zusammen, dass der Waldbesitz etwa drei Viertel des gesamten liechtensteinischen Grundbesitzes aus-machte. Das Bodenamt forderte insgesamt 41 000 ha Wald (ungefähr 30 Prozent des Waldes). Prozentual am stärksten betroffen war das Gut Rumburg, von dem der Staat etwa 2400 ha Wald beanspruchte. Im Gegensatz dazu gelang es der Familie Liechtenstein, den Grossgrundbe-sitz Eisgrub-Feldsberg-Lundenburg vollständig zu retten, was auch ihre Priorität gewesen war. Dieses ganze riesige Waldeigentum wollte der Staat aber nicht auf einmal, sondern in drei Etappen enteignen.29

28 MLA, F 29, Karton 90, Liechtensteinisches Justizreferat an Minister der tschecho-slowakischen Regierung, 25. Januar 1922.

29 LI LA, V 13/2, Memorandum, 9. Januar 1925. Das Memorandum wurde dem Bo -denamt übergeben (siehe NA, Fonds Staatliches Bo-denamt, Karton 331).

In den Jahren 1924 und 1925 schloss die liechtensteinische Verwaltung mit dem Bodenamt zwei Vereinbarungen über den weiteren Verlauf der Reform ab. Diejenige vom 6. März 1924 knüpfte an die Vereinbarung von 1922 an. Sie betraf den Ackerboden auf den Grossgrundbesitzungen Ungarisch Ostra, Plumenau und Butschowitz-Schdanitz. Auf dieser Grundlage übernahm das Bodenamt einige Höfe mit einer Gesamtfläche von 4139 ha. Im verkürzten Zuteilungsverfahren wurden dann weitere Höfe mit einer Fläche von 698 ha verkauft. Die Vereinbarung von 1924 umfasste weder das Gut Kolodei noch den Rest des Gutes Kaunitz, auf denen die Reform separat durchgeführt wurde. Das Bodenamt über-nahm auf den beiden Gütern 636 ha, 455 ha wurden im verkürzten Zuteilungsverfahren verkauft. Ebenso verkauft wurde das Schloss Kolo-dei mit seinem 145 ha grossen Wildgehege.30

Im Dezember 1925 wurde eine Zusatzvereinbarung über Ackerbo-den geschlossen. Auf deren Grundlage sollten vom BoAckerbo-denamt einige Höfe aus den Grossgrundbesitzungen Gross Raden, Landskron, Mäh-risch Aussee-Neuschloss, MähMäh-risch Trübau, Lundenburg, Feldsberg-Eisgrub und Jägerndorf übernommen werden. Weitere Höfe von diesen Besitzungen sowie einige von Mährisch Sternberg, Eisenberg-Golden-stein / Ruda-Kolštejn und Butschowitz-Schdanitz sollten im verkürzten Zuteilungsverfahren an vom Bodenamt festgelegte Käufer verkauft wer-den. Diese Vereinbarung ist mit einigen kleinen Abweichungen auch rea-lisiert worden. Der Staat übernahm Ackerflächen von 4043 ha, im Rah-men des verkürzten Zuteilungsverfahrens wurden etwa 1500 ha Land verkauft.31

Neben der bereits erwähnten Beschwerde an das Oberste Gericht in Brünn / Brno wegen der Reform auf dem Grossgrundbesitz Hohen-stadt reichte Fürst Johann II. eine weitere Beschwerde beim Obersten Verwaltungsgericht (OVG) in Prag ein. Darin beschwerte er sich über den Beschluss des Bodenamts vom 17. Juni 1927 betreffend die beab-sichtigte Übernahme von Gütern sowie über 21 weitere Beschlüsse. Den Kern der Argumentation von Rechtsanwalt Dr. František Svoboda, des

30 Ebenda.

31 MLA, F 28, Karton 261, Die Entwicklung der Land- und Forstreform auf den Län-dereien des herrschenden Fürsten von Liechtenstein, ohne Datum und Nummer (1931).

späteren liechtensteinischen Zentraldirektors, bildete die Berufung auf das Familienvertragsgesetz (1893). Svoboda behauptete, dieses Gesetz sei nie aufgehoben worden und gelte deshalb weiterhin. Das Fideikom-miss der Primogenitur war seiner Ansicht nach Eigentum sui generis, keineswegs normales Privateigentum des Fürsten. Er argumentierte, es handle sich um eine sogenannte Apertinenz des Fürstentums Liechten-stein in der Tschechoslowakei: Dieses Eigentum, dessen grösster Teil sich auf dem Staatsgebiet der Tschechoslowakei befand, bilde die mate-rielle Grundlage des Fürstentums, zu dem es als Apertinenz gehöre, auch wenn es nicht Teil von dessen Territorium sei. Aus diesen Gründen dürfe das in der Zwischenzeit bereits abgeschaffte Fideikommiss der Pri-mogenitur32nicht den Gesetzen unterliegen, die die Bodenreform

späteren liechtensteinischen Zentraldirektors, bildete die Berufung auf das Familienvertragsgesetz (1893). Svoboda behauptete, dieses Gesetz sei nie aufgehoben worden und gelte deshalb weiterhin. Das Fideikom-miss der Primogenitur war seiner Ansicht nach Eigentum sui generis, keineswegs normales Privateigentum des Fürsten. Er argumentierte, es handle sich um eine sogenannte Apertinenz des Fürstentums Liechten-stein in der Tschechoslowakei: Dieses Eigentum, dessen grösster Teil sich auf dem Staatsgebiet der Tschechoslowakei befand, bilde die mate-rielle Grundlage des Fürstentums, zu dem es als Apertinenz gehöre, auch wenn es nicht Teil von dessen Territorium sei. Aus diesen Gründen dürfe das in der Zwischenzeit bereits abgeschaffte Fideikommiss der Pri-mogenitur32nicht den Gesetzen unterliegen, die die Bodenreform