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Dokumente. „Ich denke, das sind die Anknüpfungspunkte.“

4. Ergebnisse

4.2. Dokumente. „Ich denke, das sind die Anknüpfungspunkte.“

Eine zentrale Hypothese für die vergleichende Betrachtung sprachbildender Studienanteile an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und Stellenbosch University (SU) war die Vermutung, dass aufgrund der weitreichenden Sprachbildungsreformen Südafrikas couragiertere Modulbeschreibungen für die Ausbildung angehender Lehrkräfte vorlägen, die als Anregungen für ihre deutschen Äquivalente dienen mögen. Gleichzeitig war die Schwerpunktset-zung auf die Reflexion und den Ausbau von Überzeugungen zu sprachlicher und kultureller Diversität von Interesse, denn vor dem Hintergrund der Aus-führungen in Kapitel 2.2., die die weitreichenden Auswirkungen von Beliefs auf das professionelle Handeln nachzuzeichnen suchten, erscheint eine expli-zite Verankerung in der Lehrkräftebildung notwendig und sinnvoll.

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Die fol-gende Tabelle liefert einen Überblick über Umfang und Bestandteile der sie-ben untersuchten Dokumente beider Universitäten ( Anhang).

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Dokument Umfang191 Bestandteile

Dok. 1 „Sprachbildung“ (B.A.) 150 h 1 Vorlesung

+ 1 Seminar Dok. 2 „Sprachbildung in der Grundschule“ (M.Ed.) 150 h 2 Seminare Dok. 3 „Sprachbildung im Fachunterricht“ (M.Ed.) 90 h 1 Seminar Dok. 4 „Academic Language Development and

Awareness (ALDA)“ (PGCE) 120 h 2

Vorlesungen

189 Eine ausführliche Analyse der Berliner Sprachbildungsmodule findet sich bei Wagner &

Paetsch (2018).

190 Der Verweis darauf, dass die einzelnen Module mit unterschiedlichen Prüfungen abge-schlossen werden, muss an dieser Stelle reichen. Eine Analyse der erforderlichen Prüfungs-leistungen im Bereich der Sprachbildung bietet eine vielversprechende Grundlage für weitere Untersuchungen.

191 Die HU richtet sich in ihren Angaben von Leistungspunkten nach dem European Credit Transfer and Accumulation System (ECTS), wobei ein ECTS-Leistungspunkt einem Arbeitsauf-wand von ca. 30 Arbeitsstunden entspricht. Zwei South African credits entsprechen wiederum einem ECTS-Leistungspunkt (vgl. SU 2018: 8). Das Lehramtsstudium an der HU umfasst ins-gesamt 300 Leistungspunkte. Der Bachelor of Education (Foundation Phase & Intermediate Phase) an der SU besteht aus umgerechnet 245, das Postgraduate Certificate in Education (Further Education and Training Phase) aus zusätzlichen 62 Leistungspunkten.

Seite | 60 Dok. 5 „Introduction to Language Education”

(B.Ed.) 75 h 1 Vorlesung

+ 1 Tutorium Dok. 6 „Language Education” (B.Ed.) 75 h 1 Vorlesung Dok. 7 „Language of Learning and Teaching (LoLT)

& Academic Language Development” (B.Ed.) 150 h 2 Vorlesungen Tabelle 10 Allgemeine Informationen zu den Veranstaltungen

Das Folgende fällt auf: Die Lehramtsstudierenden an der SU absolvieren in ihrem Bachelor-Studium mit optionalem PGCE gemessen am Gesamtumfang des Studiums wesentlich mehr Leistungen im Bereich Sprachbildung als die der HU, die sich allerdings nach den landesweiten Absprachen zum Umfang der Sprachbildungsmodule zu richten hat. Dass die SU-Module im Vergleich zu denen der HU mehrheitlich als Vorlesungen konzipiert sind, legt die Ver-mutung nahe, dass hier der Schwerpunkt auf die Darstellung und Vermittlung allgemeiner (Sprach-)Zusammenhänge sowie theoretischer Grundlagen ge-legt wird. Das vorrangige Seminarformat der HU lässt es möglicherweise eher zu, sich Fragestellungen und Problembereiche selbstständig zu erarbeiten bzw. sie kritisch zu diskutieren. Hier nicht abgebildet, aber zusätzlich erwäh-nenswert ist, dass zu den o.g. Modulen an der SU studienbegleitend ver-pflichtende Sprachmodule in drei Sprachen – orientiert an den in der Provinz mehrheitlich gesprochenen Erstsprachen – hinzukommen, die alle SU-Studie-renden mit Ende ihres Lehramtsstudiums befähigen sollen, in diesen entwe-der zu unterrichten oentwe-der mindestens zu kommunizieren.

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Sowohl an der HU (Dok. 2, 3) als auch an der SU (Dok. 5, 6, 7) werden die Veranstaltungen durch Praxisanteile an Schulen im Großraum der jeweiligen Universität flankiert.

In der nachstehenden Übersicht sind nun die paraphrasierten Lern- und Qualifikationsziele der sprachbildenden Veranstaltungen beider

192 Vgl. SU 2019: 20. Die jeweiligen Sprachmodule sind in diese Untersuchung nicht eingegan-gen, weil sie sich einerseits primär auf Spracherwerb konzentrieren und ihre Schwerpunkt-setzung andererseits individuell vorgenommen wird, sodass nicht von jedem Modul auf alle Lehramtsstudierenden geschlossen werden kann.

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Universitäten nach den vier Dimensionen mehrsprachigkeitsbezogener Über-zeugungen geclustert und dargestellt:

Tabelle 11 Zusammenfassende Ergebnistabelle der Veranstaltungen

Mit Nachdruck weisen Hallitzky & Schließleder (2008) darauf hin, dass für einen professionellen Umgang mit Mehrsprachigkeit „nicht nur auf Aspekte des Professionswissens, sondern auch auf die Reflexion von Einstellungen, Werthaltungen, motivationalen Orientierungen und selbstregulativen

Humboldt-Universität zu Berlin Stellenbosch University

Dok. Lernziele Dok. Lernziele

Affektive Dimension 1, 2,

3 Untersuchung und Berücksichtigung der Rolle von Mehrsprachigkeit bzw.

(Zweit-)Spracherwerbs für Besonderhei-ten des Deutschen und ausgewählter Minderheitensprachen

7 Zusammenarbeit innerhalb der Schule und mit anderen relevanten Akteuren im Interesse der Lernen-den

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Fähigkeiten Wert gelegt werden muss.“

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Und weiter: „Lehrerbildung muss auch an den Orientierungen der Studierenden anknüpfen.“

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Inwiefern HU und SU diese Anknüpfungspunkte gestalten, zeigt die obige Tabelle. In ihr sind nicht alle in den Modulbeschreibung angeführten Qualifikationsziele ab-gebildet, sondern nur solche, die sich im Spektrum mehrsprachigkeitsbezoge-ner Überzeugungen weitestgehend verorten lassen.

Die innerhalb der Affektiven Dimension aufgeführten Kompetenzziele sind solche, von denen zumindest angenommen werden kann, dass sie einen fruchtbaren Nährboden für die Ausbildung von Empathie, Anerkennung und Wertschätzung sowohl für die mitgebrachten sprachlichen Ressourcen als auch Anstrengungen für die zumindest an deutschen Schulen stattfindenden Anpassungsbemühungen der Lernenden bilden. Im SU-Dokument 4, das al-lerdings nur innerhalb des PGCE besucht wird, ist wörtlich von den „demands of multilingual, South African classrooms“

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die Rede, was deutlich unter-streicht, dass es sich um eine Standardsituation handelt, von der doch auch für den Berliner Kontext zunehmend ausgegangen werden kann und sollte.

Im Zusammenhang mit der Sozialen Dimension ist in den drei Dokumen-ten der HU zwar von MinderheiDokumen-tensprachen die Rede,

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Aspekte migrations-bedingter Mehrsprachigkeit oder sprachhistorische Betrachtungen sind je-doch nicht explizit in die Formulierungen eingegangen. Aber auch an der SU ist die Intensität kulturelle, geschweige denn historische Sensibilität zu kon-stituieren, überraschend gering. Die Zusammenhänge zwischen Kultur und Sprache sowie gesellschaftliche Sprachenpolitik machen den Eindruck, nicht nennenswerter Natur zu sein. Dabei sind sie für angehende Lehrkräfte nicht nur erforderlich, um zu „verstehen, wie Sprache und Inhalte des Curriculums

193 Hallitzky, Schließleder 2008: 269.

194 Ebd.

195 SU 2019: 86.

196 Vgl. HU: 2015 11.

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zusammenarbeiten und wie sie die Lernbedürfnisse ihrer Schülerinnen und Schüler, darunter auch der Zweitsprache, identifizieren können“

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, sondern auch um ein Klima der Akzeptanz und Toleranz entstehen zu lassen.

Die der Kognitiven Dimension zugeordneten Aspekte überwiegen ge-genüber den anderen bereits rein quantitativ, auch verdeutlichen sie die Schwerpunktsetzung innerhalb der sprachbildenden Veranstaltungen sowohl an der SU als auch an der HU. Die Fähigkeit, bildungssprachliche Kompeten-zen zu vermitteln, wiederholt sich in allen drei Modulen bzw. Seminaren der HU. Inwiefern das Einbeziehen, die Interaktion mit heterogenen herkunfts-sprachlichen Ressourcen zusätzlich zum Deutschen eine Rolle spielt, bleibt je-doch offen.

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An der SU ist das entsprechende Modul (Dok. 6) ausdrücklich auf heterogene Lerngruppen ausgerichtet. Die Dokumente 1, 4 und 7 zeugen allerdings im Rahmen jeweiliger akademischer Möglichkeiten von Anerken-nung mehrheitlich vertretener Sprachen im Klassenzimmer. Die Berücksichti-gung der Sprachlernvoraussetzungen wird einzig im HU-Modul für ange-hende Grundschulpädagoginnen und -pädagogen (Dok. 2) thematisiert – ein SU-Äquivalent lässt sich in Dokument 5 vermuten. Die Annäherung an den Mehrsprachigkeitsbegriff aus verschiedenen Perspektiven (Dok. 1) ist von ent-scheidender Bedeutung für die Anforderungen an die eigenen sowie schüler-spezifischen (Mehr-)Sprachfähigkeit, wie die Befragung der Lehrkräfte ergab.

Eine entsprechendes Lernziel war in den Dokumenten der SU nicht zu finden.

Vor dem Hintergrund der Machtdimension weist das SU-Modul (Dok. 7) über schulische Horizonte hinaus und zeigt dahingehend Parallelen zum I-ALT-Curriculum von EUCIM-TE (2011), als dass es die Einstellung generiert,

„sprachliches und fachliches Lernen als einen gemeinsamen Prozess“

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aufzu-fassen. In diesem Zusammenhang sei auf Peters Wunsch nach behördlicher

197 EUCIM-TE 2011: 24.

198 Vgl. ebd.

199 Ebd.: 26.

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sowie kollegialer Unterstützung bei der Implementierung einer fächerüber-greifenden Sprachbildung verwiesen (vgl. D3: 45, 47). Inwiefern das aber die sozioökonomische Schieflage einiger Bildungseinrichtungen, der durch Fo-kussierung auf ökonomisch stärkere Sprachen begegnet wird, einbindet, ist unklar. Die Module der HU legen hier ein stärkeres Augenmerk auf die Refle-xion über geeignete Methoden, mit sprachlich kreativen Ansätzen der Lernen-den umzugehen, wobei sowohl Zweitspracherwerb als auch Formen sprachli-cher Variationen berücksichtigt werden (Dok. 1).

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Zusammenfassend wird in den Kompetenzformulierungen der HU ein

überproportionaler Gebrauch an Operatoren registriert, die eher auf die

Do-mänen Fähigkeiten und Kenntnisse verweisen. Insgesamt erweisen sie sich

al-lerdings als wesentlich detaillierter als die der SU. Im direkten Vergleich

blei-ben deren Modulbeschreibungen sehr abstrakt und lassen einen recht großen

Interpretationsspielraum. Bis auf den Aspekt des kompetenten Umgangs mit

den drei relevanten Unterrichtssprachen (Dok. 4, 7) sind die Beschreibungen

jedoch nahezu austauschbar und geben keine Hinweise auf ihre Verortung in

so unterschiedlich mehrsprachigen Gesamtzusammenhängen. Inwiefern die

Würdigung der Erstsprachen durch jeweils historische und kulturelle

Refe-renzen erfolgt, bleibt ungeklärt, erscheint aber zumindest nicht ausdrücklich

in den Modulbeschreibungen. Schließlich lässt sich in keiner

Modulbeschrei-bung der beiden Universitäten ein eindeutiger Verweis auf das Generieren

mehrsprachigkeitssensibler Beliefs finden.