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Kopfbedeckungen Eine Würdigung der Frauenkopfbedeckungen

Im Dokument und er (Seite 110-121)

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5. Kopfbedeckungen Eine Würdigung der Frauenkopfbedeckungen

des Untersuchungszeitraums bedeutet ein weite-res Mal den Versuch, Bild- und Schriftquellen in ihren verschiedenen Aussageformen in Einklang zu bringen. Einer Fülle von Einzelformen und Trageweisen von Hauben, Baretten und Hüten, wie sie auf Bildnissen und in anderen themati-schen Zusammenhängen erhalten ist, steht in den Kleiderverzeichnissen eine nicht minder reichhal-tige Terminologie gegenüber, deren Koordinie-rung aufbreiter Basis versucht werden soll. Daß es dabei nicht nur um das äußere Erscheinungsbild benennbarer Kopfbedeckungen gehen kann, ma-chen Darstellungen deutlich, auf denen etwa Hau-be und Barett, HauHau-be und Hut üHau-bereinander ge-tragen werden, wahlweise in Haube oder Barett denkbare Frauenbildnisse, Hauben, deren

ver-schiedene Stützkonstruktionen uns im wörtli-chen Sinne verborgen sind. Neben den eigentli-chen. Kopfbedeckungen besaßen Haarbänder, Kränze und Zöpfe ihre exakt vorgegebenen Gebrauchszusammenhänge.

242 ''· .. was solich weiter sagen mer/ manget ycz vor dem wames her/ nebem dem man tel hintern schuen/ von welchen ich auch nit mag ruen:/ einer hat swalben Bügel dran/ dem andern Batern sie her dan/ als werns mit Bedermeüsen phan-gen/ . .. ein teil haben kümeüler vorn/ oder wie schlechte ochsen horn/ etlich geformt sein wie die kegel/ vnd etwen vil wie raczen zegel! den meren teil wie leberwürst . . .. « Zit. n.

Ingeborg Spriewald: Hans Folz. Auswahl. Studienausgaben zur neueren deutschen Literatur. Hrsg. Dt. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin r96o, S. I5I-IJ2.

243 M . Geisberg (Anm. I 79), Nr. 144-149.

244 Vgl. S. 96.

245 Lucas Cranach d. Ä., Lot und seine Töchter, 1529. Bayer.

Staatsgemäldesammlungen, Staatsgal. Aschaffenburg, Inv.

Nr. WAF r67.

89. Michael Wolgemut: Ursula Tucher, geb. Harsdörffer (gest. 1504), mit Schleier. 1478.

Terminologisch und der Sache nach bietet sich eine Unterscheidung in Haube, Barett und Hut an. Hauben im Sinne des r6. und r7.]ahrhunderts waren alle die Haare vollständig oder zum größ-ten Teil umschließenden Kopfbedeckungen, die, eventuell über einer formgebenden Stützkon-struktion, um den Kopf gebunden, bzw. vorgefer-tigt aufgesetzt wurden. Barett und Hut führten da-gegen erstmals auch in die Frauenkleidung im großen Stil haarsichtige Kopfbedeckungen ein, wobei sich der Hut von dem ebenfalls mit Kopf-teil und Krempe versehenen Barett durch seinen relativ hohen, steif aufragenden Kopf unter-schied.

5.r. Hauben

Hauben aus Leinen- oder Baumwollgeweben stellten den Hauptanteil der in Nürnberg getrage-nen Frauenkopfbedeckungen. In den Inventaren rangieren sie zahlenmäßig deutlich vor Baretten und anderen Kopfbedeckungen und auch anband der Bildquellen stehen sie -läßt man das

90. Albrecht Dürer: Felicitas Tucher, geb. Rieter (1466-1514), mit Steuchlein. 1499.

ausschließlich die repräsentative Kleidung einer begrenzten sozialen Schicht zeigende Porträt bei-seite - an erster Stelle. Als authentische Bezeich-nungen sind »Steuchlein«, »Schleier«, »Sturz«,

»Bündlein«, »Köpflein«, »Wulst« und »Wulsthau-be« belegt, doch gelingt nicht in allen Fällen eine eindeutige Bestimmung des damit gemeinten Kleidungsstücks. Im Laufe des r6. Jahrhunderts nahmen Hauben aus Samt, Seiden- oder auch Wollzeugen zu. Daneben gab es gestrickte oder gewirkte Hauben aus Seidengarnen oder Goldfä-den sowie Pelzhauben aus unterschiedlichen Fel-len. Zeitgenössische Namen wie »Goldhaube«,

»Haarhaube«, »Stirnhaube«, »Faltenhaube«, »Bo-genhaube« und » Flinderhaube« sind ihnen auf-grund von Materialangaben in den Kleiderver-zeichnissen zuzuordnen.

Auch wenn sich das Barett seit dem zweiten Jahr-zehnt des r6. Jahrhunderts seinen festen Platz in der Nürnberger Frauenkleidung eroberte, blieb doch die Haube unverzichtbare Kopfbedeckung.

Bis ins r7.]ahrhundert behaupteten sich bestimm-te Hauben als Bestandbestimm-teil der konservativen

ober-91. Albrecht Dürer: Die vier Hexen. 1497·

schichtliehen Standestracht, andere in der alltägli-chen Kleidung sowie bei älteren Frauen und Wit-wen. Nachdem die Zeitmode mit Barett und Hut haarsichtigen Kopfbedeckungen Vorschub gelei-stet hatte, verloren um die Mitte des 17· J ahrhun-derts auch die Hauben ihre ursprüngliche, das Haupthaar verhüllende Funktion. Zumindest in der modischen Kleidung wurden sie zu vielgestal-tigen Accessoires neuzeitlicher Haartrachten, die noch bestehende Reminiszenen an das mittelal-terliche »Gebände« endgültig ablegten.

5.r.r. Steuchlein - Wulsthauben

Die mittelalterliche Tradition der Frauenhaube als Zeichen und Gebot des Ehestandes setzte sich I06

im Untersuchungszeitraum nur bedingt fort.

Haarhauben und Pelzhauben wurden ebenso von jungen Mädchen und unverheirateten Frauen ge-tragen, aber auch verheiratete Frauen trugen ihr Haar zumindest teilweise zur Schau. In erster Li-nie gilt dies für die charakteristische »Bildnis-sicht« der Nürnbergerin in Barett und Hängezopf, deren Anfänge im zweiten Jahrzehnt des r6. Jahr-hunderts liegen, während bei den Hauben selbst leichtere Formen die mächtigen, Haare sowie Tei-le des Gesichts verhülTei-lenden Gebilde des späten 15. Jahrhunderts ablösten.

Diese Entwicklung vollzog sich zu Beginn der Neuzeit in allen größeren Städten, doch fand sie in Nürnberg in anderen Kostümformen ihren Ausdruck als etwa in Augsburg. Die

Röntgenauf-nahme des Bildnisses der A ugsburger Patrizier-tochter Barbara Ehern, das Hans Burgkmair 1507 anläßlich ihrer Eheschließung mit Hans Sehelien-herger malte, ließ erkennen, daß eine ursprünglich vorhandene traditionelle weiße Leinenhaube in einem zweiten Malvorgang durch die modische, italienisch beeinflußte Goldhaube ersetzt worden war (Abb. 27, 28). In Nürnberg porträtierte Michael Wolgemut1478 Ursula Tucher,geb. Hars-dörffer in einer schweren weißen Haube mit Kinnbinde, deren in der Literatur erwähnte Ver-änderung im Zusammenhang der Heirat jedoch nur schwer nachzuvollziehen ist (Abb. 89)246. 1499 tragen auch hier die beiden Ehefrauen Tueher auf Dürers bekannten Bildnissen in Kassel und Weimar (Abb. 59,90) leichtere hals-und kinnfreie Hauben, bei denen ein zartes Schleiertuch über eine zurückgesetzte, wulstartige Unterhaube gebunden wurde. Dürers Kupferstich der »Vier Hexen« (Abb. 91)247 liefert dazu eine aufschlußrei-che Rückansicht. Die Unterhaube allein findet sich auf einer Porträtstudie Albrecht Dürers von 1503 (Abb. 92)248. Aufgrund ihres Aussehens soll diese versuchsweise mit der in zahlreichen Klei-derverzeichnissen aufgeführten »Wulsthaube«

identifiziert werden, die offensichtlich ihrerseits wiederum aus einem stützenden »Wulst« und einer darübergezogenen Haube bestand.

So hinterließ Katharina Wagner1529 drei »Wulst-hauben« und zwei »Wulst« um zusammen 15 Pfen-nige249, Barbara Schauer 1531 »I Frauenwulst mit-samt der Hauben« um einen Groschenzso, und noch in der Aussteuer Maria Sitzingers 1588 befan-den sich »Wulsthauben« und »Wülste«:

»II Wülst und I Wulst zu einem Magdtsteuchlein

10 Wulsthauben

22 Wulsthauben

2 zerdrente Wulsthauben

I zertrenter Wulst

I zwifachs Tuch mit Baumwollen abgenehet undter den Wulst Winterszeiten zuegebrauchen«2sl.

Die Verbindung von »Wulst!Wulsthaube« und

»Steuchlein« im Inventar Maria Sitzinger legt eine Bestimmung der kompletten aus Unterhaube und Schleiertuch bestehenden Frauenhaube als

92. Albrecht Dürer: Frau mit Wulsthaube. I503.

»Steuchlein« nahe, das in den Kleiderverzeichnis-sen über den gesamten Untersuchungszeitraum und alle sozialen Schichten hinweg die am häufig-sten genannte Kopfbedeckung bleibt.

Nurverein246 Kassel, Staatl. Kunstsammlungen, Inv. Nr. GK 4· -Erich Herzog: Die Gemäldegalerie der Staatlichen Kunst-sammlungen Kassel. Hanau I969, S. 78: »I48I ist erst die Auf-schrift am oberen Bildrand anläßlich der Vermählung hinzu-gefügt worden. Damals wurde auch die Ballonhaube der Frau verändert, wie sich aus der Röntgenaufnahme ergibt«. - Kat.

Ausst. I47l Albrecht Dürer I97I. Germanisches Nationalmu-seum, Nürnberg I97I, Kat. N r. 97: »Die obereAufschriftwurde I48I nach der Vermählung mit Hans VI Tueher angebracht und zugleich, wie eine Röntgenaufnahme erwiesen hat, als Zeichen der verheirateten Frau die Form der Haube verän-dert«.

247 Kat. Ausst. Dürer (Anm. 246), Kat. Nr. 514 (mit Lit.).

248 Berlin, SMPK Kupferstichkabinett, Inv. Nr. KdZ. 2380.-Kat. Ausst. Dürer (Anm. 246), 2380.-Kat. Nr. 528.

249 StaN, LI I, fol. 86r-88r.

250 StaN, LI I, fol. 222r-223r.

251 Zubringung Maria Löffelholz, geb. Sitzinger (I563-I637) bei ihrer Heirat mit Wolfgang Löffelholz I588. Niedergeschrie-ben beim Tod des Ehemannes 1622. GNM, L-A, A I, Nr. 70.

I08

93· Wolf Traut: 35jährige Frau mit Steuchlein. 1510.

94- Hans von Kulmbach zugeschrieben: Frauenbildnis mit modisch verkleinerter Haube. 1518.

95· Nicolas Neufchatel: Bildnis einer Unbekannten mit Haube. Um 1560.

zelt erscheint daneben die Stammform »Stau-che«252, von der sich auch in anderen Kostüm-landschaften Bezeichnungen für Frauenkopfbe-deckungen ableiteten. Sprachwissenschaftliche und kostümkundliehe Untersuchungen verwei-sen auf eine seit ahd. »stuhha« vorhandene Dop-pelbedeutung von »stauche« als weiter Ärmel und Kopfbedeckung253 , die mitunter Verwirrung stif-tet. Für die Nürnberger Qyellen des 16. und J7.Jahrhunderts kann eine derartige Ambivalenz jedoch ausgeschlossen werden. Die Belege für

»Steuchlein/Stauche« sind durchwegs eindeutig auf Kopfbedeckungen zu beziehen und folgen damit der seit dem älteren Neuhochdeutschen vorherrschenden Bedeutung.

Die modische Entwicklung des »Steuchleins« im 16.]ahrhundert bewirkte eine deutliche Abnahme des ursprünglichen Haubenvolumens. Der radar-tig ausladende Wulst reduzierte sich auf eine nur noch schwache Auspolsterung am Hinterkopf, während die das Gesicht rahmenden Zierborten an Breite und dekorativer Ausgestaltung zunah-men. Auf besondere Weise greifbar wird diese Entwicklung in einem Hans von Kulmbach zuge-schriebenen Frauenbildnis von 1518, wo eine bereits vorhandene traditionelle Haube den modischen Bedürfnissen folgend übermalt wurde (Abb. 93-95)254.

Die tatsächliche Vielfalt der >>Steuchlein« lassen jedoch erst die Kleiderverzeichnisse ermessen.

252 StaN, Llz, fol. 57v-59r: Inventar J örg und Barbara Eisen-hafer, I537: »10 Stauchen, gut und bös -.10.-«.- Ebda., LI 6, fol.

106v-108r: Inventar Kunigund Stadelmann zu Oberlindelbach: »2 Stauchen mit gulden und 2 mit weißen Pleiden«. -Ebda., LI 5, fol. I8or-I82r: Inventar Hans Laurhaß zu Laipp-ach: »3 Stauchen, so ziemlich gut«.

253 Vgl. G. Krogerus (Anm. I I8), S. 34 und Anm. I 31.

254 Vgl. Anm. I 73.

255 StaN, LI I, fol. 3JV-4IV: Inventar Albrecht und Ursula Brannt, Krämer,' I529: »3 Steuchlein mit gulden Pieiden r 4.6., 4 gemeine Steuchlein -.2:3->10 weiß gemeine Steuchleini4.6., 3 schlechte baumwollene Steuchlein mit gulden Pieiden r., 4 schlechte baumwollene Steuchlein -:3.-«. - Ebda., fol.

nov-mv: Inventar Paulus und Brigitta Reinwolt, Leinweber, 1530: »2 Steuchlein mit gulden Pieiden -.5.-,3 gemeine Steuch-lein -.z Iiz.-«.

256 StaN, LI I, fol. 57V-J9r: Inventar Anna und Melchior Koch, Kandelgießer, IJ29: »3 Steuchlein, 2 weiße, r rots 2., 4 Steuchlein mit schwarzen Pieiden -4-6., 2 Steuchlein mit

Nahezu jede Frau besaß neben einfachen »gemei-nen« Steuchlein zumindest eines mit einer golde-nen Zierborte, die als »gulden Pleiden« bezeichnet wurdezss. Vereinzelt sind Steuchlein mit schwar-zen oder roten Borten nachzuweisen256. Gegen Ende des 16.] ahrhunderts finden sich »aus genäh-te« Steuchlein sowie mit »durchsichtigen Möde-lein« oder Spitzen versehene StückeZ57. Neben durchsichtig-zarten »girnen« und »nesselgirnen«

Steuchlein verzeichnen die Inventare solche aus Leinwand, Flachsleinwand, Baumwolle und Zwilch, während sich die städtische Obrigkeit be-reits 15n veranlaßt sah, »den mayden Ir cost-lich(k)ait der seyden damatschke, golld In steuch-lin und sonst durch gesetz zuverpieten«zss.

»I2 Umbind Steuchlein mit gulden Pleiden« aus dem Inventar der Dorothea Kress259 verweisen auf den Aufbau der Kopfbedeckung aus stützen-der »Wulsthaube«, Zierborte und darüber gebun-denem Schleiertuch. Alle drei Bestandteile sind in den Inventaren auch einzeln belegt, wobei das Schleiertuch bisweilen als noch unausgearbeitete Meterware nachzuweisen ist:

If38, Margaretha Morl260:

»2 neue Steuchlein ungesembt 5 girne Steuchlein

3 Steuchlein mit gulden Pieiden

2 Padsteuchlein aneinander steendt

fl. 'tb ~

-. 4·--.

9·-2. 4- 6.

-. -.J I«.

gulden Pieiden -4-6., 2 baumwollene Steuchlein, 2 flechsene Steuchlein -:3.-«. - Ebda. LI 5, fol. 34r-35V: Zubringung Margarethe Immendorfer bei ihrer 2. Ehe mit Hans Vogl, Nagler, 1537 (niedergeschrieben I549): »3 hainwollen Steuchle, 3 mit gulden, eins mit schwarzen Pieiden I4-6., 3 girnene Steuchlein, eins mit einer gulden Pieiden I4-6«.- Ebda, LI 6, fol. 25r-26v: Inventar Martin Pauknecht und seiner Haus-frauen, I553: »I rotes Steuchlein mit einer roten Pieiden -.-.75«.

257 StaN, LI 5, fol. I52r-I54v: Inventar Michael und Elsbeth Jungwirt, Drahtzieher, I57I: »5 schöne baumwollene Steuchla mit gulden Pieiden 2.z.I2., 6 baumwollene ausgenähte Steuch-la und I girnes r.r.6.«.- Zubringung Maria Löffelholz, geb. Sit-zinger I588 (Anm. 25I): >>9 Stürz über Steuchlein zu decken, 10 Steuchlein, darunter 6 mit durchsichtigen Mödelein, 2 neue Stück Steuchleinsleinwand zu 2 Umbinderlein, I marmelstei-ne Steuchleinskugel«. - GNM (Anm. 83), Nr. I9: Inventar Georg Gahns, Forster, I64I: »I Steuchlein mit Spitzen -75.-«.

258 StaN, RV I511, Nr. 526, fol. I4v.

259 GNM (Anm. 26).

260 StaN, LI 2, fol. I7IV-I73r.

Iffi, Hans und Christina Popp261:

»5 Steuchlein, darunter 3 mit gulden Pieiden

IJ baumwollene Steuchlein, darunter eins mit einer gulden Pieiden 5 unplaichte flechsene Steuchlein aneinander, je eins 15 Pfg. darvon verschenkt, ungefer 14 ß werd, resto fur sy 2 CU, thon w f1.«z6z. In einigen Fällen lassen die Inventare weiteres Zubehör erkennen, wie

»Steuchlaholz« »Steuchlapress« und eine marmor-ne »Steuchleinskugel«263. Bei letzterer mag es sich um eine Art Haubenstock für die gebundene Kopfbedeckung gehandelt haben.

Laut Kleidergesetzgebung waren Steuchlein mit goldenen »Pleiden« allen Ständen außer den Dienstmägden zugelassen, ohne daß jedoch exakte Vorschriften bestanden hätten. Auf die Anzeige des Stadtpfänders, »das die Pirckenauerin Wirtin ein steuchlein mit einer gulden Pieiden getragen, welche preiter dann die ordnung ver-mag«, bemerkte das zuständige Fünfergericht noch 1577, daß »In der hoffarts Ordnung von der-gleichen und der Handwergs weiber Pieiden nichts statuiert Zufinden«, man jedoch »derwegen auch nichts statuieren soll«. Der Gerügten wurde die Anzeige erlassen und der Pfänder angewiesen,

»dergleichen Rugen weiter nicht fürzunemen«264.

Auf der anderen Seite bestanden für das Steuch-lein zunächst noch Beschränkungen im Zusam-menhang der bürgerlich-oberschichtliehen Fest-kleidung, die als standesgemäße Kopfbedeckung den traditionellen »Schleier« forderte.

5.1.2. Schleier

Dürers Kostümzeichnung einer zum Tanz auf dem Rathaus gekleideten Patrizierin (Abb. 6) in Verbindung mit dem im gleichen Jahr erlassenen Mandat des Nürnberger Rates, zu eben diesem Ereignis »in dem gepend der Schleyer und nit steuchlein« zu erscheinen265, erlaubt die Identifi-zierung der dargestellten Haube mit der

zeitge-IIO

nössisch als »Schleier« bezeichneten Kopfbedek-kung. Seit den 7oer Jahren des 15. Jahrhunderts ist die traditionelle Haube mit Kinnbinde und einer in mehreren Lagen drapierten Stoffülle von zahl-reichen Frauenbildnissen her vertraut, bevor sie durch das leichtere und wohl auch einfacher zu handhabende »Steuchlein« abgelöst wurde. Als Kirchgangshaube erscheint der »Schleier« neben dem »Sturz« noch weit ins r6. Jahrhundert.

Während der Schleier mit umgebundenem Kinnstreifen für den Kirchgang obligatorisch war, zeigen Bildnisse vielfach eine freiere, das Gesicht nicht mehr verhüllende Trageweise, die gewisser-maßen das »Steuchlein« vorwegnahm (Abb. 96, 97). Ähnlichkeiten ergaben sich auch durch die für beide Kopfbedeckungen anzunehmende wulstartige Unterhaube, die unter den dichten Leinen- oder Baumwollgeweben des Schleiers je-doch nur formgebend in Erscheinung trat. In den Kleiderverzeichnissen ist entsprechend von

»dicken« Schleiern die Rede266 - ein wohl auch durch den mehrlagigen vorderen Hauben-abschluß hervorgerufener Eindruck. Die überein-anderliegenden, fein gefältelten Lagenränder, zeitgenössisch mit »vach« bezeichnet, wurden mit einer punktartigen Heftung zusammengehalten, die auf allen Darstellungen deutlich erkennbar ist.

Die Zahl dieser Schichten war Gegenstand klei-dergesetzlicher Reglementierung: »Es soll auch eynich weibspilde, inwonerin dieser statt, hinfüro nyt tragen eynichen schlayr, der uber sechs vach hab oder der mitsambt der pleyden unnd annder

26I StaN, LI 5, fol. 46r-49r.

262 J. Kamann, I888 (Anm. I I5), S. 62.

263 StaN, LI 3, fol. 54v-55V: Inventar Fritz und Anna Pil-gram, Kompaßmach er, I544: »4 alte Steuchla -.2.-, I Steuchla-holtz -.-.2.<<.- Ebda, LI 3, fol. I6u-I62V: Inventar Stefan Böd-lein, I547: »I Steuchla preß -.-.21., 9 Steuchla

a

I2 Pfg. -:3.18.<<.-Zubringung Maria Löffelholz (Anm. 251).

264 StaN, RV I577, Nr. I4I4, fol. 2v.

265 StaN, RV I5oo, Nr. 390, fol. 8b: »Ob ein tantz gehallten sollt werden, sol befolhen werden den frawen zusagen, das sie In dem gependt der Schleyer und nit steuchlein Zum tantz geen<<.

266 StaN, LI I, fol. 57v-59r: Inventar Anna Koch, I529: >>I weißen dicken baumwollen Schleier -.2:3.«.- Ebda., LI 5, fol.

34r-35V: Zubringung Margarethe Immendorfer bei ihrer 2.

Ehe mit Hans Vogl, Nagler, I537 (niedergeschrieben I549):

>>I roten dicken Schleier mit einer dicken Pieiden 1.4.6.<<.

96. Albrecht Dürer (?): Barbara Dürer mit gelöstem Schleier.

Um 1490.

zierde oder zugehörnde desselben über sechs guldin cost oder werdt sey bey peen aines yeden tags oder nacht drey guldin«267. Daß auch hier die Praxis anders aussah, zeigen sowohl Dürers Kostümstudie als auch Nürnberger Frauen-porträts mit Schleiern bis über zehn Lagen.

Kleiderverzeichnisse aus der ersten Hälfte des I6.

Jahrhunderts enthalten neben weißen immerwie-der rote Schleier. Dies gilt vor allem für mittel-und unterschichtliehe Bestände, wo diese, mit gol-denen »Pleiden« oder »Strichen« versehen, auf-grund hoher Schätzwerte zwischen einem und drei Gulden die Spitzenstücke darstellten. I529 hinterließ die Frau des Kannengießers Melchior Koch einen roten Schleier zu zwei Gulden und »I weißen dicken baumwollen Schleier« zu einem viertel Gulden268; »I roter Schleier mit 3 gulden Strichen« der Frau des Leinenwebers Hans Scho-ber wurde im gleichen Jahr mit anderthalb Gul-den deutlich höher bewertet als ihr mit einem Gulden angesetzter bester weißer Schleier269 . Das

97· Schwaben, um 1470: Bildnis einer Frau mit gelöstem Schleier.

Inventar Heinrich Tolzers, der IßO ohne Vermö-gen starb, enthält sechs unterschiedlich bezeich-nete und bewertete Schleier, unter denen wieder-um der rote an erster Stelle stand270:

»I roter Schleier mit einer gulden Pieiden

I weißer Schleier

I weiß Schleierlein

I Schleierlein mit schwarzen Leisten

I alts Schleierlein

I weiteres

fl. 'U ~

-. 4- 6.

-.J.-- 2.

- -.25.

- I.-«.

In den roten Schleiern fand eine alte T radi- · tion ihre Fortsetzung. Bereits Nürnberger Kleider-ordnungen aus dem 4· Jahrhundert untersag-ten Frauen und Witwen andere Schleier »danne slehte reisen, die weiz oder rot sein, als si von alter

267 ]. Baader (Anm. 153), S. 98.

268 StaN, LI I, fol. 57v-59r.

269 Ebda, fol. 42v-45v.

270 Ebda., fol. n9r-12JV.

98. Hans Wertinger: Frau mit rotem Schleier. Detail aus der Sigismundtafel, 498. Farbtafel nach S. 96

her gewesen sint«271, während die Ordnungen des Untersuchungszeitraums rote Schleier zu keiner Zeit mehr vorsahen. Entsprechende Bildbelege fehlen für das bürgerliche Nürnberg, doch trägt die mit Hermelin und Stab als hohe Fürstin ge-kennzeichnete DameaufHans Wertinger Freisin-ger Sigismundtafel von 1498 (Abb. 98)272 einen leuchtend roten Schleier mit goldverzierten Lagenrändern, der ansonsten dem bereits vorge-stellten weißen Haubentypus durchaus gleicht.

Freilich muß offenbleiben, inwieweit dieser die tatsächlich getragene Kleidung der Entstehungs-zeit des Gemäldes widerspiegelt, und man wird in dem aufwendigen fürstlichen Kopfputz wohl kaum ein Abbild der in den Nürnberger Hand-werkerinventaren aufgelisteten >>roten Schleier«

annehmen dürfen. Ihr Fehlen bei den städtischen Oberschichten und damit auf Bildnissen sowie in

II2

den Kleiderordnungen des r6. Jahrhunderts, deutet vielmehr darauf hin, daß hier ein traditio-nelles, von der Zeitmode längst überholtes Klei-dungsstück bei der einfachen Bevölkerung weiter-lebte, wie dort später auch weiße Hauben noch in Gebrauch waren, als diese bei den modischen Führungsschichten bereits von Barett und Hut abgelöst waren.

Weit mehr als das Steuchlein war der Schleier die Haube der verheirateten Frau. Günther Zainers 473/74 in Augsburg erschienenes »Vocabularius latino-germanicus« erklärt infolgedessen »stauch«

271 J. Baader (Anm. 153), S. 66.

272 Gloria Ehret: Hans Wertinger. tuduv-Studien. Reibe Kulturwissenschaften 5· München 1976, Kat. Nr. 1.12.: Der französische König erteilt die Erlaubnis zur Bestattung der Leiche des Burgunderkönigs igi mund.

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99· Albrecht Dürer: Kirchenhaube (Sturz) und Kirchenmantel Nürnberger Patrizierinnen. 1527.

als)), .. vestis linea et rugosa que mulier cooperit caput suum«, während es den Schleier ausdrück-lich als Zeichen des Ehestandes hervorhebt:

))Peplum/schlaier est vestimentum capitis mulie-ris quod defertur in signum matrimonialis hono-ris«273.

Ein Zeichen dafür, daß der Schleier im 16.] ahr-hundert rasch ))aus der Mode« kam, ist die soziale Verteilung der Inventarbelege. Wohl sind diese bis zum Ende des Untersuchungszeitraums vor-handen, doch seit der Mitte des 16. Jahrhunderts ausschließlich in den unteren städtischen Schich-ten und auf dem Lande. Das Kleiderverzeichnis Maria Sitzingers enthielt 1588 )>7 baumwollene Bauern Schlayr mit Leisten«274. Die Frau des wohlhabenden Bauern Leonhard Laber aus dem Vorort Gibitzenhofbesaß 1601 ))6 Schleier mit gul-den Pleutten« zu zwei Gulgul-den und ))5 alltägliche weiße Schleier« zu sieben Pfund 275. An weiteren

Kopfbedeckungen sind für letztere nur noch eine Pelzhaube sowie mehrere Schlaf- und Zipfel-hauben aufgeführt, und auch vergleichbare Inventare scheinen nun sämtliche leinenen Frauenhauben unter dem Begriff ))Schleier«

zusammenzufassen. Nachdem Barett und Pelz-haube die LeinenPelz-haube stark zurückgedrängt hatten, war auch die terminologische Vielfalt des 16.] ahrhunderts überflüssig geworden.

5-I.J. Sturz- Bündlein

))Stürz« und ))Bündlein« waren die im I6.Jahrhun-dert zeitlich aufeinander folgenden Hauben der oberschichtliehen Standestracht der

Nürnberge-273 L. von Wilckens (Anm. I 31), S. 68.

274 GNM (Anm. I 62).

275 GNM (Anm. 83), Nr. 8.

woa, b, c. Nürnberg, 1555= Studie der patrizischen Kirchenhaube (Sturz). Vorder-, Seiten- und Rückansicht.

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Im Dokument und er (Seite 110-121)