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1.4 Suprakondyläre, epi- und transkondyläre Humerusfrakturen

1.4.2 Klinik und Diagnose

Zunächst erfolgt eine Anamnese bezüglich des Unfallhergangs mit der Frage nach einem adäquaten Trauma als Frakturursache. Eruiert werden soll die mögliche Frakturlokalisation, die Schmerzlokalisation sowie das Ausmaß der Schmerzen und mögliche Begleitverletzungen. Es ist zu beachten, dass der Unfallmechanismus im Vergleich zum Erwachsenen eine eher untergeordnete Rolle spielt. Viel wichtiger für die Art der Läsion ist der Reifezustand des Skeletts respektive der Epiphysenfugen.

Eine zu gründliche Anamnese lässt die Kinder mit ihren Eltern nur ungeduldig und unzufrieden werden (von Laer et al. 2012).

Im Anschluss erfolgt die körperliche Untersuchung mit Beginn der Inspektion. Diese ist von besonderer Bedeutung, da die körperliche Untersuchung bei Kindern schonend, möglichst schmerzfrei und auf ein Minimum beschränkt werden sollte (Müller-Mai et al.

2006). Inspektorisch sollte unter anderem auf Schwellungen, Hämatome, Deformier-ungen und Asymmetrien im Vergleich zur Gegenseite geachtet werden (von Laer et al.

2012). Als unsichere Frakturzeichen gelten Schwellungen, Hämatome, Schmerzen und eine aufgehobene oder eingeschränkte Funktion. Sichere Frakturzeichen sind Fehl-stellung, abnorme Beweglichkeit, Krepitation und sichtbare Knochenfragmente (Pschyrembel 2012). Eine klinisch-manuelle Diagnostik mit Testung der Frakturzeichen wie abnorme Beweglichkeit und Krepitation ist schmerzhaft, ineffizient und somit zu unterlassen. Die Kontrolle der peripheren Durchblutung, Motorik und Sensibilität

(pDMS) ist jedoch unverzichtbar und dient der primären Orientierung (von Laer et al.

2012).

Die suprakondyläre Humerusfraktur präsentiert sich üblicherweise mit einer Schwellung und Deformierung sowie Bewegungseinschränkung. Es können vor allem Nerven-läsionen am N. medianus gefolgt von N. radialis- und N. ulnaris-Läsionen auftreten. Bei Störung der Durchblutung ist in den meisten Fällen die A. brachialis betroffen (Weinberg et al. 2008). Dies liegt daran, dass bei der häufig vorkommenden Extensionsfraktur der N. medianus und die A. brachialis durch die direkte Fragmenteinwirkung, das Abkippen des proximalen Frakturfragmentes nach ventral, geschädigt werden können (Letsch et al. 2001; Wegmann et al. 2016). Bei den epikondylären Humerusfrakturen kommt es häufig zu einer Bewegungseinschränkung in Kombination mit einem Hämarthros.

Möglich ist auch eine Schwellung ohne Einschränkung der Beweglichkeit. Bei Dislokation oder Rotation der Frakturfragmente kann es zu einer Blockierung der Extension und Flexion kommen (Weinberg et al. 2008). Die transkondylären Humerus-frakturen präsentieren sich meistens mit einer lateral betonten Schwellung, lokalisierten Einblutung in die Weichteile, Gelenkerguss und Einschränkung der Beweglichkeit (S2k-Leitlinie 2015).

Ein gängiges und standardisiertes bildgebendes Verfahren ist die konventionelle Röntgenaufnahme des Ellenbogens in zwei Ebenen (Kraus et al. 2007). Eine exakte a. p. Aufnahme in Extensionsstellung sowie eine Aufnahme in 90 ° Flexionsstellung des Ellenbogengelenkes kann schwierig sein (Wenzl et al. 2007). Nichtachsengerechte Aufnahmen können häufig zu einer Fehleinschätzung eines möglichen Rotationsfehlers führen (Gercek et al. 2015). Bei klinisch sichtbarer Dislokation genügt eine Übersichts-aufnahme für die Diagnosestellung und Therapieentscheidung. Die zweite Ebene muss präoperativ nicht erzwungen werden, kann intraoperativ in Narkose nachgeholt werden.

Das Röntgen der Gegenseite ist obsolet (von Laer et al. 2012; Kraus et al. 2007). Bei der Beurteilung der Röntgenbilder mit Augenmerk auf eine distale Humerusfraktur ist zu beachten, dass je nach Alter und Geschlecht der Patienten Ossifikationszentren oft multifokal vorkommen und nicht mit Ausrissfrakturen oder freien Gelenkkörpern zu verwechseln sind (von Laer et al. 2012). Ist auf der konventionellen Röntgenaufnahme keine genaue Frakturlinie sichtbar, kann das sogenannte anteriore oder posteriore fat pad sign ein radiologischer Hinweis auf eine (okkulte) Fraktur sein (Hasler 2001; Gercek et al. 2015). Die Sensitivität für das Bestehen einer Fraktur bei Vorliegen eines Fettpolsterzeichen liegt bei ca. 75 % (Shrader 2008). Dabei kommt es zu einer

Abbildung 3: Einteilung der suprakondylären Humerusfrakturen mit Hilfe der Rogers-Hilfsline

(Eigene Darstellung in Anlehnung an von Laer et al. (2007))

Abhebung des intrakapsulären Fettpolsters, als Hinweis auf einen Gelenkerguss respektive Hämarthros (Hasler 2001; Jakob et al. 2013).

Die anteriore Humeruslinie ist eine adäquate Hilfe zur Detektion und Dislokations-beurteilung einer suprakondylären Humerusfraktur. Mit einer Markierungslinie entlang der vorderen Humeruskortikalis, der sogenannten Rogers-Hilfslinie, ist die Unter-scheidung zwischen einer Extensions- und Flexionsfehlstellung möglich (Rogers et al.

1978; von Laer et al. 2012).

Normal Extensionsfraktur Flexionsfraktur

In der lateralen Ebene ist das Capitulum humeri bei offenen Fugen physiologisch um ca. 30 °- 40 ° nach ventral abgekippt (von Laer 1979; Morrey et al. 2018). Die Rogers-Hilfsline schneidet gewöhnlich das Capitulum humeri am Übergang vom mittleren zum hinteren Drittel. Handelt es sich um eine Antekurvationsfehlstellung respektive Extensionsfraktur verläuft die Linie im vorderen Bereich des Capitulum humeri oder vor dem Capitulum humeri. Bei einer Rekurvationsfehlstellung bzw. Flexionsfraktur liegt der Schnittpunkt entsprechend weiter dorsal (Rogers et al. 1978; von Laer et al. 2012). Liegt eine Rotationsabweichung vor, kann im seitlichen Röntgenbild ein ventraler oder seltener ein dorsaler Rotationssporn sichtbar werden. Zur Beurteilung wird das Verhältnis der Breite vom proximalen und distalen Fragment betrachtet. Ist das proximale Fragment deutlich breiter als das distale, ist von einem Rotationsfehler aus-zugehen (von Laer et al. 2012). Um die Strahlenbelastung im Kindes- und Jugendalter zu minimieren, könnte zukünftig die Sonographie ein sensitives Screeningverfahren zur Detektion einer möglichen Ellenbogenfraktur sein. Bei negativen Fettpolsterzeichen und fehlender Klinik ist eine Fraktur unwahrscheinlich, sodass zusätzliche Röntgen-aufnahmen entbehrlich sein können (Eckert et al. 2014; Rabiner et al. 2013; Ackermann

et al. 2015). Die hochauflösende Ultraschalluntersuchung kann bei der Unterscheidung zwischen stabilen inkompletten und instabilen kompletten artikularen Frakturen hilfreich sein, da in der konventionellen Röntgenaufnahme der Frakturverlauf im knorpligen Anteil der Trochlea nicht sichtbar ist (von Laer et al. 2012; Vocke-Hell und Schmid 2001). Diskutiert wird der Einsatz auch in Hinblick auf Verlaufskontrollen (Grechenig et al. 2002). Die Ultraschalldiagnostik stellt eine kostengünstige und schmerzfreie Alternative da (May et al. 2000). Die Magnetresonanztomographie (MRT) und Computertomographie (CT) haben in der primären Diagnostik keine Relevanz (Gercek et al. 2015; Kraus et al. 2007; von Laer et al. 2012). Nicht selten haben Kinder mit einer dislozierten suprakondylären Humerusfraktur initial keinen palpablen radialen Puls.

Eine geschlossene Reposition stellt in ca. 80 % den peripheren Puls wieder her. Ist der Puls nicht palpabel kann die Doppler-Sonographie als eine einfache und nicht-invasive Methode eingesetzt werden, um den Puls zu generieren (Hasler 2001). Eine chirurgische Notfallsituation besteht bei kalter und blasser Hand mit mangelhafter Rekapillarisierungszeit. In dem Fall ist eine sofortige operative Versorgung indiziert (Shrader 2008).