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4.2 Die Rolle epistemischer ¨ Uberzeugungen in Prozessen selbstregulier-

4.2.2 Die Konsistenzhypothese

Einen zweiten Zugang zum Wirkmechanismus epistemischer ¨Uberzeugungen auf Prozesse selbstregulierten Lernens liefert die Konsistenzhypothese von Muis (2007;

2009). Die Autorin stellt in ihrem

”integrated Model of epistemic beliefs and

Kapitel 4 Die Lehr- Lerntheoretische Relevanz epistemischer ¨Uberzeugungen 53 self-regulated learning“ f¨unf Postulate zur fokussierten Interaktion auf: Die ers-te, wonach epistemische ¨Uberzeugungen eine kognitive und affektive Bedingung einer Lernaufgabe darstellen, deckt sich sehr stark mit den zuvor beschriebenen Annahmen der Kalibrierungshypothese. Die zweite Einflussnahme epistemischer Uberzeugungen spezifiziert die Autorin im Prozess der Standardsetzung, woraus¨ (drittens) epistemische Standards resultieren, welche als metakognitive Inputs fun-gieren. Schließlich wird viertens angenommen, dass umgekehrt selbstreguliertes Lernen die Entwicklung epistemischer ¨Uberzeugungen beeinflusst.

Aus diesen vergleichsweise allgemeinen und abstrakten Interaktionspostulaten lei-tet die Autorin schließlich die konkrete Operationalisierung der Konsistenzhypo-these ab, wonach eine Passung aus Struktur des zu erwerbenden Wissens und den (dom¨anenspezifischen) epistemischen ¨Uberzeugungen zu einer vermehrten meta-kognitiven Kontrolle des Lernprozesses und einer gr¨oßeren Lernperformance f¨uhrt.

Diese Hypothese pr¨uft die Autorin in mehreren Studien (Franco et al., 2012; Muis

& Franco, 2009, 2010; Muis et al., 2011). Dabei operationalisiert sie die Konsistenz von zu lernendem Wissen und epistemischen ¨Uberzeugungen, indem sie letztere unter der personalen Perspektive mithilfe des PEP (Royce & Mos, 1980, siehe auch 2.2.2.1) erfasst und die daraus entstehenden Profile

”metaphoric“,

” empiri-cal“ und

”rational“ (siehe 2.2.2.1) auf Passung zu (in diesem Sinne) rationalen Gegenst¨anden, wie den Newtonschen Gesetzen oder Mathematischen S¨atzen aus der Elementargeometrie, pr¨uft.

Es zeigt sich weitgehend konsistent (Bromme et al., 2010), dass eine Passung aus Inhalt und epistemischen ¨Uberzeugungen zur vermehrten Anwendung meta-kognitiver Strategien und h¨oherer Lernleistung f¨uhrt. Erste Evidenz untermauert auch die Annahme, dass diese Konsistenzhypothese verifiziert werden kann, wenn sie auf eine Passung von epistemischen ¨Uberzeugungen und der

”Repr¨asentation“

der Inhalte adaptiert wird. Dies zeigen Franco et al. (2012) auf, indem sie etwa das Tr¨agheitsgesetz Newtons einmal metaphorisch (

”Demonstrations of inertia are when we stamp our feet to remove snow from them“, Franco et al., 2012, S. 67) und einmal rational (

”The properties of inertia can be represented by the equa-tion PF~ = 0“, ebd.) pr¨asentieren und Probanden und Probandinnen auf diese

Versuchsbedingungen randomisieren. Auch diese modifizierte Konsistenzhypothe-se l¨asst sich verifizieren: Bei einer Passung von Repr¨asentation und epistemischer Uberzeugung zeigen sich vermehrt tiefe Elaborationsstrategien und eine h¨¨ ohere Recallperformance (ebd.).

Mutet die Konsistenzhypothese im Allgemeinen statischer, weniger heuristisch und schw¨acher abgeleitet als die Kalibirierungshypothese an, macht die zuletzt be-schriebene Modifikation sie doch wieder didaktisch interessant, da sie erlaubt, auf vorgegebene Lernendencharakteristika adaptiv zu reagieren.

Das Potential einer ¨Ubertragung beider Hypothesen sowie der lehr- lerntheoreti-schen Relevanz epistemischer ¨Uberzeugungen im Allgemeinen auf den Kontext der Lehrerbildung, wird unter dem Stichwort

”funktionale Rolle epistemischer Uberzeugungen Lehramtstudierender“ in Abschnitt 7.3 skizziert. Eine allgemei-¨ ne Verh¨altnisbestimmung zwischen dem Konstrukt epistemischer ¨Uberzeugungen und der Professionalit¨at von Lehrerinnen und Lehrern nimmt das folgende Kapitel vor.

Kapitel 5

Epistemische ¨ Uberzeugungen in der Lehrerbildungsforschung

Im deutschsprachigen Raum sind epistemische ¨Uberzeugungen im erziehungswis-senschaftlichen Kontext prim¨ar als Bestandteil des kompetenztheoretischen Mo-dells der Professionalit¨at von Lehrerinnen und Lehrern (Baumert & Kunter, 2006) und als funktionale Komponente schulischen Lernens (K¨oller et al., 2000; M¨usche, 2009; Urhahne & Hopf, 2004) bekannt.

Im Gegensatz dazu sehen einige Autorinnen und Autoren des englischsprachigen Forschungsaufkommens ein

”emerging field of research“ im Bezug epistemischer Uberzeugungen auf die Lehrerbildung und das Lehrerhandeln (Br˚¨ aten, 2010; Brow-nlee, 2004; BrowBrow-nlee, Schraw & Berthelsen, 2011b; BrowBrow-nlee, Walker & Mascadri, 2015; Hofer & Bendixen, 2012; H. Peng & Fitzgerald, 2006; Tsai, 2007).

Dieses Kapitel soll die Schnittmenge epistemischer ¨Uberzeugungen mit dem deutsch-sprachigen Diskurs um die Entwicklung von Professionalit¨at von Lehrerinnen und Lehrern ausleuchten, indem es die theoretische Anschlussf¨ahigkeit des Konstruktes an prominente Ans¨atze professioneller Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern exploriert (siehe 5.1), die bestehende englischsprachige Literatur zur Rolle episte-mischer ¨Uberzeugungen in der Lehrerbildung kurz umreißt (siehe Abschnitt 5.2) und das Potential f¨ur die Spezifika des deutschsprachigen Diskurses andeutet.

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Die eigenen Forschungst¨atigkeiten, welche darauf folgend dargestellt werden, be-ziehen sich auf dieses Potential.

5.1 Professionalit¨ at und epistemische ¨ Uberzeu-gungen

Die Existenz und Struktur der Professionalit¨at von Lehrerinnen und Lehrern, de-ren Determinanten und Funktionen sowie ihre Entwicklung und F¨orderung stellen zentrale Gegenst¨ande in den Bildungswissenschaften dar (f¨ur eine prim¨are bzw.

systematisierende ¨Ubersicht siehe: Cramer, 2016; Terhart, Bennewitz & Rothland, 2011; Zlatkin-Troitschanskaia, Beck, Sembill, Nickolaus & Mulder, 2009).

Epistemische ¨Uberzeugungen spielen in diesem Diskurs insofern eine Rolle, als dass sie Eingang in eines des popul¨arsten Modelle professioneller Kompetenz gefunden haben (siehe Abschnitt 5.1.1). Dar¨uber hinaus ist allerdings kein substantielles deutschsprachiges Forschungsaufkommen zu dieser Schnittmenge erkennbar: So zeigen die Datenbanken FIS-Bildung und PSYNDEX f¨ur die feldunspezifische Su-che mit den Phrasen

”epistemologische ¨Uberzeugungen“ und

”Lehrer“ f¨unf bzw.

zwei Treffer (w¨ahrend die Datenbank ERIC f¨ur die Pendants

”epistemological be-liefs“ und

”teacher“ immerhin 184 Treffer liefert).

In Anbetracht dieser Tatsache und des Vorhabens, das Potential epistemischer Uberzeugungen f¨¨ ur den Lehrerbildungsdiskurs zu explorieren, scheint es angemes-sen, eine m¨ogliche Rolle epistemischer ¨Uberzeugungen innerhalb des Diskurses um Professionalit¨at von Lehrerinnen und Lehrern zun¨achst sehr allgemein zu betrachten. Deshalb wird zun¨achst nicht die unmittelbare Rolle epistemischer Uberzeugungen in der Lehrerbildung diskutiert, sondern allgemeiner, der kom-¨ petenztheoretische (5.1.1), der strukturtheoretische (5.1.2) und der biographische Ansatz der Lehrerprofessionalit¨at (5.1.3) skizziert, bevor im Folgenden jeweils die Anschlussf¨ahigkeit dieser Ans¨atze an das Konstrukt der epistemischen ¨ Uberzeu-gungen diskutiert wird.

Kapitel 5 Epistemische ¨Uberzeugungen in der Lehrerbildungsforschung 57

5.1.1 Epistemische ¨ Uberzeugungen als kognitive Facette