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Schweizerinnen und das Wohl des Landes im Zweiten Weltkrieg

7 Das Leben in der Schweiz

Beginnen wir mit jener Gruppe von Frauen, die nach der Heirat in der Schweiz blieben. Es handelt sich dabei um etwas mehr als die Hälfte aller Schweizerinnen, die einen Ausländer heirateten. Eingeleitet wird dieses Kapitel mit der Lebens-geschichte von Berty Ladek von Sevelen, deren Name an dieser Stelle genannt sein darf, weil der «Tages-Anzeiger» 2005 ein Porträt über sie veröffentlichte.1

7.1 Berty Ladek (1919–2013), Sevelen, heiratete 1938 einen Deutschen:

«Ich hatte natürlich die Niederlassung – als Schweizerin»

Kennengelernt hätten sie sich 1938 am Arbeitsplatz, in der Tuchfabrik in Sevelen, erzählt Berty Ladek-Duttler.2 Ihr Ehemann Willy Ladek (1894–1948) war ur-sprünglich Tscheche und liess sich 1921 in Deutschland einbürgern. Als gelernter Appreturmeister in der Veredlung von Stoffen fand er Mitte der Dreissigerjahre in der neu gebauten Tuchfabrik in Sevelen Arbeit. Berty Ladek wuchs in ärm-lichen Verhältnissen mit vier Schwestern und zwei Brüdern in Trans auf. Der Vater arbeitete im Steinbruch. Sie wäre eigentlich gerne Arbeitslehrerin geworden, doch für die Mädchen hiess es damals: «Zahltag heimbringen, die müssen in die Fabrik gehen». Als sie ihren Mann kennenlernte, ging alles rasch. «Ja, er hat mir so weit gefallen, und wie es dann so geht». Berty Ladek wurde schwanger und nach kurzer Verlobungszeit heiratete das Paar noch im gleichen Jahr. Dass sie die Staatsbürgerschaft verlieren würde, wusste Berty Ladek zwar schon vor der Heirat, doch richtig bewusst wurde ihr dies allerdings erst auf dem Standesamt:

«Im Zivilstandesamt hat es mir dann schon gerade einen Stich gegeben, bei der Trauung, dass ich jetzt Deutsche war, aber nachher ging das Leben halt weiter.

Ich hatte Kinder, eine Familie, da habe ich nicht daran gedacht.» Gab es eine behördliche Reaktion? «Nein, da ist nichts gekommen, das ist dann einfach er-ledigt gewesen, ich bin ausgelöscht worden.» Die Eltern hätten ihre Heirat mit einem Deutschen nicht so gerne gesehen und die Entwicklung in Deutschland mit Sorge beobachtet. Willy Ladek wollte allerdings nicht mehr zurück nach Deutschland, die junge Familie wohnte in Sevelen. «Ich hatte natürlich die Nie-derlassung – als Schweizerin [sic]. Das ist das einzige Vorrecht, das ich hatte.»

Ihr Mann habe hingegen nur die Aufenthaltsbewilligung gehabt, die regelmässig erneuert werden musste. Die Niederlassung «haben sie [ihm, S. R.] schon nicht gegeben während des Kriegs». Als gefragter Berufsmann habe er aber mit den

1 Stefan Eiselin. Es flogen Steine an die Fenster, in: Tages-Anzeiger, 4. 5. 2005.

2 Gespräch vom 17. 2. 2008; vgl. dazu auch die Aufzeichnungen von Werner Hagmann, Archiv für Zeitgeschichte, Zürich, 16. 5. 1995.

Behörden nie Probleme gehabt. Wie fühlte sie sich als Deutsche? Drei oder vier Wochen vor Kriegsausbruch seien sie noch «draussen» in Deutschland auf Ver-wandtenbesuch gewesen und einmal, als sie einen Ausflug mit dem Töff machten, sei ihnen ein Leichenzug begegnet. Alle hoben die Hand zum Hitlergruss: «Ja, für mich war das natürlich nicht so einfach, dies zu machen, aber ich habe es dann auch gemacht, es wäre ja peinlich gewesen, wenn da ein Polizist oder ein SS gekommen wäre, ich habe da ja doch das deutsche Bürgerrecht gehabt, ich hätte mich nicht wehren können.» Noch ein weiteres Mal kam Berty Ladek mit ihrem politischen Gewissen in der Öffentlichkeit in einen Konflikt. Als die Deut-schen 1941 nach Buchs zu einer Weihnachtsfeier eingeladen waren und alle den angereisten Funktionär mit erhobener Hand grüssen sollten, blieb Berty Ladek sitzen: «Ich bin vielleicht von zwei, dreihundert Personen allein [gewesen, S. R.], die gesessen ist und nicht so gemacht hat [erhebt die Hand, S. R.].» Woher sie den Mut genommen habe, wisse sie nicht mehr. Mit ein Grund sei wohl gewesen, dass sie sich nicht als Deutsche gefühlt habe, dass sie eine «Schweizer Gesinnung»

hatte. Auf die Deutschen hielt man damals in der Schweiz «nicht viel». «Also ich habe gesagt, ich tue mir meine Hand abhacken lassen, aber ich mache nicht so.»

Diese Aktion hatte für die frühere Schweizerin Konsequenzen. Sie musste von der Gemeinde einen «Arierausweis» einholen – dieser wurde am 26. Februar 1942 ausgestellt – und das Dokument zusammen mit drei Porträtfotos an das Konsulat in St. Gallen schicken. Nach diesem Vorfall wagte sich Berty Ladek aus Angst vor einer Verhaftung nicht mehr nach Deutschland.

Ein militärisches Aufgebot aus Deutschland erhielt Willy Ladek nie. Dennoch plagten Berty Ladek Angstgefühle. Ihre ständige Begleiterin in jenen Jahren war die Furcht vor einer Trennung der Familie bei einem allfälligen Einmarsch der Deutschen in die Schweiz. Nur gut 15 Kilometer von der Grenze entfernt, wären die Menschen im Rheintal bei einer Invasion evakuiert worden.3 Ladek erzählt, dass sie 1940 einen Koffer mit dem Nötigsten an Kleidern und Lebensmitteln im Rathaus abgeben musste. Dort eröffnete man ihr, dass sie sich im Ernstfall auf eine mögliche Trennung von Mann und Kind einstellen musste: «Das war eine schlimme Sache, das hat einem zu denken gegeben, wenn man ein zweijähriges Kind hätte weggeben müssen, oder?» Als sie dies erzählt, schiessen der Frau die Tränen in die Augen: «Es wäre dann einfach in ein Kinderheim gekommen.»

Den Mann hätte man als Ausländer ohne Niederlassung interniert. «Ja, zum Glück ist es ja dann nicht [so, S. R.] gekommen.» Das Kriegsende sei für sie daher eine grosse Erlösung gewesen. Bereits vorher, 1943, siedelte die Familie ins Tessin über. Ladek nahm eine Stelle in einer Tuchfabrik an, weil er, wie Berty Ladek erzählt, im Rheintal stark unter dem Föhn litt. Die Familie wohnte in Locarno. Mit dem Ortswechsel musste sich die frühere Schweizerin erneut mit ihrer Deutschen Nationalität auseinandersetzen. «Hier [in Sevelen, S. R.] haben sie ja gewusst, ich bin hier aufgewachsen, und ich bin von hier.» Im Tessin war

3 Eiselin, Steine.

sie bei vielen die «ungeliebte» Deutsche, denn in der italienischen Sprachregion funktionierte der Dialekt als Erkennungszeichen nicht, sie war als «Hitlerin»

abgestempelt. Die Familie wurde sogar tätlich bedroht. «Wir wohnten im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses. Eine Horde Männer warf Steine zu unseren Fenstern hinauf und rief uns wüste Sachen zu.» Berty Ladek fürchtete um ihren Mann und die verängstigten Kinder. Auch sie selbst wurde hin und wieder Opfer von verbalen Entgleisungen: «Es passierte eigentlich nie offen. Aber es kam doch immer wieder vor, dass in meiner Gegenwart ganz bewusst spitze Bemerkungen gegen die Deutschen platziert worden sind.» Auch ihr Mann habe seine deutsche Herkunft am Arbeitsplatz oft zu spüren bekommen. 1946 zogen die Ladeks nach Langnau im Emmental. Zwei Jahre später verstarb Willy Ladek. Die Witwe liess sich auf Anraten der Behörden wieder einbürgern, um sich Komplikationen mit der Arbeitsbewilligung zu ersparen. Denn nach dem Tod des Mannes musste sie für die Familie sorgen. Aber auch sie selbst wollte nicht mehr Deutsche sein und ihre Kinder im aufgeheizten Klima gegen die Deutschen nach dem Krieg vor Hänseleien und Pöbeleien schützen. In der früheren Bürgergemeinde liess man sie allerdings spüren, dass sie einen Ausländer geheiratet hatte: «Jetzt will ich Ihnen noch etwas erzählen. Als das Gesuch nach Sevelen ging, da hat hier der Präsident gedacht, ich sollte wieder den ledigen Namen annehmen, dass sie nicht fremde Namen in die Gemeinde hinein bekämen. Da habe ich gesagt: Entweder ihr nehmt mich so, und sonst müsst ihr es halt bleiben lassen. Ich gehe nicht Duttler heissen, so dass es aussieht, ich hätte die beiden Kinder unehelich gehabt. Die dürfen den Namen des Mannes tragen.» 1951 kehrte Berty Ladek nach Sevelen zurück und arbeitete wieder in der Tuchfabrik.

Dieses Beispiel steht für eine im Grunde unkomplizierte Alltagserfahrung eines binationalen Paars im Zweiten Weltkrieg, die im Beruf des Ehemannes als gefragter Facharbeiter begründet war und von der Einbettung der Familie in das heimische Umfeld der Ehefrau profitierte. Im Kontrast dazu steht der Wegzug ins Tessin, wo weder Sprache, familiäre Verankerung noch andere Elemente der Herkunftsgemeinde vor verbaler Diskriminierung und Ablehnung Schutz bo-ten. Im Tessin galt Berty Ladek als Deutsche und hatte keine Möglichkeit, sich als ehemalige Schweizerin zu erkennen zu geben. Die ihr sonst zur Verfügung stehenden Mittel zur Schaffung von Identität und Zugehörigkeit wie der Dialekt oder die Mentalität versagen im fremden Sprachraum. Dies ist jedoch weniger auf die rechtliche Seite des Verlustes zurückzuführen, sondern zeigt die gesellschaft-liche Abwehr gegenüber Ausländern, die sich auch bei der Wiedereinbürgerung manifestierte, indem der ausländische Name abgelehnt wird. Von Bedeutung im Lebenslauf von Berty Ladek war die Angst vor der Trennung der Familie im kriegerischen Ernstfall. Sie besass zwar die Niederlassung und war damit den Schweizer Bürgern gleichgestellt. Ehemann und Kind hatten hingegen nur eine befristete Aufenthaltsbewilligung und konnten daher interniert oder gar aus-gewiesen werden. Angedeutet ist in den Schilderungen von Berty Ladek auch die Angst vor einer Verfolgung im Herkunftsland des Ehemannes. Als frühere

Schweizerin den Schweizer Werten und der Demokratie verpflichtet, exponierte sie sich öffentlich gegen das nazistische Regime. Im Verfolgungsfall hätte Ladek im Ausland nicht auf den diplomatischen Schutz der Schweiz zählen können. Der Verlust des Schweizer Bürgerrechts brachte Frauen wie Berty Ladek, die ihrer Schweizer «Gesinnung» treu blieben – in der Schweiz des Zweiten Weltkriegs ein ja stark erwünschtes und gefördertes Verhalten – in die groteske Lage, dass sie sich vor Verfolgung und Inhaftierung im Ausland fürchten mussten und in dieser Situation auf sich alleine gestellt waren.

7.2 Katharina K. (geb. 1922), Kanton Thurgau, heiratete 1947 einen polnischen Internierten: Reise ins Exil stand bevor

Katharina K. wuchs auf einem Bauernhof im Kanton Thurgau in einer Familie mit vier Kindern auf.4 Lernen durfte sie nichts, es galt die Devise: «Mädchen heiraten ja doch». Nach der Schulzeit arbeitete sie «in der Fremde» an diversen Saisonstellen.

1944 lernte sie bei einem Besuch bei den Eltern den polnischen Internierten W.

K. (1921–1993) kennen, der im Juni 1940 als Angehöriger der polnischen Armee in die Schweiz kam, interniert wurde und dann im Thurgau einen Arbeitsein-satz auf dem Hof der Eltern von Katharina K. absolvierte. Im Dorf und in der Umgebung hatte es damals einige Polen, die den Bauern halfen. Sie seien halt

«elend charmant» gewesen, da habe es in einigen Ehen im Dorf «Krisen» gegeben.

Katharina K. und der Pole schrieben einander wöchentlich Briefe: «Wir haben es gut gekonnt miteinander», erzählt sie. Auch in der Familie war der tüchtige und arbeitssame W. K. akzeptiert, der Vater fand, sie «passten zueinander», die Eltern unterstützten die Verbindung. Als er nach dem Krieg nach Frankreich ausreisen musste, setzte die Familie «alle Hebel» in Bewegung, um W. K. zurück in die Schweiz zu holen. «Der Vater half mir, ging auf die Gemeinde, um alles in Ordnung zu bringen». Katharina und W. K. heirateten Ende 1947. Im Dorf wurde die Verbindung nicht gerne gesehen. «Wissen Sie, was der Zivilstandsbeamte zu mir sagte, als wir heirateten? ‹So, jetzt hat sie das Bürgerrecht auch an den Nagel gehängt.› So ist es gewesen.» Viel später sagte ihr ein Nachbar: «Weisst Du, haben’s schon nicht begreifen können, dass Du damals einen Ausländer genommen hast.»

Das junge Ehepaar lebte zunächst auf dem elterlichen Hof, den der Bruder von Katharina führte. Ein gutes Jahr nach der Heirat kam das erste Kind zur Welt.

«Und wissen Sie was, eines Tages ist die Fremdenpolizei gekommen […] und wollte ihn [den Ehemann, S. R.] wieder abschieben.» Der Einwand, sie hätten ein Kleinkind, seien eine Familie, sie sei von hier, nützte nichts. «Sie sagten, das ist gleich. Er solle schon voraus gehen, ich könne dann ja später nachkommen», empört sich Katharina K. Wieder setzten sich die Familienangehörigen für sie ein. «Sie haben es fertig gebracht, dass er nicht gehen musste.» Sie hätten dann

4 Interview vom 10. 9. 2010.

lange nicht mehr den Mut gehabt, ein zweites Kind zu bekommen. Zu gross war die Angst, die Schweiz plötzlich verlassen zu müssen und in einem fremden Land ohne Zukunft dazustehen. «Wir konnten doch nicht so ein verrücktes Risiko eingehen. [Katharina K. packt die Historikerin fest am Arm, entschuldigt sich für den Gefühlsausbruch].» Das Geschehene ist noch heute aufwühlend. «Ja, das war schon wahnsinnig […], wie die in die Stube gekommen sind, ohne Ankündigung, nichts, die sind einfach gekommen.» Katharina und W. K. versuchten, sich in der früheren Heimatgemeinde von Katharina K. einzubürgern, doch finanzielle Hür-den verhinderten das Vorhaben. Und dann? Als die ehemaligen Schweizerinnen 1953 die Möglichkeit erhielten, sich wieder einzubürgern, wurde auch Katharina K. wieder Schweizerin. «Ich habe das sofort genutzt», sagte sie. Dann kam auch für W. K. «eine Chance». Er bewarb sich 1954 in einer Mosterei in der Umgebung und erhielt die Stelle, nachdem die Fremdenpolizei grünes Licht gegeben hatte.

Sie bewilligte ihm die Niederlassung, den «Ausländerausweis C». 1957 konnten sich W. K. und die beiden Kinder in einem Nachbardorf einbürgern lassen. Das jüngste Kind kam bereits als Schweizer zur Welt. 1968 fuhren die Eheleute ein erstes Mal nach Polen.

Katharina K. wählte ihren Lebenspartner aus der Gruppe der ehemals inter-nierten Polen. Sie setzte sich damit dem Verlust der Staatsangehörigkeit aus. Dieser Verlust ging aber in seinen Konsequenzen weiter als bei Berty Ladek. W. K. war als unerwünschter Ausländer nach dem Krieg von Abschiebung bedroht und mit ihm die Ehefrau und das Kind. Als ungelernter Arbeiter war er für die Schweiz wirtschaftlich nicht attraktiv und wurde als Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt wahrgenommen. Nur durch die Intervention der Familie von Katharina K. konnte das Ehepaar nach dem Krieg in der Schweiz bleiben. Mit der Wiedereinbürgerung der Ehefrau änderte sich die Situation. Katharina K. konnte als Schweizerin nicht mehr abgeschoben werden. W. K. erhielt mit der Aussicht auf eine feste Stelle und wegen der damals guten konjunkturellen Lage schliesslich die Niederlassung und konnte für sich und die Kinder das Schweizer Bürgerrecht erwerben. Dieses Beispiel zeigt die ganze Willkür des Systems, das je nach Wirtschaftslage und Bedarf nach Arbeitskräften fremdenpolizeiliche Massnahmen ergriff, ohne auf die früheren Schweizerinnen Rücksicht zu nehmen.

7.3 Rosmarie Z.-M. (1923–2004), heiratete 1949 einen polnischen Ingenieur: Kündigung als Handarbeitslehrerin

Rosmarie Z.-M. wuchs mit ihrer Schwester in einer Ortschaft am rechten Zü-richseeufer auf.5 Ab 1929 führte der Vater dort ein Baugeschäft, die Mutter erle-digte die Buchhaltung. Rosmarie Z. wollte Sprachen studieren, musste sich aber

5 Interview vom 19. 8. 2008 mit dem Sohn M. Z. Dazu der Lebenslauf, die Abdankungsrede 2004 und Erinnerungen von T. Z. unter dem Titel: «Meine Erinnerungen», 12. 9. 1981, in Kopie bei der Autorin.

dem Willen des Vaters beugen und wurde Handarbeitslehrerin. Sie belegte von 1942 bis 1944 den kantonal-zürcherischen Arbeitslehrerinnenkurs und wurde im Dezember 1945 an den Zürcher Schulkreis Waidberg gewählt. Daneben ab-solvierte sie einen Einführungskurs für den Frauenhilfsdienst (FHD) und half bei der Betreuung von Flüchtlingsfrauen. Durch einen Bekannten lernte sie 1946 ihren späteren Mann kennen, den ehemaligen polnischen Internierten Pietr Z.

(1919–2002). Pietr Z. entstammte einer Bauernfamilie in der Nähe von Warschau.

Nach dem Einzug in die polnische Armee und dem militärischen Zusammenbruch Polens flüchtete er 1939 über Rumänien nach Frankreich und schloss sich dort der polnischen Exilarmee an. Nach dem Übertritt in die Schweiz am 19. Juni 1940 wurde er interniert, leistete Arbeitseinsätze im Strassenbau, konnte an der ETH Maschinenbau studieren und schloss das Studium 1945 ab. In der Schweiz fand er sofort Anschluss. Seine Schweizer Bekannten nahmen ihn mit zu Festen und Anlässen. Als nach dem Krieg aus Polen Nachrichten über die «Liquidation der Heimatarmee», politische Verhaftungen, Verfolgungen der aus dem Westen zurückgekehrten ehemaligen polnischen Soldaten und den zunehmenden Ein-fluss der Sowjetunion durchsickerten, zögerte Pietr Z. seine Rückreise hinaus und suchte Arbeit in der Schweiz.6 Anfang Januar 1946 erhielt er eine Stelle in der Turbolader- und Gasturbinenabteilung bei Brown Boveri in Baden. Weil er den Pass des nunmehr kommunistischen polnischen Regimes ablehnte, wurde er schriftenlos. 1947 wurde seine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung nicht mehr verlängert. Pietr Z. sollte, wie andere einst internierten Polen, die Schweiz wieder verlassen. Durch die Intervention seiner Arbeitgeberin, der Firma Brown Boveri, konnte Pietr Z., der nun das Diplom als Maschineningenieur ETH besass und damals als Konstrukteur der Kraftanlage bei Beznau arbeitete, in der Schweiz bleiben. 1948 verlobten sich Rosmarie und Pietr Z.; sie heirateten im Juli 1949.

Im Verwandtenkreis von Rosmarie Z.-M. war die Verbindung mit einem Polen aus finanziellen Gründen, wegen des Verlustes der Schweizer Staatsangehörigkeit und aus Angst vor Abschiebung nicht gerne gesehen. Diese Befürchtungen soll-ten sich nicht bewahrheisoll-ten. Hingegen hatte die Handarbeitslehrerin berufliche Konsequenzen zu tragen. Mit der Heirat Ausländerin geworden, verlor sie ihre Wählbarkeit als Lehrerin und musste die Stelle aufgeben. Durch die Vermittlung des dortigen Schulpflegers wurde sie als Stellvertreterin wieder eingestellt, aller-dings zu einem tieferen Lohn. Der Verlust des Schweizer Bürgerrechts empfand Rosmarie Z.-M. laut Aussage ihres Sohnes als ungerecht. Sie stellte fest, dass die Schweiz ihr keine «Lebensgarantie» gab und baute eine starke Beziehung zur polnischen Familie ihres Mannes auf. «Ihr Verhältnis zur Schweiz als Heimat ist gebrochen. Umso stärker bindet sie sich emotional an [des Ehemannes, S. R.]

Heimat, deren Besuch nicht möglich ist, während er sich mit Fleiss und Erfolg bemüht, nicht aufzufallen und sich den Schweizer Alltagsgegebenheiten

6 Ebd., 35, sowie ders., «Erinnerungen vom Oktober bis Dezember 1988», Kap. 7: «Internierung und Studien in der Schweiz 1940–1945». Das Manuskript lag der Autorin im Original vor.

passen», fasste der Sohn in der Trauerrede zum Tod der Mutter seine Sicht der elterlichen Situation zusammen.7 Rosmarie Z.-M. wollte sich von «dieser Schweiz»

nicht unterkriegen lassen. Demütigend seien für sie besonders die regelmässigen Gänge zur Fremdenpolizei gewesen wegen der Erneuerung der Aufenthaltsbe-willigung, erzählt der Sohn. Ausserdem musste das Paar zunächst auch noch seine Auswanderungsbemühungen belegen. 1953 liess sich Rosmarie Z.-M. wieder einbürgern. Die beruflichen Nachteile fielen weg. In der Folge arbeitete sie bis 1983 im Schuldienst. Die Kinder wurden laut Aussage des Sohnes wegen ihres Namens in der Schule ausgegrenzt. Pietr Z. fühlte sich der Schweiz wegen seiner Aufnahme in Krieg und der Ausbildung an der ETH sehr verbunden und wollte sich und die Söhne zu «richtigen Schweizern» machen. Ende der 1950er-Jahre stellte er zwei Gesuche für eine Einbürgerung, 1963 wurden Pietr Z. und die drei Söhne, die zwischen 1952 und 1957 zur Welt kamen, schliesslich Schweizer. Nun war auch eine Reise nach Polen wieder möglich.

Mit der Heirat des polnischen Immigranten Pietr Z. verlor die Handarbeits-lehrerin Rosmarie Z.-M. ihre Berechtigung, als gewählte Lehrerin zu arbeiten.

Die Wahl war vom Schweizer Bürgerrecht abhängig. Auch die Unsicherheit über das Bleiberecht belastete das Paar. Durch den Einfluss der renommierten Indust-riefirma Brown Boveri konnte Pietr Z. schliesslich in der Schweiz bleiben. Diese machte geltend, den Ingenieur ETH für die künftige Modernisierung der Schwei-zer Energiewirtschaft zu brauchen. Die Ehefrau erhielt ihren beruflichen Status 1953 mit der Wiedereinbürgerung zurück. Damit fielen die Schranken auf dem Arbeitsmarkt weg. Pietr Z. fühlte sich der Schweiz ein Leben lang verbunden, weil er hier Asyl und eine fundierte Ausbildung erhalten hatte; er liess sich mit seinen Kindern 1963 einbürgern. Aus den Schilderungen des Sohnes geht hervor, dass die ausländische Herkunft des Vaters die Kinder belastete. Sie nahmen die Konflikte der Mutter wegen des verlorenen Bürgerrechts wahr und spürten, dass sie sich

Die Wahl war vom Schweizer Bürgerrecht abhängig. Auch die Unsicherheit über das Bleiberecht belastete das Paar. Durch den Einfluss der renommierten Indust-riefirma Brown Boveri konnte Pietr Z. schliesslich in der Schweiz bleiben. Diese machte geltend, den Ingenieur ETH für die künftige Modernisierung der Schwei-zer Energiewirtschaft zu brauchen. Die Ehefrau erhielt ihren beruflichen Status 1953 mit der Wiedereinbürgerung zurück. Damit fielen die Schranken auf dem Arbeitsmarkt weg. Pietr Z. fühlte sich der Schweiz ein Leben lang verbunden, weil er hier Asyl und eine fundierte Ausbildung erhalten hatte; er liess sich mit seinen Kindern 1963 einbürgern. Aus den Schilderungen des Sohnes geht hervor, dass die ausländische Herkunft des Vaters die Kinder belastete. Sie nahmen die Konflikte der Mutter wegen des verlorenen Bürgerrechts wahr und spürten, dass sie sich