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Inszenierung/Show

Im Dokument Edition Politik (Seite 146-149)

Variantenreich und unterschiedlich geframt sind Metaphern, die das Beitritts-prozedere als Inszenierung oder Show erscheinen lassen.

Teils kommt darin die von orientalistischen Elementen geprägte Wahrneh-mung zum Ausdruck, die der Türkei »Täuschen und Tarnen« unterstellt.

In einer Reportage mit dem Titel »die Eroberung des Paradieses« beschreibt Sebastian Heinzel eine so bezeichnete »Charmeoffensive« von Erdoğan, der

»das Paradies EU« erobern wolle als rühriges und gleichzeitig lächerliches Täuschungsmanöver, dem manche Zuhörerinnen dennoch auf den Leim gin-gen.

Das Paradies, das Erdogan erobern will, ist die EU. Wenige Tage vor der Entscheidung des Europäischen Rates, ob Beitrittsverhandlungen mit der Türkei eröffnet werden sol-len, hat die türkische Regierung eine Charmeoffensive gestartet. Mit der Eröffnung der drei niedlich kleinen Gotteshäuser, die vom großen Erdogan-Porträt locker überragt werden, soll publikumswirksam der Vorwurf entkräftet werden, dass in der Türkei religi-öse Minderheiten neben dem sunnitischen Islam keinen Platz haben. Erdogan, der das Pult erklimmt [...] zu den Klängen der EU-Hymne »Ode an die Freude«, predigt laut und vehement die Toleranz, und zwar allen Religionen und Menschen, ja sogar allen Tieren und Pflanzen gegenüber! Und als der beliebte Premier die Türkei als leuchtendes Bei-spiel für das friedliche Zusammenleben de Kulturen anpreist, bekommt so manche der Zuhörerinnen hinter der Absperrung feuchte Augen. Die Türkei ist europareif, ja Europa kann sogar von der Türkei lernen, lautet Erdogans Message. (Sebastian Heinzel, profil vom 13.12.2004)

Unschwer ist aus dieser Passage herauszulesen, dass der »Eroberer der EU«

durch sein rührseliges Schauspiel besonders gut Frauen hinters Licht führen könne, möglicherweise, so schwingt unausgesprochen mit, auch die EU.

In einem Format-Artikel mit dem Titel »Hält uns die Türkei zum Narren?«

fragt wiederum Christian Ortner, »ob das Ganze nicht eine Charade ist, die den EU-Beitritt ermogeln soll«, oder »ob der proeuropäische Kurs der türkischen Regierung [...] doch nur ein islamistischer Bluff« sei (Format vom 28.5.2004).

Immer wieder (wenngleich oft bloß zitierend) aufgegriffen werden zudem die Metaphern vom »Wolf im Schafspelz« oder vom »trojanischen Pferd« (pro-fil vom 20.3.2006, 13.12.2004, Lahodynsky/Ostenhof, 11.10.2004, Lahodynsky, 20.9.2004, 27.9.2004, Der Standard vom 14.5.2004). Im Fall des trojanischen Pferdes ist jedoch die Türkei lediglich ein Werkzeug der USA, also nicht selbst Agentin der Täuschung, die Metapher lässt sich als Indiz dafür lesen, dass sich die Türkei zunehmend im Konfliktfeld zwischen EU und USA befindet (Key-der 2004, 274). Die häufig auftauchende Metapher des Trojanischen Pferdes ist nicht selten von antiamerikanischen Tönen begleitet, in der Neuen Kronen Zeitung ist der antiamerikanische Impetus wiederum mit antisemitischen Codes verbunden, etwa indem »gewisse Kreise« an der »Ostküste« als angeb-liche Drahtzieher für die Schwächung Europas via Türkei-Beitritt vermutet werden.

Mindestens so häufig jedoch wird die Vorgangsweise der Akteure und Ak-teurinnen (auf EU-Ebene wie auf nationaler) in Bezug auf den Türkei-Beitritt

bzw. die Erweiterungspolitik allgemein als (meist misslungene) Inszenierung gefasst.

Als eine »Show«, die Erdoğan, Verheugen und Prodi »abgezogen haben«

und die »miserabel choreografiert« war (Michael Fleischhacker, Die Pres-se vom 25.9.2004), ein »würdeloPres-ses Schauspiel« (Georg Hoffmann-Osten-hof, profil vom 5.9.2005), ein »Kasperltheater« (Neue Kronen Zeitung vom 5.10.2004) oder ein »Eiertanz«, den man sich sparen solle, in dem man bei der Erweiterung den »Rückwärtsgang« einlege (Daniela Kittner, Die Presse vom 8.11.2006). Schüssel habe auf dem Gipfel von Kopenhagen die »Türkei-Num-mer« mit Blick auf die steirischen Wahlen abgezogen (Herbert Lackner, profil vom 10.10.2005) und die verhandelten schriftlichen Zusätze im Beschluss über die Aufnahme der Verhandlungen als »Happy End des ’Thrillers’« gefeiert (Eva Linsinger/Barbara Tóth, Der Standard vom 5.10.2005).

Die im Vergleich mit anderen EU-Ländern überdurchschnittlich große Skepsis der österreichischen Bevölkerung gegenüber einem Türkei-Beitritt lie-ge an einer »Bildstörung«, also an einem »lie-gestörte[n] Bild der modernen Tür-kei«, in dem nur die hiesigen, aus ärmeren und religiöser geprägten Gebieten stammenden Migrantinnen und Migranten als typisch für die Türkei wahrge-nommen würden (Josef Barth und Gernot Bauer, profil vom 11.10.2004).

Die Türkei sei für die USA eine »westöstliche Probebühne«, »auf der die zentrale weltanschauliche Auseinandersetzung dieses Jahrhunderts studiert werden kann« (Christoph Winder, Der Standard vom 17.12.2004).

In Umdeutung des für Stereotypen des Orientalischen stehenden »Tar-nens und Täuschens« wird hier den EU-Eliten bzw. nationalen Politikern und Politikerinnen vorgeworfen, die Bevölkerung zu täuschen. Als »Schleiertanz«

bezeichnet Corinna Milborn das Klammern der konservativen Politikerinnen und Politiker an die »privilegierte Partnerschaft«, »als könnten sie damit ver-schleiern, dass sie nicht mit den Folgen ihrer leeren Versprechungen umge-hen könnten« (Format vom 2.9.2005). »Tarnen, Täuscumge-hen und Verschleiern«

wirft auch Gerfried Sperl den österreichischen Politikerinnen und Politikern vor (Der Standard vom 14.6.2005). Und »Rosstäuschertricks« sieht im gleichen Zusammenhang Christoph Prantner (Der Standard vom 5.9.2005).

Interpretation

Zusammenfassend lassen sich zwei Typen von Szenarien ausmachen. Einer-seits sind es türkische Akteure (z.B. Premierminister Erdoğan) bzw. die Türkei als Quasiperson, welche die (Quasiperson) EU oder einzelne Akteure und Ak-teurinnen der EU täuschen wollen. Andererseits sind es die EU-Eliten, welche die EU-Bevölkerung hinters Licht führen wollen.

Dort, wo der Türkei »Tarnen und Täuschen« unterschoben wird, klingen orientalistische Elemente an. Anstatt zweckrationaler Motive – wie eine mög-lichst positive Selbstdarstellung der Türkei – wird eine (orientalische) Neigung

zum Verschleiern und Verbergen unterstellt. Das Gendering der türkischen Akteure und Akteurinnen oszilliert dabei zwischen Effeminierung/der Zu-schreibung von »Falschheit« und Irrationalität einerseits und Attribuierung von Despotie, Machismus und Irrationalität andererseits.

Das Vorkommen von Metaphern um Performance/Show im EU-Kontext ist auch bei Musolff dokumentiert (Musolff 2004, 12), wenngleich in recht gerin-gem Ausmaß. Belegstellen für diese Metaphorik finden sich in insgesamt 20 Texten, sie sind argumentativ sehr unterschiedlich gerahmt.

Im Dokument Edition Politik (Seite 146-149)