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Viele kleine Schritte. Erfahrungen aus der Arbeit einer Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt

Im Dokument Rosa-Luxemburg-StiftungTexte 29 (Seite 189-200)

in Brandenburg

Mehrmals wöchentlich werden im Land Brandenburg Menschen Opfer rech-ter Gewalttaten. Für das Jahr 2005 zählt die Beratungsstelle für Opfer rechrech-ter Gewalt, die Opferperspektive e. V., in Brandenburg 131 Fälle von rechter Ge-walt (Stand: 22. April 2006). Die Zahl der erfassten rechten Angriffe ist über die letzten fünf Jahre relativ konstant geblieben.1Als rechte Angriffe definiert die Opferperspektive rechtsmotivierte Körperverletzungsdelikte und Nöti-gungen sowie gegen Personengruppen gerichtete Brandstiftungen und Sach-beschädigungen.2Knapp drei Viertel aller rechten Gewalttaten im Jahr 2005 waren Körperverletzungen. In diese Statistik finden die Fälle Eingang, die von Betroffenen, lokalen Beratungsstellen, den Medien und der Polizei der Opfer-perspektive oder der Öffentlichkeit bekannt gemacht wurden. Das geschieht jedoch nur bei einem Teil der Fälle, eine relativ große Zahl rechter Gewalt-taten bleibt unbekannt. Das zeigt sich an den Unterschieden zwischen den Sta-tistiken der Opferperspektive und der Polizei. Die Definitionen sind seit der Reform der polizeilichen Erfassung rechter Straftaten im Jahr 2001 im Wesent-lichen die gleichen wie die der Beratungsstelle, trotzdem weichen die erfass-ten Gewalttaerfass-ten jedes Jahr deutlich voneinander ab. Die polizeiliche Statistik wies bislang stets eine geringere Zahl rechtsmotivierter Gewalttaten pro Jahr aus. Und das, obwohl jeweils eine relativ hohe Zahl von Angriffen, die in der polizeilichen Statistik enthalten sind, der Opferperspektive nicht bekannt wurden und daher auch nicht gezählt werden konnten.3Häufig erhält die Op-ferperspektive keine Kenntnis von rechten Gewalttaten, weil Polizeidienst-stellen in ihren Meldungen politische Tatmotivationen ausschließen oder un-erwähnt lassen. Manche Fälle rechter Gewalt werden gar nicht veröffentlicht.

Für eine hohe Dunkelziffer sprechen zudem Erfahrungen aus der Arbeit der Opferperspektive. Ein Teil der Opfer rechter Gewalttaten verzichtet aus Angst vor Racheakten der Täter darauf, eine Anzeige zu erstatten. Hinzu kommt,

1 Opferperspektive e. V.: Statistik rechter Angriffe in Brandenburg, URL: www.opferperspektive.de/

Hintergrund/Statistiken/152.html (8. 5. 2006).

2 Vgl. Kay Wendel: Rechte Gewalt – Definitionen und Erfassungskriterien, URL:

www.opferperspektive.de/Hintergrund/17.html (8. 5. 2006).

3 Umgekehrt erfasste die Opferperspektive Gewalttaten, die von der Polizei nicht in ihre Statistik auf-genommen wurden, weil die Ermittlungsbehörden die entsprechenden Taten nicht als rechtsmotiviert bewerteten.

dass Betroffene oder Personen in ihrem sozialen Umfeld im Gespräch noch von weiteren Gewalttaten berichten, die bis dahin nicht bekannt waren.

Rechte Gewalttaten sind in der Regel keine Beziehungstaten. Zumeist ken-nen sich Opfer und Täter nicht, und es kommt vor den Angriffen auch nicht zu verbalen Auseinandersetzungen; kennzeichnend für die Kommunikation sind vielmehr einseitige Beleidigungen durch die Täter und allgemeine rechte Parolen. Insbesondere bei gegen MigrantInnen4gerichtete Gewalttaten wird die Stereotypisierung der Opfer als Tatlegitimation deutlich. In den die Tat be-gleitenden geäußerten Beleidigungen und Parolen oder in späteren Rechtfer-tigungen kommen häufig abstrakte Aussagen wie jene vor, Ausländer nähmen Deutschen Arbeitsplätze weg. Nicht selten produzieren die Täter auch kon-krete Imaginationen, etwa, dass das Opfer eine deutsche Frau angemacht oder die deutsche Mutter des Täters beleidigt habe. Die Handlungsmotive werden in jedem Fall vorgestellt als legitime Akte der Verteidigung der Mehrheitsge-sellschaft gegen Minderheiten. Die Wechselwirkung zwischen dem Selbstbild der Täter und öffentlichen minderheitenfeindlichen Diskursen ist augenfällig.

Zu Opfern rechter Gewalt werden in der Regel Menschen, die innerhalb stimmter Sozialräume als ethnische, kulturelle oder soziale Minderheiten be-griffen und strukturell ausgegrenzt werden. Jede zweite rechte Gewalttat in Brandenburg war im Jahr 2005 von Rassismus motiviert; betroffen waren Flüchtlinge, MigrantInnen und deutsche Staatsbürger, die aufgrund ihrer Haut-farbe von den Tätern abgelehnt wurden. Die zweite große Gruppe Betroffener sind nicht-rechte Jugendliche, Punks und Linke. Etwa 90 Prozent der Opfer sind männlich. Eine Opfergruppe, zu der die Beratungsstelle kaum Kontakt erhält, sind Wohnungslose. Das muss besonders betont werden, weil das Aus-maß sozialdarwinistisch motivierter Gewalt gegen Wohnungslose in der Ar-beit der Beratungsstelle nicht kenntlich wird und gleichzeitig allgemein deutlich unterschätzt wird. Werena Rosenka, die stellvertretende Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V., kritisierte in einem Ar-tikel: »Die Gewalt gegen Wohnungslose findet keine nachhaltige Resonanz in der Öffentlichkeit, obwohl die Tatsache, dass diese Gewalttaten eindeutig als Jugendgewalt, in einigen Fällen mit rechtsradikalem Hintergrund, zu identifi-zieren sind, ins Auge springt«.5

4 Im Folgenden wird von MigrantInnen gesprochen, wenn die Opfergruppe gemeint ist, die von den Tä-tern als nicht-deutsch wahrgenommen wird. Der Begriff Flüchtlinge wird nur verwendet, wenn die spezifische Lebenssituation eine Rolle spielt, die sich aus aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen ergibt.

5 Werena Rosenka: Leben in ständiger Angst. Wohnungslose Männer und Frauen sind Opfer und Täter – und die Gesellschaft schaut meistens weg, in: Frankfurter Rundschau, 19. 2. 2006.

Das Prinzip Opferperspektive

Die Opferperspektive wurde 1998 gegründet. Idee und Konzept des Projektes griffen auf Erfahrungen antifaschistischer Initiativen in Berlin und Branden-burg zurück. In den 1990ern war es zu zahlreichen rechten Angriffen, vor allem gegen Flüchtlinge und Linke, gekommen. Neonazis propagierten die Schaffung »national befreiter Zonen« als strategisches Konzept. Die linke anti-faschistische Szene reagierte auf die Gewalt von rechts mit gemeinsamen Ak-tionen und gegenseitiger Unterstützung. Im Rahmen dieser Aktivitäten wurden unterschiedliche Reaktionsweisen nach rechten Gewalttaten durch verschie-dene Menschen erlebt. Während manche durch erlittene Gewalt in ihrem an-tifaschistischen Widerstand bestärkt wurden, reagierten andere Menschen mit dem Rückzug aus ihrem sozialen Umfeld und öffentlichen Aktivitäten. Der Kontakt zu diesen Betroffenen, die zum Teil ihren Kleidungsstil änderten oder ihren Wohnort wechselten, verdeutlichte, wie – über die Verletzung des Ein-zelnen hinaus – rechte Gewalt gesellschaftlich wirkt. In der öffentlichen Dis-kussion der 1990er Jahre wurde Rechtsextremismus mit dem Fokus auf die Täter diskutiert. Eine gängige Herangehensweise war, rechte Gewalt und Pro-pagandadelikte als jugendspezifische Verhaltensweisen zu verstehen. Die da-ran anschließenden Handlungsvorschläge waren im Wesentlichen präventive, pädagogische, an der »Integration« der Rechten orientierte Konzepte. Der ge-sellschaftliche Charakter des Rechtsextremismus, etwa die Verknüpfung sei-ner Ideologie mit legitimierten politischen Diskursen, wurde weitgehend aus-geklammert. Die Folgen rechter Gewalt für die Betroffenen, für potenzielle Opfergruppen und das gesellschaftliche Leben wurden kaum ernsthaft dis-kutiert.

Vor diesem Hintergrund entwickelte eine antifaschistische Gruppe Ende der 1990er Jahre das »Prinzip Opferperspektive«6als eine Strategie gegen Rechts, die unmittelbar bei der Unterstützung der Betroffenen ansetzt. Jede Gewalttat gegen Einzelne wird danach begriffen als ein Schritt, der auf die Ausgrenzung und Vertreibung gesellschaftlicher Gruppen zielt. Dieser Per-spektive folgend, bewirkt das Ausbleiben gesellschaftlicher Reaktionen und mangelnde Solidarität mit den Betroffenen, dass die rechten Täter in ihrem Glauben an die Zustimmung einer gesellschaftlichen Mehrheit zu ihren Zielen stabilisiert werden. Unter diesen Bedingungen können sie ungehindert weiter schlagen und ihre Strategie der Einschüchterung fortsetzen. Durch ihre Ge-walttaten erzeugen die Rechten Angsträume. Die Fähigkeit, den öffentlichen Raum zu strukturieren, ist eine wesentliche Grundlage ihrer Macht. Besonders deutlich zeigt sich dieser Zusammenhang in ländlich geprägten Räumen und

6 Kay Wendel: Das Prinzip Opferperspektive, in: Pfeffer und Salz e. V. (Hrsg.): Auf den Spuren der Zi-vilgesellschaft– Recherchebroschüre Rechtsextremismus, Angermünde 2001, S. 12 ff.

in Kleinstädten, wo die soziokulturelle Struktur wenig vielfältig ist. Poten-zielle Opfer verfügen hier über geringen gesellschaftlichen Rückhalt und zu-gleich kaum über Möglichkeiten, den Rechten aus dem Weg zu gehen.

Ausgehend von der gesellschaftlichen Wirkung von Gewalttaten gegen Einzelne, verknüpft das Konzept der Opferperspektive die individuelle Unter-stützung von Betroffenen rechter Gewalt mit politischen Interventionen, die eine gesellschaftliche Solidarisierung mit den Opfern anregen und Prozesse fördern sollen, die rechte Angriffe zukünftig verhindern helfen. Die Zuwen-dung zu den Betroffenen steht bei der Arbeit der Beratungsstelle im Vorder-grund. Die Beratung verfolgt die Prinzipien der Freiwilligkeit und der Partei-lichkeit. Die Betroffenen sollen nach der Gewalterfahrung darin unterstützt werden, aus der Passivität der Opferrolle herauszufinden, um sich wieder ak-tiv am gesellschaftlichen Leben beteiligen zu können. Die Opferperspekak-tive war die erste Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in Deutschland. Durch das Bundesprogramm CIVITAS gefördert, sind seit 2001 in allen ostdeutschen Bundesländern solche Beratungsstellen entstanden.

Eine systematische und kontinuierliche Recherche ist ein Kernbereich der Arbeit der Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalttaten. Nur in wenigen Fällen wenden sich Betroffene, die zuvor noch keinen Kontakt zu der Bera-tungsstelle hatten, aus Eigeninitiative an die Opferperspektive. Die Kenntnis über rechte Angriffe erhält die Beratungsstelle durch eine tägliche Auswer-tung der regionalen Tagespresse sowie durch Hinweise lokaler Akteure und Kooperationspartner. Mit diesen Informationen versuchen die Mitarbeiter, Kontakt zu den Betroffenen herzustellen und Unterstützung anzubieten. Wird dieses Angebot von den Betroffenen angenommen, kommt es zu einem ersten Beratungsgespräch an einem Ort, den die Opfer selbst bestimmen. Die Bera-tung ist grundsätzlich aufsuchend. In einem ersten Gespräch wird den Betrof-fenen die Möglichkeit gegeben, über das Erlebnis zu sprechen. Neben der Schilderung des Tathergangs und den unmittelbaren Tatfolgen wird bei einem Erstgespräch die Lebenssituation der Betroffenen, das soziale und kommunale Umfeld, erörtert. Die Einschätzung der akuten weiteren Gefährdung und die Aktivitäten der Rechten vor Ort werden ebenfalls besprochen. Daran anknüp-fend, stellen die BeraterInnen die Unterstützungsmöglichkeiten dar und klären mit den Betroffenen, an welchen Punkten die Beratungsstelle sie unter-stützen kann und soll. Die Unterstützungsleistungen, die von der Beratungs-stelle angeboten werden, sind in der Regel:

• Rechtliche Hinweise

• Vermittlung juristischer Unterstützung

• Begleitung und Unterstützung im Rahmen von Straf- und Zivilverfahren

• Hilfe bei der Beantragung von (Entschädigungs-)Leistungen

• Psychosoziale Beratung nach systemischen Gesichtspunkten

• Psychologische Krisenintervention

• Vermittlung psychotherapeutischer Unterstützung

• Öffentlichkeitsarbeit

Die Unterstützung in allen rechtlichen Fragestellungen nimmt einen großen Raum ein. Es besteht ein grundlegender Bedarf an der Vermittlung von Kennt-nissen über Strafverfahren sowie Schmerzensgeldansprüche und die Finan-zierung von Behandlungen und Therapien. Eine wichtige Frage, die sich Be-troffenen unmittelbar stellt, ist ihre Rolle in einem Strafverfahren. Ein Teil der Betroffenen neigt aus unterschiedlichen Gründen dazu, keine Anzeige zu er-statten, wobei die Angst vor erneuter Bedrohung bzw. vor Racheakten der Tä-ter oft die entscheidende Rolle spielt. WeiTä-terhin kann ein durch Diskriminie-rungserfahrungen gewachsenes Misstrauen gegenüber der Polizei vorhanden sein, oder die Betroffenen sind prinzipiell der Ansicht, dass das Problem rech-ter Gewalt nicht durch Strafverfolgung, also durch den Staat, zu lösen ist. Lei-der haben sich manche Betroffene daran gewöhnt, bedroht und geschlagen zu werden. Sie haben sich in ihrem Leben mit dieser Gefahr eingerichtet und se-hen keine Möglichkeit, daran etwas zu ändern. Jüngere Punker und Antifas erklären in Gesprächen häufig, dass man entweder zurückschlagen oder still halten müsse. Der Rechtsweg bietet ihnen keine Lösung für ihre konkreten Probleme. Einerseits sind Gesetzesverschärfungen oder die zum Teil von kon-servativen politischen Kräften geforderte Abschaffung des Jugendstrafrechts gefährliche gesellschaftliche Entwicklungen. Andererseits, und das ist für Be-troffene unmittelbar relevant, sind bei den Straftatbeständen, um die es in sol-chen Fällen geht, bei Anwendung des Jugendstrafrechts nur geringe Strafen, eine Verwarnung oder das Ableisten von Sozialstunden zu erwarten. Zugleich werden die Betroffenen den Tätern, die sie belastet haben, weiterhin begegnen müssen. Eine skeptische Haltung gegenüber strafrechtlichen Schritten findet sich bei einem Teil der Betroffenen, andere hingegen sehen in der Strafverfol-gung den einzigen Weg. Zum Teil gehen die Wünsche von Geschädigten be-züglich der Strafzumessung für die Täter weit über die gängige Rechtspraxis hinaus und widersprechen der Idee sozialer Konfliktaushandlung. Diese Be-troffenen haben häufig auch kein Interesse an einer politischen bzw. öffentli-chen Auseinandersetzung. Im Fall autoritärer Vorstellungen gerät die Bera-tungsarbeit politisch und mit der Parteilichkeit an ihre Grenzen.

Eine bedeutende Funktion hat die Nebenklage, die Geschädigten die Mög-lichkeit gibt, sich durch Rechtsanwälte im Strafverfahren vertreten zu lassen.

Bei schweren Straftaten haben Geschädigte das Recht, als Nebenkläger auf-zutreten, bei geringfügigen Straftaten liegt die Zulassung im Ermessen des Gerichts. Im Jugendstrafrecht ist die Nebenklage ausgeschlossen. Durch eine Nebenklage kann der Geschädigte eine aktive Rolle im Strafverfahren einneh-men, anstatt sich lediglich als Zeuge befragen zu lassen. Als Prozessbeteiligte erhalten Nebenklagevertreter Einsicht in die Ermittlungsakte und verfügen während der Hauptverhandlung über das Antrags- und Fragerecht. Die

Hauptverhandlung ist in vielen Fällen der einzige Ort, an dem öffentlich über den Angriff kommuniziert wird. Die Nebenklage kann auf die Beweiserhe-bung Einfluss nehmen, um einen rechten Tathintergrund stärker herauszuar-beiten. Die Feststellung eines politischen Tatmotivs kann in der Strafzumes-sung eine strafverschärfende Rolle spielen. Die Würdigung der politischen Dimension in der Urteilsbegründung ist auch für die öffentliche Wahrneh-mung und Bewertung der Gewalttat von zentraler Bedeutung. Für die Opfer ist die Hervorhebung des rechten Hintergrundes, unabhängig von ihrer eige-nen politischen Einstellung, ein wichtiger Aspekt. Die Anerkennung der poli-tischen Motivation erklärt die Tat und wirkt entlastend auf die Opfer, da die empfundene Ungerechtigkeit bestätigt und eine möglicherweise unterstellte Mitschuld zurückgewiesen wird. Diese Bedeutung erklärt sich mit der ideolo-gischen Aufladung rechter Gewalttaten. Die Botschaft der Ausgrenzung und des Absprechens grundsätzlicher Rechte wirkt um so schwerer auf die Betrof-fenen, je stärker sie auch im Alltag in den verschiedenen gesellschaftlichen Be-reichen von Ausgrenzung und Diskriminierung betroffen sind, sie trifft auf bereits oder alltäglich erlebte Erfahrungen. Der Angriff ist dann nur eine ge-waltsame Zuspitzung der täglich erfahrenen gesellschaftlichen Stellung. Dies gilt insbesondere für die Gruppe der Flüchtlinge. Jede rassistische Beleidi-gung, jeder abschätzige oder hasserfüllte Blick erhält nach der Erfahrung eines Angriffs ein neues Bedrohungspotenzial. Körperliche Verletzungen sind oft – nicht immer – zweitrangig, schwerwiegender sind in diesen Fällen die psy-chischen Folgen. Ein Gerichtsprozess kann in diesem Zusammenhang als eine Art Korrektiv und Referenzrahmen wirken. Das Urteil über den rechten An-griff wird von einigen Betroffenen als Stellungnahme im Kontext der täglich erfahrenen Ausgrenzung und Diskriminierung gewertet. Je nach Ausgang und Verlauf kann das Gerichtsverfahren im besten Fall eine psychologische Unterstützung bei der Verarbeitung der Tat darstellen.

Ein politischer Erfolg wäre es, wenn diese Rolle von der Zivilgesellschaft übernommen würde.

Mit der Begleitung im Strafverfahren und anderen Hilfen verfolgt die Bera-tungsstelle das Ziel, die Betroffenen bei der Verarbeitung der Gewalterfahrung zu unterstützen. Einem Vermeidungsverhalten – etwa die Anpassung der äußeren Erscheinung oder das Meiden bestimmter, als gefährlich wahrge-nommener Orte – soll entgegengewirkt werden. Die Opfer sollen darin be-stärkt werden, ihr Leben nicht von Angst- und Bedrohungsgefühlen bestim-men zu lassen. Es sind weniger große Gesten als viele kleine Schritte, die dabei für die Opfer entscheidend sein können. In einigen Fällen sind die Mitarbeiter der Beratungsstelle die Einzigen, die sich bei den Betroffenen nach einem An-griff melden. Häufig sind sie auch die Einzigen, die auch nach langer Zeit noch für Unterstützung bei der Bewältigung langfristiger Angriffsfolgen an-sprechbar sind.

Kommunale Interventionen

Die Opferperspektive verknüpft die Beratung von Opfern und Opfergruppen nach Möglichkeit mit Maßnahmen, die darauf abzielen, das gesellschaftliche Umfeld für deren Situation zu sensibilisieren und durch eine Solidarisierung zu einer Verbesserung ihrer Lage zu gewinnen. Zudem kann eine Intervention in die kommunalen Verhältnisse im Idealfall die Entwicklung von Unterstüt-zungsnetzwerken für die Betroffenen befördern, die diesen wiederum mehr Sicherheit sowie eine gewisse Aufmerksamkeit und bessere Handlungsmög-lichkeiten bieten. Angestrebt wird, lokale Akteure gegen Rechtsextremismus und deren Vernetzung zu stärken. Eine kommunale Intervention geht in der Regel von einem konkreten Fall aus und ist mit den Betroffenen abgestimmt.

Darüber hinaus ist es von großer Bedeutung, dass sie nicht allein »von außen«

in eine Kommune hinein agiert, sondern in Kooperation mit lokalen oder re-gionalen Akteuren, die über eine genaue Einschätzung der lokalen Probleme und Möglichkeiten verfügen, geplant und umgesetzt wird. Eine wichtige Rolle spielen dabei kommunale oder regionale Bündnisse und Initiativen gegen Rechts, die sich in Brandenburg entwickelt haben. Durch diese Netzwerke hat sich in einigen Orten eine ausgrenzende Praxis gegenüber Rechten etabliert.

Beim Versuch, öffentliche Räume anzumieten, müssen Rechte inzwischen durchaus mit der Ablehnung kommunaler Behörden rechnen. Ihre Demon-strationen stoßen auch auf Widerstand aus dem bürgerlichen Lager. Im No-vember 2005 stellten sich in Potsdam unter den Augen der Polizei 4 000 Per-sonen – darunter die Stadtverordneten aller Parteien – einem Aufmarsch einiger hundert Rechter entgegen. Die von dem Neonazi Christian Worch an-gemeldete Demonstration wurde durch die Blockade verhindert. Zu ähnli-chen Reaktionen und einem Zusammenspiel zwisähnli-chen unterschiedliähnli-chen politischen Spektren mit der Polizei kam es zum Teil auch in der Kleinstadt Halbe, wo Neonazis regelmäßig zum Gedenken an SS-Angehörige am Solda-tenfriedhof aufmarschieren. Die Entstehungsgeschichte und Zusammenset-zung der Bürgerinitiativen ist unterschiedlich. Häufig sind sie gar nicht aufgrund der Initiative von Privatpersonen entstanden, sondern durch kom-munale Verwaltungen gegründet worden. In diesen Fällen werden sie ent-sprechend stark von den Angehörigen kommunaler Behörden, Parteigliede-rungen oder staatlicher Organe – den lokalen Autoritäten – geprägt. Diese nehmen eine Doppelfunktion ein, die das oben beschriebene Zusammenwir-ken der unterschiedlichsten politischen Kräfte in einigen Fällen befördert hat, sich aber auch gegen Betroffene rechter Gewalt richten kann. Während die Behördenvertreter als Angehörige eines Bündnisses gegen Rechts Betroffene rechter Gewalt unterstützen, verfolgen sie hauptberuflich zuweilen Interes-sen, die damit in Widerspruch geraten können oder gar grundsätzlich zuwi-derlaufen.

In einem solchen Bündnis vertritt beispielsweise ein Polizeibeamter als eh-renamtlicher Mitarbeiter die Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer Weißer Ring. Aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Organisation und dem Bündnis nahm ein ausländischer Student Kontakt zu ihm auf. Der Mann erhoffte sich Hilfe, weil er infolge eines rassistischen Angriffs Kosten für den Verlust seiner Uhr und seiner Sonnenbrille sowie einen Krankentransport zu tragen hatte.

Der ehrenamtliche Opferhelfer nahm die Information auf, sah jedoch als Poli-zist in die Ermittlungsakte und stellte fest, dass neben dem Verfahren gegen den rassistischen Täter auch ein Beschuldigtenverfahren gegen das Opfer ein-geleitet worden war. Der Rechte hatte ebenfalls Anzeige erstattet. Daraufhin verweigerte der Polizist – nun wieder in seiner Funktion als Opferhelfer – dem Studenten jede Hilfe, da die Organisation ausschließlich Geschädigten Unter-stützung gewährt. Das Beschuldigtenverfahren gegen das Opfer wurde später eingestellt.

In einem anderen Fall suchte eine Mitarbeiterin der Opferperspektive mit zwei binationalen Paaren, die mehrfach von rechten Beleidigungen und An-griffen betroffen waren, ein lokales Bündnis gegen Rechts auf. Die Betroffenen sollten dort von ihren Erfahrungen berichten, damit anschließend in dem Bünd-nis über Unterstützungsmöglichkeiten nachgedacht werden könnte. Nach-dem eine der Betroffenen die Vorfälle geschildert hatte, die sich in der Grün-anlage einer Wohnsiedlung ereignet hatten, ergriff eine im Bündnis vertretene Mitarbeiterin einer Wohnungsgenossenschaft das Wort. Sie erklärte, dass es mehrmals Klagen von Mietern gegen eine der betroffenen Frauen wegen lau-ter Musik gegeben habe. Dieser Beitrag stellte die rassistischen Motive der Tat in Abrede; der Vorfall erhielt im Bündnis dadurch eine andere Interpretation,

In einem anderen Fall suchte eine Mitarbeiterin der Opferperspektive mit zwei binationalen Paaren, die mehrfach von rechten Beleidigungen und An-griffen betroffen waren, ein lokales Bündnis gegen Rechts auf. Die Betroffenen sollten dort von ihren Erfahrungen berichten, damit anschließend in dem Bünd-nis über Unterstützungsmöglichkeiten nachgedacht werden könnte. Nach-dem eine der Betroffenen die Vorfälle geschildert hatte, die sich in der Grün-anlage einer Wohnsiedlung ereignet hatten, ergriff eine im Bündnis vertretene Mitarbeiterin einer Wohnungsgenossenschaft das Wort. Sie erklärte, dass es mehrmals Klagen von Mietern gegen eine der betroffenen Frauen wegen lau-ter Musik gegeben habe. Dieser Beitrag stellte die rassistischen Motive der Tat in Abrede; der Vorfall erhielt im Bündnis dadurch eine andere Interpretation,

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