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Die Krönung der Kaiserin im Heiligen Römischen Reich der Frühen Neuzeit

Im Dokument Die Kaiserin (Seite 66-158)

Aus einer engen juristischen Sicht, das hat die Überschau der reichspublizistischen Dis-kussionen eindeutig ergeben, stellte die Kaiserinnenkrönung keinen relevanten Akt dar – seit den frühmittelalterlichen Anfängen resultierte der Status als Kaiserin aus dem der Ehefrau respektive Witwe des Kaisers. Ihre Krönung beruhte ebenfalls auf dem Willen des Kaisers, seiner Gemahlin Weihe und Salbung zukommen zu lassen. Diese Konstellation beschreibt freilich nicht die Wirkmächtigkeit und Relevanz des Rituals selbst, wie sich das auch für die Krönung des Kaisers erkennen lässt. Spätestens seit der Fixierung des Wahl-königtums mit der Goldenen Bulle verlor diese gegenüber der Wahl an Gewicht1 – der Kaiser war Kaiser im Moment der Postulation durch die Kurfürsten. Trotzdem blieb es bis zum Ende des Reiches undenkbar, dass ein gewählter Kaiser ohne die Sakralisierung durch eine Krönung regierte2. Bis 1452 fanden daneben regelmäßig Krönungen von Königinnen und Kaiserinnen statt, und 1612 wurde die Tradition wieder aufgenommen – aber wie sah eine Kaiserinnenkrönung in der Neuzeit überhaupt aus und welche Funktionen erfüllte sie für das Reich?

Ein Blick auf die Forschungsgeschichte zeigt, dass es auf der einen Seite für die Beant-wortung dieser Fragen relevante Vorarbeiten gibt, die in erster Linie den Ablauf der Krö-nung des Königs bzw. Kaisers betreffen. Beim KröKrö-nungsritual handelte es sich allerdings nicht um einen einzelnen Akt, sondern um eine ganze Ritualsequenz, mit der Thronwech-sel und Herrschereinsetzung symbolisch-rituell gestaltet und damit zugleich Verfassungs-verhältnisse sichtbar gemacht und bestätigt wurden3. Zentral waren dafür der Akt der Sal-bung mit einem geweihten Öl sowie der des Aufsetzens der Krone, aber diese wurden in eine ganze Folge damit verbundener weiterer Schritte eingebunden. Der Darstellung dieses 1 Hoke, Limnaeus, 123f.; Sellert, Krönung und Krönungsrecht, 27f.; Stollberg-Rilinger, Die Puppe Karls des Großen, 48; Rudolph, Kontinuität und Dynamik, 379, 387–388; zum Spätmittel-alter Büttner, Weg zur Krone, 49, 699–780.

2 Stollberg-Rilinger, Die Puppe Karls des Großen, 49–51, 67. Dazu auch HHStA, RK WuK 65, fol. 149r/v: Johann Joseph Khevenhüller-Metsch an Franz Stephan von Lothringen, 28.08.1745, Frankfurt: Letzterer sei „ipso facto rex romanorum“ in dem Moment, in dem er gewählt worden sei und die Wahlkapitulation unterschrieben habe. 1711 allerdings beharrten die Kurfürsten darauf, dass der Kaiser erst nach der Krönung im Reich regierungsfähig sei, siehe Arneth, Eigenhändige Korrespondenz, 210f.

3 Stollberg-Rilinger, Ritual, 90f.

komplexen Ablaufs sind für die Krönung des Kaisers selbst zuletzt mehrere Studien ge-widmet worden, die im Kontext eines „cultural turn“ in den historischen Wissenschaften neue Ansätze für die politische Geschichte und die Verfassungsgeschichte der Frühen Neu-zeit fruchtbar zu machen suchten. Mediengeschichtliche Zugriffe4 wurden dabei ebenso praktiziert wie praxeologische5. Rituale6 und Zeremoniell wurden neu gelesen und in ihrer Funktionalität beurteilt7, auch und gerade in Hinblick auf das Heilige Römische Reich.

Über die Bedeutung und die konkrete Ausformung des Krönungsrituals im Heiligen Römischen Reich haben sich für das späte Mittelalter zuletzt Andreas Büttner, für die Frühe Neuzeit Harriet Rudolph und vor allem Barbara Stollberg-Rilinger geäußert. Ge-rade sie hat deutlich gemacht, welche Rolle Königswahl und -krönung als „verfahrens-technische und symbolische Mitte der ganzen Reichsordnung“8 spielten. Obwohl die Bedeutung des Wahlaktes für das frühneuzeitliche Reich bereits von zeitgenössischen Ju-risten und der späteren Verfassungsgeschichte als zentral eingeschätzt wurde, betont Stoll-berg-Rilinger die Relevanz auch der Krönungssequenz selbst. Erst beide Akte gemeinsam bildeten eine vollständige Herrschaftsübertragung: Der Wahlakt und die Proklamation durch die Kurfürsten wurden durch rituelle Sequenzen ergänzt, die diese Entscheidungen sakralisierten, damit gleichzeitig die Autorität des Gewählten festigten und die Person des-selben dem Reich (in Form der Anwesenden) vor Augen führten9.

Mit der rituellen Bedeutung der Krönung als Einsetzungsritual war jedoch noch ein zweiter Aspekt verbunden: Als symbolische Mitte der Reichsordnung fungierte sie nicht zuletzt deshalb, weil in zahlreichen Elementen, vor allem mit der zeremoniellen Ausgestal-tung des Zuges zur Kirche, der Sitzordnung in der Kirche, des Zuges zum abschließenden Mahl und der Sitzordnung dort, zugleich die Ordnung des Reiches vermittelt und konsti-tuiert wurde. Dabei ging es um die Darstellung der Kurfürsten als „Säulen des Reiches“10 ebenso wie um die Rangfolge der anderen Fürsten. So wurde im Ablauf der Krönung in vielfältiger Weise die Ordnung der Beteiligten und deren Handeln in einem institutionel-len Gefüge reproduziert11.

Hier wird nun danach zu fragen sein, ob und inwieweit dies auch bei den sechs Krö-4 Z. B. Arndt, Herrschaftskontrolle; Haug-Moritz, Reich; Telesko, Meta-Medien.

5 Z. B. Neu/Sikora/Weller, Zelebrieren; Füssel, Praxeologische Perspektiven.

6 Muir, Rituals; Brosius/Michaels/Schrode, Ritualdynamik; Martschukat/Patzold, Perfor-mative turn; Stollberg-Rilinger, Ritual.

7 Z. B. Stollberg-Rilinger, Des Kaisers Kleider; Dies., Die Puppe Karls des Großen; Dies., Spek-takel der Macht; Rudolph, Reich als Ereignis.

8 Stollberg-Rilinger, Des Kaisers Kleider, 172.

9 Stollberg-Rilinger, Des Kaisers Kleider, 176.

10 Gotthard, Säulen des Reiches.

11 Stollberg-Rilinger, Ritual, 95.

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nungen von Kaiserinnen zwischen 1612 und 1742 der Fall war. Aufmerksamkeit hat die Forschung bislang eher mittelalterlichen Beispielen geschenkt – Andreas Büttner berück-sichtigte sie in seinem Überblick am Rande, und Amalie Fößel und Claudia Zey haben sich dezidiert der Krönung von Königinnen und Kaiserinnen gewidmet12. Für die Frühe Neuzeit gibt es eine nennenswerte Zahl von Studien zur Krönung des Kaisers, wobei al-lerdings die des 16. und des 18. Jahrhunderts erheblich größere Aufmerksamkeit gefunden zu haben scheinen als die des 17. Jahrhunderts13. Die Krönung von Kaiserinnen in der Frühen Neuzeit jedoch war bislang lediglich Gegenstand dreier Aufsätze – zuletzt hat sich Harriet Rudolph an einem Überblick für das 17. Jahrhundert versucht – und wurde in einigen umfassenderen Darstellungen am Rande berücksichtigt14. Insofern wird im Fol-genden in vieler Hinsicht Neuland betreten, zumal das Bild ganz wesentlich auf der Basis von zeitgenössischen Quellen gezeichnet werden soll.

Barbara Stollberg-Rilinger hat die frühneuzeitliche Krönung der Kaiserin insofern von der Königskrönung abgehoben, als sie letztere als „Inszenierung der exklusiven Stellung des Kurfürstenkollegs“, die der Kaiserin aber als „Inszenierung der kaiserlichen Hofgesell-schaft“ bezeichnete15. Harriet Rudolph dagegen hat 2011 generell auf die Relevanz der Krönung für die Legitimierung kaiserlicher Herrschaft abgehoben, dies aber für 1612 allein auf die Positionierung der Kurfürsten zur Krönung bezogen. Sie ging davon aus, dass die Krönung der Kaiserin als „Aufführung des Reiches“16 zu gelten habe und ungeachtet ihrer rituell reduzierten Ausführung ebenso wie die des Kaisers Gelegenheit war, die grundle-gende Ordnung des Reiches zu vergegenwärtigen. Zuletzt betonte sie allerdings vor allem die sakralen Dimensionen der Kaiserinnenkrönung, die wie die des Kaisers das Reich als christliche Gemeinschaft erfahrbar gemacht habe.

Es ist unzweifelhaft, dass höfische wie sakrale Elemente die Kaiserinnenkrönung der Frühen Neuzeit mitprägten. Im Fokus des folgenden Kapitels soll jedoch vor allem die 12 Fößel, Königin, 17–49; Zey, Imperatrix; Büttner, Weg zur Krone.

13 Berbig, Krönungsritus; Dotzauer, Thronerhebung; Hattenhauer, Wahl und Krönung; Hei-denreich/Kroll, Wahl und Krönung; Brockhoff/Matthäus, Kaisermacher; Koch/Stahl, Karl VII.; Macek, Joseph II.; Matsche, Kaiserkrönungen; Pelizaeus, Zeiten des Umbruchs;

Poggel, Krönungen; Rudolph, Kontinuität und Wandel; Dies., Herrschererhebung; Dies., Reich als Ereignis, 256–331; Sellert, Krönung und Krönungsrecht; Steinicke/Weinfurter, Krö-nungsrituale.

14 Rudolph, Krönung; Fühner, Kaiserinnenkrönung; Götzmann, Realität; Stollberg-Rilinger, Des Kaisers Kleider, 190–193; Rudolph, Reich als Ereignis, 288–294; Berbig, Krönungsritus, 680–684; Wanger, Kaiserwahl, 161–165.

15 Stollberg-Rilinger, Des Kaisers Kleider, 190. Dieser folgend auch Götzmann, Realität, 353.

16 Rudolph, Reich als Ereignis, 288; Dies., Krönung, 309, 337, 339. Stollberg-Rilinger, Die Puppe Karls des Großen, 60, 64.

Frage stehen, wie die Krönungen das Verhältnis von Kaiserin und Reich reflektierten. Da-bei wird davon ausgegangen, dass auch in der Kaiserinnenkrönung Elemente der Reichs-verfassung realisiert wurden. Dazu zählten etwa das Recht des Kaisers, seine Gemahlin krönen zu lassen, das Krönungsrecht des Konsekrators sowie die Rechte von Kurfürsten und Inhabern von Erzämtern des Kaisers wie der Kaiserin, im Ritual in Erscheinung zu treten. Gleiches gilt für die angesprochenen Elemente symbolischer Ordnungsstiftung wie den Zug in die Kirche, die Sitzordnung ebendort sowie beim Mahl usw.

Um diesen verschiedenen Dimensionen und damit der Frage nach der Weiterentwick-lung der Krönungstradition für Kaiserinnen in der Frühen Neuzeit nachgehen zu kön-nen, sind mehrere Aspekte zu behandeln. Zuerst soll es um die Krönung als Ritualsequenz selbst gehen, indem vor dem Hintergrund mittelalterlicher Traditionen nach dem genauen Ablauf gefragt wird. Dadurch werden Akteure des Rituals ebenso in den Blick genom-men wie symbolische Digenom-mensionen und neben dem Bezugsrahgenom-men Reich bzw. kaiserliche Herrschaft auch die rituelle Umsetzung der Geschlechterordnung angesprochen. In einem zweiten, umfangreicheren Teil wird dann die Funktionalität von Kaiserinnenkrönungen im konkreten politischen Umfeld wie als Aufführung des Reiches zu beschreiben und ge-nauer nach dem Verhältnis von Tradition und Wandel zu fragen sein.

Der rituelle Ablauf

Traditionen: Die Krönung im Mittelalter

Schon seit den Anfängen der karolingischen Kaiserherrschaft können immer wieder Krö-nungen von Kaiserinnen nachgewiesen werden – im Heiligen Römischen Reich zuerst für Adelheid von Burgund, die Gemahlin Ottos I., die ebenso wie dieser selbst 962 in Rom gekrönt wurde17. Für diesen Akt ist auch der erste Ordo fixiert worden; wie alle mittel-alterlichen Ordines enthält er im Wesentlichen die Gebete, die während der wichtigsten Schritte im Ritual für die Königin bzw. Kaiserin gesprochen wurden18. Ihr Wortlaut wies bis ins 15. Jahrhundert nur geringfügige inhaltliche Modifikationen auf, wie nicht zuletzt der spätmittelalterliche Ordo aus der Zeit um 1325 dokumentiert19.

In diesen Weihegebeten spielten Bezüge zu alttestamentarischen Frauengestalten als Verkörperungen von Tugenden eine große Rolle: Judith stand für Tapferkeit, die die 17 Fößel, Königin, 19; Zey, Imperatrix, 5–17; Hartmann, Königin.

18 Zey, Imperatrix, 26–28; Stollberg-Rilinger, Ritual, 97f. Der Ordo bei Elze, Ordines, 6–9.

19 So (im Unterschied zu Fößel und älterer Literatur) Büttner, Weg zur Krone, 152. Der Wortlaut siehe Elze, Ordines, 122–124; Pertz, Constitutiones, 390–392.

Traditionen: Die Krönung im Mittelalter 69

Schwachheit des weiblichen Geschlechtes überwindet, Sarah, Rebekka und Lea für ehe-liche Fruchtbarkeit20, Esther für die weise Teilhabe an kaiserlicher Herrschaft. Im dritten Gebet, das die Salbung begleitete, wurde diese äußere Salbung bildhaft für die innere, die dem Seelenheil der Kaiserin dienen sollte, beschrieben, und im vierten Weihegebet wurde Bezug genommen auf Gold und Edelsteine der Krone als Sinnbilder für Weisheit und Tugenden der Kaiserin21.

Dabei ist als ein signifikanter Unterschied zur frühneuzeitlichen Krönung festzuhalten, dass bis 1452 alle Kaiserinnenkrönungen – wie die der Kaiser – in Rom stattfanden. Trotz-dem gab es auch Krönungen auf Trotz-dem Gebiet des Reiches, da sich seit Beginn des 11. Jahr-hunderts der Brauch einbürgerte, die Gemahlin des neugewählten Königs mit diesem ge-meinsam in Aachen zu krönen. Wiederholt wurden bei Wiederverheiratung regierender Könige und Kaiser nach der Hochzeit auch die neuen Ehefrauen gekrönt22; abhängig von der politischen Situation oder der Lebensdauer kam es bis 1452 jedoch bereits vor, dass Königinnen ungekrönt blieben. Typisch war dabei seit Königin und Kaiserin Kunigunde im 11. Jahrhundert, dass die Gemahlin des Herrschers einmal im Reich zur Königin und später in Rom zur Kaiserin gekrönt wurde23. Allerdings lässt sich beobachten, dass im Spät-mittelalter gemeinsame Krönungen in Rom seltener wurden, obwohl sich die Zahl der er-haltenen Ordines für die Krönung sichtbar erhöhte24. Dafür dominierte im Reich selbst nach 1273 die gemeinsame Krönung des Herrscherpaares in Aachen25. Die rückläufige Zahl von nachträglichen Krönungen, wenn eine Königin verstorben oder der Herrscher bei der Wahl unverheiratet gewesen war, deutet wohl darauf hin, dass seit dem Hochmittelalter die Relevanz der Königinnenkrönung im Schwinden begriffen gewesen sein könnte26.

Nach den Ordines und den wenigen erzählenden Quellen ergibt sich folgendes Bild vom Ablauf der Krönung im mittelalterlichen Reich27: Sie erfolgte in der Mehrzahl der Fälle im direkten Anschluss an die Thronsetzung des Königs. Dabei war die Königin schon beim Eintritt in die Kirche gesegnet und ein Weihegebet über sie gesprochen worden. Ein 20 Zum Konnex zwischen ehelicher Fruchtbarkeit und Königinnenweihe siehe etwa Zey, Imperatrix, 10f.; Laynesmith, Fertility Rite, 53; Kosior, Becoming a Queen, 122; zu Judith als Referenzfigur zuletzt Telesko, Druckgrafische Produktion.

21 Siehe Elze, Ordines, 7–9; Zey, Imperatrix, 26f.; Kasten, Krönungsordnungen, 261f.; Fößel, Po-litical Traditions, 70–72.

22 Fößel, Königin, 31, 35–42; Zey, Imperatrix, 48–50.

23 Fößel, Königin, 20; Zey, Imperatrix, 29f.; Jung/Kempkens, Gekrönt auf Erden.

24 Zey, Imperatrix, 40f.

25 Fößel, Königin, 41; Büttner, Weg zur Krone, 445f.

26 Büttner, Weg zur Krone, 692f.

27 Büttner, Weg zur Krone, 145, 152f. (dort auch zu einzelnen Krönungen ab 1298); Fößel, Königin, 44–46.

weiteres Gebet folgte am Altar während der Prostratio28, dann schloss sich die Salbung auf der Brust durch den Konsekrator an, den Kurfürsten von Köln bzw. von Mainz, die der Königin sakrale Würde verlieh. Den eigentlichen Krönungsakt, das Aufsetzen der Krone29, als Zeichen der Würde und Sinnbild von Weisheit und Tugenden nahmen dann die drei geistlichen Kurfürsten gemeinsam vor. Schließlich wurde das Salböl wieder entfernt. Ein Te Deum laudamus schloss den gemeinsamen Ritus für König und Königin ab. Über die genaue Verleihung von weiteren Insignien wie des Szepters sagen mittelalterliche Quellen nichts. Sicher ist, dass die Königin keinen Eid leistete, wie der König, und dass ihr die Thronsetzung auf dem Stuhl Karls des Großen in Aachen verwehrt blieb30.

Man darf davon ausgehen, dass sich der sukzessive Wandel des spätmittelalterlichen Reiches hin zu einer Wahlmonarchie nicht nur in der rückläufigen sakralen Relevanz der Krönung des Königs31 niederschlug. Der Umstand, dass diese in der Goldenen Bulle zwar an verschiedenen Stellen angesprochen wurde, aber kein eigenes Kapitel erhielt, deutet auf einen Bedeutungsverlust im Rahmen der Herrschererhebung hin, auf den eingangs bereits hingewiesen wurde32. In der Frühen Neuzeit belegt dies auch der Umstand, dass im Gegen-satz zum Mittelalter sowohl für den König wie die Königin jeweils nur eine Krönung im Heiligen Römischen Reich selbst stattfand. Zudem trugen natürlich konfessionelle Span-nungen dazu bei, dass die eigentliche Kaiserkrönung in Rom durch den Papst nicht mehr praktiziert wurde33.

De jure wäre also sowohl für den Kaiser wie die Kaiserin eigentlich davon auszugehen, dass es seit dem 16. Jahrhundert keine kaiserliche Krönung mehr gab, sondern „nur“ die Wahl bzw. Krönung zum König bzw. eine Krönung der Königin. Elemente von Wahl, Kö-nigs- und Kaiserkrönung schoben sich in der Frühen Neuzeit aber so ineinander, dass sie de facto als eine Handlungssequenz betrachtet wurden34. Im Falle einer Wahl und Krö-nung des präsumtiven Nachfolgers zu Lebzeiten des Kaisers – „vivente imperatore“35 – be-anspruchte dieser den Titel „König“ und folgte nach dem Tod des Vorgängers nahtlos als 28 Das ausgestreckte Sich-Niederwerfen vor dem Altar war Bestandteil vieler Weiherituale und ist es bis heute bei der katholischen Priesterweihe. Zum Begriff Höfer/Rechner, Lexikon, Bd. 8, 814;

siehe auch Kosior, Becoming a Queen, 83.

29 Um welche Krone es sich dabei handelte, ist nie mit Sicherheit erkennbar. Immerhin gibt es Indi-zien, die dafür sprechen, dass Anna von Schweidnitz 1350 in Aachen mit der Reichskrone gekrönt wurde, siehe Büttner, Weg zur Krone, 394f.

30 Fößel, Königin, 45f. Zur Relevanz des Krönungseides Stollberg-Rilinger, Ritual, 103f.

31 Büttner, Weg zur Krone, 145–154. Zu den Krönungen allgemein siehe auch Rogge, Könige.

32 Siehe oben Anm. [1] und Stollberg-Rilinger, Die Puppe Karls des Großen, 50, 67.

33 Dotzauer, Thronerhebung, 15f.

34 Stollberg-Rilinger, Die Puppe Karls des Großen, 47f.; Dotzauer, Thronerhebung, 13.

35 Dotzauer, Thronerhebung, 16; Neuhaus, Königswahl.

Der Ablauf der Krönung 71

Kaiser nach. Für die Gemahlinnen der Kaiser war das nur in einem einzigen Fall relevant, als nämlich Maria Anna, die Gemahlin des gerade gewählten Königs Ferdinand III., 1637 noch zu Leb- und Regierungszeiten von Ferdinand II. und seiner Gemahlin Eleonora Gon-zaga gekrönt wurde. Alle anderen Krönungen erfolgten nach Antritt der (kaiserlichen) Re-gierung im Reich – insofern bleibt es gerechtfertigt, auch für die Frühe Neuzeit von der Kaiserinnenkrönung zu sprechen.

Der Ablauf der Krönung

Im Vergleich zur mittelalterlichen Überlieferung ist die Quellenlage zum konkreten Ab-lauf der Ritualsequenz für das 17. und 18. Jahrhundert deutlich reichhaltiger. Auch wenn Krönungen der Könige und Kaiser weiterhin wesentlich umfassender dokumentiert wur-den, verfügen wir doch für jede der sechs neuzeitlichen Krönungen von Kaiserinnen über mehrere gedruckte und ungedruckte Beschreibungen und zum Teil über Material, das die Organisation und Planung zumindest in einzelnen Facetten beleuchtet.

Jenseits dieser erwartbaren Differenz fällt im Vergleich zur mittelalterlichen Tradition vor allem auf, dass es weder am kaiserlichen Hof noch im Mainzer Erzkanzlerarchiv einen Ordo gab: Für die Wiederaufnahme der Kaiserinnenkrönung im Jahr 1612 wurde kein eigener Ordo formuliert, und es ist nicht ersichtlich, dass in Vorbereitung derselben ältere Niederschriften konsultiert worden wären. Allerdings erwähnt die in der Mainzer Erzkanzlei entstandene Beschreibung der Krönung von 1612 ein „blawes buch“36, dem die Texte der Gebete entnommen worden seien. Durch diese Texte lässt sich die An-gabe präzisieren, entstammen sie doch eindeutig dem 1595 gedruckten „Pontificale Ro-manum“ Papst Clemens‘ VIII. Für die Krönungen von 1630, 1690 und 1742 wurde dieses als Basistext explizit erwähnt37.

Während aber beispielsweise für die Krönung von Kaiser Matthias 1612 ältere Beschrei-bungen gesucht und genutzt wurden38, ist für Kaiserin Anna nicht nachzuweisen, dass man 36 MEA WuK 10, fol. 36r, 38r/v.

37 MEA WuK 16, fol. 76r: „Den actum coronationis betreffent würdet derselbe nach anweisung deß pontificals von dem herrn consecratore vndt clerisey verrichtet …“. Für 1690 siehe StAN, Rep. 67 Nürnberg, Krönungsakten Nr. 36, fol. 221r: Die Nürnberger Krongesandten melden, dass das Amt

„wie es das bekannte Pontificale Romanum vermag“ gehalten worden sei. Für 1742 siehe RK, WuK 44: Diarium Trier, unpag. Bericht über Krönung der Kaiserin vom 8.03.1742. Siehe auch Struve, Corpus Iuris publici, 568.

38 Siehe MEA WuK 10, fol. 553r, 554r/v, März 1612, Ausfertigung bzw. Konzept: Zwei Schreiben ma-chen deutlich, dass man sich im Vorfeld der Wahl bzw. Krönung ältere Beschreibungen zunutze machte – aus der Mainzischen Kanzlei überschickte man „das buch electionum et coronationum

eine Kontinuität in ritueller Hinsicht durch Rückgriff auf spätmittelalterliche Vorschriften anstrebte. Dass die mittelalterlichen Ordines die Königinnen- bzw. Kaiserinnenkrönung immer in Verbindung mit der des Kaisers darstellten und sich nahezu völlig auf liturgi-sche Texte konzentrierten, lässt dies auf den ersten Blick plausibel liturgi-scheinen, wurde doch die Kaiserin 1612 eben in einer eigenen Sequenz gekrönt. Sicherlich war zu Beginn des 17. Jahrhunderts kaum präsent, dass dies durchaus (hoch-)mittelalterlichen Traditionen entsprach, hatte doch, wie oben bereits angedeutet, im Spätmittelalter die gemeinsame Krönung des königlichen Paares dominiert.

Das Pontificale Romanum enthält dabei drei Varianten des Ablaufs für eine Königin-nenkrönung39: für den Fall, dass diese direkt im Anschluss an die Königskrönung statt-fand, für den Fall einer eigenständigen Krönung für die Gemahlin eines Königs sowie den der Krönung einer Königin aus eigenem Recht, also einer Erbtochter40. Für die Krönung einer Kaiserin aber existiert keine direkte Anweisung – deren Unterscheidung von der einer Königin wurde seit 1612 dadurch im Ritual abgebildet, dass man Elemente aus zwei

Das Pontificale Romanum enthält dabei drei Varianten des Ablaufs für eine Königin-nenkrönung39: für den Fall, dass diese direkt im Anschluss an die Königskrönung statt-fand, für den Fall einer eigenständigen Krönung für die Gemahlin eines Königs sowie den der Krönung einer Königin aus eigenem Recht, also einer Erbtochter40. Für die Krönung einer Kaiserin aber existiert keine direkte Anweisung – deren Unterscheidung von der einer Königin wurde seit 1612 dadurch im Ritual abgebildet, dass man Elemente aus zwei

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