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Kirche und Habitusentwicklung in Kärnten

1 Missionierung und Christianisierung

Geht man davon aus, dass habituelle Prägungen langfristig und über viele Generati-onen hinweg ausgebildet werden, lohnt es sich, bereits die Anfänge des langen Pro-zesses der Christianisierung1 in Kärnten zu berücksichtigen. Schon die ersten Kon-takte mit einer neuen Religion können sich im kollektiven Gedächtnis einer Gruppe oder eines Volkes niederschlagen und so die Haltung zu ihrer institutionalisierten Form langfristig prägen.2 Dazu sollen zunächst ein paar allgemeine Überlegungen angestellt werden.

Die Akzeptanz einer neuen Religion und ihrer kirchlichen Organisation – so auch des Christentums im Zuge der europäischen Christianisierung – hängt zunächst da-von ab, ob diese langsam wachsen kann, wie bspw. im Falle Irlands, oder militärisch aufoktroyiert wird, wie bspw. bei den germanischen Völkern. Die Christianisierung der Germanen verlief nicht über individuelle Überzeugungsarbeit, sondern durch kollektiven Übertritt infolge der Konvertierung des Stammesherrschers. Der indivi-duelle Entschluss zur Taufe auf Grundlage einer vorbereitenden Katechese war den germanischen Stammesgesellschaften fremd – der stammesreligiöse Kult war keine Sache eines Individuums, sondern immer eine kollektive. Bekehrungen erfolgten dementsprechend kollektiv, und zwar »von oben«.3

Dann ist es außerdem entscheidend, ob die neuen religiösen Formen und Forde-rungen mit den tradierten, »primär« bestehenden religiösen Formen4 kompatibel

1 Im Folgenden wird unter Missionierung der religiös motivierte Impuls zur Bekehrung verstanden, während Christianisierung als ein langfristiger kultureller Prozess zu sehen ist, der die institutionelle Durchdringung eines Gebietes durch kirchliche Agenturen einerseits und die Formung religiöser Überzeugungen und Verhaltensstandards seiner Bewohner und Bewohnerinnen andererseits meint.

Der Christianisierungsprozess ist immer wieder von »Dechristianisierungsschüben« durchsetzt und reicht im Falle Kärntens weit bis ins Konfessionelle Zeitalter hinein.

2 Höllinger, F.: Volksreligion und Herrschaftskirche (1996), 140.

3 Bedeutend ist hier bspw. der Übertritt des Merowingers Chlodwig 496 zum römischen Christentum, mit dem zugleich 3.000 seiner Gefolgsleute konvertierten. Seine Konversion war der Grundstein für das den religionssoziologischen Typus Europa prägende Verhältnis zwischen Kirche und Staat. Ebd., 134–137.

4 Unter primärer Religion wird im Sinne des Religionswissenschaftlers Theo Sundermeier die jeweils historisch und lokal gewachsene und vornehmlich in Kult und Ritual verankerte, regionale religiöse Tradition verstanden. Vgl. Sundermeier, T.: Religion (2007).

sind oder ob sie der Lebenswelt widersprechen. Das betrifft vor allem das bestehende Hierarchieverständnis, den Umgang mit Sexualität und den Magieglauben, wie er besonders im agrarisch-ländlichen Bereich weit verbreitet war.5 Bei der Ausbreitung von Religionen werden aber nicht nur vorhandene religiöse Formen überlagert und teilweise adaptiert, was sich bspw. im christlichen Festkalender oder im ländlichen Brauchtum widerspiegelt, sondern auch die vorherrschenden sozialen Codes, Um-gangsformen und Autoritätsvorstellungen integriert. »Die Religion nimmt also die charakteristischen Formen des sozialen Lebens und der gesellschaftlichen Ordnung in sich auf und gibt ihnen zugleich eine religiöse Legitimation.«6

Im Hinblick auf die europäische Christianisierung entschieden strukturelle Un-terschiede oder Ähnlichkeiten der christlichen Forderungen mit den Kulturen und Ethiken der missionierten Bevölkerungsgruppen über Akzeptanz oder Widerstand.

Höllinger nennt dafür als Beispiele die Kelten, die mit ihren Druiden eine mönchs-ähnliche Priesterklasse hatten, während es bei den Germanen keine spezialisierte religiöse Expertenschicht gab. Hier war die weltliche Oberschicht zugleich für den religiösen Kult zuständig. Auch im moralisch-sittlichen Leben traf das Christentum auf unterschiedliche Voraussetzungen – während in den Mittelmeerkulturen, aber auch in den keltischen Gesellschaften das Virginitätsgebot der christlichen Forde-rung von vorehelicher Enthaltsamkeit entgegenkam, wurde diese sittlich-religiöse Forderung in den germanischen Stammeskulturen als lebensfremd erfahren.7

In Kärnten waren es slawische Siedler, die ab der Mitte des 8. Jahrhunderts syste-matisch missioniert wurden. Auch hier lassen sich Konfliktlinien beobachten.

1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten

Nachdem erste, kleine christliche Gemeinden schon im 4., jedenfalls aber im 5. Jahr-hundert bestanden haben,8 dürfte die spätantike kirchliche Organisation in Kärnten im Zuge der Völkerwanderungszeit mit dem Vordringen der Slawen ins Gail- und Drautal sowie der Awaren im Osten weitgehend, wenn auch keineswegs vollständig, ihr Ende gefunden haben.9

5 Höllinger, F.: Volksreligion und Herrschaftskirche (1996), 19 f.

6 Ebd., 119 f, hier 119.

7 Ebd., 127 f.

8 Tropper, P. G.: Missionsgebiet (1996), 17 f.; Glaser, F.: Frühchristliche Denkmäler (1996).

9 Die ältere Forschungsmeinung, die ein Überdauern christlicher Traditionen in Zeiten der Völkerwan-derung bestenfalls für einzelne, entlegene Gebirgsdörfer vermutete – vgl. bspw. Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 46 –, hat man mit den Ausgrabungen einer Klosterkirche in Molzbichl bei Spittal an der Drau widerlegt. Die dort gefundene Inschriftenplatte des Reliquiengrabs eines heiligen Nonnosus legt nahe, dass »der Kult eines christlichen Heiligen […] in der Zeit der heidnischen Slawen bekannt geblieben sein muss, dass also das Christentum an einzelnen – gar nicht so abgelegenen – Orten

über-Auch wenn der genaue Ablauf der slawischen Besiedelung noch immer Gegen-stand der Diskussion ist,10 kann davon ausgegangen werden, dass die in Kärnten an-sässigen Slawen ein Fürstentum »Karantanien« errichteten, das weit über die Gren-zen des heutigen Kärnten hinausging.11 Die Quellen12 legen nahe, dass die ersten christlichen Missionsbestrebungen nach dem Untergang der antiken Kirchenverwal-tung in Kärnten von Zwang und Konflikt geprägt waren.

So hatte der Karantanenfürst Boruth die Bayern im 8. Jahrhundert gegen die vom Osten eindringenden Awaren um Hilfe gebeten.13 Als Gegenleistung für die bayrische Intervention musste die karantanische Führungselite Geiseln stellen, die nach Bayern verschleppt wurden, um dort christlich bekehrt zu werden. Mit der Rückkehr der Geiseln und ihrer Installation in der politischen Führungsschicht sollte sich das Christentum in den unterworfenen Gebieten »von oben nach unten«

ausbreiten.14 Schon seit dem 7. Jahrhundert hatten die bayrischen Agilolfinger als Herzöge die kirchliche Mission von Salzburg aus zur Stützung und zum Ausbau ihres Herrschaftsbereiches genutzt. Dieses »zeitgemäßen Traditionen«15 folgende Vorgehen deutet an, dass sich kein allmählicher, friedlicher Kontakt zwischen Bevöl-kerung und den christlichen Missionaren aufbauen konnte. Somit musste die neue Religion als von außen aufgezwungen erlebt werden. Dafür spricht, dass sich unter den karantanischen Slawen bald Widerstand regte und es zu mehreren Aufständen kam. Zwischenzeitig musste man die Missionierung abbrechen, da die Konflikte kriegsähnliche Ausmaße annahmen. Erst nach etwa zehn Jahren konnte 772 der Wi-derstand gewaltsam gebrochen werden.16 Nach und nach wandte man sich seitens

dauert hat.« Tropper, C.: Von den Anfängen (2002), 22 ; vgl. dazu auch Amon, K. (Hg.) : Der heilige Nonnosus (2001) sowie Glaser, F.: Frühchristliche Denkmäler (1996), 78–80. Das bestätigen auch ar-chäologische Funde, die nahelegen, dass sich spätantik-romanische, christianisierte Bevölkerungsteile im Verlauf der »karantanischen Ethnogenese« mit den slawischen Einwanderern vermischt haben.

Eichert, S.: Christentum und Heidentum (2012), 493 f.

10 Szameit, E.: Kärnten und die Slawen (2000), 71 ; vgl. auch die zahlreichen Literaturhinweise im Vor-wort zur deutschen Übersetzung von Bogo Grafenauers Standardwerk zur Kärntner Herzogseinset-zung bei Štih, P.: Vorwort (2016).

11 Der genaue Umfang, den das Gebiet Karantanien umfasste, wird kontrovers diskutiert, könnte aber neben Osttirol auch Teile der heutigen Steiermark, Salzburgs sowie Ober- und Niederösterreichs umfasst haben. Wolfram, H.: Conversio Bagoariorum (1979), 44 f.; Karpf, K.: Die Baiern (2000), 104 f.

12 Vgl. Wolfram, H.: Conversio Bagoariorum (1979) ; Lošek, F.: Die Conversio (1997) ; Wolfram, H.: Die Bekehrung (2014).

13 Ob es sich dabei um eine tatsächliche Aggression der Awaren oder vielmehr um einen innerkaranta-nischen Konflikt handelte, wie Szameit vermutet, ist für den hier vorgestellten Gedankengang nicht weiter relevant. Szameit, E.: Kärnten und die Slawen (2000), 93.

14 Wolfram, H.: Conversio Bagoariorum (1979), 43 ; Tropper, P. G.: Missionsgebiet (1996), 19 f.

15 Szameit, E.: Kärnten und die Slawen (2000), 94.

16 Tropper, P. G.: Missionsgebiet (1996), 20 ; Szameit, E.: Kärnten und die Slawen (2000), 94 ; Karpf, K.:

Die Baiern (2000), 105.

der Salzburger Kirche einer »sanfteren« Missionierungspolitik zu und versuchte, Priester vor Ort zu ordinieren, um Multiplikatoren aus dem Volk heraus für die neue Religion zu gewinnen.17

Um der großen Entfernung Salzburgs von den karantanischen Missions gebieten entgegenzuwirken, wurde die Institution eines Chorbischofs installiert, also eines völlig von Salzburg abhängigen Suffraganbischofs, dessen Sitz vermutlich in Maria Saal zu lokalisieren ist.18 Diese Institution wurde zur Mitte des 9. Jahrhunderts vor-läufig wieder aufgelöst. Im Kontext dessen steht ein Briefverkehr zwischen dem Chorbischof und dem Papst, in dem »ein drastisches Bild von den Problemen im Missionsgebiet und von den rauhen Sitten jener Zeit«19 zur Sprache kommt. So wird dort auch von Klerikern berichtet, die Totschlagdelikte begangen haben. Dies illus-triert die noch wenig ausgeprägten Mechanismen der Aggressionshemmung und Affektkontrolle, die sich erst mit der allmählichen Etablierung eines staatlichen Ge-waltmonopols einstellen werden. Auch im kirchlichen Umfeld hatte also der Befrie-dungsprozess im menschlichen Umgang miteinander einen noch vergleichsweise niedrigen Standard.20

Zu Beginn des 9. Jahrhunderts wurde Karantanien, das bislang den Franken als vorgelagerte »Pufferzone« gegen Osten hin diente, in das Frankenreich integriert.

Weitere Aufstände wurden niedergeschlagen und das Land der slawischen Fürsten in Reichsgut umgewandelt.21 Die Logik des karolingischen Lehenssystems, das Kö-nigsland durch Schenkungen an Adel und Kirche zu vergeben und damit personale Abhängigkeitsverhältnisse – Vasallität – zu schaffen, ermöglichte es Geistlichen, als weltliche Gebietsherrscher Grundbesitz zu erlangen. Im Gebiet des heutigen Kärn-ten kam vor allem das Erzstift Salzburg zu bedeuKärn-tenden Gütern.22

Durch diese Praxis war es für kirchliche Funktionsträger von höchstem Interesse,

»ihre« Missionsgebiete gegenüber den Missionsbemühungen anderer kirchlicher Machtzentren abzusichern. Für Kärnten ist dabei das Ringen Salzburgs mit dem Bistum Aquileia zu nennen, in dessen Folge Karl der Große die Drau als Grenze der beiden Einflussgebiete festgelegt hatte.23 Zugleich war es aber auch durchaus

17 Tropper, C.: Von den Anfängen (2002), 27. Wie sehr man nun versuchte, den »missionsresistenten«

Slawen in den Ostalpenländern entgegenzukommen, zeigt die Einführung eines »Slawenzehents«, der eine geringere Abgabeverpflichtung vorsah und für einige Gebiete Karantaniens nachgewiesen werden kann. Dieser »Slawenzehent« bestand bis ins 11. Jahrhundert. Tropper, P. G.: Missionsgebiet (1996), 31–33.

18 Wolfram, H.: Conversio Bagoariorum (1979), 49 ; Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 68 f.

19 Wolfram, H.: Conversio Bagoariorum (1979), 114 f.

20 Angenendt, A.: Geschichte der Religiosität (1997), 79–81.

21 Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 72 f.

22 Tropper, C.: Von den Anfängen (2002), 29 f.

23 Diese kirchliche Zuständigkeitsaufteilung zwischen Salzburg und Aquileia blieb bis ins 18.

Jahrhun-im Interesse des lehensgebenden Königs, die Machtbalancen der einzelnen Grund-besitzenden untereinander im Gleichgewicht zu behalten. Das galt selbstverständ-lich auch für kirchselbstverständ-liche Grundbesitzer. So erhielten auch das Bistum Freising sowie das Bistum Brixen umfangreiche Ländereien in Unter-, Mittel- und Oberkärnten.24 Zwar nicht mehr im Kontext der Mission, aber in jenem des Ausbaus der organisato-rischen Durchdringung Kärntens durch die Kirche sind die Besitzungen des Bistums Bamberg unter anderem im Großraum Villach und in Wolfsberg zu nennen.25

1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter Diese »für Kärnten in auffälliger Zahl feststellbaren Schenkungen von Königsgut an weltliche und geistliche Große«26 kennzeichnet eine frühe Weichenstellung für die Entwicklung Kärntens als Sonderfall und damit für die vorliegende Fragestel-lung. Sie führte zu jener starken Zersplitterung des Landes, die in weiterer Folge die Macht des Zentralherren schwächte und den territorialen Landesbildungsprozess sehr lange blockierte.

Demgegenüber besteht eine weitere historische Sonderstellung Kärntens in der Tatsache, die älteste politische Einheit unter den heutigen österreichischen

Bundes-ländern zu sein. Als der bayrische Herzog Heinrich II. (der Zänker) gegen seinen Vetter, Kaiser Otto II. rebellierte, setzte dieser Heinrich kurzerhand ab, trennte Karan tanien von Bayern und richtete es 976 als »Herzogtum Kärnten« ein.27 Dessen Marken umfassten die heutige Steiermark und banden die Marken Krain, die Mark Verona sowie die Marken Friaul und Istrien mit ein.28 Der König versuchte es zu ver-meiden, dass die Herzöge das dynastische Prinzip etablieren konnten und bestellte Vertraute aus unterschiedlichen Adelshäusern, die zugleich kaum Besitzungen hatten.

Die stammfremden, auswärtigen Herzöge wechselten in rascher Reihenfolge – zwölf Mal in den ersten hundert Jahren –, kaum einer davon hat je Kärntner Boden be-treten.29 Die territorialen Desintegrationsschübe durch die Königsgutvergabe wur-den somit durch die schwache Stellung des Kärntner Herzogs im Hochmittelalter verstärkt. Schon bald begannen die Marken sich vom Kerngebiet loszulösen und verselbständigten sich binnen eines Jahrhunderts. In der unübersichtlichen Situa-tion des 10. und 11. Jahrhunderts, in der den Herzögen also kaum machtpolitische

dert bestehen. Tropper, C.: Von den Anfängen (2002), 27 f.; Tropper, P. G.: Missionsgebiet (1996), 21 f.; Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 70.

24 Ogris, A.: Die Kirchen (2000) ; Tropper, C.: Von den Anfängen (2002), 29–31.

25 Tropper, P. G.: Missionsgebiet (1996), 40.

26 Ogris, A.: Die Kirchen (2000), 139.

27 Vgl. Ogris, A.: Die Anfänge (2011).

28 Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 104–106 ; Ogris, A.: 976 : Karantanien (2011), 13.

29 Neumann, W.: Kärnten – Grundlinien (1985), 28 ; Ogris, A.: Die Anfänge (2011), 17.

Relevanz zukam, etablierten sich als logische Folge lokale Herrschaftsräume – die spätere, neuzeitliche Macht der Kärntner Stände hat in diesen hochmittelalterlichen Prozessen ihren Ursprung.30

Die Rolle der Kirche ist dabei bedeutend. »Die Einheit des Landes war vor allem durch die geistlichen Fürsten gefährdet«31. Die kirchlichen Besitzungen waren mit rechtlicher Immunität ausgestattet, die herzogliche Gerichtsbarkeit also auf kirch-lichen Ländereien zahnlos. Darüber hinaus waren nach und nach einzelne, größere Einflussbereiche der Grafen von Görz und der Ortenburger in Oberkärnten sowie der Heunburger in Unterkärnten entstanden.32 Diese Konstellation eines de facto machtlosen Landesherren und eines realpolitisch dominierenden regionalen Adels ermöglichte es den Eppensteinern, ein aus Franken stammendes, reich begütertes Adelsgeschlecht mit Machtbasis in der Karantanischen Mark (also der späteren Stei-ermark), die Herzogswürde zu erlangen und zumindest für kurze Zeit eine lokale Dynastie zu etablieren.33 Nach ihrem Aussterben 1122 ging die Herzogswürde auf die Spanheimer über, die das dynastische Prinzip eineinhalb Jahrhunderte aufrecht-erhalten konnten und einen territorialen Konsolidierungskurs einschlugen. Ihren Interessen standen aber die mächtigen geistlichen Fürsten vor allem Salzburgs und Bambergs gegenüber, »die nach dem Ende der Eppensteiner (1122) den [sic !] Her-zog von Kärnten an Besitz und Macht sowie durch ihre Dienstmannschaft deutlich überlegen waren.«34

Zwar konnten die Spanheimer mit St. Veit, Klagenfurt und Völkermarkt zur Mitte des 13. Jahrhunderts zumindest drei landesfürstliche Städte unter herzoglicher Ge-walt und zentraler Lage vorweisen, verkehrsgeographische Schlüsselstellen und be-deutende Städte wie Villach und Friesach blieben aber ebenso wie der Oberkärntner Raum der herzoglichen Kontrolle völlig entzogen.35

So waren auch die ersten Klostergründungen im 11. Jahrhundert ökonomische und kulturelle Prestigeprojekte einflussreicher Adeliger, die damit ihre lokale Macht position zu stärken versuchten. Dabei galt es, sich dem Zugriff der Salzbur-ger Erzbischöfe zu entziehen, was für die ersten beiden Klöster in St. Georgen am Längsee36 und in Gurk jedoch nicht gelang. Das Stift Ossiach hingegen wurde –

ob-30 Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 110 f und 138.

31 Hödl, G.: Die Kirche Salzburgs (2000), 154.

32 Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 122 f.

33 Ebd., 144 ; Ogris, A.: Die Anfänge (2011), 17.

34 Hödl, G.: Die Kirche Salzburgs (2000), 154.

35 Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 227 f.; Neumann, W.: Kärnten – Grundlinien (1985), 32 ; Ogris, A.: Die Anfänge (2011), 36.

36 St. Georgen am Längsee wurde zwischen 1002 und 1023 als erstes Kloster in Kärnten gegründet. Die Stifterin Wichpurg war Schwester des Salzburger Erzbischofs Hartwig, das Frauenkloster wurde dem Erzbistum Salzburg unterstellt, die Nonnen kamen aus dem Benediktinerinnenkloster am Nonnberg

wohl nördlich der Drau gelegen – dem Diözesangebiet Aquileias einverleibt,37 die Klostergründungen in Millstatt und St. Paul konnten sich dem Einfluss Salzburgs entziehen.38

Die Stiftung des Klosters in Gurk durch die Kärntner Landesheilige Hemma von Gurk39 steht in enger Verbindung mit den Anfängen des Bistums Gurk, dessen Gründung einen weiteren, explizit kirchengeschichtlichen Sonderfall kennzeichnet.

Die weite Entfernung des Erzbistums Salzburg von seinen Kärntner Gebieten stellte ein strukturelles Problem für die seelsorgliche Betreuung der einzelnen Pfarren und erst recht der Gläubigen dort dar. Der Salzburger Erzbischof Gebhard (1060–1088) griff deshalb auf die Institution des Chorbischofs zurück, die seit dem 9. Jahrhundert nicht mehr existierte, aber auch nicht vergessen worden war. Er gründete 1072 das Bistum Gurk als ein völlig von Salzburg abhängiges »Eigenbistum«, was »für die damalige Zeit völlig einzigartig«40 war. So ist Gurk nach Salzburg zwar das älteste Bistum auf dem Gebiet des heutigen Österreich, das Amt des Bischofs von Gurk war allerdings als bloßes »Seelsorgehilfsamt« konzipiert ; der Gurker Bischof wurde vom Erzbischof in Salzburg ernannt, eingeführt und geweiht, seine weltlichen Gü-ter (»Temporalien«) wurden ihm von diesem zugewiesen. »Im Gegensatz zu allen anderen Bischöfen, die ihre Güter vom Reichsoberhaupt übertragen bekamen, also reichsunmittelbar waren und damit den Fürstentitel trugen, musste der Gurker Bi-schof seine Güter vom Salzburger ErzbiBi-schof zu Lehen nehmen und war dadurch kein Reichsfürst.«41 Als Lebensunterhalt sollten dem Bischof die Güter und Ein-künfte des Nonnenklosters der wohlhabenden Stifterin Hemma von Gurk dienen, das Gebhard unter dem Vorwurf einer ordenswidrigen Lebensweise (was anderen Quellen nach zu bezweifeln ist), auflöste.42 Um der realen Gefahr einer Emanzipa-tion der Gurker Bischöfe vorzubeugen, erhielt das Bistum zunächst aber kein eigenes Diözesangebiet. Dennoch begann nun ein langer Kampf der Gurker Bischöfe um Loslösung von der Salzburger Umklammerung. Allmähliche Zugeständnisse43 des

in Salzburg. Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 148 f.; Tropper, P. G.: Missionsgebiet (1996), 61 f.; Tropper, C.: Von den Anfängen (2002), 33.

37 Ossiach wurde etwa zeitgleich mit St. Georgen am Längsee von einem Grafen Ozi mit Gemahlin Glismond gestiftet, die die Eltern des Patriarchen Poppo von Aquileia waren. Ebd., 34.

38 Das Stift Millstatt wurde in den 1070er Jahren von den bayrischen Aribonen gegründet, das Bene-diktinerstift St. Paul wurde 1091 von den Spanheimern gegründet und schon 1098 unter päpstlichen Schutz gestellt. Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 152–159.

39 Vgl. dazu ausführlich Teil III Kapitel 2.2.

40 Tropper, C.: Von den Anfängen (2002), 37.

41 Ebd.

42 Ebd., 36.

43 So erhielt Gurk unter Erzbischof Konrad I. (1106–1147) zunächst ein Domkapitel und 1131 auch ein Diözesangebiet, das allerdings sehr klein war – im Unterschied zu den Besitzungen, die Bischof und

Erzbistums konnten die Machtposition der Gurker Bischöfe gegenüber Salzburg zu-nächst jedoch nicht entscheidend verbessern. Die Gründung der Bistümer Chiemsee (1216), Seckau (1218) und Lavant (1228) müssen in diesem Kontext als Gegenmaß-nahme des Erzbischofs gesehen werden, einerseits um die kirchenrechtlich einma-lige Stellung Gurks zu relativieren und andererseits um den Zuständigkeitsbereich des Gurker Bischofs weiter zu schmälern.44

Parallel zu diesen (kirchen-)politischen Entwicklungslinien auf der Makroebene verlaufen bedeutende sozialgeschichtliche Prozesse auf der Mikroebene. Das Bevöl-kerungswachstum im ausgehenden Hochmittelalter, die Entstehung der Städte und damit die voranschreitende soziale Ausdifferenzierung stehen im unmittelbaren Zu-sammenhang mit den gestiegenen Anforderungen an die Kontrolle des persönlichen Triebhaushaltes und die Dämpfung der Affekte. Diese Anforderungen spiegeln sich in den gesteigerten Kontroll- und Disziplinierungsbemühungen der Amtskirche ab dem 12. Jahrhundert wider. Sie zielten zunächst auf die geistliche Elite, die in nun errichteten Kollegiatstiften45 vor einem unstandesgemäßen Leben stärker geschützt werden und zugleich die Seelsorge intensiver betreiben sollte. Im sukzessive auf-gewerteten Amt des Archidiakons46 sollte außerdem eine Aufsichtsinstanz zwischen Bischof und Pfarrer diese Funktion erfüllen. Diese Entwicklungen sind Ausdruck zunehmender Verflechtungszwänge, die sich in teils heftigen Konflikten von Klerus und Bevölkerung äußerten. So lassen sich über die Unterlagen zur 1267 in Wien abgehaltenen Synode der Kirchenprovinz Salzburg einige indirekte Rückschlüsse auf die Probleme der Kirche mit der Bevölkerung im Raum Kärnten und darüber

Kanonikern als weltlichen Grundherren gehörten. 1144 bekam Gurk schließlich auch den Zehent für seine Besitzungen zugesprochen. Tropper, P. G.: Missionsgebiet (1996), 55.

44 Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 280–282.

45 In Kärnten wurden im 13. Jahrhundert eine Reihe von Kollegiatstiften errichtet, von Salzburger Ini-tiative aus in Friesach, ebenso in St. Andrä im Lavanttal, in St. Ruprecht bei Völkermarkt, in Gurnitz und in Unterdrauburg, von Bamberg ausgehend wurde das Prämonstratenserstift Griffen gegründet.

Kollegiatstifte wurden auch noch später errichtet, wie jenes in Paternion (dessen Existenz zwischen 1296 und 1340 auf Vermutungen basiert), in St. Nikolai in Straßburg, außerdem die Propstei in Kraig.

Tropper, C./Frankl, K. H.: Vom Hochmittelalter (2003), 15 ; Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 267 f.

46 Der Archidiakon entwickelte sich vom Gehilfen bei (erz-)bischöflichen Visitationsreisen zur Zwi-scheninstanz zwischen Bischof und Pfarrer und war im Grunde Stellvertreter des häufig abwesenden Bischofs. Er fungierte als geistlicher Richter in eigenen Jurisdiktionsbezirken und übernahm die

46 Der Archidiakon entwickelte sich vom Gehilfen bei (erz-)bischöflichen Visitationsreisen zur Zwi-scheninstanz zwischen Bischof und Pfarrer und war im Grunde Stellvertreter des häufig abwesenden Bischofs. Er fungierte als geistlicher Richter in eigenen Jurisdiktionsbezirken und übernahm die