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Kritische Diskussion der kognitivistischen Metapherntheorie Abgesehen davon, dass die biologische Fundierung schwierige Fragen aufwirft

Im Dokument Edition Politik (Seite 44-48)

1.4 h erMeneutische M etapherntheorie

1.5.2 Kritische Diskussion der kognitivistischen Metapherntheorie Abgesehen davon, dass die biologische Fundierung schwierige Fragen aufwirft

und die fließende Grenze zwischen dem, was physiologisch bedingt ist und dem, was kulturell bedingt ist, nicht thematisiert wird, besteht ein Haupt-problem der Metapherntheorie von Lakoff und Johnson in der mangelnden, über weite Strecken völlig fehlenden hisorisch-gesellschaftlichen Kontextua-lisierung ihrer Analyse (vgl. dazu u.a. Carver/Pikalo 2008, 3; Bidwell-Steiner 2009, 13). Zudem ignorieren sie in der Ausarbeitung ihrer Hauptaussagen

auch wesentliche Literatur, welche die in ihren Aussagen enthaltenen zentra-len Aspekte vorwegnimmt (z.B. die hermeneutische Metapherntheorie) und suggerieren einen bahnbrechenden Charakter ihrer Erkenntnisse, der in die-ser Form übertrieben ist. Die Theorie vom »embodied mind« wird als etwas genuin Neues und Revolutionäres präsentiert, etwa wenn die beiden Autoren die Einleitung folgendermaßen beginnen:

»The mind is inherently embodied. Thought is mostly unconscious. Abstract concepts are largely metaphorical. These are three major findings of cognitive science. More than two millennia of a priori philosophical speculation about these aspects of reason are over. Because of these discoveries, philosophy can never be the same again.« (Lakoff/

Johnson 1999, 3)

Problematisch ist zunächst der zentrale Stellenwert, welcher der neurobiolo-gischen Beweisführung eingeräumt wird. Dies gipfelt in dem Versuch, mit Hinweisen aus Studien über neuronale Funktionsmuster die »abendländi-sche Philosophie« in Bausch und Bogen »zu widerlegen« bzw. die Philosophie grundlegend zu verändern. Rekurse auf philosophische oder literaturwissen-schaftliche Metapherntheorien, die wesentliche Grundgedanken von Lakoff und Johnson bereits vorwegnehmen (Kohl 2007, 117), sind jedoch kaum zu finden. Die Rezeption antiker Philosophie, vor allem von Aristoteles, so Marlen Bidwell-Steiner, ist unvollständig, weil dabei nur ein Teil des Werks berück-sichtigt wurde, in dem es um die Metapher geht. Bei näherer Beschäftigung mit der kognitiven Metapherntheorie fänden sich erstaunliche Parallelen zu Aristoteles’ Kategorienlehre. So findet sich etwa in De Anima bereits die Idee, dass dem Nach-Denken über Wahrheit bzw. Wirklichkeit notwendig eine Vor-stellung, ein phantasma vorausgehen müsse (Bidwell-Steiner 2009, 12).

Die Interaktionstheorie, die das Hauptaugenmerk in der Betrachtung des metaphorischen Prozesses auf den »Austausch und Verkehr von Gedanken [...]

eine Transaktion zwischen Kontexten« (Ivor Richards, zit.n.: Bidwell-Steiner, 11) legt, nimmt Einiges, wenn auch nicht alles, von der kognitivistischen Meta-pherntheorie vorweg (ebd., 12). Die Prämisse, dass abstrakte Begriffe und Kon-zepte im Kern metaphorisch angelegt sind, findet sich zentral bei Blumenberg.

Die Tradition der Hermeneutik greifen Lakoff und Johnson jedoch ausschließ-lich ablehnend auf, im Dienste der Abgrenzung von bloßem »storytelling« (La-koff/Johnson 1999, 552). Zudem setzen sich mit der zentralen Prämisse, dass Körper und Geist, Verstand und Gefühl nicht zu trennen sind, bereits seit Jahr-zehnten verschiedene Traditionen feministischer Theorie auseinander. Auch das wird von Lakoff und Johnson nicht wahrgenommen. Feministische Embo-diment-Theorien, welche die genannten Dichotomien dekonstruieren, gibt es – insbesondere auch im anglo-amerikanischen Raum – in unterschiedlichen Varianten: Unter anderem das Konzept der Performanz bei Judith Butler, in

dem Identität und Körper performativ konstituiert werden (Butler 1993; 1991), oder das auf Erving Goffman (Goffman 2001) rekurrierende Konzept des doing gender bei Candace West und Don Zimmerman (1998). Auch Pierre Bourdieus Habitus-Konzept ließe sich als Embodiment-Theorie fassen (Bidwell-Steiner 2009, 14), es bezieht unbewusste Bewegungsabläufe und Haltungseinübun-gen mit ein, nach Maurice Merleau-Ponty »latentes Wissen« des Körpers (ebd.).

Zwar thematisiert vor allem Lakoff Geschlechternormen im Rahmen seiner Ausarbeitung der beiden dominanten »moralischen Modelle« in den USA, dem »strict father-Modell« und dem »nurturant parent-Modell«, und in den philosophiegeschichtlichen Ausführungen werden Genderkonnotationen mit-unter sogar in zugespitzter Form deutlich, dennoch bleiben Geschlechterhier-archien aus der Analyse ausgespart.

Lakoff und Johnson stellen nicht die Frage, warum diese Dichotomie für das abendländische Denken/die Philosophie so zentral waren und sind; die zu-grunde liegenden gesellschaftlichen Bedingungen bleiben ausgeblendet. Die gesellschaftliche Funktionalität dieser hierarchisierenden Trennungen wird nicht hinterfragt, und mit der mangelnden Einbeziehung eines gesellschaftli-chen Kontextes gehen auch historische Kontexte verloren. Mit anderen Worten:

Die Trennung und Hierarchisierung von Körper und Geist wird eher als Irr-tum gefasst, den die kognitivistische Metapherntheorie revidieren könne, und nicht als gesellschaftlich wirksame/systematisch Ungleichheit produzierende Struktur. Ungleichheitsstrukturen werden nicht wahrgenommen, die Analyse der Verwendung und Bewertung von Metaphern wird zudem nicht im Zusam-menhang mit historischen Entwicklungen gesehen. Die Hauptkritikpunkte an der kognitivistischen Metapherntheorie sind daher Ahistorizität und mangeln-de Kontextgebunmangeln-denheit.

Offen bleibt zudem, welchen Stellenwert Lakoff und Johnson der dichoto-mischen Anordnung per se einräumen, zuweilen scheint es, als ob zwar die Ausprägung der konkreten, prägenden Dichotomie zwar aus der Besonderheit kultureller Muster erwächst, aber die Tatsache, dass viele Schemata ganz ge-nerell von Dichotomien geprägt sind (sein müssen) als physiologische Bedin-gung, mithin als kulturübergreifend gefasst wären. Hier könnte das Einfalls-tor für eine Reifizierung von dichotomischen, meist auch genderkonnotierten Dualismen (Becker-Schmidt 1998, 89) liegen. Das Faktum der Zähigkeit und Langlebigkeit dieser Dichotomien erweist sich in der Perspektive der kogniti-vistischen Metapherntheorie in schwammiger Weise teils als (physiologisch begründeter) Irrtum, der durch exakte neurowissenschaftliche Erkenntnisse beseitigt werden kann20, teils als eine Art kulturellen Erbes, das aber nicht auf Gesellschaft und Geschichte rückgebunden wird.

20 | Dabei stützen sich Lakoff und Johnson, wie sie selbst einräumen, mehr auf verschiedene Hinweise aus empirischen Studien denn auf klare Erkenntnisse (vgl. Lakoff/Johnson 1999).

Dieser Punkt führt letztlich auf die unterschiedlichen Interpretationsmög-lichkeiten der Konzeption des Verhältnisses zwischen den physiologischen Bedingungen und kulturellen Ausprägungen zurück. Hier gibt es einigen Deutungsspielraum. Während in »Philosphy in the flesh« in sehr detaillierten Ausführungen über Schemata (primäre Metaphern) und ihre Kombination zu Konzepten (komplexe Metaphern) die Idee des verkörperten Geistes tatsäch-lich über weite Strecken als »regelhaft funktionierendes materielles System«

erscheinen lässt, wie Bidwell-Steiner festhält (Bidwell-Steiner 2009, 12), wird in »Metaphors we live by« Unabgrenzbarkeit und Zusammenspiel von phy-sischer und kultureller Erfahrung betont: Kultur und Physis, so Lakoff und Johnson, bieten viele mögliche Grundlagen für Metaphern. Welche der vielen Möglichkeiten gewählt werde, hänge von Kultur und kultureller Kohärenz ab (Lakoff/Johnson 1998/1980, 28). Dass bei Lakoff und Johnson »Körper« und

»Kultur« als nicht hinterfragbare Grundbegriffe genommen würden, wie Ru-dolf Schmitt kritisiert (Schmitt 2004), ist vor dem Hintergrund der Aussage, dass physische Erfahrung nur schwer von kultureller Erfahrung abgrenzbar sei, auch nicht plausibel.

Der Biologismusvorwurf geht in der Gesamtbetrachtung eher ins Leere, wenngleich sich in unterschiedlichen Passagen diesbezüglich Widersprüch-lichkeiten finden; die prinzipielle Hinterfragung der herrschaftsgenerieren-den Dichotomie von Körper und Geist sowie Imagination und Intellektion ist von der Stoßrichtung her21 produktiv.

Vieles an der kognitivistischen Metapherntheorie ist – trotz aller hier vorge-brachten Kritik – von bestechender Klarheit und für die empirische Arbeit sehr ergiebig (Bidwell-Steiner 2009, 12). Speziell die analytische Freilegung und Erfassung kohärenter metaphorischer Konzepte, die es ermöglicht, ansonsten unverbundene metaphorische Äußerungen in latente »Denklogiken« zusam-menzufassen, bietet in der Metaphernanalyse Möglichkeiten, die über diejeni-gen anderer Metapherntheorien hinausgehen. Deshalb greifen auch aktuelle Metaphernanalysen des politischen Diskurses sehr häufig die kognitivistische Metapherntheorie auf (vgl. u.a. Musolff 2004; Drulak 2004; 2008; Ringmar 2008; Vertessen/De Landtsheer 2008).

Vor dem Hintergrund einer kritischen Betrachtung dieses Ansatzes ist es jedoch wichtig, in der konkreten Anwendung die festgestellten Defizite der Ahistorizität und Vernachlässigung des Kontexts auszugleichen.

21 | Bidwell-Steiner weist auf die Gefahr hin, dass das Embodiment-Konzept als re-gelhaft funktionierendes Netzwerk zwischen sensorischem Apparat und kognitiv-neu-ronalen Responsen die Geschlechterdifferenz erst recht wieder essentialisieren kann (Bidwell-Steiner 2009, 13). Dieser Punkt verweist m.E. wieder auf die angesprochene generell inkonsistente Konzeptionalisierung des Verhältnisses zwischen »Kultur« und

»Physis«

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