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Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland hat Kulturpolitik einen ‚kulturstaat-lichen‘ Fokus mit der vorrangigen Aufgabe bekommen, traditionelle Künste zu fördern und zu erhalten. Demnach setzt Kulturpolitik bis in die 1960er Jahre einen engen Kulturbegriff (im Sinne von ‚Kunst‘) voraus, der vor allem um die klassischen Kulturbereiche wie Theater, Museen oder Oper aufgebaut ist (Klein 2009, 65). Dabei ist besonders der Gedanke eines Schutzes der Kulturfreiheit vor staatlicher Repression – der auf den Erfahrungen des Nationalsozialismus basiert – in der Gesetzgebung verankert. Dies ist auch darin begründet, dass Kunst und Kultur Gegenstände sind, „die ideologie- und konfliktfähig und daher immer durch staatliche Repressionsversuche gefährdet sind“ (Huster 2013, 111). Aus diesen Gründen findet die Kunstfreiheit besondere Berücksichtigung im Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art.5 III GG). Dabei handelt es sich um ein Abwehrrecht der Bür-ger_innen gegen staatliche Eingriffe.

Als Konsequenz der Gleichschaltung im dritten Reich herrscht in Deutschland seit der Nachkriegszeit auch ein „kooperativer Kulturföderalismus“ (Rytlewski 2000, 332). Die Gesetzgebung bezüglich kultureller Belange liegt beispielsweise in hohem Maße bei den Ländern und bildet damit das „Kernstück der Eigenstaatlichkeit der Länder“ (bpb o.D.). In der Praxis sind jedoch die Gemeinden die Hauptträger der „traditionellen Kulturpflege und –förderung“ (Rytlewski 2000, 332). Durch die Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung sind diese neben dem Erhalt der primären Versorgungsinfrastruktur auch dazu verpflichtet, bestimmte Kultureinrichtungen im Rahmen der Daseinsvorsorge bereitzustellen (Art.83 I

BayVerf). Der Großteil an Investitionen, Einrichtungen sowie der Fördertätigkeit im kulturellen Bereich (Theater, Museen, Sportvereine) findet allerdings im Zuge sogenannter freiwilliger Leistungen statt (Art.57 I BayGO, Art.83 I BayVerf). Dadurch entsteht ein Gefälle zwischen dem, was die Gemeinden de jure nach ihrer finanzpolitischen Kompetenz als Leistung angerechnet bekommen, und dem Aufgabenspektrum, welches sie de facto bewältigen müssen.

In den 1970er Jahren kommt neben dem protektionistischen Auftrag staatlicher Kultur-politik ein weiteres Aufgabenfeld durch eine stärkere Fokussierung auf aktive staatliche Fördertätigkeit hinzu. Seitdem hat Kulturpolitik auch den Anspruch, die Teilnahme an Kunst und Kultur möglichst integrativ zu gestalten und die Künste zu fördern. Daher liegt im Bereich der Förderung bis heute ein großer Teil der ordnungspolitischen als auch praktischen Politikarbeit (Wagner 2008, 22). Die Frage, welche Bereiche in welcher Art gefördert werden, hat dabei weitreichende Folgen für das Arbeits- und Lebensumfeld von Kulturschaffenden. Die Förderpraxis ist damit sowohl Spiegel von als auch Einflussnahme auf Trends, die oftmals weit über den Wirkungsbereich einzelner kulturpolitischer Maßnahmen hinausgehen.

Dieser Entwicklung zu einer aktiven Kulturförderung geht ein Wandel des staatlichen Kulturbegriffs voraus. Kultur wird seitdem in einer weiteren Begriffsbedeutung verstanden und stärker mit gesellschaftlicher Lebensweise konnotiert. Im Zuge eines Paradigmas der

‚Soziokultur‘ ist Kultur danach erstmals mit politischen Fragestellungen wie Demokra-tisierung, Integration oder sozialer Teilhabe verknüpft (Rytlewski 2000, 331). Aus dieser bisherigen Entwicklung des Problembereichs von Kulturpolitik ergibt sich bereits ein bis heute paradoxes Aufgabenfeld, das vor allem im vielschichtigen Kulturbegriff begründet ist. So soll Kulturpolitik zum einen die spezifische Lebensweise und Tradition der Gesellschaft bewahren und dabei möglichst aktiv durch Fördertätigkeiten Einfluss nehmen, zum anderen dient Kultur (im engeren Sinne als ‚Kunst‘) gerade dazu, eine fortwährende kritische Selbstreflexion der Gesellschaft zu ermöglichen, die möglichst frei von staatlichen Eingriffen sein soll (BT 2007, 49). Dadurch erzeugt bereits der reine Gegenstand der Kulturpolitik ein ständiges Spannungsfeld, was meist in sehr ambivalent ausgestalteten Richtlinien von staatlicher Seite mündet, die wenig Impulse für Veränderung setzen (vgl.

Haselbach 2013, 100).

Mit Beginn der 1980er Jahre gewinnen wirtschaftliche Aufgabenbereiche von Kulturpolitik zunehmend an Bedeutung. Kultur wird seitdem als wesentlicher Faktor für Tourismus sowie als Standortfaktor bewertet und mit dem ab Ende der 1990er Jahre aufkommenden Begriff der ‚Kultur- und Kreativwirtschaft‘ zum eigenen Wirtschaftszweig emporgehoben (vgl. Rytlewski 2000, 331). Damit setzt ein Wandel der deutschen Kulturpolitik ein, der bis

heute zu beobachten ist: Auf der einen Seite wachsen die Aufgabenbereiche von Kulturpolitik, gleichzeitig erfolgt im Zuge eines New Public Management ein Rückzug des Staates von einzelnen Aufgabenbereichen (Sievers, Föhl 2012, 21). Beispielsweise lässt sich eine Eindämmung der seit dem Aufkommen der Soziokultur bestehenden engen Verknüpfung von Kultur mit sozialpolitischen Aspekten wie Bildung beobachten. Auch werden immer mehr kulturpolitische Entscheidungen an nicht-staatliche Institutionen und Interessengruppen abgegeben (Klein 2009, 66). Dies ist besonders auffällig im Bereich der Kulturförderung. So zeigt sich seit dem Aufkommen eines weiten Kulturverständnisses als gesellschaftspolitisches Feld seit den 1970er Jahren eine Diskrepanz zwischen den wachsenden Aufgabenbereichen von Kultur (zum Beispiel kulturelle Bildung) und der Entwicklung staatlicher Fördertätigkeit für die Tragfähigkeit kultureller Schaffenskraft (Sievers, Föhl 2015).

Im Zuge des Paradigmas der unternehmerischen Stadt werden ab den 1990er Jahren immer mehr öffentliche Kultureinrichtungen (Theater, Museen, Veranstaltungshallen) betriebs-wirtschaftlichen Kriterien unterworfen und müssen sowohl operativ monetäre Erwartungen erfüllen, als auch damit einhergehend durch Marketingstrategien um die „knappe Ressource Aufmerksamkeit“ wetteifern (Wagner 2008, 17). Kultur im engeren Sinn von Kunst verliert dadurch immer öfter den Charakter des „interessenlosen Wohlgefallens“ (Neumann 2008, 10). Durch die Inwertsetzung von Kreativität im Zuge neoliberaler Marketingstrategien verliert Kunst auch ein Stück weit ihr gesellschaftliches Potenzial, bestehende Ordnungen infrage zu stellen: „Es waren die künstlerischen und ästhetischen Bewegungen seit dem Sturm und Drang und der Romantik, die […] Modelle und Praktiken der schöpferisch-kreativen Gestaltung von Objekten und des eigenen Selbst entwickelt haben. Was sich in der spätmodernen Kultur seit den 1970er und 80er Jahren vollzieht, ist nun eine bemerkenswerte Umkehrung: ein Umkippen von Ideen und Praktiken ehemaliger Gegen-kulturen in die Hegemonie“ (Reckwitz 2014, 10).

Neben dem bis heute andauernden Diskurs um den Wirtschaftszweig der Kultur- und Kreativwirtschaft erfolgt in jüngerer Zeit ein Rekurs auf die integrative Leistung kultureller Bildungsangebote, zum Beispiel unter dem Aspekt sozialer Teilhabe (vgl. Deutscher Städte-tag 2013, 1). Zum seit den 1990er Jahren wachsenden Rechtfertigungszwang, einen ökono-mischen Nutzen nachzuweisen, gesellt sich damit der Druck, dem Gütesiegel sozialer Arbeit gerecht zu werden. Dies gilt im Besonderen für Kulturangebote, die aufgrund ihrer nichtkommerziellen Ausrichtung von Förderprogrammen abhängig sind. Dieser Trend wird durch den parallel stattfindenden Abbau der sozialen Leistungen von öffentlichen Trägern verstärkt, wodurch ehemals soziale Aufgabenbereiche teilweise in das Kulturressort fallen,

gleichzeitig die kulturellen Belange selbst mehr zur Ware oder Dienstleistung verkommen und damit marktwirtschaftlich substituierbar werden (vgl. Dzudzek 2016, 147).

Ein weiterer aktueller Trend besteht in einer starken Ausrichtung von Kulturpolitik entlang von Leitlinien. Dies wird besonders deutlich an den zahlreichen Kulturentwicklungskon-zepten einzelner Bundesländer (vgl. Sievers, Föhl 2012). Der Freistaat Bayern hat bisher noch kein landesweites Kulturkonzept, jedoch hat die Staatsregierung im Jahr 2010 einige

‚Leitlinien der Bayerischen Kulturpolitik‘ veröffentlicht. Diese wurden jedoch aufgrund eines veralteten Kulturverständnisses mit einem zentralen Fokus auf das Bewahren von Brauchtum und als zu stark um die Landeshauptstadt hin ausgerichtet kritisiert (vgl.

Grabowski 25.04.16, 2). Im Jahr 2012 folgt ein ‚Bayerisches Kulturkonzept‘. Neben einem Schwerpunkt auf die Förderung regionaler Leuchtturmprojekte bleibt auch hierbei das zentrale Thema, welches bis heute alle landespolitischen Veröffentlichungen durchzieht, der Erhalt bayerischer Traditionen, kultureller Identität und Brauchtumspflege (vgl. ders., 3).

Auf kommunaler Ebene wird der bundesweite Trend konzeptbasierter Kulturpolitik vor allem durch die vielen laufenden Verfahren zur Kulturentwicklungsplanung deutlich, mit der strukturellen Problemen der kulturellen Infrastruktur begegnet werden soll (Scheytt, Krüger 2016, 9).

2.2 Von der Ordnung des Diskurses bis zur Eigensinnigkeit von