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Michael Faust/Lukas Thamm1

Wem die Unternehmen gehören, wie und von wem die Unternehmensleitung beauf-sichtigt wird und wie verschiedene Anspruchsgruppen auf die Unternehmenspolitik Einfluss nehmen können, stellt ein zentrales Element einer sozioökonomischen For-mation dar. Die sozioökonomische Berichterstattung geht von einem Umbruch der sozioökonomischen Nachkriegsformation aus, die als deutsche Variante des Fordis-mus beschrieben wird. Ob sich nach inzwischen langen Umbruchjahren eine neue Formation herausgebildet hat und wie sie ggf. jenseits von Verlegenheitsformeln wie

„Postfordismus“ oder „neue Unübersichtlichkeit“ bezeichnet werden soll, ist weiter-hin strittig. Die Vorlieben für Kandidaten einer neuen Formation oder eines neuen Regimes variieren auch danach, wie die Vorläuferformation bezeichnet bzw. an wel-chen wesentliwel-chen Merkmalen sie festgemacht wird.

Wir fokussieren im Folgenden auf Formationsunterscheidungen, die sich wesentlich an den Eigentumsstrukturen und/oder Finanzierungsstrukturen von Unternehmen und der jeweiligen Governance festmachen. Autoren, die so vorgehen, fixieren die Vorläuferkonfigurationen entweder als Managerkapitalismus/organisierten Kapitalis-mus/kooperativen Kapitalismus (Beyer 1998; Windolf 2005b) oder als bank-based/

bank-dominated system bzw. Insidersystem (Vitols 2005; Schmidt/Tyrell 2004; zu-sammenfassend Faust 2013). All diese Formationsbezeichnungen dienten zur Cha-rakterisierung Deutschlands zumindest bis in die 1990er-Jahre, sodass die damit ge-gebene zeitliche Phaseneinteilung nicht mit derjenigen übereinstimmt, die meist für die Erosion des Fordismus und den Beginn der Umbruchphase (oder des Post-fordismus) gegeben wird. Letztere wird üblicherweise früher angesetzt (manchmal schon mit dem Ende von Bretton Woods 1971), wobei unterstellt wird, dass sich Anfangsimpulse der Veränderung mit Zeitverzögerungen in verschiedenen gesell-schaftlichen Sphären ausbreiten (Deutschmann im Erscheinen). Die Frage nach der Terminierung des Umbruchs ist aber generell schwierig zu beantworten, wenn man

1 Die vorliegende Publikation umfasst auch eine Teilfragestellung des von der Hans-Böckler-Stiftung finanzierten For-schungsprojekts „Finanzmarktorientierung und Mitbestimmung“, das Jürgen Kädtler und Michael Faust am Soziologi-schen Forschungsinstitut (SOFI) durchgeführt haben. Unser Dank geht gleichermaßen an die Hans-Böckler-Stiftung für die Förderung des Forschungsprojekts „Finanzmarktorientierung und Mitbestimmung“ sowie an Stefan Lücking für die um- wie nachsichtige Betreuung.

von graduellem institutionellem Wandel bzw. graduellen Veränderungen von Prakti-ken ausgeht, die potenziell transformativ sind (Streeck/Thelen 2005). Graduellen, aber transformativen Wandel theoretisch vorzusehen, enthebt nicht von der Auf-gabe, näher zu bestimmen, welches Ausmaß von (noch dazu mehrdimensionalen) Wandlungsprozessen den Marker „transformativ“ verdient. Oder anders ausgedrückt:

wann Quantität in Qualität umschlägt.

Was nun die Frage angeht, wodurch nach einer Umbruchphase oder nach einer Phase neuer Unübersichtlichkeit der Fordismus abgelöst wird oder wie sich der Be-griff Postfordismus über das „Danach“ hinaus inhaltlich ausfüllen lässt, gibt es eine Fülle von Antworten, die naturgemäß von der Auswahl der jeweils für konstitutiv ge-haltenen Merkmale wirtschaftlicher bzw. gesellschaftlicher Ordnung abhängen.

Wenn man sich wie in diesem Kapitel auf diejenigen Formationsunterscheidungen konzentriert, die sich wesentlich an den Eigentumsstrukturen und/oder Finanzie-rungsstrukturen von Unternehmen und der jeweiligen Governance festmachen, stößt man auf ein breites Angebot an Formationsbezeichnungen. Zum einen han-delt es sich um solche, die aus der international vergleichenden Forschung (sozial-räumliche Differenzierung) stammen und nun für Alternativen auf der Zeitachse in Stellung gebracht werden. Dies gilt für das „liberale Modell“, das „market-based“

oder „market-dominated system“ oder wahlweise (in der Sprache der Corporate-Gov-ernance-Forschung) das „Outsider-System“, Bezeichnungen, die üblicherweise mit dem US-Fall in Verbindung gebracht werden. Mehr oder weniger deutlich geht ein Teil der Literatur von einer faktischen Überlegenheit2 des US-Modells (wie auch im-mer typologisch fixiert) aus, sodass das Nachfolgemodell des bundesdeutschen For-dismus aus einem Konvergenzprozess zum angelsächsischen Modell entsteht, das als natürlicher Verbündeter und Profiteur der „Globalisierung“ gilt (Streeck 1997).

Etwas anders gelagert ist die Prognose oder Diagnose von Windolf (2005b), der so-wohl in den USA (schleichend, verstärkt seit den 1980er-Jahren) als auch mit Zeit-verzug in Deutschland einen Übergang vom Managerkapitalismus zum „Finanz-marktkapitalismus“ gegeben sieht.3 Konstitutiv hierfür ist der Aufstieg der „neuen Eigentümer“ (Windolf 2005a), der institutionellen Investoren.

Im Rahmen der Debatte um die „Finanzialisierung“ des gegenwärtigen Kapitalis-mus, selbst ein schillernder und für einen sinnvollen Gebrauch zu präzisierender Begriff (van der Zwan 2014; Epstein 2005; Krippner 2011, 2005; Deutschmann im Er-scheinen; Faust/Kädtler/Wolf im Erscheinen), sind die hier behandelten Phänomene als „control financialization“ gefasst worden (Deeg 2011). Wir selbst (Faust/Bahnmül-ler/Fisecker 2011; Faust/Kädtler im Erscheinen) haben den Vorschlag gemacht, die Finanzialisierung des Unternehmens als multidimensionalen Prozess zu begreifen.

2 Welche Maßstäbe hierfür anzulegen sind, ist höchst strittig. Die Ergebnisse variieren schon bei Zugrundelegung un-terschiedlicher wirtschaftlicher Erfolgsmaßstäbe, erst recht aber, wenn man andere Wohlfahrtsindikatoren verwendet (ökologische Nachhaltigkeit, Verteilungsgerechtigkeit).

3 Es gibt aber auch weitere Fassungen des „Finanzmarktkapitalismus“, bei denen es um die Kennzeichnung eines neuen Akkumulationsregimes im Sinne der Regulationstheorie geht (hierzu Krumbein u. a. 2014; van der Zwan 2014;

Faust/Kädtler/Wolf im Erscheinen).

Einem Vorschlag von Beckert (2010) folgend unterscheiden wir drei soziale Makro-strukturen, die feldspezifisch die Entscheidungen und Praktiken in und um Organi-sationen rahmen. Diese Dimensionen sind zum einen institutionelle Regeln (im engeren Sinne), die sich im vorliegenden Fall zum Beispiel auf Regeln der Corporate Governance beziehen (welchem Stakeholder stehen welche Rechte zu); zum anderen geht es um kognitive Rahmungen, das mehr oder weniger selbstverständliche, do-mänenspezifische Welt- und Handlungswissen, das mal mehr eine kognitive (was ist der Fall, welche Zweck-Mittel-Relationen sind verfügbar), mal mehr eine normative (was soll ich tun) bzw. evaluative (was ist wünschenswert) Färbung hat. Im vorliegen-den Fall geht es um das Rezeptwissen, wie man ein „value based management“ be-treibt, aber auch darum, wie man eine prioritäre Orientierung an den Interessen der Shareholder rechtfertigen und begründen kann. Welche „narratives of purpose and achievement“ (Froud u. a. 2006) dem Management zur Verfügung stehen, um die eigenen Initiativen am Kapitalmarkt zu plausibilisieren, gehört ebenfalls zum kogni-tiven Inventar eines Feldes. Die dritte Dimension bezieht sich auf die strukturelle und relationale Einbettung von Unternehmen in soziale Netzwerke von Personen und Organisationen. Bezüglich unserer Fragestellung betrifft das vor allem die Strukturen des Eigentums an Unternehmen und der personellen Aufsicht über sie.

Die große Aufgabe, den Prozess der Finanzialisierung (und seine Grenzen) für Deutschland in allen drei Dimensionen nachzuzeichnen und typische Konstellatio-nen zu identifizieren, ist bislang nur unvollkommen erfüllt. Trotz dieser Leerstellen der (empirischen) Forschung herrscht kein Mangel an Hypothesen darüber, was die Finanzialisierung der Unternehmen bzw. der Übergang zu einem Finanzmarktkapi-talismus in verschiedenen „outcome“-Dimensionen bewirkt, wobei meist unterstellt wird, die neue Formation sei in Reinform verwirklicht. Während somit ein Teil der Literatur die Folgen eher auf Basis theoretischer Erwägungen und/oder der Übertra-gung von Erkenntnissen aus anderen institutionellen Kontexten ableitet, analysieren andere auf Basis empirischer Fallstudien aus Deutschland (etwa Streeck/Höpner 2003; Höpner 2003; Kädtler 2006; Faust/Bahnmüller/Fisecker 2011; Hirsch-Krein-sen 2010; Hirsch-KreinHirsch-Krein-sen/Hahn im Erscheinen) exemplarisch einzelne Aspekte der Folgen unter Berücksichtigung bestimmter Kontextbedingungen. Andere Studien rücken bestimmte Finanzmarktakteure wie aktivistische Hedgefonds in den Mittel-punkt, die bei ausgewählten Zielunternehmen im institutionellen Streubesitz Kam-pagnen starten, um bestimmte Ereignisse wie Sonderausschüttungen oder Unter-nehmenszusammenschlüsse zu erwirken, die sie in besonderer Weise bevorteilen und gegebenenfalls andere Aktionäre und/oder andere Stakeholder benachteiligen bzw. die Wachstums- und Innovationsfähigkeit der betreffenden Unternehmen ge-fährden (Becht et al. 2014; Kahan/Rock 2007; für Deutschland speziell Fichtner 2009, 2015; zusammenfassend Faust im Erscheinen). Einige der Autoren, die für Deutschland den Übergang vom koordinierten oder organisierten Kapitalismus zum Finanzmarktkapitalismus gegeben sehen, verbinden dies mit weitreichenden Wir-kungsthesen für die sozioökonomische Entwicklung: Wachstumsschwäche, Erlah-men der Innovationstätigkeit, Kurzfristorientierung der UnternehErlah-men, Zunahme

der Einkommens- und Vermögensungleichheit, Prekarisierung der Arbeit (etwa Deutschmann 2008; Dörre/Brinkmann 2005; Windolf 2005b). Diese Zusammen-hangshypothesen sind einerseits theoretisch strittig, andererseits für Deutschland je-denfalls empirisch nicht systematisch überprüft worden. In der arbeits- und indus-triesoziologischen Forschung ist angesichts dieser Forschungslage die Neigung verbreitet, eine Fülle von (meist negativ konnotierten) Entwicklungen (wie Prekari-sierung) auf „Finanzmarktkapitalismus“ zurückzuführen, ohne die kausalen Ver-mittlungsschritte aufzuweisen oder das jeweilige Vorhandensein der Konstellation als Verursachungsfaktor überhaupt zu berücksichtigen (zur Kritik Faust/Bahnmül-ler/Fisecker 2011; Faust/Kädtler/Wolf im Erscheinen; Faust/Kädtler im Erscheinen).

Damit wird „Finanzmarktkapitalismus“ zu einer Chiffre, die als Referenz schon des-halb immer richtig ist, weil wir uns definitionsgemäß in der Ära des Finanzmarkt-kapitalismus befinden (vgl. etwa Haipeter/Latniak/Lehndorff 2016; Minssen 2012).

Die hier thematisierten Kontroversen haben Relevanz für die Umbruchthese von soeb (vgl. Einleitung), insofern die Frage aufgeworfen wird, ob, inwieweit und auf welchen Wegen die Verwirklichung eines Finanzmarktkapitalismus in Deutschland bzw. die Finanzialisierung des Unternehmenssektors zur Erosion eines (vormaligen) Teilhabekapitalismus beiträgt. Die Klärung dieser Kontroversen steht weiterhin auf der Tagesordnung. Vorgelagert ist aber die Frage, inwieweit die entsprechende Kon-stellation überhaupt gegeben bzw. wie weit die Finanzialisierung der Unternehmen vorangeschritten ist. Hierzu bedarf es einer Dauerbeobachtung zentraler Indikato-ren der Finanzialisierung in Zeitreihen, die den ausgewiesenen Zeitraum der Verän-derung ab den 1990er-Jahren in den Blick nehmen.

Fragestellungen und Gliederung des Kapitels

Das vorliegende Kapitel fühlt sich dieser Gesamtaufgabe verpflichtet, verfolgt aber einen engeren und bescheideneren Zweck. Es analysiert den Grad der Finanzialisie-rung der deutschen Wirtschaft in der strukturellen Netzwerkdimension, d. h. es geht der Frage nach, in welchem Ausmaß in der deutschen Wirtschaft der Einfluss von Finanzinvestoren potenziell wirksam wird.4 Dies umfasst die folgenden Fragen:

Welchen Umfang und welche wirtschaftliche Bedeutung hat derjenige Sektor der Wirtschaft, in dem Finanzinvestoren prinzipiell zu „neuen Eigentümern“ werden können, und wie hat sich dieser Sektor im Zeitablauf entwickelt? Dies umfasst die Fragen, wie viele börsennotierte Unternehmen es gibt, wie sich diese Zahl im Zeitablauf verändert und welcher Stellenwert der Kapitalaufnahme über die Börse zukommt. Das börsennotierte Unternehmen ist die emblematische Un-ternehmensform für die Finanzialisierung.5

4 Andere Dimensionen der Finanzialisierung von Unternehmen werden in Kapitel 5 in diesem Bericht bearbeitet.

5 Daneben gibt es noch das Modell der „Private Equity“ (PE), bei dem Finanzinvestoren (meist) Haupteigentümer von nicht (oder nicht mehr) börsennotierten Unternehmen werden. Hierbei haben sie volle Eigentümerkontrolle (in den rechtlichen Grenzen, die auch hier gelten), dafür aber erschwerte Exit-Optionen, denn es gibt keinen Sekundärmarkt.

Die Analyse der Entwicklung dieses Phänomens ist eine gesonderte Aufgabe, die hier nicht geleistet werden kann (vgl.

aber Scheuplein 2012; Scheuplein/Teetz 2014).

Wofür steht die Rede von der Erosion oder Auflösung der „Deutschland AG“? Steht sie nicht nur für die Abkehr vom „organisierten Kapitalismus“, sondern auch für den Übergang zum „Finanzmarktkapitalismus“? Das geflügelte Wort hat sich im Zuge des eifrigen Gebrauchs immer mehr von den Datengrundlagen entfernt, auf denen die ursprüngliche Diagnose (etwa bei Höpner 2003) be-ruhte. Die Datengrundlage dieser Diagnose stellt die Analyse der Eigentums-strukturen der 100 größten Unternehmen in Deutschland dar, die die im zwei-jährigen Turnus veröffentlichten Hauptgutachten der Monopolkommission bereitstellen. Ob und inwieweit die mit dieser Datengrundlage beschriebene

„Erosion der Deutschland AG“ einen aussagekräftigen Indikator für die Finan-zialisierung des Unternehmenssektors darstellt, soll mit den zusammengestell-ten Dazusammengestell-tenreihen diskutiert werden.

Wie entwickelt sich die Eigentümerstruktur börsennotierter Unternehmen insgesamt und wie verbreitet ist die FMK-Konstellation „institutioneller Streubesitz“? Wel-chen Stellenwert haben Ankerinvestoren unterschiedlicher Herkunft, die übli-cherweise als „patient capital“ (Culpepper 2005) gelten und der Gefahr einer feindlichen Übernahme (Höpner 2003; Höpner/Jackson 2001; Jenkinson/

Ljungqvist 2001) oder eines unerwünschten Hedgefondsaktivismus (Fichtner 2009, 2015; Kahan/Rock 2007; Becht et al. 2014; Faust im Erscheinen) entge-genwirken können?

Im zweiten Abschnitt verbinden wir die präsentierten Befunde zu einem Gesamtbild der Entwicklung der Kontrollfinanzialisierung in Deutschland, die auch andere Di-mensionen der Finanzialisierung und andere Einbettungen berücksichtigt. Im Fazit diskutieren wir, welche Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Umbruchthese zu ziehen sind und wo mögliche Verbindungen zur Erosion eines früheren Teilhabe-kapitalismus zu finden sind bzw. welche alternativen Erklärungen infrage kommen.

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