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Was heisst Konzernverantwortung? Diese Frage rückte mit der Konzernverantwortungsini-tiative18 ins allgemeine Bewusstsein.

Die Initiative hat ihren Ursprung in einem breiten Zusammenschluss von Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen, Umwelt- und Frauenverbänden, Gewerkschaften, kirchlichen Gruppen, die Ende 2011 die Kampagne «Recht ohne Grenzen» starteten, weil sie wollten, dass Schweizer Firmen weltweit Menschenrechte und Umwelt respektieren müssen. Fünf Jahre später fand die Konzernverantwortungsinitiative breite Unterstützung in der Bevölkerung und weit mehr als die notwendigen 100‘000 Unterschriften wurden gesammelt. Der Kern der Forderung lautet, dass in der Schweiz domizilierte Konzerne be-stimmte Menschenrechts- und Umweltschutzstandards auch im Ausland einhalten müssen.

Zentrales Element ist eine Sorgfaltsprüfungspflicht der Konzernleitung in Bezug auf ihre Unternehmenstöchter – und sogar darüber hinaus. Die Initianten sehen ein rechtliches Band auch jenseits des traditionellen Konzerns entlang einer Wertschöpfungskette, wenn man in bestimmten Fällen ausnahmsweise von einer wirtschaftlichen Abhängigkeit ausgehen muss. An dieser breiten Forderung entzündet sich der Streit politischer und wirtschaftlicher Entscheidungsträger, NGOs und Rechtswissenschaftler: Es geht um die Definition des rechtlichen Bandes, das wirtschaftlich mächtige Unternehmen mit abhängigen Betrieben verbindet. Dabei unterscheiden sich die verschiedenen Vorschläge oft nur in (vermeintli-chen) Details und es dürfte nicht einfach werden, die divergierenden Rechtskonsequenzen im Abstimmungskampf für alle verständlich zu machen.

Egal wie die Abstimmung ausgeht, fest steht bereits heute: Die Initiative – und vergleich-bare Kampagnen in anderen Ländern – illustrieren eine veränderte Anschauungsweise vor allem der jüngeren Generation in Europa. Diese spiegelt sich auch in einer veränderten Rechtslage wider, die sich auf internationaler Ebene und in nationalen Rechtsordnungen zeigt.

16 Vgl. WELLER MARC-PHILIPPE/THOMALE CHRIS, Menschenrechtsklagen gegen deutsche Unternehmen, ZGR 2017, 509, 512 f.

17 Dazu etwa DONALD ALICE/MOTTERSHAW ELIZABETH, Evaluating the Impact of Human Rights Litigation on Policy and Practice: A Case Study of the UK, Journal of Human Rights Practice, Vol. 1, Issue 3, November 2009, 339 ff.

18 Siehe <https://konzern-initiative.ch> (17.3.2020).

SABINE GLESS

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2. Konzernhaftung

Der Grundsatz, dass selbständige juristische Personen nicht füreinander haften, hat eine Konzernhaftung nie ganz ausgeschlossen. In jüngerer Zeit haben insbesondere die Initiati-ven zur Bekämpfung der Geldwäscherei oder der Terrorismusfinanzierung das Prinzip durchlöchert. Bei vorsätzlichem oder fahrlässigem Zusammenwirken der Mutter mit den Töchtern können verschiedene Haftungsinstitute greifen.10 Allerdings fehlen weitgehend klare gesetzliche Vorgaben und insbesondere bei internationalen Konzernen ist bis heute oft zweifelhaft, welche rechtlichen Konsequenzen aus einer Leitung durch eine in der Schweiz domizilierten Konzernleitung gegenüber Tochtergesellschaften und dort tätigen Personen folgen.11 Es ist also zwar unbestritten, dass das rechtliche Band der Kontrolle Rechtspflichten mit sich bringt. Gleichzeitig kann es im Einzelfall aber oft sehr schwierig sein, die konkreten Einzelpflichten der Konzernleitung gegenüber selbständigen Töchtern zu bestimmen. Das gilt insbesondere, wenn die Konzernleitungspflicht aus Sicht der Betei-ligten auf bestimmte Bereiche beschränkt sein soll (etwa auf Konzernkampagnen, Kon-zernorganisation).12

In dem langen Ringen um die richtige politische und rechtliche Reaktion auf die Konzern-verantwortungsinitiative zeigt sich einmal mehr, dass die Frage nach der Konzernverant-wortung, bis heute – auch aus der Sicht der Zivilgesellschaft – nicht befriedigend beant-wortet ist. Seit die Forderung nach einer unbedingten Einhaltung bestimmter Umweltstan-dards weltweit und einem respektvollen Umgang mit Menschenrechtsfragen, etwa durch die Kampagne für ein «Recht ohne Grenzen», wurden die Überlegungen für eine strafrecht-liche Flankierung stärker.13 Heute ist eine strafrechtliche Konzernhaftung im Grunde aner-kannt.14 Das ist bemerkenswert, denn auf den ersten Blick eignet sich das Strafrecht in sei-ner traditionellen Form kaum für eine Konzernhaftung. Es stellt die höchstpersönliche Vor-werfbarkeit ins Zentrum und nicht eine Organisationsverantwortung. Das wird praktisch zum Hindernis, weil in einschlägigen Fallkonstellationen der Vorwurf an die Konzernober-leitung regelmässig nicht an ein strafbares Tätigwerden, sondern an ein strafbares Unter-lassen anknüpft. Hier sieht man sich hohen rechtlichen Hürden gegenüber.15 Die Staatsan-waltschaft muss eine Garantenstellung etablieren und einen Verstoss gegen eine Garanten-pflicht nachweisen. Im Konzernrecht liegt der Einwand der Eigenverantwortung von Un-ternehmenstöchtern nahe; das Gleiche gilt natürlich auch für (wenngleich abhängige) Zu-lieferer. Allerdings etablierte die Anerkennung der Geschäftsherrenhaftung und die Ein-führung einer Unternehmensstrafbarkeit im Schweizer Recht Anknüpfungspunkte für eine Konzernhaftung. Heute umfassen Überlegungen in diesem Bereich bekanntermassen sogar

10 Vgl. etwa HANDSCHIN (Fn. 1), 301 ff.

11 FORSTMOSER PETER, Schutz der Menschenrechte – eine Pflicht für multinationale Unternehmen? Liber amicorum Donatsch, Zürich 2012, 713.

12 HANDSCHIN (Fn. 2), 998, 999 f.

13 Vgl. etwa PIETH MARK, «No longer business as usual: Foreign bribery and the OECD Anti-Bribery Convention», Finance Director, 2010, 14 f.; PIETH MARK/LELIEUR,JULIETTE «Strengthening Interna-tional Coordination and Cooperation», in: Expert Meeting of the OECD Anti-Bribery Convention: The Road Ahead. OECD, 2007.

14 CASSANI URSULA, Droit pénal économique. Eléments de droit suisse et transnational, Basel 2020, Rn. 363 ff.

15 Vgl. SCHÜNEMANN BERND, Die Unterlassungsdelikte und die strafrechtliche Verantwortung für Unter-lassungen, ZStW 1984, 287, 318; ZWIEHOFF GABRIELE, Strafrechtliche Aspekte des Organisationsver-schuldens, Medizinrecht 2004, 364 ff.

Konzernverantwortung – Entwicklungslinien aus strafrechtlicher Sicht

269 eine strafrechtliche Haftung wirtschaftlich starker Unternehmen für selbständige Zuliefe-rerunternehmen, die komplett in die Produktionskette integriert sind.16

Praktisch relevant – in Form von konkreten Strafverfahren – wurden diese Überlegungen allerdings erst, als die Opfer durch sog. strategische Human Rights Litigation getragen von NGOs17 tatsächlich an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden gelangen konnten.

III. Konzernverantwortungsinitiative

Was heisst Konzernverantwortung? Diese Frage rückte mit der Konzernverantwortungsini-tiative18 ins allgemeine Bewusstsein.

Die Initiative hat ihren Ursprung in einem breiten Zusammenschluss von Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen, Umwelt- und Frauenverbänden, Gewerkschaften, kirchlichen Gruppen, die Ende 2011 die Kampagne «Recht ohne Grenzen» starteten, weil sie wollten, dass Schweizer Firmen weltweit Menschenrechte und Umwelt respektieren müssen. Fünf Jahre später fand die Konzernverantwortungsinitiative breite Unterstützung in der Bevölkerung und weit mehr als die notwendigen 100‘000 Unterschriften wurden gesammelt. Der Kern der Forderung lautet, dass in der Schweiz domizilierte Konzerne be-stimmte Menschenrechts- und Umweltschutzstandards auch im Ausland einhalten müssen.

Zentrales Element ist eine Sorgfaltsprüfungspflicht der Konzernleitung in Bezug auf ihre Unternehmenstöchter – und sogar darüber hinaus. Die Initianten sehen ein rechtliches Band auch jenseits des traditionellen Konzerns entlang einer Wertschöpfungskette, wenn man in bestimmten Fällen ausnahmsweise von einer wirtschaftlichen Abhängigkeit ausgehen muss. An dieser breiten Forderung entzündet sich der Streit politischer und wirtschaftlicher Entscheidungsträger, NGOs und Rechtswissenschaftler: Es geht um die Definition des rechtlichen Bandes, das wirtschaftlich mächtige Unternehmen mit abhängigen Betrieben verbindet. Dabei unterscheiden sich die verschiedenen Vorschläge oft nur in (vermeintli-chen) Details und es dürfte nicht einfach werden, die divergierenden Rechtskonsequenzen im Abstimmungskampf für alle verständlich zu machen.

Egal wie die Abstimmung ausgeht, fest steht bereits heute: Die Initiative – und vergleich-bare Kampagnen in anderen Ländern – illustrieren eine veränderte Anschauungsweise vor allem der jüngeren Generation in Europa. Diese spiegelt sich auch in einer veränderten Rechtslage wider, die sich auf internationaler Ebene und in nationalen Rechtsordnungen zeigt.

16 Vgl. WELLER MARC-PHILIPPE/THOMALE CHRIS, Menschenrechtsklagen gegen deutsche Unternehmen, ZGR 2017, 509, 512 f.

17 Dazu etwa DONALD ALICE/MOTTERSHAW ELIZABETH, Evaluating the Impact of Human Rights Litigation on Policy and Practice: A Case Study of the UK, Journal of Human Rights Practice, Vol. 1, Issue 3, November 2009, 339 ff.

18 Siehe <https://konzern-initiative.ch> (17.3.2020).

SABINE GLESS

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1. Internationale Verankerung

Auf internationaler Ebene engagiert sich bereits seit den 1970er Jahren die OECD für einen Verhaltenskodex, der Empfehlungen für ein weltweit verantwortliches Handeln von Kon-zernen aufstellt.19 In den 1990er Jahren lancierte die Menschenrechtskommission der Ver-einten Nationen einen internationalen Prozess. Alle haben ein gemeinsames Anliegen: Res-pekt für Menschenrechte bei der Umsetzung globaler Geschäftsmodelle, insbesondere wenn die Geschäftstätigkeit an Orten stattfindet, an denen die Staatsgewalt schwach ist.20 1.1. Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UN Guiding Principles) Die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen (UNHCR) beauftragte im Jahr 2005 John Ruggie zum Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs für Wirtschaft und Menschenrechte. Ziel war es, Massnahmen zur Stärkung der Menschenrechtsleistung des globalen Wirtschaftssektors auszuarbeiten.

So entstanden die UN Guiding Principles on Business and Human Rights.21 Ihre Annahme durch den UN Human Rights Council im Jahr 2011 stellt für viele einen Wendepunkt in der Zuschreibung von Verantwortung an Unternehmen und Konzernen für ihre Geschäfts-modelle dar, wenn diese entlang einer grenzüberschreitenden Wertschöpfungskette zu Ver-letzungen bestimmter Menschenrechte in Drittstaaten führen könnten. Die von John Ruggie entwickelten 31 Leitlinien weisen also Staaten an, juristische Personen in die Pflicht zu nehmen, damit sie ihre Geschäftsmodelle auf Risiken überprüfen und bei ihrer Geschäfts-tätigkeit in allen Ländern, in denen sie tätig werden, auf Respekt von Menschrechten zu achten22 und mutmasslichen Opfern adäquaten Rechtsschutz zu gewähren. Von einer Ver-pflichtung zur Strafverfolgung steht dort aber nichts. Es genügen privatrechtliche oder so-gar ausserrechtliche Konfliktbeilegungsmechanismen.23

Die UN Guiding Principles on Business and Human Rights sollten aber nicht der Schluss-punkt sein. Eine 2019 eingesetzte UN-Sachverständigengruppe (Open Ended Inter-govern-mental Working Group OEIGWG) arbeitet an einer Weiterentwicklung und einem Entwurf für ein rechtlich bindendes Instrument betreffend die Unternehmenshaftung. Diese sieht

19 Vgl. zu den einschlägigen OECD Guidelines for Multinational Enterprises Nr. 13 ff.: PIETH MARK, Wirtschaftsstrafrecht, Basel 2016, 15 f.

20 Vgl. PIETH MARK/ZERBES INGEBORG, Unternehmerische Verantwortlichkeit für Völkerrechtsverbrechen im Ausland, KJ 2018, 67; PETERS ANNE, Privatisierung, Globalisierung und die Resistenz des Verfas-sungsstaates, in: Mastronardi/Taubert (Hrsg.), Staats- und Verfassungstheorie im Spannungsfeld der Disziplinen, ARSP Beiheft Nr. 105, 2006, 100 ff.; JESSBERGER FLORIAN, Zur Einführung, in: Jessber-ger/Kaleck/Singelnstein (Hrsg.), Wirtschaftsvölkerstrafrecht, Baden-Baden 2015, 13 ff.; zu Ansatz-punkten einer Haftung: MEYER FRANK, Multinationale Unternehmen und das Völkerstrafrecht, 131 ZStrR 2013, 56 ff.

21 <Http://www.ohchr.org/Documents/Publications/GuidingPrinciplesBusinessHR_EN.pdf> (17.3.2020).

22 SAAGE-MAASS MIRIAM, Ahndung wirtschaftsverstärkter Kriminalität – Geschäftsherrenhaftung als An-satz zur Strafverfolgung leitender Manager für Menschenrechtsverletzungen im Konzern?, NK 2014, 228, 231 ff.; PIETH MARK, Die strafrechtliche Haftung für Menschenrechtsverletzungen im Ausland, AJP 2017, 1011 f.

23 Vgl. dazu KROKER PATRICK, Menschenrechte in der Compliance, CCZ 2015, 120, 122 ff.

Konzernverantwortung – Entwicklungslinien aus strafrechtlicher Sicht

271 nun ausdrücklich eine strafrechtliche Haftung in besonderen Fällen vor, insbesondere bei schweren Menschenrechtsverletzungen.24

2. Umsetzung der UN Guiding Principles on Business and Human Rights durch EU

Zur Umsetzung der UN Guiding Principles on Business and Human Rights hat die EU für ihre Mitgliedstaaten im Jahr 2014 in einer Bilanzrichtlinie neue Bilanzierungspflichten auf-gestellt:25 Seit 2018 müssen grosse Unternehmen in ihrem Rechnungsabschluss im Rahmen sog. nichtfinanzieller Angaben,26 ihr Geschäftsmodell sowie etwaige Risiken, etwa in Be-zug auf Umwelt- und Arbeitnehmerbelange sowie Menschenrechte und den Umgang mit diesen Risiken erläutern. Dies legt den Grundstein einer Verrechtlichung der bis dahin eher als eine Art Anstandsregel galt. Offen blieb dabei aber, unter welchen Umständen eine strafrechtliche Haftung spielen könnte.27

Ob die Verletzung dieser Bilanzierungspflichten einen strafrechtlichen Vorwurf begründen kann, hängt davon ab, ob die die nichtfinanzielle Erklärung zu Risiken eines Geschäftsmo-delles entlang einer spezifischen Wertschöpfungskette, eine strafrechtliche Garantenpflicht etabliert? Sicher werden Konzernleitungen dadurch dazu gezwungen, betriebsspezifische Gefahren ihrer Geschäftstätigkeit für die Respektierung von Menschenrechten und andere

24 Siehe Art. 6 Abs. 7 des OEIGWG REVISED DRAFT of a Legally Binding Instrument to Regulate, in International Human Rights Law, the Activities of Transnational Corporations and other Business En-terprises, 16.7.2019, dort heisst es wörtlich: “7. Subject to their domestic law, State Parties shall ensure that their domestic legislation provides for criminal, civil, or administrative liability of legal persons for the following criminal offences: a. War crimes, crimes against humanity and genocide as defined in articles 6, 7 and 8 of the Rome Statute for the International Criminal Court; b. Torture, cruel, inhuman or degrading treatment, as defined in article 1 of the UN Convention against Torture and other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment; c. enforced disappearance, as defined in articles 7 and 25 of the International Convention for the Protection of All Persons from Enforced Disappearance; d.

extrajudicial execution, as defined in Principle 1 of the Principles on the Effective Prevention and In-vestigation of Extra-Legal, Arbitrary and Summary Executions; e. Forced labour as defined in article 2.1 of the ILO Forced Labour Convention 1930 and article 1 of the Abolition of Forced Labour Con-vention 1957; f. The use of child soldiers, as defined in article 3 of the ConCon-vention on the Prohibition and Immediate Action for the Elimination of the Worst Forms of Child Labour 1999 g. Forced eviction, as defined in the Basic Principles and Guidelines on Development based evictions and displacement; h.

slavery and slavery-like offences; i. Forced displacement of people; j. Human trafficking, including sexual exploitation; k. Sexual and gender-based violence. 8. Such liability shall be without prejudice to the criminal liability under the applicable domestic law of the natural persons who have committed the offences”. Abrufbar unter <www.ohchr.org/ Documents/ HRBodies/ HRCouncil/WGTransCorp/

OEIGWG_RevisedDraft_LBI.pdf> (17.3.2020).

25 SINGELNSTEIN TOBIAS Grenzen eines internationalen Wirtschaftsstrafrechts zur Ahndung von Men-schenrechtsverletzungen, in: Jessberger/Kaleck/Singelnstein (Hrsg.), Wirtschaftsvölkerstrafrecht, Ba-den-Baden 2015, 148 f.

26Vgl. Richtlinie 2013/34/EU vom 26. Juni 2013, in der Fassung vom 29. September 2014, ABl. L 330 vom 15. November 2014, 1, die eine nichtfinanzielle Erklärung verlangt, die diejenigen Angaben ent-hält, die für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses, der Lage des Unterneh-mens sowie der Auswirkungen seiner Tätigkeit erforderlich sind und sich mindestens auf Umwelt-, So-zial-, und Arbeitnehmerbelange, auf die Achtung der Menschenrechte und auf die Bekämpfung von Korruption und Bestechung beziehen.

27 Vgl. GLESS SABINE, Zur Verantwortung von Unternehmen für ihre Wertschöpfungskette, in: FS Rogall, Berlin 2018, 332 ff.

SABINE GLESS

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1. Internationale Verankerung

Auf internationaler Ebene engagiert sich bereits seit den 1970er Jahren die OECD für einen Verhaltenskodex, der Empfehlungen für ein weltweit verantwortliches Handeln von Kon-zernen aufstellt.19 In den 1990er Jahren lancierte die Menschenrechtskommission der Ver-einten Nationen einen internationalen Prozess. Alle haben ein gemeinsames Anliegen: Res-pekt für Menschenrechte bei der Umsetzung globaler Geschäftsmodelle, insbesondere wenn die Geschäftstätigkeit an Orten stattfindet, an denen die Staatsgewalt schwach ist.20 1.1. Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UN Guiding Principles) Die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen (UNHCR) beauftragte im Jahr 2005 John Ruggie zum Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs für Wirtschaft und Menschenrechte. Ziel war es, Massnahmen zur Stärkung der Menschenrechtsleistung des globalen Wirtschaftssektors auszuarbeiten.

So entstanden die UN Guiding Principles on Business and Human Rights.21 Ihre Annahme durch den UN Human Rights Council im Jahr 2011 stellt für viele einen Wendepunkt in der Zuschreibung von Verantwortung an Unternehmen und Konzernen für ihre Geschäfts-modelle dar, wenn diese entlang einer grenzüberschreitenden Wertschöpfungskette zu Ver-letzungen bestimmter Menschenrechte in Drittstaaten führen könnten. Die von John Ruggie entwickelten 31 Leitlinien weisen also Staaten an, juristische Personen in die Pflicht zu nehmen, damit sie ihre Geschäftsmodelle auf Risiken überprüfen und bei ihrer Geschäfts-tätigkeit in allen Ländern, in denen sie tätig werden, auf Respekt von Menschrechten zu achten22 und mutmasslichen Opfern adäquaten Rechtsschutz zu gewähren. Von einer Ver-pflichtung zur Strafverfolgung steht dort aber nichts. Es genügen privatrechtliche oder so-gar ausserrechtliche Konfliktbeilegungsmechanismen.23

Die UN Guiding Principles on Business and Human Rights sollten aber nicht der Schluss-punkt sein. Eine 2019 eingesetzte UN-Sachverständigengruppe (Open Ended Inter-govern-mental Working Group OEIGWG) arbeitet an einer Weiterentwicklung und einem Entwurf für ein rechtlich bindendes Instrument betreffend die Unternehmenshaftung. Diese sieht

19 Vgl. zu den einschlägigen OECD Guidelines for Multinational Enterprises Nr. 13 ff.: PIETH MARK, Wirtschaftsstrafrecht, Basel 2016, 15 f.

20 Vgl. PIETH MARK/ZERBES INGEBORG, Unternehmerische Verantwortlichkeit für Völkerrechtsverbrechen im Ausland, KJ 2018, 67; PETERS ANNE, Privatisierung, Globalisierung und die Resistenz des Verfas-sungsstaates, in: Mastronardi/Taubert (Hrsg.), Staats- und Verfassungstheorie im Spannungsfeld der Disziplinen, ARSP Beiheft Nr. 105, 2006, 100 ff.; JESSBERGER FLORIAN, Zur Einführung, in: Jessber-ger/Kaleck/Singelnstein (Hrsg.), Wirtschaftsvölkerstrafrecht, Baden-Baden 2015, 13 ff.; zu Ansatz-punkten einer Haftung: MEYER FRANK, Multinationale Unternehmen und das Völkerstrafrecht, 131 ZStrR 2013, 56 ff.

21 <Http://www.ohchr.org/Documents/Publications/GuidingPrinciplesBusinessHR_EN.pdf> (17.3.2020).

22 SAAGE-MAASS MIRIAM, Ahndung wirtschaftsverstärkter Kriminalität – Geschäftsherrenhaftung als An-satz zur Strafverfolgung leitender Manager für Menschenrechtsverletzungen im Konzern?, NK 2014, 228, 231 ff.; PIETH MARK, Die strafrechtliche Haftung für Menschenrechtsverletzungen im Ausland, AJP 2017, 1011 f.

23 Vgl. dazu KROKER PATRICK, Menschenrechte in der Compliance, CCZ 2015, 120, 122 ff.

Konzernverantwortung – Entwicklungslinien aus strafrechtlicher Sicht

271 nun ausdrücklich eine strafrechtliche Haftung in besonderen Fällen vor, insbesondere bei schweren Menschenrechtsverletzungen.24

2. Umsetzung der UN Guiding Principles on Business and Human Rights durch EU

Zur Umsetzung der UN Guiding Principles on Business and Human Rights hat die EU für ihre Mitgliedstaaten im Jahr 2014 in einer Bilanzrichtlinie neue Bilanzierungspflichten auf-gestellt:25 Seit 2018 müssen grosse Unternehmen in ihrem Rechnungsabschluss im Rahmen sog. nichtfinanzieller Angaben,26 ihr Geschäftsmodell sowie etwaige Risiken, etwa in Be-zug auf Umwelt- und Arbeitnehmerbelange sowie Menschenrechte und den Umgang mit diesen Risiken erläutern. Dies legt den Grundstein einer Verrechtlichung der bis dahin eher als eine Art Anstandsregel galt. Offen blieb dabei aber, unter welchen Umständen eine strafrechtliche Haftung spielen könnte.27

Ob die Verletzung dieser Bilanzierungspflichten einen strafrechtlichen Vorwurf begründen kann, hängt davon ab, ob die die nichtfinanzielle Erklärung zu Risiken eines Geschäftsmo-delles entlang einer spezifischen Wertschöpfungskette, eine strafrechtliche Garantenpflicht etabliert? Sicher werden Konzernleitungen dadurch dazu gezwungen, betriebsspezifische Gefahren ihrer Geschäftstätigkeit für die Respektierung von Menschenrechten und andere

24 Siehe Art. 6 Abs. 7 des OEIGWG REVISED DRAFT of a Legally Binding Instrument to Regulate, in International Human Rights Law, the Activities of Transnational Corporations and other Business En-terprises, 16.7.2019, dort heisst es wörtlich: “7. Subject to their domestic law, State Parties shall ensure that their domestic legislation provides for criminal, civil, or administrative liability of legal persons for the following criminal offences: a. War crimes, crimes against humanity and genocide as defined in articles 6, 7 and 8 of the Rome Statute for the International Criminal Court; b. Torture, cruel, inhuman or degrading treatment, as defined in article 1 of the UN Convention against Torture and other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment; c. enforced disappearance, as defined in articles 7 and 25 of the International Convention for the Protection of All Persons from Enforced Disappearance; d.

extrajudicial execution, as defined in Principle 1 of the Principles on the Effective Prevention and In-vestigation of Extra-Legal, Arbitrary and Summary Executions; e. Forced labour as defined in article 2.1 of the ILO Forced Labour Convention 1930 and article 1 of the Abolition of Forced Labour Con-vention 1957; f. The use of child soldiers, as defined in article 3 of the ConCon-vention on the Prohibition and Immediate Action for the Elimination of the Worst Forms of Child Labour 1999 g. Forced eviction, as defined in the Basic Principles and Guidelines on Development based evictions and displacement; h.

slavery and slavery-like offences; i. Forced displacement of people; j. Human trafficking, including sexual exploitation; k. Sexual and gender-based violence. 8. Such liability shall be without prejudice to the criminal liability under the applicable domestic law of the natural persons who have committed the offences”. Abrufbar unter <www.ohchr.org/ Documents/ HRBodies/ HRCouncil/WGTransCorp/

OEIGWG_RevisedDraft_LBI.pdf> (17.3.2020).

25 SINGELNSTEIN TOBIAS Grenzen eines internationalen Wirtschaftsstrafrechts zur Ahndung von Men-schenrechtsverletzungen, in: Jessberger/Kaleck/Singelnstein (Hrsg.), Wirtschaftsvölkerstrafrecht, Ba-den-Baden 2015, 148 f.

26Vgl. Richtlinie 2013/34/EU vom 26. Juni 2013, in der Fassung vom 29. September 2014, ABl. L 330

26Vgl. Richtlinie 2013/34/EU vom 26. Juni 2013, in der Fassung vom 29. September 2014, ABl. L 330