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Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat«

1 Hinführung

Sofern es gelungen ist, in den vorangegangenen Ausführungen die langfristigen Wechselwirkungen zwischen dem Kärntner Habitus und der Wahrnehmung der ka-tholischen Kirche in Kärnten in groben Zügen zu skizzieren, lässt sich nun ein de-tailreicheres Bild über die Auswirkungen jener habituellen Prägungen für die Ereig-nisse in den Jahren vor der nationalsozialistischen Machtergreifung gewinnen. Wenn die bisherigen Überlegungen stimmen, kann die ambivalente Stellung der Kirche in diesem Land als ein wichtiger Mosaikstein im vielschichtigen Zusammenspiel histo-rischer Zufälligkeiten und Verflechtungen dienen, um den Sonderfall Kärnten, der nun im sogenannten »Christlichen Ständestaat« immer deutlichere Konturen erhält, besser verstehen zu können. In gewisser Weise stellen die Ereignisse des »Christli-chen Ständestaates« nicht nur das Vorspiel zur nationalsozialistis»Christli-chen Terrorherr-schaft dar, sondern, im mentalitätsgeschichtlichen Sinn, auch die Kumulation ver-gangener Jahrhunderte. »Zu den selten direkt ausgesprochenen, aber umso heftiger empfundenen Kärntner Opfermythen gehört die Vorstellung, dass Kärnten nie so verfolgt und unterdrückt wurde wie zu Zeiten des Ständestaates 1933 bis 1938.«1 Auch wenn der Begriff einer »neuen Gegenreformation« für diese Epoche prob-lematisiert worden ist,2 scheint es doch, dass die neuerliche Liaison von Staat und Kirche bei vielen Kärntnern und Kärntnerinnen jenes Widerstandspotential aktiviert hat, das aus den bedrückenden, im kollektiven Gedächtnis über Generationen ver-innerlichten Erfahrungen mit Herrschaft und Obrigkeit vorangegangener Jahrhun-derte hervorgegangen war. Die noch allseits »frischen« Eindrücke des Abwehrkamp-fes und der »Pfaffenhetze« sowie die politische und wirtschaftliche Destabilisierung der 1920er Jahre mögen das Ihre dazu beigetragen haben. Einem Regime, dessen Eliten in Wien agierten und dessen Gesellschafts-, Kultur- und Schulpolitik von jenem »katholischen Mief« (Ernst Hanisch) penetriert war, der unweigerlich nach

1 Rumpler, H.: Dammbruch (1989), 45.

2 Der Begriff wurde sowohl von den Eliten des Ständestaates als auch von deren Gegnern gebraucht.

Vgl. die in der Schweiz dazu erschienene, einschlägige zeitgenössische Publikation Aebi, K. (Hg.) : Die Gegenreformation (1936). Siehe dazu die unterschiedlichen Bewertungen des Begriffes der Gegenre-formation bei Schwarz, K. W.: Johannes Heinzelmann (2014), 690 und Klieber, R.: Eine Gegenrefor-mation (2002), 321 sowie bei Blaschke, O.: Der »Dämon« (2002), 32.

dem (Re-)Katholisierungszwang vergangener Epochen roch, konnte man in Kärnten keine sonderlichen Sympathien entgegenbringen. »Das betont katholische stände-staatliche Regime […] fand in Kärnten, einem Land mit einer starken Sozialdemo-kratie, einer tief verwurzelten deutschliberalen antiklerikalen Tradition und einem hohen protestantischen Bevölkerungsanteil nur sehr beschränkte Zustimmung.«3 Dabei war es für die Kärntner und Kärntnerinnen offenbar nur wenig überzeugend, den jungen Staat als »besseres Deutschland« aufbauen zu wollen, ja selbst die Anbie-derung an die völkische Blut-und-Boden-Ideologie und die Forcierung des Heimat-begriffes4 nahm man den »Schwarzen« in Wien nicht ab.

Die kirchlichen Akteure jener Zeit wussten sehr wohl um den schwierigen Boden, den dieses Regime in Kärnten vorfinden würde. So soll der Gurker Bischof Hefter einmal bemerkt haben :

Die Bischöfe Waitz und Gföllner haben leicht reden und können es sich leisten, energisch gegen den Nationalsozialismus in ihren Diözesen aufzutreten, da die religiösen Verhält-nisse in Tirol und Oberösterreich doch ganz anders sind als in Kärnten, wo die Gefahr des Abfalles eine ungeheure ist !5

Tatsächlich stand Apostasie – wie man kirchlicherseits den »Abfall vom Glauben«

und damit den Kirchenaustritt bezeichnet – in den 1930er Jahren in Kärnten vielfach deutlich im Zusammenhang mit Sympathie für die nationalsozialistische Bewegung.

Einblicke in entsprechendes, unveröffentlichtes Archivmaterial sollen diesen Zusam-menhang illustrieren, vor allem aber sollen sie einen exemplarischen Eindruck von den mentalitätsgeschichtlichen Untiefen des alltäglichen Mit- und Gegeneinanders von Seelsorgern und Pfarrbevölkerung in dieser spannungsgeladenen Zeit geben. Ihr ist das umfangreichste Kapitel dieses zweiten Hauptteiles gewidmet.

Vorbereitend dazu sollen in den nun folgenden Kapiteln zunächst die politischen, kirchlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen jener Zeit in Österreich ge-nerell und in Kärnten speziell erörtert werden, um die konkreten Zielsetzungen des

»Christlichen Ständestaates« und seiner Hauptprotagonisten ins Blickfeld zu rücken.

1.1 Gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen

Das christlich-soziale Lager während der Ersten Republik war nicht homogen. Die christlich-soziale Richtung einerseits verstand sich als katholisch, österreichisch und deutsch, die sich unter der Leitfigur Ignaz Seipel in entsprechenden

Massenorgani-3 Wadl, W./Ogris, A. (Hg.) : Das Jahr 19Massenorgani-38 (1988), 124 f.

4 Bockhorn, O.: »Tiefes Heimatgefühl« (2002).

5 Obersteiner, J.: Bischöfe von Gurk (1980), 190.

sationen (Studentenbünde, Turnvereine, Jugendbünde) formierte. Katholisch-nati-onal war jene Richtung, die die Anschlussidee6 mit dem katholischen Österreichge-danken in Einklang zu bringen versuchte. Dieser relativ kleinen Gruppe gehörten einflussreiche Eliten aus den CV-Verbindungen an, wie Arthur Seyß-Inquart und Kurt Schuschnigg, wobei sich der österreichische Cartellverband 1933 vom natio-nalsozialistisch vereinnahmten gesamtdeutschen Cartellverband distanzierte. Eben-falls stark in katholischen Kreisen beheimatet waren die um die Monarchie Trauern-den. Sie wollten mit der »Österreichischen Aktion« als politisches Programm ein neues Österreichbewusstsein im Rückgriff auf die Ideale der Monarchie etablieren.7

Während das christlich-soziale Lager in der gesamten Ersten Republik gemein-sam mit den Sozialdemokraten die dominierende politische Kraft war, war dies in Kärnten keineswegs so. Hier springt die Schwäche der Christlichsozialen Partei ge-radezu ins Auge.8 In Kärnten war es vielmehr die Sozialdemokratie, die beim ersten bundesweiten demokratischen Urnengang 1919 49 % erreichen konnte.9 Auch sie bekannte sich in jener Epoche zu einer engen Bindung an das Deutschtum.10 Ihre Macht wurde in Kärnten der 1920er Jahre aber durch die Bildung eines Bürgerblocks von Landbund, Christlichsozialen und Großdeutschen deutlich im Zaum gehalten.11 Mit Vinzenz Schumy stellte dieser Bürgerblock 1923 bis 1927 den Landeshaupt-mann. Schumy war Leiter des Bauernbunds, der im Landbund aufging und dessen Elite sich auch aus »Windischen Deutschnationalen«, wie diejenigen Slowenen und Sloweninnen genannt wurden, die sich im Zuge von Abwehrkampf und Volksabstim-mung für Kärnten entschieden hatten, zusammensetzte.12 Der Landbund bzw. seine Vertreter pflegten enge Kontakte zum Kärntner Heimatdienst bzw. zum Kärntner Heimatbund, der 1924 nach dem Ausscheren der Sozialdemokratie als Nachfolgeor-ganisation aus Ersterem hervorgegangen war.13

Eine weitere einflussreiche Kraft im Bürgerblock war die Großdeutsche Volks-partei, die vor allem das Kleinbürgertum und den Mittelstand ansprach. Ihre

6 Erst seit der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland wurde der Anschlussgedanke als Bedrohung für die Regierungsparteien in Kärnten bzw. in Österreich empfunden. Bis 1933 hingegen hatte die Anschlussidee in allen politischen Parteien in Kärnten Widerhall gefunden. Ogris, A.: An-schlußideen (1988), 13–39.

7 Bruckmüller, E.: Katholisches (2013), 42 f.

8 Wadl, W.: Beiträge zur Geschichte (1991), 383.

9 Perchinig, B.: Wir sind Kärntner (1989), 96.

10 Bruckmüller, E.: Katholisches (2013), 42 f.

11 Eine derartige »Einheitsfront der besitzenden Klassen« war unter den österreichischen Bundeslän-dern einzigartig. Valentin, H.: Kärnten (2011), 41.

12 Diese Unterscheidung von »Windischen« und »Slowenen« wurde vom Kärntner Historiker Martin Wutte einflussreich in den politischen Diskurs eingebracht. Wutte, M.: Deutsch – Windisch –

Slowe-nisch (1930) ; siehe dazu auch Rumpler, H.: Die nationale Frage (2005), 41.

13 Perchinig, B.: Wir sind Kärntner (1989), 96–98.

lerschaft entstammte den ehemals deutschliberalen und deutschnationalen Parteien und war von der kulturellen Überlegenheit des Deutschtums überzeugt. Die Groß-deutschen sahen den Anschluss eines als nicht lebensfähig erachteten Österreich als logische Konsequenz. Darüber hinaus waren Antisemitismus und, besonders in Kärnten, Antiklerikalismus ideologische Hauptbestandteile dieser Partei, deren An-hänger ähnlich wie jene des Landbundes nach und nach in den Sog des National-sozialismus gelangten.14 Ursache dafür war der Generationenkonflikt, mit dem das deutschnationale Lager in den 1930er Jahren zu kämpfen hatte. Während die Groß-deutsche Partei vornehmlich von demokratisch gesinnten, großbürgerlichen »alten Herren« getragen wurde, konnte die charismatische Anziehungskraft Adolf Hitlers über die deutsche Grenze hinweg auch in Österreich eine fanatische Jugendbewe-gung mit aggressivem Auftreten zu Terror und populistischen Massenveranstaltun-gen mobilisieren. Schrittweise wurden also der Landbund und das Großdeutsche Lager von den Nationalsozialisten einverleibt.15

Großdeutsche und Christlichsoziale konkurrierten vom Beginn der Ersten Re-publik an um ihren Einfluss in den paramilitärischen Heimwehrverbänden. In den Kärntner Verbänden, »die sich nur äußerlich in die christlich-sozial dominierte Heimwehrfront einfügten und ihre völkisch-antiklerikale und antiösterreichische Sonderpolitik weiterbetrieben«16, setzte sich dabei die antikirchliche Stoßrichtung deutlich durch. So waren die Kärntner Einheiten nur zum Teil dabei, als die Heim-wehren den Korneuburger Eid auf den Faschismus schworen, da man der nationalso-zialistischen Prägung des Faschismus näher stand als jener der später den Ständestaat tragenden Schule Othmar Spanns.17 Der Landbund begann im Kontext dieser inter-nen Auseinandersetzungen Bauernwehren zu etablieren, die in den frühen 1930er Jahren ebenfalls großteils zu Unterstützern des Nationalsozialismus wurden.18

Die nationalsozialistische Bewegung in Kärnten hatte sich unterdessen bereits sehr früh zu formieren begonnen. Erste Ansätze zur Parteigründung erfolgten schon 1918 in Villach, dem frühen Zentrum der Bewegung in Kärnten. Hier kann der »völkisch-soziale Verband Deutsche Einheit« als wichtige Vorfeldorganisation genannt werden.

Bei den ersten Nationalratswahlen im Februar 1919 kandidierte man als Deutsche na-tionalsozialistische Arbeiterpartei. 1925 wurde mit dem »Vaterländischen Schutzbund«

die Kärntner Parallelorganisation der SA als »Schutz-« bzw. Schlägertrupp gegründet, 1930 gilt als (unsicheres) Jahr der ersten Aufstellung von SS-Standarten in Kärnten.19

14 Ebd., 101 f.

15 Hanisch, E.: Antiklerikalismus (1999), 14.

16 Perchinig, B.: Wir sind Kärntner (1989), 108.

17 Dazu Näheres in Kapitel 1.2.1.

18 Perchinig, B.: Wir sind Kärntner (1989), 108 f.

19 Burz, U.: Die nationalsozialistische Bewegung (1998), 76–80 und 89 f.

In Kärnten hatten ideologische Vorläuferorganisationen der Nazi-Bewegung be-reits früh Kontakte zu reichsdeutschen Vereinigungen sowohl militärischer als auch ziviler Art geknüpft, um den Anschlussgedanken zu forcieren.20 Die Nationalsozia-listen konnten die Anschlussidee schließlich für sich vereinnahmen, zugleich stieg die Anschlussskepsis bei Christlichsozialen und Sozialdemokraten.21

Besonders hervorgetreten ist dabei Hans Steinacher, der während seiner Aus-bildung an der evangelischen LehrerAus-bildungsanstalt in Bielitz in Schlesien mit den alldeutschen Ideen Schönerers vertraut worden war22 und sich im Kontext des Ab-wehrkampfes als Initiator und führender Kopf der Abstimmungspropaganda einen Namen gemacht hatte. Steinacher ging nach dem Abwehrkampf ins Deutsche Reich und stieg dort, nachdem er bereits prestigeträchtige politische Funktionen inne-gehabt hatte, zum »Reichsführer des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland (VDA)« auf. In dieser Funktion war Steinacher von Deutschland aus ein wesentlicher Motor für den Aufstieg der NSDAP in Kärnten, sei es als Kapitalbeschaffer oder als Kontaktvermittler.23

Steinacher war auch maßgeblich an der Ansiedlung von 136 reichsdeutschen Fa-milien beteiligt, die zwischen 1926 und 1933 etwa 4.000 Hektar Bodenfläche be-siedelten, wovon die Hälfte dieser Fläche – verteilt auf 71 Landwirtschaften – im gemischtsprachigen Gebiet Südkärntens lag.24

Die soziale Basis der Nazi-Bewegung in Kärnten rekrutierte sich aus dem Mittel-stand, der vor allem in Villach durch die Eisenbahngewerkschaft eine breite Basis an öffentlich Bediensteten hatte. Burz weist auf den im Vergleich zu den Nazi-Bewe-gungen in den anderen Bundesländern hohen Anteil an Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft hin, die man dem christlich-sozialen Lager und dem Landbund abspenstig machen konnte.25

1.2 Ideologische Grundzüge des »Christlichen Ständestaates«

Aus diesem kurzen Überblick über die politische Landschaft Kärntens der 1920er Jahre geht hervor, dass bereits vor der austrofaschistischen Periode antidemokrati-sche, autoritäre und ständische Vorstellungen im politischen Diskurs allgegenwärtig waren. Zu Beginn der 1930er Jahre wurden dann deutliche politische Vorstöße zur Schwächung des Parlamentarismus unternommen. Der »Christliche Ständestaat«

20 Ebd., 51.

21 Bruckmüller, E.: Katholisches (2013), 42 f.

22 Gradwohl-Schlacher, K.: Josef Friedrich Perkonig (1998), 333.

23 Burz, U.: Die nationalsozialistische Bewegung (1998), 51 f.

24 Ebd., 55 ; Rumpler, H.: Die nationale Frage (2005), 41.

25 Burz, U.: Die nationalsozialistische Bewegung (1998), 76–83.

resultierte schließlich aus dem Zusammenfallen politischer und wirtschaftlicher Kri-senerfahrungen. Nachdem die Weltwirtschaftskrise die größte österreichische Bank, die Creditanstalt, in die Zahlungsunfähigkeit getrieben hatte, führte dies zu einer äußerst instabilen politischen Situation mit permanent wechselnden Regierungskoa-litionen und dem Wunsch nach Veränderung. Die Regierung Dollfuß leitete diesen Veränderungsprozess im Sinne eines autoritären Regimes ein – Opposition und Ar-beiterbewegung wurden zerschlagen und die faschistischen Systeme in Italien und Deutschland zum Vorbild genommen. Anders als dort war es in Österreich allerdings keine eigenständige faschistische Partei, die diesen Schritt unternahm, sondern die bestehende Regierung im Verbund mit Vertretern der Christlichsozialen Partei, den Heimwehren und dem Landbund. Die entsprechende außenpolitische Rückende-ckung holte man sich im faschistischen Italien Mussolinis.26

Der häufig verwendete Begriff »Austrofaschismus« für diese Epoche österreichi-scher Zeitgeschichte muss ebenso vorsichtig und reflektiert verwendet werden wie jener des »Klerikalfaschismus«. Letzterer sei, so der Historiker Ernst Hanisch, »ein politischer Kampfbegriff, aber kein theoretisch reflektierter ›Typus‹.«27 Hanisch ar-gumentiert, dass die Kirche zwar als ideologischer Träger des »Austrofaschismus«

von diesem System profitiert habe und es damit auch offiziell unterstützt habe, dass sie zugleich aber auch ein gewisser »Sperriegel gegen den vollfaschistischen Charak-ter des Regimes«28 war. »Die Katholische Kirche als Bündnispartner des Regimes bildete gleichzeitig eine gewisse Barriere gegen den Vollfaschismus.«29 Faschisti-sche Systeme hätten eine modernisierende, antikonservative Stoßrichtung, die eben durch den verklärten Rückgriff des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes auf das traditio-nal-religiöse Gesellschaftssystem nicht vorhanden gewesen sei.30

Sehr wohl aber versuchte man, in der Ablehnung von Liberalismus, Marxismus und Bolschewismus den Faschismus zu imitieren. Die Etablierungsversuche eines »starken Staats«, die Förderung paramilitärischer Bewegungen, die ästhetischen Codes von Mas-senveranstaltungen und Jugendlichkeit und nicht zuletzt die Inszenierung eines Führer-kults weisen als faschistische Elemente ebenso in diese Richtung. Bundeskanzler Doll-fuß war der Meinung, dass man der nationalsozialistischen Propaganda nur dann den Wind aus den Segeln nehmen könne, wenn man sie mit ihren eigenen Waffen schlage,

also die Verheißungen des Nationalsozialismus selbst in Erfüllung treten lasse.31

26 Tálos, E.: Das Herrschaftssystem (1988), 357 f.

27 Hanisch, E.: Der Politische Katholizismus (1988), 53.

28 Ebd.

29 Ebd., 54.

30 Ebd.; Hanisch, E.: Der lange Schatten (1994), 310–315 ; vgl. dazu auch Hanisch, E.: »Christlicher Ständestaat« (2007), wo Hanisch auf den Diskurs der Zeitgeschichtsforschung zu dieser begrifflichen Differenzierung eingeht.

31 Hanisch, E.: Der Politische Katholizismus (1988), 53 f.

Indes waren die Interessen Nazi-Deutschlands an Österreich keineswegs nur ideologische. Hitler brauchte die österreichische Rohstoffindustrie (Erzlagerstätten bzw. Bergbau, Wasserkraft und Holzindustrie) für seine Aufrüstungspläne.32 So muss der Staatsstreich von 1933 in erster Linie als eine Abwehrmaßnahme gegen die Inte-ressen Hitler-Deutschlands gesehen werden. Die Ermordung Dollfuß’ verstand man dann als ein außenpolitisches Signal, dass sich Österreich im Abwehrkampf gegen den Nationalsozialismus befand.33 Um diesen Abwehrkampf ideologisch zu unterfüt-tern, versuchte man eine »deutschösterreichische Identität« zu entwerfen, in der die katholische Kirche eine wesentliche Trägerfunktion innehaben sollte.

Eine solche Identität konnte aber dort, wo sie aufoktroyiert wurde und nicht selbst wachsen konnte, keinen Erfolg haben. Ungeachtet dessen gab man vor, das bessere Deutschland sein zu wollen. So baute man auf die Wiederbelebung der alten habs-burgischen Erinnerungstraditionen, die man nun mit einem neuen Österreichbild zu kombinieren versuchte. Das waren nun also »gerade die Tradition der Monarchie und das ›katholische Österreich‹, neben den Türkenkriegen [diente] ausdrücklich auch die Gegenreformation als fundierende Erinnerung«34. Als Leitfiguren sollten Maria Theresia und ihr Widerstand gegen den Preußenkönig Friedrich II. sowie Graf Starhembergs und Prinz Eugens Widerstand gegen die Osmanen dienen.35

Hanisch weist darauf hin, dass der österreichische Ständestaat in gewisser Weise strukturell den anderen europäischen autoritär-halbfaschistischen Regierungsfor-men in Spanien und Portugal ähnlich war : Alle drei haben eine gegenreformatorische Vergangenheit, alle drei seien vom Glanz einer großen Vergangenheit nostalgisch

geprägt, in allen drei Ländern sei die politische Kultur stark durch diese Vergan-genheit geprägt. In Österreich war es der Rückgriff auf den Habsburgermythos, mit dem man zugleich die Strategien der Gegenreformation wiederbelebte, vielfach aber völlig an der Lebensrealität der Menschen in einer schon stark säkularisierten Ge-sellschaft vorbeischrammte. »1933 schien dem Politischen Katholizismus in Öster-reich der Zeitpunkt für eine neue Offensive, für einen neuen Kreuzzug, für eine neue Gegenreformation gekommen ; wie gehabt, von oben, vom Staat gesteuert.«36 Die Symbolsprache des Regimes verdeutlicht das : Das Kruckenkreuz, in erster Linie ein Imitat des Hakenkreuzes, lehnt sich nicht zufällig an die Kreuzzugsymbolik an.37

So zelebrierte man die »neue Gegenreformation« am »Allgemeinen Deutschen Katholikentag« im September 1933, der »ganz unter dem Signum des Kreuzzuges,

32 Binder, D. A.: Der »Christliche Ständestaat« (1997), 222.

33 Ebd., 205 f.

34 Bruckmüller, E.: Katholisches (2013), 48 ; vgl. auch Schwarz, K. W.: Johannes Heinzelmann (2014), 689–691.

35 Binder, D. A.: Der »Christliche Ständestaat« (1997), 205 f.

36 Hanisch, E.: Der Politische Katholizismus (1988), 54–60, hier 60.

37 Ebd.

der Gegenreformation, des kirchlichen Triumphalismus [stand] ; wohl zum letzten Mal entfaltete sich ein üppiger, barocker, imperialer Katholizismus mit all seiner Pracht und seinen Zwängen hier in Österreich.«38 Man griff dabei bewusst auf die alten, verinnerlichten Ängste vor den Türken, oder, noch unspezifischer, vor den

»Horden aus dem Osten« zurück, für die nun symbolisch die bolschewikisch gesinn-ten Sozialdemokragesinn-ten standen. Wien wurde als »Bollwerk des Christlichen Abend-landes« beschworen.39

1.2.1 Der Politische Katholizismus im »Christlichen Ständestaat«

Wien war auch das Zentrum des Politischen Katholizismus, wo dessen Kerngruppe zunächst um Seipel, dann um Dollfuß und Schuschnigg schließlich die Führung übernahm. Diese Kernelite war mit Industrie und Heimwehren vernetzt. Neben dem Episkopat galten der Klerus im Allgemeinen, das katholische Vereinswesen – hier besonders die Katholische Aktion und der CV – sowie die Christlichsoziale Partei als Stützen des Politischen Katholizismus. Seine weitere Unterstützerschaft bildeten die Aristokratie, der Bauernstand und das städtische Kleinbürgertum, in geringerem Maße auch die Arbeiterschaft der katholischen Gewerkschaftsvereine.

Letztere bildeten gewissermaßen einen schmalen linken Rand, während der deutsch-nationale rechte Rand weitaus breiter war.40

Als wesentliche innerkirchliche Stütze muss die straff organisierte Katholische Ak-tion angesehen werden, deren OrganisaAk-tionsform den faschistischen Einheitsgedan-ken und sein Führerideal widerspiegelte. Die ideologischen Gräben wurden mit theo-logischer Metaphorik vertieft. »Hinein in die himmlisch-vaterländische Front, die den Einbruch der satanischen Armee ins Reich Gottes abwehren will !«41, lautete etwa die martialische Forderung des gebürtigen Kärntner Slowenen und späteren Domkapi-tulars Rudolf Blüml auf der vierten Wiener Seelsorgertagung 1935. Durch die An-passung der Katholischen Aktion an den totalitären Zeitgeist, war, so schlussfolgert der Historiker Dieter Binder, »für viele der Weg aus den Reihen der Fronleichnams-prozession in die Reihen der SA vorgezeichnet«42. Daneben gab es aber – nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten – auch Widerstand der katholischen Jugend, allen voran durch den CV, der als eine der Trägergruppen der katholischen Jugendfeier gegen den »Anschluss« vom 07. Oktober 1938 vor dem Stephansdom zu sehen ist.43

38 Ebd., 61.

39 Ebd.; Moritz, S.: Grüß Gott (2002), 39 f.

40 Hanisch, E.: Der Politische Katholizismus (1988), 55–59.

41 Rudolf Blüml, zit. bei Binder, D. A.: Der »Christliche Ständestaat« (1997), 208.

42 Ebd., 208.

43 Ebd., 208 f.

Einer der Wortführer des Politischen Katholizismus war der Linzer Bischof Gföll-ner, der die antinationalsozialistische Haltung der österreichischen Kirche stets be-tonte.44 Auch wenn der einflussreiche Grazer Theologe Alois Hudal versuchte, Na-tionalsozialismus und Christentum miteinander in Einklang zu bringen45 und auch wenn das persönliche Verhältnis von Theodor Kardinal Innitzer zu Kurt Schuschnigg sich zunehmend verschlechtert haben soll,46 rückten die Bischöfe »[v]on dieser prin-zipiellen NS-Haltung […] bis zum März 1938 nicht ab !«47

Zentrales theologisches Konzept des ständestaatlichen Politischen Katholizismus war die »Christkönigsideologie«, die Christus als Weltenherrscher über und gegen jegliche demokratische Gesellschaftskonzeption stellte : Das Reich Gottes sollte im kleinen Österreich verwirklicht werden, mit Leitfiguren aus dem Episkopat und Kle-rus als Christi Stellvertreter.48

Gegner dieser Auffassung waren also zugleich Gegner Christi und wurden leicht-fertig dämonisiert. So etwa die Sozialdemokraten, mit denen kirchliche Eliten die Gefahr einer »Gewaltherrschaft des österreichischen Marxismus«49 verbanden. Aus dieser realpolitisch überzogenen Angst sprach der Schock über die verlorengegan-gene gesellschaftliche Stärke nach dem Untergang der Monarchie. Die damit ein-hergehenden, oft persönlich verletzenden antiklerikalen Schmähungen vonseiten

Gegner dieser Auffassung waren also zugleich Gegner Christi und wurden leicht-fertig dämonisiert. So etwa die Sozialdemokraten, mit denen kirchliche Eliten die Gefahr einer »Gewaltherrschaft des österreichischen Marxismus«49 verbanden. Aus dieser realpolitisch überzogenen Angst sprach der Schock über die verlorengegan-gene gesellschaftliche Stärke nach dem Untergang der Monarchie. Die damit ein-hergehenden, oft persönlich verletzenden antiklerikalen Schmähungen vonseiten