• Keine Ergebnisse gefunden

Exkurs: Die alte Geschichte: War die Eidgenossin eine Bürgerin?

Statistik, Recht und juristischer Diskurs bis 1952

4 Exkurs: Die alte Geschichte: War die Eidgenossin eine Bürgerin?

Bis jetzt haben wir erforscht, wie das Bürgerrecht der Frauen im Zweiten Weltkrieg interpretiert wurde und welche Inhalte es seit 1848 in sich trug. An dieser Stelle soll ein Rückblick auf die Auffassung über die weiblichen Zughörigkeitsrechte in der alten Eidgenossenschaft anschliessen. Wir befragen Rechtsquellen über die Ver-bindung von Angehörigkeit und Ortsbürgerschaft. Welche Funktion hatte dabei das Bürgerrecht der Frauen? Was lässt sich über Ehe und Witwenschaft erfahren?

Worin bestehen die Unterschiede zwischen dem männlichen und dem weiblichen Bürgerschaftsgedanken? Diese Fragen helfen uns, das Staatsangehörigkeitsrecht der Schweizerinnen im 20. Jahrhundert besser zu verstehen. Im Kontrast lassen sich Verschiedenheiten, Kontinuitäten und neue Inhalte erkennen und bewer-ten. Die nachfolgende kleine Studie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Vielmehr soll sie an einigen Beispielen illustrieren, wie Bürgerrecht, Frauen und Ordnung zusammenhingen.

4.1 Heirat und Bürgerrecht in den Ständen der alten Eidgenossenschaft Aus der Forschung wissen wir, dass in den Orten der alten Eidgenossenschaft seit der Mitte des 16. Jahrhunderts mehrheitlich restriktive Bedingungen für die Heirat mit Fremden, mit Nichtbürgerinnen und -bürgern, herrschten.1 Die Ehe eines Bürgers mit einer fremden Frau konnte an verschiedene Auflagen geknüpft werden, und Bürgerinnen, die einen Nichtbürger heirateten, waren oftmals ge-zwungen, den Ort zu verlassen.2 Motivation dieser Bestimmungen waren soziale und ökonomische Anliegen wie die Kontingentierung des Kulturbodens oder der Erhalt der Armenkassen für die ansässige Bürgerschaft, die Positionierung der Machtelite oder die politische Abgrenzung nach aussen. Fragen wir nun, was sich aus diesen Bestimmungen über die weiblichen Bürgerrechte erfahren lässt.

Einen guten Quellenkorpus bietet hierzu die Editionsreihe der «Schweizerischen Rechtsquellen».3 Zwar ist die Reihe noch nicht abgeschlossen und die mit einer Edition immer verbundene nötige Auswahl der Quellen bestimmt auch unsere

1 HLS, Bd. 4, 99 f. (Eherecht); Anne-Lise Head-König. Eheversprechen, Illegitimität und Ehe-schliessung im Glarnerland vom 17. bis 19. Jahrhundert: obrigkeitliche Verordnungen und ländliches Brauchtum, in: Jahrbuch des Historischen Vereins des Kantons Glarus, Heft 76, Glarus 1996, 157.

2 Head-König, Eheversprechen, 157 f.

3 Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. Namens des Schweizerischen Juristenvereins hg.

von dessen Rechtsquellenstiftung, nachfolgend SSRQ.

Auswahl. Da es an dieser Stelle jedoch nicht darum geht, eine Geschichte des Bürgerrechts der Frauen im Ancien Régime zu verfassen – ein Desiderat! –, sondern allgemeine Tendenzen und Rechtsauffassungen herauszuarbeiten, bietet das Vorhandene unter Berücksichtigung einiger methodischer Zugänge genü-gend Anhaltspunkte für unsere Fragestellung. Die Auswahl der Quellen sollte drei Kriterien genügen: der Wirtschaftsform, dem Herrschaftsmodell und der Verwaltung. Die Auswahl fiel auf die Stadtrechte von Luzern mit dem «Ge-schworenen Brief» und den «Eidbüchern», auf die Landschaftsordnungen der von der Stadt Zürich verwalteten Orte im «Neuamt» und auf die Rechtsquellen aus dem Sarganserland. Damit bilden sich städtische Strukturen, von der Stadt verwaltete ländliche Strukturen sowie eine von verschiedenen Herrschaftsformen geprägte Ostschweizer Landschaft ab. Letztere bildete noch im 18. Jahrhun-dert ein interessantes Konglomerat von Regentschaften um die Abtei Pfäfers, die im 17. Jahrhundert noch Leibeigene kannte, und um die Stadt Sargans, die umgeben von ländlichen Strukturen, seit 1483 als Landvogtei Sargans unter die Verwaltung der Acht Orte geriet.4 Heiraten in diesem Raum hiess unter Umständen auch, die herrschaftlichen Grenzen zu überschreiten, was zu einer regen ordnungsrechtlichen Administration führte und zugleich die Motivationen der behördlichen Verfügungen offen legt.

Um Quellen zu finden, in denen Bürgerinnen und Frauen in Rechtszu-sammenhängen erscheinen, wurden die Stichwortregister in den gedruckten Quellenbänden ausgewertet und darüber hinaus eine weitere Recherche methode angewandt, die sich aufgrund der elektronisch zugänglichen Sammlung eröffnet:

die Suche nach Stichworten in den Texten der bereits aufgeschalteten Editio-nen.5 Die Recherche nach Belegstellen im elektronischen Katalog und in den Bucheditionen erfolgte über historische Begriffe und Nennungen für weibliche Personen wie Frau, Weib, Bürgerin, Witwe, Tochter und über Sachbegriffe wie Ehe, Heirat, Verlobung, Bürgerrecht, Frauengut. Mit dieser Methode konnten darüber hinaus zusätzliche Rechtstexte gezielt erschlossen werden, die den Pri-märquellenkorpus bestätigten, aber auch neue Erkenntnisse zutage förderten.

Folgende Leitfragen dienten der Auswertung der Quellen: Was lässt sich über Heiraten zwischen Angehörigen der Bürgerschicht und fremden Personen erfah-ren? Was bedeuteten diese Ehen für die Betroffenen und für die Gemeinschaft?

Welchen Einfluss hatten Umweltfaktoren wie das wirtschaftliche und rechtliche Umfeld auf die Eheordnungen? Welche Funktion hatten diese Bestimmungen für die Gemeinden und schliesslich: Was lässt sich über den Status der Bürgerinnen in Ancien Régime in der Schweiz erfahren? Als weiterer methodischer Zugang bietet sich der thematische Vergleich der Quellen an. Er erlaubt es, Unterschiede und Gemeinsamkeiten im untersuchten Zeithorizont herauszuarbeiten und sie in einen Sachkontext zu stellen. Darüber hinaus bewerten wir die Ergebnisse des

4 SSRQ SG III/2, LV.

5 http://ssrq-sds-fds.ch/online/cantons.html, letzter Aufruf 11. 2. 2018.

Gesamtkapitels, zu dem auch die Untersuchung des weiblichen Bürgerrechts in der Helvetik und dem jungen Bundesstaat gehören, mit der Systemtheorie von Niklas Luhmann.

4.1.1 Der fremde Ehemann

Fragen wir uns zunächst, wie das Bürgerrecht jener Frauen geregelt wurde, die einen Fremden, einen Nichtbürger, heirateten. Diesbezügliche Rechtsartikel fin-den sich in fin-den ausgewerteten Ordnungen seit Beginn des 16. Jahrhunderts, doch sind sie weit weniger zahlreich als die Bestimmungen über die Ehen zwischen Bürgern und fremden Frauen. Wie die Auswertung zeigt, kann die Regel gelten, dass zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Bürgerin ihr Bürgerrecht bei der Hei-rat eines Fremden verlor. Eine solche Bestimmung führte das Statutarrecht der Landschaft Saanen auf: 1602 beschloss die dortige Landsgemeinde einstimmig, dass «so forthin eines landmans tochter oder ein witwen sich mit einem frömbden verehelichen wurde, dieselbige soll ir landrecht vermanet haben».6 Diese Frauen wurden für «frömbd gehalten». Starb der Ehemann, blieb die Witwe so lange

«frömbd», bis sie das Landrecht wieder «ermannte», also einen Bürger heiratete oder sich einkaufte, wie es im Artikel weiter heisst. Die frühere Bürgerin und ihr Ehemann durften im Ort bleiben, hatten aber keine Ansprüche auf das Bürgergut.

In der Forschungsliteratur wird allerdings meist deren Wegweisung konstatiert.

Ein solches Beispiel liefert 1648 die Stadt Willisau, die in einer Verfügung fest-hielt, dass jener, der nicht Bürger oder akzeptierter Beisasse der Stadt war und eine Bürgerin geheiratet hatte, «bald nach gehaltener hochzeit an dass ohrt, wo er sein burger- oder tzwing recht hat», zurückkehren sollte.7 Schon 1642 hatten die Bürger von Willisau ein Verbot über die Niederlassung von Fremden und gegen den Verkauf von Grundstücken an Fremde erlassen.8 Die Ausweisung der Ehepaare war eine logische Folge der Fremdenpolitik der Stadt. Dass die Umsetzung aber offenbar nicht immer strikte durchgeführt wurde, zeigt der Fall von Hans Rung, der wohl Auslöser der oben erwähnten Ausweisungsverfügung war. Der aus dem luzernischen Hitzkirch stammende Mann hatte sich seit einiger Zeit bei seiner «schwygerin alhie zum Wysen Creutz uffgehalten», der Bürgerin Verena Farnbüellerin, die er als Besitzerin der Wirtschaft auch geheiratet hatte.

Dass Verena Farnbüeller bei der Heirat das Bürgerrecht verlor, geht aus einem Nebensatz im Protokolleintrag von 1650 hervor, der sie als «sin [Rungs, S. R.]

schwigeren als dan kein burgerrecht mehr» bezeichnet.9 Rung erregte Anstoss, weil er sich in Willisau ohne Bewilligung «hausshäblich» niedergelassen hatte.

6 «Beträffend die, so ir landtrecht vermanen», in: SSRQ BE II/3, 283.

7 Bürgerstöchter, die einen Fremden heiraten, müssen mit ihrem Mann wegziehen. Ausweisungs-beschluss. 1648 Oktober 2, Willisau, in: SSRQ LU II/2.2, 348–350.

8 27. 2. 1642: «Die Bürgerschaft beschliesst, keinem Fremden mehr ein Haus im Bürgerzihl zu verkaufen, ein Gewerbe zu verpachten oder den Zuzug zu gestatten.» SSRQ LU II/2.2, 335.

9 5. 5. 1650, Willisau, vgl. SSRQ LU II/2.2, 350, Bemerkung 3.

Nun stellte sich die Frage, wie die Stadt mit ihm und ähnlichen Fällen umgehen wollte. Nach einigen Ausweisungsversuchen bot die Bürgerschaft Rung und seinen zwei ehelichen Söhnen das Bürgerrecht für 600 Gulden an. Interessant ist nun, dass die Bürger von Rung «sigel und brief» verlangten, «das wan er das burgerrecht nit wird annemmen, ein burgrschafft sich siner und siner kinderen halber unbeschwärdt syn und verblyben und selbige zu Hizkirch daheimb syn sollent». Bei einer Ablehnung durfte er keinerlei Ansprüche an die Bürgerschaft stellen. Kaufte er sich hingegen ein, konnten er und seine Frau, «aldie wyl sy im läben syn wird», also auch als Witwe, Rechte an «holz und feld» geltend ma-chen.10 Das Recht der Witwe wurde hier explizit erwähnt, ein Indiz dafür, dass dieses Recht (noch) nicht selbstverständlich war. Bezogen auf die Aussagekraft von Rechtssätzen weist diese Stelle übrigens auch darauf hin, dass wir mit deren Deutung vorsichtig sein müssen, weil diese wie hier in Willisau in der Praxis, im örtlichen Alltag, flexibel ausgelegt werden konnten.

Die Geschichte von Rung zog sich weiter in die Länge. Im Mai des gleichen Jahres senkten die Bürger die Summe für den Einkauf und mahnten ihn am 16. Fe-bruar 1651 noch einmal, zu zahlen oder wegzuziehen. Gute fünf Jahre später, am 7. November 1656, erlaubten die Bürger dem offenbar hartnäckigen Anwohner schliesslich doch, in die Wirtschaft zum Kreuz zu ziehen und dort zu wirten.

Rechte durfte er hingegen keine geltend machen, namentlich nicht, wie das Proto-koll weiter Auskunft gibt, Bürgerrechte «weder in synem noch in syner schwigerj namen weder in holtz noch in velld nutzen». Da er auch nicht als Hintersasse akzeptiert wurde, nahm man ihm im Gegenzug auch keine Einzugsgebühr ab.11 In diesem Fall zeigt sich, dass frühere Bürgerinnen nach der Heirat eines Fremden nicht in jedem Fall ausgewiesen wurden. Dies bestätigt sich auch am Beispiel von Baden, wie ein Eintrag im Ratsmanual von 1647 zeigt: «[…] da ein frembder eines burgers tochter nimbt, der solle mit sambt dem weib darvonziehen, es werde ihme dan aus sonderbaren gnaden verwilliget.»12 In Willisau lässt sich noch eine andere Beobachtung machen: Hier wurde der Unterbruch der bürgerrechtlichen Verbin-dung durch die Heirat durch vertragliche Vereinbarungen mehrfach schriftlich festgelegt, damit der fremde Ehemann diese Rechte nicht einklagen konnte, ein Beleg für eine zumindest noch nicht ganz gesicherte Rechtslage.

1655 bekräftigten die Ratsherren in Willisau in einem anderen Fall den ur-sprünglichen Beschluss, ehemalige Bürgerinnen sollten «vermög stattrechten»

wegziehen.13 Weshalb dies wichtig war, zeigt eine andere Passage: Fremde Männer und ihre Ehefrauen mussten gehen, «damit ein burgerschafft bey ihren von ihren lieben vorfahren jhnen hinderlassenen rechtsammenen desto mehrerss beschützt verbliben und solche ungeschwächt uff die nachkommende auch gelangen

10 24. 2. 1650, Willisau. Beschluss der Bürgerschaft an der Jahresgemeinde vom Schmutzigen Donnerstag, vgl. SSRQ LU II/2.2, 349, Bemerkung 2.

11 Ebd., 349 f., Bemerkungen 3, 4 und 6.

12 Heirat eines Fremden mit einer Bürgerin. 1647, 11. IV., in: SSRQ AG I/2, 315.

13 SSRQ LU II/2.2, 350, Bemerkung 5.

ge».14 Es war also die Sorge um den Erhalt der Bürgergüter und die Intention, dieses Erbe ungeschmälert an die Nachkommen weiterzugeben. Das zürcherische Stadel erhöhte deshalb 1683 auch die Einkaufsgebühren, «von wägen holtz, wün und weid und anderen sachen, welche man je lenger ye mer in mangel kombt».15 Das Ressourcenmanagement konnte, musste aber nicht Auswirkungen auf den Aufenthalt der Ehepaare haben. Im gleichen Beschluss von 1683 nahm Stadel den Ehemann einer ehemaligen Bürgerstochter, der die Güter der Schwiegereltern im Ort geerbt hatte und zwei Bürgen stellte, als Bürger auf.16 Gleiches galt 1791 auch für den Schneider Junghans Meyer von Neerach, der von einer Bürgerstochter Haus und Güter gekauft hatte und sie dann auch ehelichte.17

Anhand der bisher untersuchten Quellen scheint es, dass der Verlust des weiblichen Bürgerrechts bei der Heirat eines Fremden bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts allgemein üblich war. Eine überraschende Wende dieses Be-fundes ergibt sich beim Studium des frühen Stadtrechtes von Sargans, welches die Vertreter der eidgenössischen Orte im Jahre 1501 bestätigten. Unter Art. 6 findet sich ein Passus über das Verfahren bei der Heirat einer Bürgerin mit einem Frem-den: «Item es ist ouch unser statt recht und altharkomen, welicher ein burgerin als eins burgers tochter nimpt, der nit burger were, der sole das burgrecht dan von ihro haben.» Mit der Ehe fand der Fremde Eingang in die Sarganser Bürgerschaft, die Sarganserin behielt ihr Bürgerrecht und ermöglichte ihm die Integration.18 Güter und Nutzniessung von Rechten blieben dem Ehepaar erhalten. Wie die effektive ehebedingte Zuwanderung in der Zeit aussah, müssten weitere Nachfor-schungen klären. Die Auswirkungen dieser Praxis waren aber offenbar ungünstig.

1565 änderte die Stadt die Regeln für die Einbürgerung und nahm fremde Ehe-männer nicht mehr automatisch auf. Ob die Bürgerin ihr Bürgerrecht trotzdem behalten konnte, wird nicht erwähnt.19 Wie lässt sich der Gesinnungswechsel erklären? Wie weitere Quellen im zeitlichen Zusammenhang zeigen, schwelten Konflikte zwischen den Sarganser Stadtbürgern und den «Ausbürgern», die ihre Nutzungsrechte an Alpen und Allmenden wegen der Aufnahme zu vieler neuer Bürger bedroht sahen.20 1570 löste sich die Auseinandersetzung, indem sich die

«Ausbürger» ein Mitspracherecht in Bürgerrechtsfragen erstritten.21 Konflikte

14 Ebd., 349.

15 SSRQ ZH NF II/1, 372.

16 «173. Einkauf in das Gemeindebürgerrecht und Erhöhung des Einzugsgeldes. 1683 Januar 4», vgl. SSRQ ZH NF II/1, 372.

17 «175. Reglement für die Verwaltung des Gemeindegutes. 1791 Dezember 16», vgl. SSRQ ZH NF II/1, 381, Anm. 2.

18 «Die Vertreter der eidgenössischen Orte bestätigen und erneuern die Freiheiten und Rechte der Stadt Sargans, 1501, August 19. [Zürich]», SSRQ SG III/2, 388–391, hier 389.

19 Ebd., 588, Nr. 1.

20 Die «Ausbürger» wohnten ausserhalb der Stadtmauern und hatten nur beschränkte Rechte. Sie durften die Alpen und Allmenden mitbenutzen, waren aber vom Wahlrecht und von Ämtern ausgeschlossen. Sie hatten eigene Amtleute, sie waren im Gegensatz zu den Stadtbürgern als Leibeigene den sieben Orten unterstellt bzw. dem Kloster Pfäfers, SSRQ SG III/2, 615.

21 Ebd., LXVI, 616.

um Nutzungsrechte und die befürchtete Verknappung der Güter wirkten sich auf die Bürgerrechtspolitik aus und veränderten die Auffassung über Bürgerrecht und Heirat und damit auch die Stellung der Frauen. Dieser Befund wird durch Beispiele aus der weiteren Rechtsgeschichte erhärtet. Interessante Forschungen hierzu bietet Anne-Lise Head-König anhand der Verhältnisse im Glarnerland vom 17. bis ins 19. Jahrhundert. Sie stellt in ihrer Studie über die dortige Praxis der Eheschliessung ein relativ rigides Vorgehen gegen Glarnerinnen fest, die einen Fremden heirateten. Der Entschluss über die Aufenthaltsrechte des Ehepaars lag beim «Tagwen», der Versammlung der ortsanwesenden Bürger.22 Die ehemali-gen Glarnerinnen seien allerdings «häufig» gleich nach der Heirat weggewiesen worden, stellte Head-König fest. Für die Mitte des 18. Jahrhunderts erwähnt sie sogar ein Verbot von Ehen zwischen Glarnerinnen und fremden Männern. Die Pfarrherren des evangelischen Teils durften solche Ehen nicht einsegnen. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts betrug die Quote solcher Heiraten in den evangelischen Gemeinden weniger als zwei Prozent und im katholischen Näfels weniger als 4 Prozent. Demgegenüber machte die Anzahl der Heiraten eines Einheimischen mit einer Frau, die nicht zur gleichen Kirchgemeinde gehörte, zwischen 22 und 42 Prozent aus. Head-König erklärt die Einschränkung gegen Frauen, die einen fremden Mann heirateten, mit der Angst vor dem Anspruch der Fremden auf Aufenthalt, auf das Bürgergut und die Armengüter.23

Auch die Stadt Bern kannte ein, wenn auch verkappt formuliertes Heiratsver-bot für Fremde mit einheimischen Frauen, wie eine Verordnung von 1780 zeigt.

Sie besagt, dass «einem landsfremden die bewilligung, eine hiesige weibspersohn zu heyrathen, hinfüro nicht mehr ertheilt werden solle, es seye dann sach, dass ein solcher landsfremder zuvor bescheinigen könne, das er wirklich ein burger-recht in einer gemeind erhalten, oder in die landsassen korporation aufgenom-men worden seye». Fremde konnten also Bürgerstöchter erst heiraten, wenn sie sich eingebürgert hatten, was wegen der Kosten für ein Bürgerrecht eine elegant formuilerte und effektive Massnahme der Selektion darstellte.24 Wurde die Frau vor der Ehe schwanger und konnte sich der Kindsvater kein Bürgerrecht ver-schaffen, drohte beiden die Ausweisung: «Würde aber ein landsfremder, welcher eine hiesige unterthanin geschwängert haben würde, keine solche bürgerrechts anschaffung aufweisen können, so soll er alsogleich mit der von ihme geschwän-gerten weibspersohn fort und aus dem land gewiesen werden.» Selbstverständlich war diese Drohung eine Massnahme der Abschreckung und eine Strategie im Kampf gegen uneheliche Kinder und die damit verbundenen Armenlasten für die Bürgergemeinde. Zu beachten ist, dass selbst Bürgerinnen vor Vertreibung nicht sicher waren, das Bürgerrecht ihnen also keinen entsprechenden Schutz gab. 1792 änderte die Stadt das Dekret ab und erlaubte die Ehen zwischen Bürgerinnen

22 Zum Begriff des «Tagwen» vgl. HLS, Bd. 12, 185.

23 Head-König, Eheversprechen, 157 f. Allerdings ist nicht klar, was mit «Fremder» genau ge-meint ist: Ein Nichtglarner oder ein Ortsfremder, also einer aus einem anderen Ort.

24 SSRQ BE I/5, 624.

und fremden Männern, wies die Eheleute jedoch aus, wenn der Ehemann nach sechs Monaten noch kein Bürgerrecht erworben hatte.25 Auch Glarus ergriff 1744 Massnahmen gegen Frauen, die von «fremden gesellen, dienstknächten und dergleichen» geschwängert wurden. Dem Paar sollte zwar die Heiratserlaubnis erteilt werden, «die copulation aber im landt nit gestattet sondern hinaus gewiessen und darin ihnen in keiner gmeind old tagwen kein unterschlauff nit solle gegeben noch weniger geduldet werden bei 100 ducaten buess». Das Argument für die Massnahme fusste, wie aus dem Artikel hervorgeht, in der Angst, Ehefrau und Kinder erhalten zu müssen. Denn die Fremden würden «meistentheils ihr weib und kinder, wann es ihnen erleidet, verlassen», hätten Schulden «aufgeschwelt»

und würden sich aus dem Staub machen und «die ihrige zur beschwärd im land lassen etc.».26 Im Falle solch pflichtvergessener Bürger konnten demgegenüber örtliche Massnahmen ergriffen werden. So dekretierte die Stadt Burgdorf 1725, dass Bürgerssöhne, «so der statt uneheliche kinder auff den halss verffen», das Bürgerrecht erst erhielten, wenn sie die Schulden abgetragen hatten. Ein Hinweis darauf, dass das Bürgerrecht kein bedingungsloses Recht der Geburt war, sondern an das Wohlverhalten geknüpft werden konnte. Dieses Disziplinierungsmittel versagte bei Fremden.27 Was blieb, um Kosten zu sparen, war die Wegweisung.

Betrachten wir nun die Folgen des Verlustes für die Frauen und die Bür-gerschaft aus einem anderen Blickwinkel, jenem des bürgerlichen Besitzes der Frauen. In einer Alpordnung der «Kapellgenossenschaft» Wangs von 1527 findet sich hierzu ein Hinweis, indem diese für einmal auch die Alpgenossin explizit erwähnt und zwar als «ein dochter, die in diessen obgemelten alp genossame wäre und alprechte hette». Damit ist zunächst einmal gesagt, dass auch Frauen zu Beginn des 16. Jahrhunderts Alprechte besitzen konnten.28 Bei einer Ehe mit einem Fremden gingen die Alprechte dann allerdings verloren. Die Frau, heisst es dort, «soll hiemit ihre alp recht vermannt haben und desse beraubt seyen».29 Ob eine Entschädigung für die verlorenen Alprechte vorgesehen war, geht aus der Quelle nicht hervor. Die Massnahme zum Schutz des Alpgutes und der Rechte der Alpgenossen schmälerte aber ohne Zweifel die ökonomischen Ressourcen

25 Ebd., 624, Anm. 1.

26 «Massnahmen gegen Weibspersonen, die von fremden Gesellen usw. geschwängert werden, 1744 Mai 6», SSRQ GL 1.3, 1305.

27 «Bürgerssöhne mit illegitimen Kindern erhalten ihr Bürgerrecht erst, wenn sie Aufwendungen der Stadt rückerstattet haben. 1725 Oktober 6», in: SSRQ BE II/9, 305. Glarus ging in der Vermeidung unehelicher Kinder noch weiter. Es hatte wie etwa auch Zürich im 16. Jahrhundert die Praxis, die voreheliche Schwangerschaft gleich dem Eheversprechen als Rechtsanspruch auf die Ehe zu werten und die Eheschliessung zu erzwingen. Die Ansicht leitete sich aus dem Alten

27 «Bürgerssöhne mit illegitimen Kindern erhalten ihr Bürgerrecht erst, wenn sie Aufwendungen der Stadt rückerstattet haben. 1725 Oktober 6», in: SSRQ BE II/9, 305. Glarus ging in der Vermeidung unehelicher Kinder noch weiter. Es hatte wie etwa auch Zürich im 16. Jahrhundert die Praxis, die voreheliche Schwangerschaft gleich dem Eheversprechen als Rechtsanspruch auf die Ehe zu werten und die Eheschliessung zu erzwingen. Die Ansicht leitete sich aus dem Alten