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B) Seed-Brushing

4.3.3 Kritischer Wert

In seinem Buch von 1910 beschrieb Partsch erstmals die Methodik der Zystektomie [48], die auch unter der Bezeichnung Partsch II bekannt ist.

Auch heute noch richtet sich die oralchirurgische Literatur [27, 45] nach seiner Empfehlung, die Zystektomie nur bei Zysten bis zu einem Durchmesser von 2 cm durchzuführen.

Aufgrund befürchteter Wundheilungsstörungen und Sekundärinfektionen, sei bei größeren Zysten die bereits 1892 beschriebene Zystostomie [47] indiziert. Erst durch Maßnahmen der Defektfüllung, die zeitgeschichtlich vom „Schulte-Koagulum“ [66] bis zu heutigen körpereigenen und körperfremden Augmentationsmaterialien reichen, konnte das Indikationsgebiet der Zystektomie erweitert werden.

Unter der Annahme einer kugelförmigen Gestalt mit einem Durchmesser von 2 cm beträgt das mathematisch errechnete Volumen 4,19 cm³. Der retrospektiv ermittelte Cut-off dieser Studie lag bei 3,21 cm³, welches wiederum einem Kugeldurchmesser von 1,83 cm entspricht. Anhand dieses vereinfachten Modells konnte die Aussage von Partsch, nur Zysten mit einem Durchmesser von maximal 2 cm geschlossen zu behandeln, bekräftigt werden. Der auf der Basis von CT-/DVT-Aufnahmen Computer-gestützt berechnete Wert von 1,83 cm stimmte näherungsweise mit dem kritischen Wert von 2 cm überrein. Demzufolge ist sowohl eine Orientierung an dem historischen Grenzwert von Partsch als auch an dem technisch bestimmten Cut-off-Volumen von 3,21 cm³ durchaus begründet und sinnvoll für die Therapieplanung.

Sicherlich dreht sich die Entscheidung durch die heutigen Möglichkeiten weniger um die Frage, ob eine Zystostomie oder Zystektomie durchgeführt wird. Heute wie auch in Zukunft

Diskussion 81 stellt sich die Frage: „Defektfüllung ja/nein“, wobei die genannten Werte eine gute Orientierung bieten können.

4.3.4 Zystenmorphologie

Das Cut-off-Volumen von 3,21 cm³ konnte sich mangels ausreichender Aussagekraft nicht als Leitlinie etablieren, jedoch lag die Überlegung nahe, die gewonnenen Erkenntnisse aus der Zystensegmentierung anderweitig zu nutzen. Aufgrund dessen, dass die Zyste bei ihrer Entfernung zumeist nicht in ihrer Kontinuität erhalten bleibt bzw. ihre Eröffnung Teil der Therapie ist, kann die virtuelle Gestalt neue Erkenntnisse in Bezug auf die Zystenmorphologie liefern.

Unter der Programmoption „Plan content“ konnte nicht nur das Zystenvolumen abgerufen werden, sondern es wurde die virtuelle Gestalt des eingezeichneten Objekts (cyst shap) dargestellt. Durch Rotation des Objekts konnte die Kieferzyste aus allen Perspektiven betrachtet werden, um so die genaue Morphologie der Zyste zu studieren. Wie bereits in Kapitel 2.4.1 beschrieben, konnte die Zystengestalt im Fenster „Overview“ zudem in die knöcherne oder röntgenologische Ansicht des Kiefers projiziert werden.

Bei der praktischen Durchführung der Volumenbestimmung für das untersuchte Patientenkollektiv zeichneten sich zystentypische Merkmale ab, die größtenteils mit den radiologischen Kennzeichen der drei analysierten Zystenarten übereinstimmten.

So stellte sich die plastische Morphologie der radikulären Zysten, wie auch röntgenologisch als Negativ beschrieben, zumeist als einkammrige runde bis tropfenförmige Struktur dar. Ihre größte Zirkumferenz lag im mittleren bis unteren Teil des Unterkieferkörpers. Die ins Lumen ragende Wurzelspitze konnte durch Rotieren des Objekts eindeutig erkannt werden.

Die Besonderheit der Gestalt von follikulären Zysten lag dagegen in dem haubenartigen Aufsitzen dieser Zystenart um die Krone retinierter Zähne. Diese tatsächliche klinische Situation konnte im OPT oder nativen CT/DVT nur vermutet werden, wohingegen dieses

Diskussion 82 Merkmal nach korrekter Zystenmarkierung anschaulich visualisiert werden konnte. Die folgenden Screenshots zeigen dieses Merkmal auf:

Abbildung 18: Follikuläre Zyste in der knöchernen Ansicht

Abbildung 19: Follikuläre Zyste in der radiologischen Ansicht

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Abbildung 20: Segmentierte follikuläre Zyste in der Koronaren

Die Keratozysten hingegen bildeten oftmals abstrakte vielgestaltige Zystenmuster verschiedenster Ausprägung. Durch die Mehrkammrigkeit der Zystenhöhle ähnelte die Morphologie einer wolkenartigen Struktur. Im Gegensatz zu radikulären und follikulären Zysten, die meist eine gleichmäßige Oberfläche zeigten, wies die Gestalt der keratozystisch odontogenen Tumoren Einschnürungen und Strikturen auf, die vermutlich das Resultat aus dem Wachstum von Satellitenzysten waren. Gerade Keratozysten, die sich ungehemmt im aufsteigenden Unterkieferast manifestiert hatten, ergaben nach Einzeichnung eine beeindruckende komplexe Gestalt.

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Abbildung 21: Keratozyste in der knöchernen Ansicht mit Weichteilsilhouette

Abbildung 22: Keratozyste im „Overview“

Nach Segmentierung und Interpolation der Zyste durch die Software können die Programmfenster in Form von Screenshots abfotografiert werden.

Diese Option gab Anlass für die Überlegung, dem Pathologen neben der Gewebeprobe auch einen Screenshot zur Verfügung zu stellen, der die Morphologie der Zyste vor ihrer

Diskussion 85 Entfernung zeigt. Die histologische Aufarbeitung der Operationspräparate ist zur Diagnosesicherung und vor allem zum Ausschluss des aggressiven keratozystisch odontogenen Tumors von großer Wichtigkeit. Unter Umständen liegen aber nur unzureichende Probenentnahmen oder ungenügende klinische Angaben der betroffenen Kieferregion vor. Diese lassen keinen eindeutigen Befund zu, sodass falsche Ergebnisse resultieren können. Die bildliche Übermittlung der Informationen über Morphologie und Lokalisation der Zyste könnte die Befunderhebung der Pathologen erleichtern und präzisieren, um Irrtümer zu vermeiden.

Histologisch ähneln sich die radikulären und die entzündeten follikulären Zysten, da sie mit Epithelproliferationen einhergehen, die auch in radikulären Zysten vorzufinden sind. Ohne klinische Angabe von Seiten des Chirurgen, ob und welche Zähne betroffen sind bzw.

welcher Kieferabschnitt in den zystischen Prozess involviert ist, ist eine Unterscheidung kaum möglich [27]. Der Screenshot könnte fälschliche Diagnosen dieser Zystenarten bei richtiger und adäquater Markierung vermeiden.

Ebenso können klinisch als follikulärer Genese verdächtigte Zysten histologisch auch Keratozysten darstellen. Dieser Irrtum kann dann auftreten, wenn sich unentdeckte Keratozysten mit dem Zahnsäckchen retinierter oder im Durchbruch befindlicher Zähne vereinen und sogenannte follikuläre Keratozysten entstehen lassen [27]. Da sich intraoperativ der Verdacht auf eine follikuläre Zyste erhärtet, sobald diese in Beziehung zum koronaren Anteil von Zähnen steht, kann ein keratozystisch odontogener Tumor in dieser Situation eventuell unerkannt bleiben.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass ein Screenshot hilfreich für die anschließende histologische Aufarbeitung des Präparates sein kann. Die Aussagekraft ist aus dem Grund so hoch, da der Screenshot viele wichtige Informationen gemeinsam übermittelt. Der Pathologe erhält auf einen Blick Auskunft über Größe und Volumen der Zyste, über ihre Gestalt sowie ihre Lokalisation im Knochen und darüber, ob und welche Zähne betroffen sind.

Diskussion 86 In Zukunft könnten Kieferzysten unter anderem durch einen Screenshot dokumentiert werden, um diesen zusammen mit der Gewebeprobe der Pathologie zur Verfügung zu stellen. Wird präoperativ keine Zystenmarkierung durchgeführt, kann die Segmentierung bei unklarem histopathologischen Befund auch nachgeholt werden, wenn die daraus gewonnenen Informationen zur Diagnosefindung beitragen. Der Vorteil liegt demzufolge darin, dem Pathologen ohne zusätzlichen Zeitaufwand einen präzisen Eindruck über die tatsächliche klinische Situation zu gewähren. Der Pathologe kann damit einen Bezug zwischen Probe und Patient herstellen.

Die Screenshots könnten zudem als permanentes Dokument mit in die Akte aufgenommen werden, da sie vor allem im Hinblick auf eventuell wiederauftretende Zysten Vergleiche bieten können und Beobachtungen des Rezidivierungsmusters zulassen.