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Klassifikationssysteme werden einerseits benötigt, um eine Diagnose zu stellen, andererseits erleichtern sie die Zuordnung von Krankheiten durch bestimmte Kriterien.

Die Einteilung von Zwangserkrankungen erfolgt vorwiegend über zwei Klassifikationssysteme, welche laufend verbessert werden, um mit dem Fortschritt der Medizin mitzuhalten.

Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD)

Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, ICD) wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben. Die aktuelle zehnte Auflage enthält alle relevanten Krankheiten. Im Abschnitt V „Psychische- und Verhaltensstörungen“ werden psychische Krankheiten angeführt [5].

1992 wurde von der WHO die englische Originalausgabe publiziert. Vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) wurde die deutsche Ausgabe der ICD-10 WHO 2019, die alle Änderungen mit Stand 01.01.2019 beinhaltet, im Auftrag des deutschen Bundesministeriums für Gesundheit veröffentlicht. Die aktuelle Auflage für Österreich (ICD-10 BMASGK 2020) wurde aus den Daten, die vom DIMDI aus der deutschen Ausgabe zur Verfügung gestellt wurden, geschaffen [6].

In Österreich richtet sich die Krankenkassenabrechnung nach dem ICD, welches auch als Nachschlagewerk in der Praxis dient [7].

Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen (DSM)

Das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, DSM) stellt ein weiteres, häufig verwendetes Klassifikationssystem dar.

Es wird von der American Psychiatric Association (APA) herausgegeben. Die aktuelle fünfte Auflage stammt aus dem Jahr 2013. Die Erstausgabe wurde bereits im Jahr 1952 veröffentlicht [5].

Das DSM wird vorwiegend in den USA, aber auch in Österreich verwendet, vor allem im Bundesland Tirol, wo Psychotherapeut_innen ihre Diagnose nach DSM stellen [7].

Vergleich ICD-10 und DSM-5

Die ICD-10 und das DSM-5 unterscheiden sich in ihren Kriterien für die Diagnosestellung. In jeder der beiden Klassifikationen ist den Zwangserkrankungen ein eigenes Kapitel gewidmet.

Nach ICD-10 müssen folgende Kriterien vorliegen, um eine Zwangserkrankung zu diagnostizieren:

• Kriterium A: Es sollen zumindest zwei Wochen lang Zwangsgedanken oder -handlungen oder beides belegbar sein.

• Kriterium B: Die Zwangssymptome sind als eigene Gedanken und Impulse für die Betroffenen erkennbar, werden aber auch als übertrieben und unsinnig angesehen. Die Patient_innen müssen versuchen, wenigstens einem Gedanken oder einer Handlung Widerstand zu leisten - wenn auch ergebnislos - und die Handlungsausführung wird als unangenehm empfunden. Auch wichtig ist, dass sich die Vorstellungen wiederholen.

• Kriterium C: Die unter den Zwangsgedanken und -handlungen Leidenden werden dadurch psychosozial beeinträchtigt oder die alltäglichen Aktivitäten werden gestört.

• Kriterium D: Andere psychische oder organisch bedingte Krankheiten müssen ausgeschlossen werden. Häufige Ausschlusskriterien sind Schizophrenie und affektive Störungen [8, 9].

Nach DSM-5 sind folgende Kriterien für die Diagnose von Bedeutung:

Das Vorhandensein von Zwangshandlungen und/oder Zwangsgedanken muss gegeben sein.

Zwangsgedanken werden durch folgende Punkte definiert:

1) Kennzeichnend sind wiederkehrende und anhaltende Gedanken oder Bilder, die irgendwann während der Störung auftreten, als aufdringlich und unerwünscht empfunden werden und bei den meisten Menschen Angst oder Bedrängnis verursachen.

2) Es wird versucht, solche Gedanken und Bilder zu ignorieren oder zu unterdrücken beziehungsweise sie mit anderen Gedanken oder Handlungen zu neutralisieren.

Zwangshandlungen werden wie folgt beschrieben:

1) Dies sind sich wiederholende Verhaltensweisen, zu deren Ausführung sich die Person nach selbst auferlegten Regeln, die streng angewendet werden müssen, getrieben fühlt.

2) Diese Verhaltensweisen zielen darauf ab, Angstzustände oder Leiden zu verhindern oder zu verringern. Sie haben aber auch zum Ziel, ein gefürchtetes Ereignis oder eine Situation abzuwenden.

Weiters müssen folgende Kriterien erfüllt werden, um eine Diagnose zu stellen.

Kriterium A: Die Verhaltensweisen sind nicht in realistischer Weise mit dem verbunden, was sie durch Zwangshandlungen neutralisieren oder verhindern sollen, oder sind übertrieben.

Kriterium B: Die Handlungen und Gedanken sind zeitaufwendig (mehr als 1 Stunde am Tag) und stellen eine klinisch signifikante Belastung dar. Auch Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen sowie anderen wichtigen Funktionsbereichen können dadurch entstehen.

Kriterium C: Die Symptome sind nicht auf die physiologischen Wirkungen eines Stoffes (Drogen oder Medikamente) oder einer anderen Krankheit zurückzuführen.

Kriterium D: Die Störung ist nicht durch Symptome anderer psychischer Krankheiten besser zu erklären.

Zu spezifizieren ist auch ferner „mit guter Einsicht“, „mit wenig Einsicht“ oder „mit fehlender Einsicht“. Das heißt, ob die Person vollständig davon überzeugt ist, dass ihre Ansichten der Zwangserkrankung wahr sind oder nicht [10].

Der größte Unterschied zwischen beiden Klassifikationen findet sich in den Zeitkriterien. Laut ICD-10 müssen Zwänge wenigstens zwei Wochen andauern, wogegen laut DSM-5 die Erkrankten mehr als eine Stunde am Tag damit beschäftigt sein müssen, ihre Zwänge zu verrichten [9, 10].

2.1 Einteilung der Zwangserkrankung nach ICD-10

Das Krankheitsbild der Zwangserkrankung ist in der ICD-10 in Kapitel V „Psychische und Verhaltensstörungen“ unter der Bezeichnung „Neurotische-, Belastungs- und somatoforme Störungen F42“ zu finden.

Folgende Kategorien werden unterschieden:

• Vorwiegend Zwangsgedanken oder Grübelzwang F42.0

• Vorwiegend Zwangshandlungen (Zwangsrituale) F42.1

• Zwangsgedanken und -handlungen gemischt F42.2

• Sonstige Zwangsstörungen F42.8

• Zwangsstörung, nicht näher bezeichnet F42.9

Laut ICD-10 sind die Hauptmerkmale einer Zwangserkrankung sich wiederholende Zwangsgedanken und Zwangshandlungen.

Zwangsgedanken werden als Einfälle, Vorstellungen oder Impulse beschrieben, die den Beteiligten immer wieder plagen. Meistens sind sie qualvoll. Die Personen versuchen Widerstand zu leisten, häufig jedoch erfolglos. Obwohl Betroffene die Gedanken als unfreiwillig und abstoßend empfinden, erleben sie diese als Gedanken des eigenen Ichs. Sie dienen nicht dazu, nützliche Aufgaben zu erfüllen und werden als unangenehm empfunden. Vorwiegend erlebt die Person die Handlungen als Prävention gegen ein unwahrscheinliches Erlebnis, das ihr Schaden bringen könnte.

Im Großen und Ganzen wird ein solches Verhalten als sinnlos erlebt. Die Angst ist ein ständiger Begleiter, die sich durch Unterdrückung der Zwangshandlungen massiv verstärkt [2].

Vorwiegend Zwangsgedanken oder Grübelzwang

Bei dieser Form der Erkrankung sind die Gedanken immer quälend und sie können die Form von zwanghaften Ideen, bildhaften Vorstellungen oder Zwangsimpulsen annehmen. Inhaltlich können diese sehr unterschiedlich ausfallen und es kommt auch immer wieder zu endlosen Überlegungen, die häufig damit verbunden sind, dass alltägliche Entscheidungen nicht mehr getroffen werden können.

Der Zusammenhang zwischen dem Grübelzwang und einer Depression ist sehr eng. Eine Zwangserkrankung sollte deshalb nur diagnostiziert werden, wenn der Grübelzwang nicht in Verbindung mit einer depressiven Störung auftritt und anhält [2, 9].

Vorwiegend Zwangshandlungen (Zwangsrituale)

Überwiegend beziehen sich Zwangshandlungen auf übertriebene Sauberkeit und Ordnung oder Kontrollen. Derartige Zwangsrituale sollen eine eventuelle gefährliche Situation verhindern. Dieses Verhalten ist durch die Furcht vor einer Gefahr begründet, die den Betroffenen bedroht. Rituale sind wirkungslose Versuche, die Gefahr abzukehren. Sie können stundenlang durchgeführt werden und sind auch oftmals mit Entschlusslosigkeit und Langsamkeit verbunden.

Zwangshandlungen lassen sich besser mit einer Verhaltenstherapie behandeln, da sie weniger eng mit einer Depression verbunden sind [2, 9].

Zwangsgedanken und -handlungen, gemischt

Meist zeigen Erkrankte Symptome von Zwangshandlungen und Zwangsgedanken auf. Diese Kategorie ist anzuwenden, wenn Handlungen und Gedanken gleichermaßen ausgeprägt sind. Ist ein Symptom eindeutig stärker, muss dies in der Diagnose berücksichtigt werden, da Zwangsgedanken und -handlungen unterschiedlich behandelt werden können [9].

Beispiele sind Wasch- und Kontrollzwänge, die wie folgt beschrieben werden.

Patient_innen mit Waschzwängen haben größtenteils die Befürchtung, sich

den eigenen Körper beschränkt, was sich in übermäßigem Händewaschen und Duschen äußert. Meistens werden diese aber auch auf Kleidung und Wohnung übertragen und mit in das Zwangssystem eingebaut, was zu vermehrtem Waschen, Putzen und Desinfizieren von Wohnung und Kleidung führt. Die Handlungen entwickeln sich häufig zu langwierigen Ritualen und zusätzlich tritt bei den Betroffenen ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten auf.

Kontrollzwänge werden zumeist durch Zwangsgedanken ausgelöst. Die Betroffenen glauben einen Fehler gemacht zu haben, woraus sich Konsequenzen für sie selbst oder Mitmenschen ergeben könnten. Die Zwangshandlungen können sich mitunter auf fast alle Lebensbereiche und jegliche Objekte beziehen. Auch hier findet häufig eine starke Ritualisierung des Verhaltens statt. (Zum Beispiel: Herd muss neunmal kontrolliert werden, da neun eine Glückszahl ist)

Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Waschzwänge häufiger auftreten als Kontrollzwänge. Auch finden sich Geschlechtsunterschiede, Frauen sind häufiger von Waschzwängen betroffen, wogegen Kontrollzwänge bei Männern überrepräsentiert sind [8].

3 Das Nervensystem und seine Bedeutung für die