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Die Triangulation der Daten vor dem Hintergrund des Strukturmodells mehr-sprachigkeitsbezogener Überzeugungen war insofern eine ergiebige Strategie, als dass einerseits die Befragungen zwar Empathie für mehrsprachige Schüle-rinnen und Schüler offengelegt haben, die Lehrkräfte sich über deren Ressour-cen für die Schulbildung aller Kinder aufgrund der eigenen Sprach- und Be-rufsbiografie aber nicht vordergründig im Klaren zu sein scheinen. Ferner weist ihre Vorstellungskraft über die Einbindung heterogener Herkunftsspra-chen mehrheitlich nicht über die bestehende Form einsprachig gestalteten Un-terrichts hinaus. Die vergleichende Sichtung der Modulbeschreibungen hatte andererseits zwar nicht die erhofften Synergieeffekte zur Folge, bietet aber dennoch Anknüpfungspunkte für eine stärkere und vielleicht auch präzisere Integration fachübergreifend mehrsprachigkeitssensibilisierender Elemente in die Module der Sprachbildung innerhalb der Lehrkräftebildung. Deren Un-abdingbarkeit begründet sich in der von Gogolin (2008) formulierten Tatsache, dass sich Migration und damit zwangsläufig Mehrsprachigkeit „als eine Grunderfahrung der Menschen erweisen [wird], seien sie nun mittelbar oder unmittelbar davon betroffen.“

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Im Zusammenhang mit der „strukturellen Trägheit“

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, die Gogolin der Institution Schule attestiert, muss an dieser Stelle noch einmal auf das Krite-rium der Stabilität und Resistenz von Beliefs ( Kapitel 2.2.) zurückgegriffen und der zeitlose Gedankengang Pajares´ (1992) zu Bedenken gegeben werden:

Medical students must enter operating theatres and emergency rooms; law students encounter courtrooms and law offices. These places are new to students, what goes on in them is alien, and understandings must be con-structed nearly from scratch. Preservice teachers are insiders.212

210 Gogolin 2008a: 258.

211 Ebd. 2008b: 8.

212 Pajares 1992: 323.

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Angehende Lehrkräfte verfügen demgemäß bereits zum Zeitpunkt ihres Stu-diums über ein recht stabiles System berufsbezogener Überzeugungen, das sich auch gegenüber der Hochschulbildung als resistent erweisen kann.

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Diese Tatsache mag u.a. als Begründung dafür angeführt werden, dass sich die innerhalb einsprachig ausgerichteter Schulsysteme generierten Überzeu-gungsnetzwerke fortwährend reproduzieren und gegen Innovationen nahezu immunisiert haben.

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Damit ist ein weiterer Grund benannt, warum ein aka-demisches Gleichgewicht zwischen der Vermittlung von Wissen sowie Fähig-keiten und der Berücksichtigung zu generierender professionsbezogener Hal-tungen im Diskurs mit allen am Bildungssystem Beteiligten hergestellt wer-den sollte. Die Resultate des DaZKom-Tests geben dieser Forderung wer-den not-wendigen Rückenwind.

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Hinsichtlich sprachsensibler Überzeugungen bedarf es qualifizierten Inputs, welches kosmopolitisch linguistically responsive teachers hervorzubrin-gen vermag, die unabhängig davon, ob sie mono-, bi- oder multilingual sind, Mehrsprachigkeit als indiskutable Ressource eines „inklusiven bildungs-sprachlichen Unterrichts“

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wahrnehmen und ihre eigenen Positionen infrage zu stellen in der Lage sind.

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Sie sollten über die vorhandenen Sprachen und Varietäten jedes einzelnen Schülers, jeder einzelnen Schülerin als minimales Zeichen des Willkommenseins sowie den respektvollen Umgang mit ihnen in-formiert sein. Im Mindesten zählt hierzu nicht nur die Erlaubnis, sondern das Ermutigen zum Gebrauch der Erstsprachen beim Wissenserwerb sowie das Motivieren zum Aus- und Aufbau von Lese- und Schreibkompetenz in ihren

213 Vgl. Reusser, Pauli 2014: 655.

214 Vgl. García 2009: 150.

215 Vgl. Koch-Priewe 2018: 26.

216 EUCIM-TE 2011: 17. In Ergänzung zu den Empfehlungen des Mercator-Instituts wird Sprachbildung innerhalb des Kerncurriculums in der Erweiterung um den Inklusionsbegriff verstanden (vgl. EUCIM-TE 2011: 18; siehe auch Baumann, Becker-Mrotzek 2014: 47).

217 Vgl. Wintersteiner 2009: 222, 227.

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Herkunftssprachen.

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Ihre Empathie erlangen sie spätestens durch sprachkul-turelle wie -historische Sensibilisierung und die Einsicht darin, dass Sprach-status soziale Konstrukte in Abhängigkeit soziopolitischer Entscheidungen sind, bspw. ist Bildungssprache nicht die bessere Variation einer Sprache.

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Für das deutsche Bildungssystem geht dieser Aspekt mit der Einsicht darin einher, dass die gesetzliche Verpflichtung zur Vermittlung der Bildungsspra-che Deutsch nicht mit spraBildungsspra-chexklusivem Unterrichtshandeln gleichzusetzen ist und, dass „jedes Kind und jeder Jugendliche grundsätzlich dasselbe Recht besitzt, in seiner/seinen Sprach(n) Bildung zu erhalten und seine Sprache(n) als Lern- und Kommunikationsinstrument zu nutzen.“

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Hiermit wären wün-schenswerte mehrsprachigkeitsbezogene Überzeugungen „brühwürfelartig“

kumuliert. Der sich hieraus ableitende Vorschlag über konkret formulierte mehrsprachigkeitssensibilisierende Kompetenzbeschreibungen ist abschlie-ßend in der folgenden Übersicht dargestellt. Er lässt sich für verschiedene so-ziokulturelle (Sprach-)Kontexte adaptieren.

Die Studierenden

Affektive Dimension nehmen Mehrsprachigkeit als Ressource sowohl für den Unterricht als auch weiteren Le-bensweg wahr und wissen dies den Lernenden zu vermitteln.

werden dabei unterstützt sich in intensiver Selbstreflexion von eigenen Stereotypisierun-gen und Vorurteilen zu lösen.

erhalten die Möglichkeit ihre eigenen (Fremd-)Spracherwerbskontexte zu reflektieren.

Soziale Dimension werden für die sprachliche und kulturelle Heterogenität der Lernenden sensibilisiert und wissen respektvoll mit ihr umzugehen.

werden „mit den Hintergründen der Migration und den Auswirkungen auf Herkunfts- und Aufnahmegesellschaften vertraut“221 gemacht.

begreifen die Bedeutung von Herkunftssprachen für die Entfaltung der Persönlichkeit.

Kognitive Dimension

ist die Bedeutung der Erstsprache für Lehr- und Lernprozesse bewusst.

erwerben durch fundierte mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze die Motivation und Sou-veränität, sprachliche und kulturelle Vielfalt in Lehr- und Lernprozesse einzubinden und sie produktiv zu nutzen.

218 Die Befragungen von Peter und Christian verweisen auf alternative Möglichkeiten den Her-kunftssprachen ihrer Schülerinnen und Schüler Wertschätzung entgegen zu bringen.

219 Vgl. Villegas, Lucas 2011: 59f.; siehe auch García 2017: 8.

220 Vgl. Oomen-Welke, Dirim 2014: 15.

221 Luchtenberg 2009: 286.

Seite | 70 Macht- dimension erhalten Einsicht in die unterschiedliche Bewertung von Sprachen und damit

einherge-hende Diskriminierung gesellschaftliche und individuelle Mehrsprachigkeit betreffend.

„betrachten Sprache als soziale Handlung, die interaktiv wirksame Bedeutungen erzeugt und somit zu kultureller und gesellschaftlicher Partizipation führt“.222

begreifen Schule als demokratische Institution, die sich in der individuellen Beteiligung und Mitbestimmung aller Involvierten kooperativ ausgestaltet.

Tabelle 12 Mehrsprachigkeitssensibilisierende Kompetenzformulierungen (vgl. Reich, Krumm 2013: 186f.; siehe auch Mentz, van der Walt 2007: 428f.; EUCIM-TE 2011: 43)

Da diese Kompetenzen nur sehr eingeschränkt als Wissen vermittelbar sind, ist die notwendige Voraussetzung, sie in Input-, Praxis- und Reflexionsphasen einzubetten, die es den Studierenden problem- und handlungsorientiert er-möglicht, sprachbezogene Hemmnisse ab- und mehrsprachigkeitssensible Überzeugungen aufzubauen.

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Darüber hinaus erweist sich der Kontakt mit (sprachlich) heterogenen Lerngruppen und mehrsprachigen Gemeinschaften, der durch stärkere Anreize für angehende Lehrkräfte, internationale Erfah-rungen zu sammeln, realisiert werden könnte, der Empathie und damit Pro-fessionalisierung zuträglich.

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Nun könnte man für das deutsche Bildungssys-tem schließlich auch auf Makroebene die Überlegung anstellen, wie sich die im Zuge der Hochschulzugangsberechtigung erworbenen Fremdsprachen-kenntnisse nach südafrikanischem Vorbild für das Lehramtsstudium und die spätere Praxis nachhaltig integrieren ließen, damit diese wertvolle Ressource nicht schlimmstenfalls im Sande verläuft. Gedankenexperimente dieser Art sprengten jedoch den gesetzten Rahmen der vorliegenden Arbeit.

Die hier angestellten Vergleiche und Überlegungen haben schlussend-lich nur ein allem übergeordnetes Ziel: Schülerinnen und Schüler und in der Folge angehende Lehrerinnen und Lehrer auszubilden, „[who] will be cultur-ally rich, linguisticcultur-ally competent, and socicultur-ally sensitive individuals prepared to participate actively in our increasingly global economy.”

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Das sollte kein Problem sein.

222 EUCIM-TE 2011: 43.

223 Vgl. Reusser, Pauli 2014: 655.

224 Vgl. Luchtenberg 2009: 286; siehe auch Koch-Priewe 2018: 26.

225 Tucker 1998: 228 zitiert nach García 2009: 283.

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