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Konstruieren als Problemlösen: Design Problem Solving

2 METHODISCHE PRODUKTENTWICKLUNG

2.3 K OGNITIONSPSYCHOLOGISCHE G RUNDLAGEN DES K ONSTRUIERENS

2.3.1 Konstruieren als Problemlösen: Design Problem Solving

Die Interpretation elementarer Denkprozesse als Informationsverarbeitung ist zunächst anwendbar auf verschiedene Gegenstandsbereiche menschlichen Denkens. Im Zu-sammenhang dieser Arbeit steht jedoch das Lösen von Problemen im Vordergrund. Die Kognitionspsychologie definiert Probleme als eine subjektiv empfundene Differenz zwi-schen einem aktuellen inneren oder äußeren Zustand und einem wünzwi-schenswerten Zielzustand. „A person is confronted with a problem when he wants something and does not know immediately what series of actions he can perform to get it.” (NEWELL &SIMON

1972, S. 72, Hervorhebung im Original) Unterschieden wird dabei zwischen Aufgaben, die durch einfache Anwendung bekannter Transformationsregeln bzw. Operationen ge-löst werden können und Problemen, bei denen eine direkte Lösung aus irgendeinem Grund behindert ist. Ein weiteres zentrales Konzept in diesem Modell ist der Problem-raum, in dem die Problemumwelt subjektiv abgebildet wird und in dem nach Lösungen für das Problem gesucht wird (vgl. NEWELL & SIMON 1972, S. 810). „Ein Problem liegt dann vor, wenn ein Subjekt an der Aufgabenumwelt Eigenschaften wahrgenommen hat, sie in einem Problemraum intern repräsentiert und dabei erkennt, dass dieses innere Abbild eine oder mehrere unbefriedigende Lücken enthält. Der Problemlöser erlebt eine Barriere, die sich zwischen dem ihm bekannten Istzustand und dem angestrebten Ziel befindet.“ (LUER &SPADA 1992, S. 256, Hervorhebung im Original)

Newell und Simon unterscheiden dabei wohlstrukturierte („well-structured“) und schwach strukturierte („ill-structured“) Probleme. Wohlstrukturierte Probleme werden dabei vor al-lem durch hohe Einsicht in Ausgangs- und Zielbedingungen charakterisiert sowie durch eine rein formal-algorithmische Lösbarkeit, schwach strukturierte durch das Gegenteil,

also einen Mangel an entsprechenden Informationen. „In short, well-structured problems are those that can be formulated explicitly and quantitatively, and that can then be solved by known and feasible computational techniques. […] Problems are ill-structured when they are not well-structured.“ (NEWELL & SIMON 1958, S. 5, vgl. auch NEWELL &

SIMON 1972, S. 73; SIMON 1973). Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Reitman (REITMAN

1964, REITMAN 1965) und führt die Begriffe wohldefiniert („well-defined“) und schwach definiert („ill-defined“) ein. Der Hauptunterschied zwischen diesen Kategorien besteht darin, dass wohldefinierte Probleme eher formaler, schwach definierte Probleme eher empirischer Natur seien. „Certainly it is true that only a formal system can guarantee ab-solutely indifference to all but a specified set of sources of variance; and even this guar-antee refers only to the formalisms, not to their empirical realizations.“ (REITMAN 1964, S. 300, Hervorhebung im Original) Probleme können in einem Kontinuum zwischen die-sen beiden Extremen angesiedelt sein, wobei der Grad der Schwach- oder Wohldefi-niertheit von der Eindeutigkeit der einschränkenden Randbedingungen („constraints“) abhängt. „[…] to the extent that a problem situation evokes a high level agreement over a specified community of problem solvers regarding the referents of the attributes in which it is given, the operations that are permitted, and the consequences of those op-erations, it may be termed unambiguous or well defined with respect to that community.

[…] it is the open constraints that are the locus and the source of this ambiguity, interin-dividual variability, and problem ill definedness.“ (REITMAN 1964, S.301) Reitman wirft zudem die interessante Frage auf, wann ein schwach definiertes Problem eigentlich als gelöst angesehen werden kann, wenn definitionsgemäß ein eindeutiges Kriterium bzw.

ein eindeutiger Test für die Überprüfung einer Lösung fehlen. Seiner Auffassung nach ist diese Frage nach der Lösung eines schwach definierten Problems die Frage nach der Akzeptanz bzw. Akzeptierbarkeit einer vorgeschlagenen Lösung (vgl. REITMAN 1964, S. 302f.), verweist also auf relative und subjektive Kriterien, die ggf. organisational – d.h.

im Wege aushandelnder Kommunikation – festgelegt werden müssen. Dieser gerade für die Produktentwicklungspraxis offenkundig charakteristische Zusammenhang wird von vielen späteren Autoren, die eine wenn schon nicht eindeutige, so doch objektive Über-prüfung der Lösung eines Problems in ihren Betrachtungen – implizit oder explizit – vor-aussetzen, vernachlässigt.

Dörner bevorzugt anstelle von wohldefiniert und schwach definiert die begriffliche Di-chotomie von geschlossen und offen und entwickelt ausgehend vom Konzept der lö-sungsbehindernden Barriere eine Klassifizierung von Problemen. „Die Frage nach den Typen von Problemen […] ist die Frage nach den Typen von Barrieren, die die Trans-formation des Anfangszustandes in den Endzustand verhindern.“ (DÖRNER 1976, S. 11).

Dabei betrifft eine Klasse von Barrieren – bzw. „Lücken“ im Problemraum – die Verfüg-barkeit von Mitteln bzw. Operatoren um den Endzustand zu erreichen, eine andere die Verfügbarkeit von Informationen über den Ausgangszustand und den gewünschten Endzustand (Abbildung 2-22).

Abbildung 2-22: Klassifikation von Barrieretypen in Problemen (DÖRNER 1976, S. 14)

Bei Interpolationsproblemen sind die Zielkriterien bekannt und klar definiert, und auch die notwendigen Mittel, um das Ziel zu erreichen. So muss „nur“ die richtige Kombina-tion von Mitteln gefunden werden, um das Problem zu lösen. Dass solche Probleme durchaus nicht trivial sein müssen, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass das Schachspiel überwiegend ein Interpolationsproblem darstellt. Syntheseprobleme bestehen dann, wenn Ausgangsbedingungen und Ziel genau bekannt sind, die notwen-digen Mittel zur Zielerreichung jedoch noch gefunden bzw. entwickelt werden müssen.

Dialektische Probleme zeichnen sich dadurch aus, dass Ausgangsbedingungen und Ziel nur unscharf definiert sind, die potenziellen Mittel zur Lösung des Problems jedoch be-kannt sind. Solche Probleme erfordern zu ihrer Lösung die Analyse und Klärung von Ausgangsbedingungen und Zielkriterien, so dass man sich dann schrittweise einem In-terpolationsproblem nähert. Sind die Informationen über Ausgangsbedingungen und Ziel unscharf und zudem potenzielle Mittel zur Problemlösung unbekannt, stößt man gleich-zeitig auf eine dialektische und eine Synthesebarriere. RÖMER 2002 ordnet dieser Prob-lemklassifikation typische Konstruktionsprobleme zu (Abbildung 2-23).

Abbildung 2-23: Klassifikation von Konstruktionsproblemen (RÖMER 2002, S. 18)

RITTEL & WEBBER 1973 wenden ein, dass das Informationsverarbeitungsmodell auf Pla-nungsprobleme – als die komplexe Entwurfsprobleme weitgehend auch angesehen werden können – nur begrenzt anwendbar sei, da diese „vertrackt“ („wicked“) seien, in-dem sie (selbstreferentiell) auf sich selbst verweisen. „The information needed to un-derstand the problem depends upon one’s idea for solving it. That is to say: in order to describe a wicked problem in sufficient detail, one has to develop an exhaustive inven-tory of all conceivable solutions ahead of time.“ (RITTEL & WEBBER 1973, S. 136) Die (Um)Formulierung eines solchen „wicked“ Problems in einer Weise, die es der Be-schreibung und Bearbeitung durch das Informationsverarbeitungsmodell zugänglich macht – im Sinne Reitmans die Transformation einer empirischen in eine formale Pro-blemrepräsentation –, sei schon der wesentliche Teil der Lösung des Problems. „[…]

setting up and constraining the solution space and constructing the measure of per-formance is the wicked part of the problem. Very likely it is more essential than the re-maining steps of searching for a solution which is optimal relative to the measure of per-formance and constraint system.“ (RITTEL & WEBBER 1973, S. 138) Wicked Problems seien unter anderem dadurch charakterisiert,

• dass sie nicht eindeutig formuliert werden können;

• dass sie nicht vollständig bzw. endgültig gelöst werden können;

• dass Lösungen nicht objektiv richtig oder falsch sondern lediglich subjektiv gut o-der schlecht sein können, so dass es auch kein eindeutiges Testverfahren für die Lösung geben kann;

• dass das Lösungsrisiko hoch ist, da die Auswirkungen bzw. Kosten schlechter Lö-sungen irreparabel bzw. inakzeptabel sein können;

• dass die Menge denkbarer Lösungen und möglicher Mittel und Wege, diese zu er-reichen, potenziell unendlich groß ist.

GOEL &PIROLLI 1992 übertragen dieses Konzept auf Entwurfsprobleme und legen empi-rische Befunde vor, die die Übertragbarkeit belegen. In enger Anlehnung an RITTEL &

WEBBER 1973 definieren sie eine aus zwölf invarianten Merkmalen bestehende Problem-taxonomie für Entwurfsprobleme (GOEL &PIROLLI 1992, S. 405f.).

Auch Dörner schlägt vor, die objektiven Sachverhalte innerhalb des Realitätsbereiches eines Problems entlang der Dimensionen Komplexität, Dynamik, Vernetztheit, Transpa-renz, und Grad des Vorhandenseins freier Komponenten genauer zu klassifizieren. Rü-ckert und Schroda (RÜCKERT ET AL.1997A, SCHRODA 2000) haben aufbauend auf diesem Konzept eine Problemtaxonomie für Konstruktionsaufträge entwickelt, die die Di-mensionen

• widersprüchliche Ziele,

• Komplexität,

• Intransparenz,

• Freiheitsgrade,

• Dynamik und

• erforderliches Wissen

umfasst. Diese Problemtaxonomie wurde in einem Verfahren zur Beurteilung der Anfor-derungshöhe von Konstruktionsaufträgen operationalisiert, das sich inzwischen mehr-fach empirisch bewährt hat (vgl. SCHRODA 2000, BENDER 2003) und auch in dieser Arbeit zur Beurteilung und Standardisierung der Anforderungshöhe von Konstruktionsaufträgen eingesetzt wurde (vgl. Kapitel 4.1.4.3).