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2.3 Turbulenz

2.3.2 Kolmogorov Theorie

Das von Richardson Anfang der 1920er Jahre vorgeschlagene Bild für voll ausgebil-dete Turbulenz im Unterschallbereich geht davon aus, dass kinetische Energie einem strömungsfähigen System durch auf relativ großen Längenskalen variable Kräfte zu-geführt wird, aber erst durch Bewegungen auf wesentlich kleineren Skalen durch viskose Effekte in Wärme dissipiert werden kann. Dazwischen wird die Energie von durch Instabilitäten entstehenden Wirbeln bis hinunter zur Dissipationsskala trans-portiert. Dabei wird die Energie von größeren Wirbeln an immer kleinere Wirbel, die sich durch parasitäre Instabilitäten (Kelvin-Helmholtz-Instabilität) in den Wirbel-strömungen formen, weitergereicht. Dies ist die sogenannte turbulente Kaskade. Die drei Bereiche im Fourierraum der räumlichen Geschwindigkeitsvariationen werden als Injektions-, Inertial- beziehungsweise Dissipationsbereich bezeichnet. Basierend auf dieser Vorstellung, die in Abb. 2.1 skizzenhaft dargestellt ist, entwickelte mogorov seine Turbulenztheorie in einer Reihe von Veröffentlichungen (siehe Kol-mogorov, 1941a,b,c, und weitere).

Die Hypothese, auf die sich diese Theorie stützt, lautet: Die statistischen Eigenschaf-ten eines strömenden Systems mit sehr großer Reynolds-Zahl sind auf kleinen Skalen ausschließlich und eindeutig durch die betrachtete Längenskala ` / k 1, die

mitt-10Selbst wenn das interstellare Medium die für ein Gas unrealistisch große Viskosität von Wasser (⌫10 3 m2s 1) besäße, entspräche dies einer Reynolds-Zahl vonRe 1022.

lere spezifische Dissipationsrate ✏ und die Viskosität ⌫ bestimmt11. Dies impliziert, dass der spektrale Energiefluss von großen zu kleinen Skalen hin über den gesamten Inertialbereich hinweg – statistisch betrachtet – konstant bleibt. Dies kann damit begründet werden, dass sich die kleinen Wirbel am unteren Ende der Kaskade ge-messen an den Zeitskalen, die für die Wirbel an ihrem Beginn relevant sind, schnell anpassen können, so dass diese stets im statistischen Gleichgewicht mit der Injektion sind. Folglich müssen sich gegebene Energieinjektionsrate ⇧/⇢ und sich ergebende Dissipationsrate ✏ die Waage halten.

Insbesondere folgt aus den unter dieser Annahme konstruierten Strukturfunktionen, auf die ich hier nicht weiter eingehen möchte, dass innerhalb des Inertialbereichs die spektrale Energiedichte E(k)die Form eines Potenzgesetzes annimmt

E(k)/✏2/3k 5/3 (2.36)

und dass für die erwartbaren Geschwindigkeitsfluktuationen u˜ auf verschiedenen Längenskalen ` und `ˆdie folgende Skalenrelation erfüllt ist

˜ u(ˆ`)

˜

u(`) / `ˆ

`

!u˜

(2.37) mit ↵u˜ = 1/3. Als Kolmogorov-Skala bezeichnet man die durch Dimensionsanalyse gewonnene Längenskala `

` =

✓⌫3

1/4

. (2.38)

Zusammen mit der zugehörigen Geschwindigkeitsskala u˜ = (⌫✏)1/4 zeigt sich, dass dies die Längenskala ist, ab der viskose Kräfte die Strömung dominieren. Es gilt nämlich

Re(`) = u˜`

⌫ =

✓⌫✏⌫3

1/4

1 = 1. (2.39)

An dieser Stelle lässt sich leicht der Unterschied zwischen zwei Klassen numerischer Simulationen von Strömungen verdeutlichen, die hydrodynamische Gleichungen ite-rativ auf raumfesten Euler’schen Rechengittern integrieren.

11Im Falle einer unendlich großen Reynolds-Zahl fällt die Viskosität = 0 als Parameter weg. Dennoch ergibt sich im Rahmen der Kolmogorov-Theorie ein nicht verschwindender spek-traler Energiefluss > 0. Der gemittelte Dissipationsterm bleibt im Grenzfall ! 0 erhalten (✏= lim⌫!0✏), da die Gradienten der Geschwindigkeiten im viskosen Spannungstensorfür !0 ausreichend schnell divergieren. Innerhalb der Euler-Gleichungen hingegen, die ’per definitionem’

keine Viskosität kennen, wird Energie zwar zu immer kleineren Skalen hin transportiert, aber nie-mals in Wärme umgewandelt, was irgendwann mit den bei der Konstruktion der Euler-Gleichungen getroffenen Annahmen unvereinbar werden muss, da die Fluidnäherung spätestens in der Nähe der freien Weglänge einzelner Fluidpartikel zusammenbricht. Dieser Nachteil wird in LES wegen der Diskretisierung von Raum und Zeit aber nie sichtbar (siehe Kapitel 5.1.2).

2.3. TURBULENZ 17

log(k)

log [E (k) ]

bereich Inertialbereich

Injektionsbereich

turbulente Kaskade

Abbildung 2.1: Skizze des turbulenten Energiespektrums E(k) über der inversen Längenskala k /` 1.

Auf der einen Seite gibt es die sogenannten direkten numerischen Simulationen (DNS). Für diese werden die vollen Navier-Stokes-Gleichungen (siehe Abschnitt 2.1.3) mit expliziter, physikalischer Viskosität gelöst. Die Anforderung hier ist, dass bei der Diskretisierung des Raumes die Kolmogorov-Skala (Gleichung 2.38) des Systems zwingend an jeder Stelle der Simulation aufgelöst werden muss, um so den gesam-ten relevangesam-ten Dynamikumfang des modelliergesam-ten physikalischen Systems numerisch abzubilden. Leider ist dies nur für recht kleine Systeme mit relativ kleinenRe.104 machbar. Man ist hier schnell durch die verfügbaren Rechnerressourcen limitiert, da die effektive Reynoldszahl einer dreidimensionalen Simulation nur langsam mit der dritten Wurzel der Anzahl numerischer Stützstellen steigt.

Auf der anderen Seite gibt es LES. Im Rahmen von LES verzichtet man bewusst dar-auf, den vollen Dynamikbereich eines physikalischen Systems numerisch zu modellie-ren. Auf dem Rechengitter werden explizit nur die reibungsfreien Euler-Gleichungen (siehe Abschnitt 2.1.4) gelöst. Hinzu kommt allerdings ein Modell, welches die Ef-fekte der nicht mehr aufgelösten Dynamik auf die aufgelöste effektiv berücksichtigt – ein SGS-Modell. Um dies zu bewerkstelligen, können verschiedene Strategien ver-folgt werden, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte (siehe Kapitel 5.1.2). LES eignen sich besonders zur numerischen Modellierung großer Strömungssysteme mit extrem hoherRe, wenn man sich hauptsächlich für sein Verhalten auf großen Skalen interessiert. LES machen somit Simulationen von astrophysikalischen Objekten wie Gaswolken, ganzen Galaxien oder gar Simulationen kosmologischer

Strukturentste-hung bei Berücksichtigung des baryonischen Gases erst möglich.

Die Existenz von Skalengesetzen, ähnlich denen, wie Kolmogorov sie ableitete, ist in apparativen und numerischen Experimenten für inkompressible, isotrope, homo-gene Turbulenz bestätigt worden, wobei die gemessenen Skalenexponenten mitunter leicht abweichen. Dies mag einerseits an experimentellen Beschränkungen liegen, kann aber andererseits auch durch die Wechselwirkung von Wirbeln verschiedener Größen verursacht werden – also die Verformung, besonders das Strecken, von klei-neren Wirbeln durch größere, die in dieser Theorie nicht berücksichtigt wird. Turbu-lenz in Medien, die sich mit Überschallgeschwindigkeiten bewegen, die gravitieren, die elektrisch leitfähig sind, oder die chemischen und radiativen Prozessen unter-worfen sind, entzieht sich der Beschreibung im Rahmen der Kolmogorov Theorie.

Eine echte Universalität in Bezug auf alle vollständig turbulenten Strömungen ist nur schwer vorstellbar. Viele modernere Turbulenzmodelle verwenden die von Kol-mogorov eingeführten Begriffe und Methoden für die Beschreibung der Turbulenz.

So gibt es beispielsweise ein nach Burgers benanntes, auf ähnlichen Annahmen be-ruhendes Turbulenzmodell. Es ist konzipiert für von Stoßwellen statt von Wirbeln als charakteristischem Strömungsmuster bestimmte, reine Überschallturbulenz und schlägt eine Geschwindigkeitsskalenrelation mit einem Skalenexponenten ↵u˜ = 1/2 statt ↵u˜ = 1/3 vor. Mittels numerischer Experimente (Kritsuk u. a., 2007) aber auch analytischer Überlegungen (Galtier u. Banerjee, 2011) wurden Anstrengungen unternommen, die für inkompressible, rein hydrodynamische Turbulenz bestätigte Universalität der turbulenten Skalenbeziehungen auf Überschallturbulenz zu erwei-tern. Es zeigt sich, dass sich unter Verwendung der dichtegewichteten Geschwindig-keit u =⇢1/3u (statt der Geschwindigkeit u) in der Berechnung der Strukturfunk-tionen der turbulenten Strömungen ähnliche SkalenrelaStrukturfunk-tionen und Energiespektra (Eu(k)/k 5/3) in Überschall- wie im Fall von Unterschallturbulenz ergeben. Dies scheint aber nicht allgemein zu gelten, sondern hängt auch von der Art der turbu-lenten Moden (ob kompressiv oder solenoidal) ab (Federrath, 2013).

Im astrophysikalischen Kontext hat man es meist mit Turbulenz im Übergang zwischen Unter- und Überschallbereich zu tun. Daher erwartet man dort meist ein gemischtes ↵u˜ = 1/3. . .1/2, wie sie sich auch aus Beobachtungen von Molekül-wolken ableiten lassen (beispielsweise aus denen von Larson (1981)). Im Falle voll ausgebildeter, kompressibler Turbulenz in einem Gas mit isothermer Zustandsglei-chung ohne weitere Wechselwirkungen nimmt die Wahrscheinlichkeitsverteilung der logarithmierten Dichten die Form einer Normalverteilung an (zum Beispiel Kritsuk u. a., 2007). Dieser Umstand wird zum Beispiel bei der Herleitung verschiedener analytischer Sternentstehungsmodelle (siehe Kapitel 6) erfolgreich genutzt, obwohl

2.3. TURBULENZ 19

diese wegen ihrer Normierbarkeit vorteilhafte Form der Verteilung für selbstgravitie-rendes Gas eigentlich nicht anwendbar ist, wie Beobachtungen bestätigen (Hughes u. a., 2013b; Schneider u. a., 2014).

Kapitel 3 Astrophysik

3.1 Spiralgalaxien

Spiralgalaxien sind der häufigste Typ von Galaxien im lokalen Universum, der über-all abseits von Galaxienhaufen, aber meist in kleinen Gruppen, anzutreffen ist. Sie zeichnen sich durch sehr flache Gas- und Sternenscheiben aus, die geordnet, aber differenziell um ihr Zentrum rotieren. Die meisten besitzen um ihr Zentrum her-um eine mehr oder weniger große Verdickung in der Sternenscheibe, die als ’bulge’

bezeichnet wird. Außerdem lassen sich in der Gas- sowie in der Sternenscheibe meis-tens spiralartige Strukturen erkennen. In Anwesenheit eines Balkens sind meist zwei prominente Spiralarme zu beobachten, zwischen denen sich aber noch zahlreiche Ne-benarme befinden können. Eine Galaxie solchen morphologischen Typs (SBc, also eine Balkenspiralgalaxie mit relativ kleinem ’bulge’) ist die Milchstraße.

Eine Spiralgalaxie ist ein offenes, dynamisches, gravitativ gebundenes System, das im Wesentlichen aus drei massebehafteten Komponenten besteht:

• einem Halo druckfreier, dunkler Materie, der den Löwenanteil zur Gesamt-masse beiträgt und in äußeren Bereichen der galaktischen Scheibe sowie deren weiterer Umgebung maßgeblich die Rotation der sichtbaren Materie beeinflusst

• einer rotierenden Sternenscheibe, deren Existenz das gesamte Objekt erst als Galaxie qualifiziert, denn erst Sterne machen es sicht- und identifizierbar

• einer weiter ausgedehnten, ebenfalls rotierenden Gasscheibe, in der sich in besonders hoch verdichteten Bereichen Sterne bilden können.

In dieser Arbeit befasse ich mich mit der Simulation von isolierten Scheibengalaxi-en (Scheibengalaxi-englisch: isolated disk galaxies, IDG). Reale IDG in ’freier Wildbahn’ sehScheibengalaxi-en zum Beispiel so aus wie in Abb. 3.1 gezeigt. Die Scheibe einer IDG zeigt nur schwach aus-geprägte, unvollständig ausgebildete Spiralarme und auch sonst keine prominenten

Abbildung 3.1: NGC 4414; Beispiel einer realen isolierten Scheibengalaxie vom mor-phologischen Typ SAc (balkenlose Spiralgalaxie mit kleinem ’bulge’), die sich im Abstand von 19,1 Mpc von der Erde befindet. Kompositbild aus Beobachtungsda-ten in verschieden Wellenlängenbereichen aufgenommen vom Hubble Space Telecope (Bild: NASA, ESA, and The Hubble Heritage Team (STScI/AURA).

3.1. SPIRALGALAXIEN 23

Merkmale wie Balken oder Ringe, da sie weder aktuell noch in jüngerer Vergangen-heit signifikanten externen Störungen durch andere Galaxien ausgesetzt war. Dazu würden auch etwaige Verschmelzungen mit anderen Galaxien vergleichbarer Masse sowie die Integration in einen Galaxienhaufen zählen. Nach Verschmelzungen von Galaxien und galaktischen Interaktionen im Allgemeinen ist Sternentstehung mit all ihren Implikationen und Konsequenzen der Prozess, der die Entwicklung einer Galaxie vorantreibt und ihre Erscheinung maßgeblich formt.

Kosmologisch betrachtet ist aber jede größere Galaxie das Produkt einer Reihe von Verschmelzungen kleinerer Objekte, welche sich in ferner Vergangenheit ab-gespielt haben können. Im Standardbild der kosmologischen Strukturentstehung, dessen ausführliche Beschreibung hier zu weit führen würde (siehe beispielsweise Weinberg (2008)), wurden nämlich alle größeren Strukturen, wie sie auch mit der Milchstraße vergleichbare Galaxien darstellen, in einem hierarchischen Prozess aus kleineren Elementen aufgebaut. Dies beruht darauf, dass gemäß gängigem Kosmolo-giemodell1 das lineare Anwachsen anfänglich kleiner, primordial bedingter Störun-gen2, für kleinskalige Störungen früher in nicht-lineares Anwachsen umschlägt als für größerskalige. Bei dem nicht-linearen Anwachsen der Dichtestörungen handelt es sich um den Kollaps überdichter Bereiche unter eigener Schwerkraft, der sich entgegen dem allgemeinen Trend der kosmologischen Expansion vollzieht.

Eine reale IDG zeichnet sich in diesem Bild dadurch aus, dass ihr Aufbau im Wesentlichen bereits vor geraumer Zeit abgeschlossen war, beziehungsweise in ih-rem Umfeld schlicht keine Verschmelzungs- oder Wechselwirkungsparter verblieben sind. In der Folge blieb ihr ausreichend Zeit um zu relaxieren, so dass außer einem stellaren Bulge keine morphologischen Spuren ihrer Entstehungsgeschichte mehr er-kennbar sind. Ich möchte hier nicht näher auf die bekannten, durch astronomische

1Es handelt sich um das⇤CDM-Modell. Es ist das nach bisherigem Kenntnisstand favorisier-te Modell für die globale Entwicklung des Universums. Neben sichtbarer, baryonischer Mafavorisier-terie und Strahlung als Beitrag zum Energieinhalt des Universums werden die sogenannte ’kalte dunkle Materie’ (CDM; cold dark matter), die sich allein durch Gravitation bemerkbar macht, und eine ominöse ’dunkle Energie’⇤, die eine beschleunigte Expansion des Universums begünstigt, berück-sichtigt. Dabei erweisen sich die ’leuchtenden’ Komponenten als vergleichsweise unbedeutend, denn CDM undstellen zusammen offenbar etwa 95% der Energie.

2Diese Störungen, die sich mittlerweile im heutigen Universum zu Galaxien, Galaxienhaufen oder den als kosmischem Netz bekannten großräumigen, filament- oder schwammartigen Struktu-ren ausgewachsen haben, zeigen sich auch als Temperaturvariationen (in der Größenordnung von 10 5relativ zur mittleren Temperatur) im beispielsweise vom Planck-Satelliten (siehe zum Beispiel Planck Collaboration u. a., 2013) beobachteten kosmologischen Radiowellenhintergrund (cosmolo-gic microwave background, CMB). Der CMB gilt als Abdruck der weit weniger ausdifferenzierten Dichtestruktur des frühen Universums – gewissermaßen als in der Strahlung eingefrorene, rot ver-schobene Momentaufnahme der Zeit, als sich baryonisches Gas und elektromagnetische Strahlung voneinander entkoppelten.

Beobachtungen abgesicherten Eigenschaften von Spiral- oder Scheibengalaxien ein-gehen, und verweise den Leser an einschlägige Literatur, wie beispielsweise Binney u. Merrifield (1998).

Die simulierten idealisierten IDG, die von Masse und Abmessungen her in etwa der Milchstraße entsprechen, dienen lediglich als modellhafter, prototypischer Hinter-grund für die Simulation des Gases in der Scheibe, also der Sicherstellung realisti-scher Rahmenbedingungen zur Untersuchung des von mir entwickelten Modells für das turbulente, interstellare Medium. Sie werden innerhalb einer geschlossenen, pe-riodischen Box simuliert, insbesondere wird keine Akkretion von Material aus dem intergalaktischen Medium modelliert. Obwohl die verwendete IDG als sogenanntes

’toy model’ angesehen werden kann, liefern die durchgeführten Simulationen doch Ergebnisse, die sich gut mit denen von Beobachtungen realer Galaxien vergleichen lassen.