Charakteristisch aber ist die Las^e der Mühlenstraße, und zwar finden wir diese wieder
am Rand
der alten Stadt oder wenigstens auf diesen zulaufend, denn dieMühlen
standen entweder alsWindmühlen
auf den Befestigungsdämmen,wo
der Müller denWind
aus ersterHand
hatte, oder sie lagen alsWassermühlen
da,wo
derMühlbach
in die Stadt eintrat^).Wie
die Reifschlägerstraße, so ist auch einer der wenigenNamen,
die an das Verkehrsleben jener Zeit erinnern, eine Spezialität der deutschen Seestädte.
Es
ist die Bezeichnung „Lastadie", die wirals
Namen
für eine dichtam
Strom beulende Straße in KöniixsberQ;und
Danzig, für einen ganzen Stadtteilam
niedrigen rechton Odoruferin Stettin
angewandt
finden-).Das Wort
bedeutet Laststätte und be-zeichnet einen Ort,wo
Ballast, das ist schlechte Last geladen oder ffe-löscht wurde^).Am
interessantesten sinddem
Geographen die Straßennamen, nidenen Hinweise auf die Beschaftenheit des Stadtbodens, auf die früheren Grenzen der Stadt oder besondere
Merkmale
der Straßen selbst ge-geben sind. Beginnen wir mit denNamen
der letzteren Art.Bezeich-nungen
wie „breite Straße", „lange Gasse",„krummer Weg",
deren Veranlassung meist noch heute deutlichwahrnehmbar
ist,und
die wir^) Deshalb sind auch außerhalb der Stadt gelegene alte Windmühion oft
ein Zeugnis für einen räumlichen Rückgang derselben, so bei demStädtchenDenimin.
Vgl. Stolle, Beschreibung und Geschichte der uralten Stadt Denimin. S. 40.
'-) Auch die I. Wallstrafie Lübecks hiel'i früher ^kleine Lastadie". Dr.
W.
Brehmer,
Beiträge zu einerBaugesch. Lübecks. Zeitschr. d. Ver. f. Lüb. Gesch. etc.Bd. V S. 228.
^) Die Form Lastadie mit dem Ton auf der letzten Silbe ist falsch.
Wahr-scheinlich ist sie ein Ueberbleibsel aus der Franzosenzeit, in der das lateinische lastadia in das französische lastadie umgewandelt wurde, eine Form, die sich erst bei den Gebildeten und alhnählich auch bei dem Volke Eingang verschatfte. (Mit-teilung des Herrn Oberlehrer Dr.
Wehr mann
in Stettin.) Vgl. auchLemcke,
Stettiner Strafsennamen, 8.45 und
Berghaus,
Stettin 1 S. 220.66 R- Reinhard,
überall, besonders iu der deutschen Ansiedelung wiederfinden, erklären sich vollständig von selbst.
Ein fast allen deutschen Städten des Nordens gemeinsamer
Straßen-name
ist die Bezeichnung Faulenstraße (das ist schmutzige Straße) oder Fuhlentwiete; sie erinnert uns an den außerordentlich schlechten Zu-stand, indem
sich dieWege
der mittelalterlichen Städte überhaupt befanden^),und
esmußte
schon hervorragende Unreinigkeit sein, die einer Straße den obigen, wenig ehrenvollenNamen
eintrug.Dagegen wurden
die altenLandstraßen als Kunststraßenverhältnis-mäßig
gut gepflegtund immer
bis an das äußersteEnde
der Vorstadt gepflastert,weswegen
wirimmer
wenigstens eine, meist aber mehrere derselben als Steinweg oderSteindamm
bezeichnet finden^),während
die anderen nach den nächsten an ihnen liegenden größeren Ortschaften genannt wurden. Endlich seien hier noch einige interessante einzelne Fälle aufgezählt, in denen Straßen ihre
Benennung
der unmittelbaren sinnlichenWahrnehmung
verdanken. Sackgassen sind inHamburg und
Danzig als „Kehrwieder" bezeichnet. „Hühnerbeingasse" heißt in Stettin die früher nach Art eines Vogelbeines zweimal gebrochene^)^jetzt gerade gelegte Straße, die
vom
Fischmarkt nach der Oder führt,„Wegesende"
ist heute noch eine Straße Bremens, die in den ältesten Zeiten aus der Stadt hinausführte, bei Errichtung der erstenMauer
aber verschlossen wurde. „Kneipab" heißt das außerhalb der
Befesti-gung
liegen gebliebene Stück der Langgartenstraße in Danzig, „Brands-ende" die Straße inHamburg,
an welcher der großeBrand im
Jahre 1842 seinEnde
nahm^).Die oben besprochenen, für das genetische Verständnis des Stadt-bildes so wichtigen Straßen, die an Stelle früherer Befestigungen liegen^
würden oftmals in ihrer Beziehung zur Stadtgrenze
kaum
noch zuer-kennen sein,
wenn
uns nicht ihreNamen
dabei zu Hilfe kämen. Diese sindimmer
zusammengesetzt mit Bezeichnungen wie Wall,Damm.
Graben, Schanze,
Mauer
oder Mühre, Bollwerk,Hagen
(Gehege).Die
Lage
der norddeutschen Seestädteam Rande
zwischenHöhe und
Niederungkommt
in den Straßennamen dadurchzum
Ausdruck, daßvom Abhang
der ersteren fastimmer
eine meist etwasgewundene
„Bergstraße" in die Unterstadt führt.
Aus
naheliegendenGründen
finden wir in derselben
Gegend
die Brunnen- oder Borngassenund
die Straßen „Bei den
Pumpen".
Oftwurden
diese Straßen in den nach der Flußaue laufenden Thälern angelegtund
hießen dann Gruben^wie die zahlreichen
Gruben
Lübecks.Außerordentlich zahlreich sind die Straßennamen, die bekunden, daß ihre Träger
—
fast ausnahmslos Straßen der alten, inneren Stadt-teile—
erst lange Zeit nach derGründung
der Stadt entstanden sind,und
daß an deren Stelle noch langeWald,
Weide, Gärten oder gar^) Näheres darüber siehe in
Lamprecht,
Deutsche Geschichte Bd. IV S.225.2) Vgl. die drei Steinwege Leipzigs. Die in Rede stehenden Hauptwege hießen innerhalb der Stadt „Gassen", in denVorstädten häufig „Steinwege", außer-halb der Stadt „Straßen".
') Plan von Stettin aus dem Jahre 1866 (Verl. von Nagel).
'*)
Gaedechens,
Topographie Hamburgs S. 245.Gewässer sich befanden.
An
stehende Gewässer erinnern dieTeich-und
Poolstraßen; anSümpfe Namen
wie Poggenpfuhl, Poggenmühle,Poggenburg,
Adebargasse i); an fließende Gewässer die BezeichnungenDepenau (Hamburg und
Lübeck), Kiesau (Lübeck),Mühlbach
(Kiel).Daß
nicht nur unmittelbar vor der Stadt, sondern auch innerhalb der-selben, besonders in solchen Gegenden, die derUeberschwemmung
aus-gesetzt waren, lange Zeit große Wiesenflächen bewahrt blieben, be-zeugen die Wiesen-und
Weidenstraßen, die Straßen an der Koppel, Große Bleichen u. s. w.Das Andenken
an den frühervom Hamburger Berg
bis in die jetzige innere Stadt hereinreichendenWald
lebt fort in der Straße, die denNamen
Eichholz führt ^).Von dem
ehemaligen Gartenreichtum der noch nicht übervölkerten Städte redenNamen
wie Gartenstraße, Langgartenund
Rosengarten; von diesen ist der letztere besonders bemerkenswert. H.Lemcke
sagt darüber indem
mehrfach erwähnten Aufsatz über die älteren Stettiner Straßennamen S. 21: „Nicht bloß bei Städten, sondern auch bei Dörfern findet sich häufig in derNähe
eine Gartenanlage oder ein Gehölz, das als Stelldichein verliebter Seelen aufgesucht wurde, auch in der Poesie vielfach besungen ist.Diese Gehölze heißen Rosengärten oder haben einen ähnlichen poetisch
anmutenden Namen,
wie Rosenthal, Rosenbusch u. a. Oft finden sich die Rosengärten auch innerhalb der Stadt, dann natürlich in derNähe
der Stadtmauer, denn für Gartenanlagen
und
dergleichenwar
nur dort Platz«.Zusammenfassung:
1. DieStraßennamen
dermodernen
Stadt-teile bieten wenig geographisch Interessantes, da sie meistEigen-namen
sind.2.
Von
den nach Berufsarten benannten Straßen haben viele in-sofern eine bestimmte Lage, als sie in derNähe
der Stadtperipherie verlaufen.3.
Von
den übrigen Straßennamen sind die hervorzuheben, die alte Grenzen der Stadt andeuten, die an die Höhenrandlage der be-sprochenen Städte erinnern, diedem
früher ländlichen Charakter der-selben ihrenUrsprung
verdankenund
endlich die, die besondere Merk-male der Straße selbst festhalten.^) Pogge
=
Frosch, Adebar=
Storch.^} In der südwestlichen Ecke der Neustadt.