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Leitmotive in den Hiskija-Jesaja-Erzählungen

Im Dokument des Alten und Neuen Testaments (Seite 32-36)

2. Annäherung an die Hiskija-Jesaja-Erzählungen

2.2 Leitmotive in den Hiskija-Jesaja-Erzählungen

Für die inhaltliche Bedeutung der Erzählungen ist eine Betrachtung der Leitmo-tive in Jes 36–39 / 2Kön 18–20 besonders relevant. Ein Leitmotiv ist gleichsam als literarische Figur zu verstehen, die in einem Werk immer wieder eingesetzt wird und die Thematik entschieden prägt.25 Ralf Klausnitzer wies zudem darauf hin, es seien «bestimmende Leitgedanken», die eine Erzählung neben den Ge-schehensmomenten ordneten und strukturierten.3, In den Hiskija-Jesaja-Erzählungen sind es die Wurzeln חטב und לצנ, die diese Leitgedanken wesent-lich prägen.3- Sie erscheinen auffallend häufig in den Erzählungen:3.

Jes 36,4: Was ist das für ein Vertrauen (ןוחטבה), mit dem du vertraust (תחטב)? Jes 36,5: Auf wen vertraust du (תחטב), dass du widerspenstig gegen mich warst? Jes 36,6: Siehe, du hast auf diesen abgeknickten Rohrstab vertraut (תחטב). Jes 36,7: Wir vertrauen (ונחטב) auf Jhwh, unseren Gott! Jes 36,9: Du hast auf Ägypten vertraut (חטבתו) wegen Wagen und Reiter. Jes 36,14: Lasst euch von Hiskija nicht täuschen, denn er kann euch nicht retten (ליצהל).

Jes 36,15: Und Hiskija soll euch nicht zum Vertrauen auf Jhwh verleiten (חטבי), wenn er sagt: Gewiss wird uns Jhwh retten (ונליצי לצה)! Jes 36,18: Lasst euch von Hiskija nicht in die Irre führen, wenn er sagt: Jhwh wird uns retten (ונליצי)!

Hat denn einer von den Göttern der Nationen sein Land aus der Hand des Königs von Assur gerettet (וליצהה)? Jes 36,19: Haben sie denn Samaria aus meiner Hand gerettet (וליצה)? Jes 36,20: Welche von allen Göttern dieser

69 Vgl. die literaturwissenschaftliche Definition zum Begriff «Leitmotiv» bei LORENZ, Christoph F., Art. Leitmotiv, Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexi-kons der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 2 (H–O), hg. von Harald Fricke et al., Berlin/New York 2000, 399–401, 399: «Regelmässig wiederkehrendes Ausdrucks- oder auch Bedeutungsele-ment in literarischen oder auch musikalischen Kunstwerken.» Dabei gilt gemäss Lorenz, dass der Begriff «Leitmotiv» nicht nur auf wiederholte Wörter zu beziehen ist, vielmehr können ganze

«Wortformen, Metaphern, Dingsymbole, Reime, Zitate […]» ein Leitmotiv bilden (ebd.). Vgl. die Erläuterungen zur Verwendung von Leitmotiven als Merkmal bei der Novelle bei ALLKEMPER, Alo / EKE, Norbert Otto, Literaturwissenschaft, Paderborn 52016, 122.

70 Vgl. KLAUSNITZER, Ralf, Literaturwissenschaft. Begriffe – Verfahren – Arbeitstechniken, Berlin/Boston 22012, 147, 150–151 (zitierter Ausdruck im Original kursiv).

71 OLLEY, John W., «Trust in the Lord»: Hezekiah, Kings and Isaiah, Tyndale Bulletin 50.1 (1999), 59–77, 62–63. Im wechselseitigen Zusammenhang zwischen חטב und לצנ erkannte Otto Kaiser ein deuteronomistisches Element (KAISER, Otto, Der Prophet Jesaja. Kapitel 13–39, ATD 18, Göttingen 1983, 301–302). חטב ist jedoch eine so häufig vorkommende Wurzel in der Hebräischen Bibel, dass trotz der Verbindung zwischen הוהיב חטב und םלשורי תא לצנ nicht von einem Deuteronomismus gesprochen werden kann (vgl. auch OLLEY, Trust, 63). Dafür müssten eindeutigere Hinweise vorliegen, etwa wenn dieser Aspekt nur im Deuteronomium belegt wäre.

Zudem wird auch in neuassyrischen Annalen beschrieben, dass das Vertrauensmotiv ein wichti-ger Bestandteil im Kriegsgeschehen war. Vgl. COHEN, Chaim, The Neo-Assyrian Elements in the First Speech of the Biblical Rab-Šaqe, IOS 9 (1979), 32–48, 39–41.

72 Vgl. auch BEN ZVI, Ehud, Who Wrote the Speech of Rabshakeh and When?, SBL 109/1 (1990), 79–92, 87.

der sind es, die ihr Land aus meiner Hand gerettet hätten (וליצה), dass Jhwh nun Jerusalem aus meiner Hand retten sollte (ליצי)? Jes 37,10: Dein Gott, auf den du vertraust (חטוב), möge dich nicht täuschen. Jes 37,11: Und da solltest du gerettet werden (לצנת)? Jes 37,12: Haben die Götter der Nationen, die meine Väter verdorben haben, sie gerettet (וליצהה)? Jes 38,6: Aus der Hand des Königs von Assur werde ich dich retten (ךליצא).

Wie lässt sich die Bedeutung der Wurzeln חטב und לצנ genauer bestimmen?

In Bezug auf den semantischen Gehalt von חטב sind folgende Aspekte wichtig:

Die Grundbedeutung von חטב ist «vertrauen» und in den nominalen Formen meint die Wurzel «Vertrauen, Sicherheit». Dabei wird immer vorausgesetzt, dass sich das Vertrauen auf jemanden oder etwas bezieht.3/ Die Verwendung von חטב in der Hebräischen Bibel beschrieb Erhard Gerstenberger folgendermassen:

«Spezifisch theologischer Sprachgebrauch liegt im AT überall da vor, wo vorausgesetzt wird, dass allein das Vertrauen auf Jahwe wirklich begründet und tragfähig ist, und dass keine ande-re Grösse letztes Vertrauensobjekt sein kann. Dies trifft auf fast alle Stellen zu, in denen bṭḥ vorkommt […].»30

Weiter hielt Gerstenberger fest, dass sich gerade die Hiskija-Jesaja-Erzählungen

«wie ein Paradigma auf das Thema» hin lesen würden:31 Die assyrische Gesandt-schaft fordert die Jerusalemer auf – besonders in den Reden Rabschakes in Jes 36,4–20 / 2Kön 18,19–35 –, nicht auf ihren eigenen König Hiskija, nicht auf eine andere politische Grösse wie Ägypten und nicht auf ihren Gott Jhwh zu vertrauen. Ihr Vertrauen sollen die Judäer nur dem assyrischen König San-herib entgegenbringen.32 Somit wird von Anfang an ersichtlich, dass dem assy-rischen König in den Erzählungen hybrides Verhalten zugeschrieben wird und die strukturelle Gotteslästerung bereits zu Beginn besteht und auch den weite-ren Verlauf durchzieht. Im Gebet Hiskijas zu Jhwh bekennt der judäische Kö-nig, dass nur Jhwh allein König über die ganze Erde sei, die anderen Götter hingegen nur Holz und Stein seien. Ebenso bittet Hiskija Jhwh zu vernehmen, was sich ereignet hat, und die Judäer aus der Hand der Assyrer zu retten. Folg-lich wird in Jes 37,15–20 / 2Kön 19,15–19 erkennbar, dass Hiskija auf Jhwh vertraut und sich darauf verlässt, dass die Judäer von Jhwh aus dieser missli-chen Lage befreit werden.33 חטב ist somit von Anfang an als Schlüsselbegriff erkennbar.

John Olley setzte sich aufgrund der häufigen Belege der Wurzel חטב in den Hiskija-Jesaja-Erzählungen näher mit ihrer Bedeutung auseinander. Olley

73 Vgl. GERSTENBERGER, Erhard, Art. חטב – bṭḥ – vertrauen, THAT (hg. von Ernst Jenni unter Mitarbeit von Claus Westermann), Bd. I, München 1971, 300–305, 300–303.

74 Ebd., 303–304.

75 Ebd., 304.

76 Vgl. BEUKEN, Jesaja 28–39, 382.

77 Vgl. auch GERSTENBERGER, חטב – bṭḥ – vertrauen, 304.

tonte, dass in der Hebräischen Bibel nur König Hiskija so ausdrücklich zuge-schrieben wird, er habe auf Jhwh vertraut.34 2Kön 18,5: «Er vertraute auf Jhwh, den Gott Israels, und von allen Königen von Juda nach ihm war keiner ihm gleich, auch nicht von denen, die vor ihm waren.» Somit wird hier in der Einlei-tung zu den Hiskija-Jesaja-Erzählungen in der Version der Königebücher vor-ausgeschickt, auf wen Hiskija sein Vertrauen gesetzt hat, und ebenso wird eine Vorahnung davon gegeben, dass die assyrische Belagerung Jerusalems nicht erfolgreich sein wird.35

Neben dieser bedeutenden Verwendung der Wurzel חטב im Vorspann der Erzählungen in den Königebüchern wies Olley auch darauf hin, dass חטב im Je-sajabuch in zahlreichen Texten vorkommt. Nach eingehender Untersuchung der Jesajastellen zeige sich für חטב folgende Semantik:

«Yet, when one looks at the ‹trust› passages in Isaiah and asks what it means to ‹trust YHWH›

or to enjoy living in a situation of ‹trust and confidence›, attention is overwhelmingly on the worship of YHWH alone, with a humility that recognises dependence on him and that is linked with a life of doing what is right and just.»4,

Dergestalt betont die Wurzel חטב als Vertrauensbegriff die Verbundenheit mit Jhwh und das existenzielle Auf-ihn-angewiesen-Sein. Im Gegenzug folgen da-raus das gerechte Tun und die moralisch guten Dinge.

Auch in Jes 7 als Textbereich, zu dem die Hiskija-Jesaja-Erzählungen eine gewisse Verbindung aufweisen, findet sich die Vorstellung, dass allein Glaube und Vertrauen Bestand haben (vgl. Jes 7,9: ונמאת אל יכ ונימאת אל םא). Interes-santerweise wird in Jes 7 aber nicht die Wurzel חטב verwendet, sondern der Begriff «Vertrauen, Glauben» wird mit dem Verb ןמא artikuliert.4- חטב hat eher den Bedeutungsgehalt von «vertrauen, sich sicher fühlen»,4. während ןמא in die

78 Vgl. OLLEY, Trust, 63. David Bostock widmete sich sogar in einer ganzen Monografie dem Thema des Vertrauens in den Hiskija-Jesaja-Erzählungen. Vgl. BOSTOCK, Portrayal. Vgl. zur The-matik auch KNOPPERS, Gary, «There Was None Like Him»: Incomparability in the Books of Kings, CBQ 54 (1992), 411–431, 419. Vgl. dazu auch den Vergleich zwischen der Bewertung Hiskijas und Joschijas in den Kapiteln C.5.4 und C.5.5

79 Vgl. ARNETH, Martin, Hiskia und Josia, in: Reinhard Achenbach / Martin Arneth / Eckart Otto (Hg.), Tora in der Hebräischen Bibel. Studien zur Redaktionsgeschichte und synchronen Logik diachroner Transformation, BZAR 7, Wiesbaden 2007, 275–293, 291–292.

80 OLLEY, Trust, 68. Olley folgerte, dass die Hiskija-Jesaja-Erzählungen aufgrund der Häufigkeit der Belege von חטב gut ins Jesajabuch passten – und deswegen der Ursprung der Erzählungen im Jesajabuch vermutet werden könne (74) –, aber auch «with the theology of the Deuteronomist»

harmoniere (77).

81 Vgl. dazu BEUKEN, Jesaja 28–39, 370. Vgl. auch die Bedeutungsnuancen von ןמא in den ver-schiedenen Stämmen wie im Kal pt. Passiv «gestützt, getragen werden», im Nifal «Bestand haben, treu sein» und im Hifil «trauen, glauben» in GESENIUS, Wilhelm, Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, Berlin etc. 171962, 48–49.

82 Vgl. GESENIUS, Handwörterbuch, 92.

Richtung von «glauben» in einem spirituellen Sinn weist. Als ein Beispiel für den Gebrauch von ןמא ist die Erzählung vom Bund Gottes mit Abram in Gen 15,6 zu erwähnen. In dieser Erzählung erscheint passend die Wurzel ןמא nach der Nachkommensverheissung, indem gesagt wird, dass Abram Jhwh glaubte und ihm dies zur Gerechtigkeit angerechnet wurde (Gen 15,6: הוהיב ןמאהו הקדצ ול הבשחיו). Hier ist nicht gemeint, dass sich Abram aufgrund der Verheis-sung sicher fühlte (also nicht חטב), sondern er glaubte Jhwh in existenzieller Weise. Desgleichen wird ןמא in Jes 7 treffend verwendet, zumal Ahas an die Geltung des Glaubens erinnert werden muss, während Hiskija, wie es scheint, von jeher auf Jhwh vertraut (2Kön 18,5: חטב), ihm anhängt (2Kön 18,6: קבדיו הוהיב), nicht von ihm abweicht (2Kön 18,6: וירחאמ רס אל) und seine Gebote befolgt (2Kön 18,6: ויתוצמ רמשיו). Jhwh seinerseits ist immer mit ihm (2Kön 18,7: ומע הוהי היהו).4/

Mit Blick auf die Wurzel לצנ sind folgende semantische Zusammenhänge hervorzuheben: Die Wurzel meint in der Grundbedeutung «entreissen, retten».

לצנ ist in der Hebräischen Bibel am häufigsten im Hifilstamm belegt40 und meint dann «das Wegnehmen oder Befreien aus allerlei Festgehalten-Werden».41 Wenn das Verb לצנ auf Gott als Subjekt bezogen wird, meint der Ausdruck die Zuversicht, dass Gott sein Volk aus der Gefahr retten und beschützen wird.

Dabei sei לצנ allerdings «nirgends zu einem besonderen theologischen Begriff»

geworden. Es sei «ein Wort unter zahlreichen anderen, um Jahwes rettendes Handeln auszudrücken».42

לצנ findet in den Hiskija-Jesaja-Erzählungen folgende Verwendung: Von den Assyrern wird behauptet, dass weder Hiskija noch Jhwh die Jerusalemer aus ihrer misslichen Lage retten können. Wie auch die Götter anderer Nationen ihre Völker nicht retten konnten, so könne auch Jhwh sein Volk nicht retten (vgl. Jes 36,4–20 / 2Kön 18,19–35 und Jes 37,10–13 / 2Kön 19,10–13). Die assyrische Gesandtschaft will in der Darstellung der Erzählungen verhindern, dass לצנ als Begriff der «Rettung und Befreiung» mit Jhwh in Verbindung ge-bracht wird. Ihre Botschaft lautet: Der Gott Jerusalems kann nicht retten. Nur beim assyrischen König ist Sicherheit und Fürsorge gewährleistet (vgl. Jes 36,16–17 / 2Kön 18,31–32). In Wirklichkeit ist es aber die assyrische Gewalt, von der die Jerusalemer bedrängt werden und von der die Stadt belagert wird.

Aus den Fängen dieser Macht gilt es, gerettet zu werden. Die Assyrer geben vor, die Jerusalemer retten zu wollen, dabei sind sie es, die die Jerusalemer be-drängen.

83 Vgl. BOSTOCK, Portrayal, 177.

84 Vgl. BERGMANN, U., Art. לצנ – nsl – hi. retten, THAT (hg. von Ernst Jenni unter Mitarbeit von Claus Westermann), Bd. II, München 21979, 96–99, 96.

85 Vgl. ebd., 97.

86 Ebd., 98–99.

Mit Blick auf die Wurzeln חטב und לצנ findet sich folgende narrative Ent-wicklung in den Erzählungen: Nachdem Hiskija sein Vertrauen auf Jhwh be-kundet und sich zu Jhwh als alleinigem Gott bekannt hat, erfährt Jerusalem Rettung und Schutz durch Jhwh. Die Assyrer hingegen werden verurteilt und vernichtet (vgl. Jes 37,33–38 / 2Kön 19,32–37). Dergestalt ist die ganze erste Hiskija-Jesaja-Erzählung auf das Vertrauen in Jhwh (חטב) und die Rettung durch Jhwh (לצנ) hin angelegt, und dementsprechend stehen חטב und לצנ in Wechselwirkung zueinander. Die gleiche Struktur ergibt sich auch in Jes 38 / 2Kön 20,1–11: Nachdem Jesaja Hiskija angekündigt hat, dass er bald sterben wird, betet Hiskija zu Jhwh und stellt dar, wie er ihm immer treu war und sein Herz nur auf ihn gerichtet war (vgl. Jes 38,3 / 2Kön 20,3: תמאב ךינפל יתכלהתה םלש בלבו). Jhwh erhört Hiskijas Gebet und versichert, ihn zu retten und Jerusa-lem aus der Gewalt Assurs zu befreien und zu beschützen (vgl. Jes 38,5–6 / 2Kön 20,5–6). חטב und לצנ nehmen folglich Schlüsselpositionen in den Hiskija-Jesaja-Erzählungen ein. Der Zusammenhang zwischen den beiden Motiven ist aber nicht als Automatismus zu verstehen, sondern es ist ein freiwilliges Han-deln Jhwhs, das die befreiende Situation herbeiführt. Jhwh hätte die Stadt und den König auch nicht retten können.

Im Dokument des Alten und Neuen Testaments (Seite 32-36)