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Konstellationen mit Ankerinvestoren nehmen ab, aber bleiben relevant Wie sich die Eigentümerstruktur börsennotierter Unternehmen im Hinblick auf die

1 Indikatoren der Kontrollfinanzialisierung im Zeitablauf

1.3 Konstellationen mit Ankerinvestoren nehmen ab, aber bleiben relevant Wie sich die Eigentümerstruktur börsennotierter Unternehmen im Hinblick auf die

Zusammensetzung der verschiedenen Kategorien von Aktionären entwickelt, insbe-sondere welchen Anteil hieran Finanzinvestoren aufweisen, und ob die börsen-notierten Unternehmen stark dem Kapitalmarkt exponiert sind, weil sie keinen poten-ziell schützenden Ankerinvestor aufweisen – das sind zwei wichtige Indikatoren der Kontrollfinanzialisierung, die die Datengrundlage, die die „Erosion der Deutschland AG“ belegt, nicht liefert. Zur Beantwortung dieser Frage gibt es verschiedene, mehr oder weniger gut geeignete Datengrundlagen. Die Daten aus der Finanzierungsrech-nung der Deutschen Bundesbank, die vielfach (Fichtner 2009; Vitols 2005; Deeg 2011) zu Rate gezogen wurden, um die durchschnittlichen Anteile verschiedener Aktio-närskategorien am Aktienbesitz zu ermitteln, erweisen sich als ungeeignet, da sie erst ab 2013 die relevante Kategorie, nämlich den Besitz an inländischen, börsennotier-ten Aktien getrennt ausweisen.18 Frühere Verwendungen dieser Daten umfassen auch ausländische börsennotierte Aktien und/oder auch nicht börsennotierte Ak-tien.19 Diese Daten sind als Finanzialisierungsindikator nicht geeignet. Die neueren, korrekten Daten aus dieser Datenquelle weisen aber im Hinblick auf den Ausweis des Anteils von Finanzinvestoren einige Mängel auf, vor allem weil die in 2013 und

17 Dies zu übersehen kann Anlass zu Fehldeutungen geben. So mündet Wolfgang Streecks (2009: 77–89) kompakte Dar-stellung „Corporate Governance: the decline of Germany Inc.” in dem einflussreichen Werk “Re-Forming Capitalism”

in die Botschaft, dass Deutschland einen Prozess der Desorganisation und Liberalisierung durchlaufen hat. Die Des-integrationsthese wird über die Verflechtungsanalyse hinaus noch mit anderen Argumenten unterfüttert, insbesondere dem Bedeutungsverlust der Industrie- und Wirtschaftsverbände, der auch Auswirkungen auf die Regulierung der Ar-beit hat. Aber in Bezug auf die Unternehmen selbst argumentiert Streeck mit dem Rückgang der „cross-share-holdings“ unter den 100 größten Unternehmen und speziell dem Rückzug der großen Banken und Versicherungen als Anteilseigner. Im Hinblick auf die Einordnung der Ergebnisse und die Diagnose der Finanzialisierung als Kennzeich-nung des im obigen Sinne desorganisierten Kapitalismus fehlt in der Streeck‘schen Darstellung jegliche Unterschei-dung zwischen börsennotierten und nicht-börsennotierten Unternehmen im Kreis der 100 größten. Dies wird durch die Bezugnahme auf die Studie Höpners (2003) nahegelegt, der aus dem 100er-Datensatz der Monopolkommission die 40 börsennotierten Nicht-Finanzunternehmen auswählte. Welcher Art die Zusammensetzung der Eigentümer auch der börsennotierten Unternehmen nach dem Niedergang der Deutschland AG ist, wird ebenfalls nicht betrachtet.

Trotzdem bringt Streeck die Argumente ins Spiel, die üblicherweise mit der Börsennotierung und der Eigentümer-struktur des institutionellen Streubesitzes verbunden sind, nämlich dass die resultierende Börsen- bzw. Kapitalmarkt-abhängigkeit die Unternehmenspolitik verändere (zum Beispiel vermittelt über die Drohung mit feindlicher Über-nahme). So unterbleibt eine wirkliche empirische Überprüfung, inwieweit die Bedingungen für die Wirksamkeit der hypothetischen Mechanismen in dem Sample der 100 größten Unternehmen überhaupt vorliegen bzw. wofür die Rede von der Erosion der Deutschland AG eigentlich steht. Je enger man den Kern der (ursprünglichen) Verflechtung defi-niert, desto begrenzter wird aber auch die Reichweite der getroffenen Aussagen.

18 Mehrfach wurden die Sektoren der Finanzierungsrechnung und die Instrumente der Finanzierung in der Bundesbank-statistik aufgrund europäischer Vorgaben verändert (vgl. Deutsche Bundesbank 2015, 2014b, 2010; zusammenfassend Faust/Thamm 2015: 46–51).

19 Hierdurch wird der Anteil der inländischen Nicht-Finanzunternehmen als Aktionäre erheblich überschätzt und der An-teil des „Auslands“ erheblich unterschätzt.

2014 deutlich über 50 % ausmachende Auslandskategorie nicht aufgeschlüsselt wer-den kann.

Erst ab 2005 stehen die Daten aus der Meldepflicht der Depotbanken über ihre Wertpa-pierbestände für eine Analyse der durchschnittlichen Zusammensetzung der Aktio-näre von inländischen börsennotierten Unternehmen zur Verfügung (Tabelle 6.1).

Diese Daten eignen sich wegen des begrenzten Zeitraums für die hier angestrebte Langfristbeobachtung nur bedingt.

Tab. 6.1: Eigentümerstruktur börsennotierter Aktiengesellschaften nach Meldungen der Depotbanken (Kate-gorien in %)

Eigentümer 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Inländer 45,5 46,4 41,2 48,4 45,4 44,9 45,8 44,6 42,8 42,9

darunter:

Private Haushalte 13,3 11,2 10,0 10,3 12,6 12,8 13,1 12,2 14,4 11,8 Institutionelle

Inves-toren 29,8 32,7 29,4 36,1 31,1 30,6 31,1 30,3 29,6 29,4

darunter

nichtfinan-zielle Investoren 12,7 16,1 15,8 22,9 19,4 19,2 18,7 18,3 18,9 18,3 darunter finanzielle

Investoren 17,2 16,6 13,6 13,2 11,7 11,4 12,3 12,0 10,7 11,1

darunter Banken 4,7 4,7 3,1 3,5 2,6 2,3 2,2 1,9 2,1 2,7

darunter

Invest-mentfonds 8,0 7,7 5,8 5,3 5,9 6,2 6,9 6,8 6,4 6,3

darunter

Versiche-rungen 2,6 2,5 2,5 2,1 2,1 1,9 1,5 1,6 0,8 0,9

darunter sonstige

finanzielle Investoren 1,8 1,7 2,2 2,3 1,1 1,0 1,9 1,7 1,5 1,3

Ausländer 54,5 53,6 58,8 51,6 54,6 55,1 54,2 55,4 57,2 57,1

Quelle: Deutsche Bundesbank 2014a.

Dafür werden aber eindeutig inländische börsennotierte Aktien erfasst, und im Ge-gensatz zu den Daten der Monopolkommission werden die Anteile von Investment-fonds, als „Sondervermögen“ erfasst, gesondert ausgewiesen und nicht Banken oder Versicherungen als Obergesellschaften (sofern die Vermögensverwalter Tochterge-sellschaften derselben sind) zugerechnet. Die Analyse zeigt für den verfügbaren Zeitraum von 2005 bis 2014, dass der Inländeranteil in der Finanzkrise auf einen Höchstwert von 48,4 % ansteigt und danach auf knapp 43 % abfällt, zwangsläufig durchläuft der Ausländeranteil die entsprechende Gegenbewegung. Im Inland geht der Anteil der privaten Haushalte ebenso zurück wie die Anteile von Investment-fonds unter den finanziellen Investoren, während der Anteil der „nicht-finanziellen Investoren“ erheblich schwankt, aber tendenziell in der Gesamtbewegung wächst.

Unter Berücksichtigung diverser Mess- und Zuordnungsprobleme lässt sich im ein-geschränkten Beobachtungszeitraum für die inländischen Aktionäre jedenfalls keine Erhöhung des Anteils der finanziellen Investoren feststellen, eher das Gegenteil. Ob

dieser wichtige Finanzialisierungsindikator auf Unternehmensebene insgesamt in diese Richtung weist, lässt sich aber nicht beantworten, weil die tendenziell wach-sende Ausländer-Kategorie nicht weiter aufgeschlüsselt werden kann. Es spricht eini-ges dafür, dass sich unter der Rubrik Ausland viele Anteile von Investmentfonds (inkl. Pensionsfonds und Hedgefonds) finden lassen. Zum Ausland gehören aber auch Staatsfonds, die in unterschiedlicher Weise agieren, und (sonstige) strategische Investoren (siehe Faust im Erscheinen).

Beide Datensammlungen bieten aus verschiedenen Gründen keine gute Datenbasis, um den Finanzialisierungsgrad im Hinblick auf die Eigentümerstruktur für das Aggregat der börsennotierten Unternehmen in Deutschland zuverlässig zu messen.

Beide Datensammlungen erlauben es vor allem nicht, die Existenz von Ankerinves-toren festzustellen, da sie beide auf Durchschnittsbetrachtungen nach Aktionärsgat-tungen beruhen und die Konstellationen auf Ebene des Einzelunternehmens sich so nicht entschlüsseln lassen.

Letzteres kann nur erfasst werden, wenn man unternehmensbezogen die Daten der Aktionärsstruktur auf Basis vorhandener Datenquellen (BAFin, kommerzielle Da-tenanbieter20) auswertet. Für die sozioökonomische Berichterstattung wurde von uns 2014 eine Stichtagsuntersuchung zu den DAX-Unternehmen durchgeführt, die mit ähnlich gelagerten Untersuchungen seit den 1990er-Jahren verglichen werden kann.21 In Anlehnung an Fichtner (2009) erfassen wir neben der De-jure-Sperrmi-norität auch die De-facto-SperrmiDe-jure-Sperrmi-norität unter Berücksichtigung der jeweiligen Hauptversammlungspräsenz. Dabei gehen wir davon aus, dass die Schutzwirkung des Ankerinvestors bei niedriger Hauptversammlungspräsenz auch schon unterhalb der 25 %-Schwelle wirksam wird. Abgesehen von der Möglichkeit, mit weniger als 25 % an der Gesamtheit der möglichen Stimmen auf der Hauptversammlung den-noch auf die Sperrminorität zu kommen, haben größere Beteiligungen unterhalb der 25 %-Schwelle auch eine symbolische Wirkung. Wenn potenzielle Angreifer eine solche Beteiligung zur Kenntnis nehmen, können sie vermuten, dass diese Investo-ren im Bewährungsfall auch noch zukaufen würden. Dass diese Betrachtungsweise realistisch ist, nach außen als Signal ausgesendet wird und nach innen so wahrge-nommen wird, zeigt das folgende Beispiel.

Bei der RWE AG gibt es seit Langem kommunale Aktionäre, die ihre Einflusspoten-ziale verbandsförmig bündeln. Der folgende Auszug aus der Satzung des Verbands

20 BaFin: Datenbank: Bedeutende Stimmrechtsanteile an inländischen Gesellschaften, die zum Handel an einem organi-sierten Markt zugelassen sind. https://portal.mvp.bafin.de/database/AnteileInfo/. Stand: 05.09.2016.

21 Stand August 2014 weist die BAFin-Datenbank 479 inländische Gesellschaften (Emittenten) auf, die zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind (https://portal.mvp.bafin.de/database/AnteileInfo/start.do). Die hier aus-gewählten Unternehmen stellen mit 160 Firmen eine Teilmenge dar, an die besondere Anforderungen gestellt werden.

Die im DAX30, MDAX, SDAX und TecDAX notierten Unternehmen müssen alle die Voraussetzungen des Prime Stan-dards erfüllen. Laut Deutscher Börse ist der „Prime Standard (ein) Teilbereich des EU-regulierten Segmentes der Deutschen Börse für Unternehmen, die besonders hohe Transparenzstandards erfüllen, (…), die über die gesetzlichen Mindestanforderungen des Regulierten Marktes hinausgehen (http://www.boerse-frankfurt.de/boersenlexikon/

Prime_Standard. Stand: 09.10.2016).

der kommunalen RWE-Aktionäre zeigt einerseits das Selbstverständnis der Aktio-näre als stabilitätsgebender Ankerinvestor, der seine Rolle explizit auch in der Ab-wehr unerwünschter Übernahmeversuche sieht, und andererseits eine selbstbe-wusste Einschätzung des eigenen Einflusspotenzials, obwohl dieses unterhalb der 25 %-Schwelle liegt. Nach den neueren Daten unserer Erhebung liegt der Anteil der kommunalen Aktionäre bei 15 %, was bei einer Hauptversammlungspräsenz in 2014 von 53,64 % weiterhin garantiert, dass die Sperrminorität klar übersprungen wird.

„1.2 Strategisches Investment: Bei der kommunalen Beteiligung an RWE handelt es sich für die Kommunen nicht nur um irgendein Portfolio, sondern um ein strategisches In-vestment zur Sicherung der Daseinsvorsorge für ihre Bürger. Deshalb sind sie – im Ge-gensatz zu vielen anderen Anteilseignern – langfristig investiert und nicht einseitig am Aktienkurs orientiert.

1.3 Verlässlichkeit und Stabilität: Dieses strategische kommunale Investment garantiert RWE Verlässlichkeit und Stabilität in Zeiten, in denen das besonders wichtig ist. So kann sich RWE nach wie vor auf eine stabile kommunale Aktionärsstruktur stützen, auch wenn der kommunale Schutzwall in den vergangenen Jahren schwächer geworden ist.

Wenn auch die kommunale Beteiligung an der RWE AG unter 25 % gesunken ist, lag die kommunale Präsenz in der Hauptversammlung 2012 (Stimmrechtsanteil bei der HV 2012) mit rd. 42 % weit über der Sperrminorität.

1.4 Schutz vor Hedgefonds und feindlicher Übernahme: Auch bei einem kommunalen Aktienanteil unter 25 % bieten die kommunalen Anteilseigner auf Grund ihrer hohen HV-Präsenz (= faktische Sperrminorität) RWE auch in überschaubarer Zukunft Schutz vor Hedgefonds und feindlicher Übernahme“ (VKA 2012 [Verband der kommunalen RWE-Aktionäre GmbH]: Aufgaben laut Satzung: http://www.vka-rwe.de).

Die Daten zur Hauptversammlungspräsenz zeigen ferner, dass diese in den Unter-nehmen mit Ankerinvestoren wesentlich höher ausfällt als in den UnterUnter-nehmen ohne derartige Investoren. BMW, Beiersdorf und Continental, Unternehmen mit großen von Ankerinvestoren gehaltenen Anteilen, weisen Hauptversammlungsprä-senzen von über 70 % bis über 80 % auf, während Streubesitz-Unternehmen wie BASF, Bayer, Allianz, Daimler und Deutsche Bank alle deutlich unter 50 % liegen und bisweilen nicht einmal 30 % erreichen (Deutsche Bank). Dies spricht umge-kehrt dafür, dass in Streubesitz-Unternehmen gut organisierte Herausforderer de facto relativ leicht respektable Stimmrechtsanteile erzielen können. Ab welcher Größe Unternehmen in Streubesitz durch Hedgefonds angreifbar werden, ist damit noch nicht ausgemacht. Bei großen Unternehmen mit hohem Marktwert stellen auch 10 % oder gar 20 % der Anteile einen großen Vermögenswert dar, der nicht so einfach von einem Hedgefonds aufgebracht werden kann. Bezüglich der Realistik von feindlichen Übernahmedrohungen (und den damit vermuteten Disziplinie-rungseffekten auf das Management) muss eine Reihe anderer Faktoren in Betracht gezogen werden. Dies gilt nicht zuletzt für nationale politische Zielsetzungen. Kann man sich vorstellen, dass eine Bundesregierung (oder eine bayerische Landesregie-rung) es zulassen würde, dass durch eine feindliche Übernahme von Siemens das

Unternehmen aufgespalten und in Teilen verkauft wird und dass eine Immobilien-verwertungsfirma aus der Zentrale am Wittelsbacher Platz ein Einkaufszentrum macht? Anders mag das bei kleineren bis mittleren Unternehmen aussehen, für de-ren Eigentumsübergang sich weniger öffentliches Interesse mobilisiede-ren lässt.22

Tab. 6.2: De-jure-„Blockholding“ nach SOFI-Kategorien (prozentuale Anteile) Kategorien Kein

Block Mit

Block 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Index ↓

DAX30 70,0 30,0 0,0 0,0 0,0 0,0 3,3 16,7 10,0 0,0 0,0

MDAX 38,0 62,0 4,0 0,0 6,0 6,0 4,0 16,0 12,0 12,0 2,0

SDAX 28,0 72,0 6,0 2,0 2,0 0,0 2,0 46,0 8,0 4,0 2,0

TecDAX 43,3 56,7 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 46,6 3,3 6,7 0,0

Total 41,9 58,1 3,8 0,6 1,9 1,9 2,5 31,3 8,8 5,6 1,3

1 = KAG; 2 = Bank; 3 = Versicherung; 4 = Staatsfonds/Staat; 5 = Deutsche Gebietskörperschaft;

6 = Einzelperson/Familien/Stiftungen; 7 = deutsches Nichtfinanz-Unternehmen; 8 = ausländisches Unternehmen oder Einzelperson; 9 = Genossenschaft/Verein

Quelle: Faust/Thamm 2015. SOFI-Erhebung.

Nach unserer Auswertung (Tabelle 6.2) haben rund 58 % der erfassten börsennotier-ten Unternehmen 2014 einen De-jure- und rund 71 Prozent einen De-facto-Blockhol-der (25 %-Schwelle). Allerdings liegt De-facto-Blockhol-der Anteil De-facto-Blockhol-der Unternehmen mit Ankerinvestor (25 %) bei den eher großen Unternehmen des DAX30 niedriger (30 % de jure bzw.

57 % de facto). Blockholder mit einfacher Mehrheit (größer als 50 %) finden sich in der De-jure-Betrachtung bei 33,1 % des Samples, mit einer Supermehrheit (größer als 75 %) bei 8,1 % des Samples (vgl. Faust/Thamm 2015: 68–69).

Die zusätzlich zu Rate gezogene Studie zu börsennotierten Familienunternehmen (Achleitner u. a. 2011), die die Jahre 1998 bis 2008 abdeckt und ein größeres Sample aus börsennotierten Unternehmen umfasst, bestätigt insgesamt die hohe Eigentü-merkonzentration und zeigt, dass ein erheblicher Teil der Ankerinvestoren aus Fa-milien bzw. Unternehmensgründern besteht (zwischen 26 und 39 % im Zeitverlauf nach der engen Definition des Familienunternehmens), das Phänomen Ankerinves-tor aber nicht darin aufgeht. AnkerinvesAnkerinves-toren haben eine sehr heterogene Herkunft, neben Familien und Gründern, die nach unserer Erhebung die größte Gruppe stel-len, gehören dazu auch Stiftungen und Genossenschaften, deutsche Gebietskörper-schaften, deutsche und ausländische Nicht-Finanzunternehmen, Banken, Versiche-rungen und ausländische Staatsfonds bzw. Staaten (vgl. auch Tabelle 6.3).

Neben der Zusammensetzung der Ankerinvestoren interessiert auch die Zusam-mensetzung der bedeutsamen Finanzinvestoren.23 Insgesamt sind an den 160

unter-22 Diesen Umstand macht Fichtner zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen über die Verwundbarkeit von Streubesitz-Unternehmen durch aktivistische Hedgefonds (Fichtner 2009; zur Einordnung vgl. Faust im Erscheinen).

23 Investoren unterhalb der Meldepflicht, die somit gar nicht über Meldungen identifiziert werden können, werden dem Streubesitz zugerechnet, den wir für Beteiligungen unterhalb der 3-Prozent-Schwelle ansetzen.

suchten Unternehmen zum Erhebungszeitpunkt (neben den strategischen Investo-ren) 128 finanzielle Investoren mit einem Anteilsbesitz von (meist) mehr als 3 % beteiligt und somit identifizierbar. Auf die identifizierten finanziellen Investoren ent-fallen insgesamt 375 individuelle Beteiligungen. Etwa die Hälfte der Beteiligungen (185) entfällt auf die in Tabelle 6.3 aufgeführten zehn Investoren mit den meisten in-dividuellen Beteiligungen. BlackRock ist mit Abstand der am häufigsten vertretene Investor, was sich allein schon dadurch erklärt, dass BlackRock über Indexfonds in nahezu allen Indexunternehmen automatisch dabei ist. Mit dem norwegischen Staatsfonds ist einer der vielen Staatsfonds unter den zehn größten Investoren ver-treten, der seine Investments breit streut. Katar (vier Beteiligungen), Singapur (zwei), Belgien (eine) und Abu Dhabi (eine) folgen weiter unten auf der Liste. Nä-here Analysen der (unterschiedlichen) Strategien der bedeutsamen Finanzinvestoren müssten klären, inwieweit auch diese „geduldig“ sind, in dem Sinne, dass sie ihre Anlagestrategie nicht von quartalsweisen Gewinn- bzw. Kursentwicklungen oder Ausschüttungsversprechen abhängig machen. Ferner wäre zu prüfen, ob sie („gedul-dig“ oder nicht) versuchen, Einfluss auf die Unternehmensführung zu nehmen, auf welchen Wegen dies ggf. geschieht und bei welchen Themen (vgl. Faust im Erschei-nen). Auffällig ist auf alle Fälle, dass unter den Spitzenreitern der Tabelle 6.3 mit BlackRock, der Capital Group und dem norwegischen Staatsfonds erklärte Langfrist-investoren vertreten sind, die sich oft auch mit Bezug auf ESG-Themen (Environ-mental, Social, Governance) als „engagiert“, aber nicht „aktivistisch“ bezeichnen (vgl. Faust im Erscheinen). BlackRock ist hierbei ein besonderer Fall, der „zwangs-weise geduldig“ ist, weil sein Aktienportfolio zu rund 80 % in Indexfonds angelegt ist, die Käufe und Verkäufe nur nach Maßgabe der Indexgewichte von Unternehmen vornehmen.

Tab. 6.3: Die zehn größten Finanzinvestoren und ihre Beteiligungen an den 160 DAX-Firmen Ende 2014

Finanzieller Investor Anzahl Beteiligungen

BlackRock 47

Allianz Global Investors 22

Staat Norwegen 21

Capital Group 20

Deutsche Asset & Wealth Management 17

Fidelity 16

Franklin Templeton Investments 15

Sun Life Financial 12

BNP Paribas 7

Threadneedle 6

Quelle: Faust/Thamm 2015. SOFI-Erhebung.

Zur Klärung der Frage, ob wir es in Deutschland mit einer fortschreitenden Finan-zialisierung der Unternehmenslandschaft zu tun haben, müssen wir die Befunde der Stichtagsuntersuchung von 2014 einordnen.

Tab. 6.4: Börsennotierte Unternehmen in Deutschland mit Ankerinvestoren – Entwicklung von 1990 bis 2014

Studie Untersuchungsjahr Unternehmen mit

De-jure-Sperrminorität (%)

Unternehmen mit

De-facto-Sperrminori-(%)tät

Franks/Mayer 2001 1990 85,4

Jenkinson/Ljungqvist 2001 1991 87,4

Edwards/Nibler 2000 1992 71,4

Becht/Boehmer 1997 1996 82,3

Ampenberger 2010 1995 88

2000 77

2006 67

Kammerath 1999 1999 81,1

Van der Elst 2000 1999 75,1

Rapp/Wolff 2010 2005 – 2007 ca. 54

Fichtner 2009 2008 56,3 69,4

Fichtner 2015 2011 57,5

Faust/Thamm 2015 2014 58,1 71,2

Quelle: Verschiedene Studien. Eigene Darstellung.

Durch eigene, frühere Zeiträume umfassende Erhebungen war das nicht zu leisten.

Wir greifen hierzu auf eine Serie von Erhebungen aus früheren Studien zurück, die alle Aussagen treffen, wie hoch der Anteil der Ankerinvestoren mit Sperrminorität bei börsennotierten Unternehmen in Deutschland ist. Diese Studien unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht (Samplegröße, Zufallsauswahl, Berechnungsmethoden).24 Dennoch lässt sich ein grobes, aber aufschlussreiches Bild der Entwicklung zeich-nen (Tabelle 6.4).25

So erhalten wir bezüglich dieses zentralen Finanzialisierungsindikators eine ge-mischte Aussage, je nachdem an welchen Erwartungen wir uns orientieren. Der deutliche Rückgang der Anzahl von Unternehmen mit einem Ankerinvestor im ge-samten Zeitraum von 1990 bis 2014 zeigt eine fortschreitende Finanzialisierung oder Desorganisation an. Gemessen an der idealtypischen Konstellation des „institu-tionellen Streubesitzes“ einer neuen Formation namens „Finanzmarktkapitalismus“

handelt es sich aber weiterhin um eine begrenzte Finanzialisierung, wenn unter den börsennotierten Unternehmen weit mehr als die Hälfte weiterhin einen

Ankerinves-24 Hinweise hierzu finden sich in den jeweiligen Studien. Für Überblicke vgl. Becht/Boehmer 2003; Faust/Thamm 2015.

25 Die Unterscheidung zwischen De-jure- und De-facto-Sperrminorität wurde von den früheren Studien nicht angewandt, sodass diesbezüglich keine Aussagen möglich sind.

tor aufweist – erst recht gilt diese Aussage, wenn wir die De-facto-Sperrminorität von deutlich mehr als zwei Drittel der Fälle berücksichtigen. Die Studie von Achleitner u. a. (2011) zeigt zudem, dass ein großer Teil der Finanzialisierung der Unterneh-menslandschaft, gemessen am Zuwachs an börsennotierten Unternehmen seit den 1990er-Jahren, auf das Konto von Gründern und Familien ging, die ihre Unterneh-men an die Börse brachten, aber nicht um sich als Privatier zurückzuziehen, son-dern um das Unternehmen mit zusätzlichem Eigenkapital weiterzuführen, ohne die Kontrolle aus der Hand zu geben, d. h. mindestens mit einer Sperrminorität ausge-stattet. Zwar sind in den unmittelbaren Folgejahren des Börsencrashs um die Jahr-tausendwende überproportional viele Familienunternehmen wieder ausgeschieden, die offenbar auf kein tragfähiges Geschäftsmodell bauen konnten, darunter vermut-lich auch solche mit haltlosen bis halbseidenen Versprechungen. Dennoch resultiert die Gesamtbewegung in einem dauerhaften, substanziellen Anstieg der Familienun-ternehmen unter den CDAX-UnFamilienun-ternehmen, auch nach dem Ende des Börsenbooms der 1990er-Jahre (vgl. Achleitner u. a. 2011: 38; vgl. Faust/Thamm 2015: 74–81). Die Entwicklung, die in der einen Perspektive als Finanzialisierung der Unternehmens-landschaft in Deutschland verbucht werden kann, weil für einen bestimmten Zeit-raum (1990 bis 2000) der Anteil der börsennotierten Unternehmen stark ansteigt, erscheint in der anderen Perspektive als Ausbreitung von Familienunternehmen am Kapitalmarkt: „Finanzialisierung“ und „Familialisierung“ als parallele Momente ei-ner Entwicklung.

Ergänzend zu diesem Befund zeigen Fallstudien, dass in Fällen von feindlichen bzw.

unerwünschten Übernahmedrohungen sich auch Abwehrkoalitionen neu bilden, wobei die regionale Wirtschaft und der Staat (Länder oder kommunale Gebietskör-perschaften) entweder in konkreten Fällen als „weiße Ritter“, wie der Senat der Stadt Hamburg im Fall von Beiersdorf und Hapag Lloyd (vgl. Faust/Ittemann in Vorberei-tung), oder prophylaktisch tätig werden, wie die thüringische Landesregierung unter anderem im Fall von Jenoptik. Die Mitteldeutsche Zeitung (01.10.2012) spricht in die-sem Zusammenhang in Anspielung auf die sprichwörtliche Deutschland AG von der „Neuen Thüringen AG“. Wir interpretieren diese und andere Fälle als funktio-nale Äquivalente zur Deutschland AG, in denen oft der Staat als direkter Miteigentü-mer und Koordinator einer Anker- bzw. Abwehrkoalition auftritt. Es muss also bei der Interpretation der rein zahlenmäßigen Befunde zur Existenz von Ankerinvesto-ren mit bedacht werden, dass sich im Fall von feindlichen Übernahmeangeboten eine Abwehrkoalition neu bilden kann, insbesondere dann, wenn öffentliches Inte-resse über politische Kanäle mobilisiert werden kann.

2 Die Dimensionen der (Kontroll-)Finanzialisierung in der

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