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2 T HEORETISCHER H INTERGRUND

2.2 Dermale Absorption

2.2.3 Kenngrößen zur Risikoabschätzung der dermalen Absorption

Art und Dauer der Dosierung

Wie die meisten realen Expositionsszenarien spiegelt auch die Exposition der Haut mit kontaminierten Bodenpartikeln den Fall der endlichen Dosierung8 wider (OECD 2004a, Frasch et al. 2013). Dabei werden Expositionszeiten zwischen 5 h (Bachmann et al. 1999) und 24 h (US EPA 1992) als relevant angesehen.

Insbesondere die Art der Dosierung muss für die Ermittlung von Kenngrößen zu Risiko-abschätzung, die im folgenden Abschnitt 2.2.3 behandelt werden, berücksichtigt werden.

2.2.3.1 Der Absorptionsfaktor AF

Die zentrale Größe in Gleichung 2-12 ist der Absorptionsfaktor AF. Er ist spezifisch für die jeweils untersuchte Testsubstanz im eingesetzen Vehikel (z.B. Wasser oder Lösemittel) und beschreibt das Verhältnis der absorbierten zur applizierten Analytmasse. Der Absorptions-faktor AF wird meist in Prozent angegeben und folgendermaßen berechnet:

𝐴𝐴𝐴𝐴 = 𝑎𝑎𝑎𝑎𝑎𝑎.𝑚𝑚

𝐴𝐴 .𝑚𝑚

𝑎𝑎𝑎𝑎𝑎𝑎𝑚𝑚 𝐴𝐴 ∙100 % (2-13)

mit: AF = Absorptionsfaktor [%]

absmA = dermal absorbierte Analytmasse [µg]

applmA = dermal applizierte Analytmasse [µg]

Die Bestimmung des Absorptionsfaktors AF erfolgt in der Regel experimentell (in-vivo oder in-vitro). Prinzipiell kann AF auch mathematisch ermittelt werden (QSAR-Modelle, siehe Abschnitt 2.2.5.2). Die Verlässlichkeit von Daten, die durch eine mathematische Abschätzung gewonnen werden, wird jedoch zurzeit noch ausgesprochen kritisch bewertet (Bouwman et al. 2008, Korinth et al. 2012).10

Die OECD (2010) empfiehlt daher, wenn möglich, experimentell gewonnene Daten zu verwenden. Falls keine experimentellen Daten vorhanden sind, soll zunächst eine 100 %ige dermale Absorption angenommen werden (worst-case Szenario), solange, bis experimentell gewonnene Ergebnisse vorliegen, die die Annahme eines geringeren Wertes rechtfertigen.

Ausgenommen sind Substanzen, deren Molekulargewicht größer als 500 g/mol ist und die sehr gut (log Kow < -1) bzw. sehr schlecht (log Kow > 4) wasserlöslich sind – für diese Stoffe darf ein verminderter AF von 10 % angenommen werden (OECD 2010, basierend auf einem Vorschlag von de Heer et al. 1999).

Ein generelles Problem bei der Bestimmung und Verwendung des Absorptionsfaktors AF ist, dass er zwar als Konstante verwendet wird, jedoch keine ist. Vielmehr verhält er sich umgekehrt proportional zur applizierten Analytmasse (Spalt et al. 2009, Kissel 2011, Frasch et al. 2013). AF ist also am größten bei geringen Applikationsmengen. Diese sind zwar charakteristisch für Expositionsszenarien in der Umwelt, jedoch führt die Anwendung des AF auf Expositionsszenarien mit abweichenden Bedingungen, als die, bei denen er ermittelt wurde, oft zu einer dramatischen Fehleinschätzung des dermalen Absorptionspotentials.

Die WHO (2006) empfiehlt daher, experimentelle Daten für expositionsrelevante Bedingungen zu sammeln, um die Effekte verschiedener Vehikel, Rezeptorfluide und Viel-stoffgemische auf die dermale Absorption zu verstehen.

10 Der Einsatz mathematischer Modelle zur Vorhersage der dermalen Absorption ist zwar prinzipiell viel-versprechend OECD (2007), leidet jedoch unter bisher qualitativ ungenügenden experimentellen Input-Daten.

Des Weiteren befürwortet die OECD (2010) den so genannten „Triple Pack Ansatz“, der Ergebnisse aus verschiedenen Studien (in-vitro und in-vivo Versuche, sowohl am Menschen als auch am Tier) kombiniert, um das Absorptionspotential für den Menschen zuverlässiger vorherzusagen:

𝑖𝑖𝑖𝑖−𝑣𝑣𝑖𝑖𝑣𝑣𝑚𝑚𝐴𝐴𝐴𝐴𝑀𝑀𝑀𝑀𝑖𝑖𝑎𝑎𝑀𝑀ℎ = 𝑖𝑖𝑖𝑖−𝑣𝑣𝑖𝑖𝑣𝑣𝑚𝑚𝐴𝐴𝐴𝐴𝑇𝑇𝑖𝑖𝑀𝑀𝑇𝑇𝑖𝑖𝑖𝑖−𝑣𝑣𝑖𝑖𝑣𝑣𝑇𝑇𝑚𝑚𝐴𝐴𝐴𝐴𝑀𝑀𝑀𝑀𝑖𝑖𝑎𝑎𝑀𝑀ℎ

𝐴𝐴

𝑖𝑖𝑖𝑖−𝑣𝑣𝑖𝑖𝑣𝑣𝑇𝑇𝑚𝑚 𝐴𝐴𝑇𝑇𝑖𝑖𝑀𝑀𝑇𝑇 (2-14)

mit: in-vivo AFMensch = berechneter Absorptionsfaktor für den Menschen in-vivo [%]

in-vivo AFTier = experimentell, im Tierversuch ermittelter in-vivo Absorptionsfaktor [%]

in-vitroAFMensch = experimentell mit menschlicher Haut ermittelter in-vitro Absorptionsfaktor [%]

in-vitroAFTier = experimentell mit Tierhaut ermittelter in-vitro Absorptionsfaktor [%]

Dieser Ansatz verspricht eine größere Genauigkeit für die Abschätzung der dermalen Absorption beim Menschen. Allerdings kann er nur verwendet werden, wenn die drei zu Grunde liegenden Studien unter den gleichen experimentellen Bedingungen stattgefunden haben, was in der Praxis ausgesprochen selten vorkommt.

2.2.3.2 Die Absorptionsmassenflussdichte j

Die Absorptionsmassenflussdichte j (in µg/cm²∙h) beschreibt den dermalen Absorptions-massenstrom eines Analyten in Abhängigkeit von der Größe der exponierten Fläche und der Expositionszeit. Aus der Absorptionsmassenflussdichte j können Informationen zum Ausmaß und zur Geschwindigkeit der dermalen Absorption abgeleitet werden. Der Art der Analytdosierung11 kommt dabei eine besondere Bedeutung zu (siehe Abbildung 5).

Abbildung 5 Zeitlicher Verlauf der dermal absorbierten Analyt-Flächenbeladung absqA [µg/cm²]

für die Fälle: a) unendliche Dosierung und b) endliche Dosierung jGGW = dermale Gleichgewichtsabsorptionsmassenflussdichte [µg/cm²h], jmax = maximale dermale Absorptionsmassenflussdichte [µg/cm²h],

tlag = Anlaufzeit zwischen Expositionsbeginn und Beginn der dermalen Absorption [h]

11 siehe auch Fußnote 8 Abschnitt 2.2.2

Für die Bestimmung der Absorptionsmassenflussdichte j müssen zwei Fälle der Analytdosie-rung unterschieden werden:

a) unendliche Dosierung (infinite dose, siehe Abbildung 5a) und b) endliche Dosierung (finite dose, siehe Abbildung 5b).

Für den Fall der unendlichen Dosierung stellt sich, nach einer gewissen, substanzspezifischen Anlaufzeit tlag12, eine konstante Steigung ein, die der Absorptionsmassenflussdichte im Gleichgewicht (jGGW) entspricht:

𝑗𝑗𝐺𝐺𝐺𝐺𝐴𝐴 = 𝑎𝑎𝑎𝑎𝑎𝑎.𝑞𝑞𝐴𝐴

𝑡𝑡 . (gültig für t ≥ tlag) (2-15)

mit 𝑎𝑎𝑎𝑎𝑎𝑎.𝑞𝑞𝐴𝐴 = 𝑎𝑎𝑎𝑎𝑎𝑎.𝑚𝑚𝐴𝐴

𝐴𝐴

(2-16)

mit: jGGW = Absorptionsmassenflussdichte im Gleichgewicht [µg/cm²h]

absqA = absorbierte Analyt-Flächenbeladung [µg/cm²]

t = Expositionszeit[h]

absmA = absorbierte Analytmasse [µg]

A = Expositionsfläche [cm²]

Aus jGGW kann der Permeabilitätskoeffizient kP als Maß für die Geschwindigkeit, mit der eine Substanz durch die Haut diffundiert, ermittelt werden:

𝑗𝑗𝐺𝐺𝐺𝐺𝐴𝐴 = 𝑘𝑘𝑃𝑃∙ 𝑐𝑐𝐴𝐴 (2-17)

mit: jGGW = Absorptionsmassenflussdichte im Gleichgewicht [µg/cm²h]

kP = Permeabilitätskoeffizient [cm/h]

cA = Analytkonzentration [µg/cm³]

jGGW und kP sind Größen, aus denen z.B. der Absorptionsfaktor AF (siehe Abschnitt 2.2.3.1) abgeleitet werden kann und die standardmäßig der Abschätzung des Risikos durch dermale Absorption zu Grunde liegen (OECD 2008, US EPA 2012). Es muss jedoch beachtet werden, dass die Ermittlung von jGGW, kP und tlag nur für Szenarien möglich ist, bei denen das Gleich-gewicht für die dermale Absorption erreicht wird. Damit sind sie selten auf in der Umwelt vorliegende Expositionsszenarien übertragbar, weil diese in der Regel den Fall der endlichen Dosierung (siehe Abbildung 5b) widerspiegeln.

12 Die lag-Zeit tlag ist die Zeit, die eine Substanz braucht, um durch das SC hindurch zu diffundieren, bevor sie als systemisch absorbiert gilt (US EPA 1992). Für viele Substanzen beträgt sie mehrere Minuten (Bronaugh &

Maibach 2005). Das SC fungiert als eine Art Reservoir für dermal applizierte Substanzen; selbst die schnelle Entfernung (tremoval < tlag) einmal applizierter Substanzen von der Hautoberfläche kann ihre dermale Absorption nicht verhindern, da der Übergang ins SC bereits erfolgt ist, auch wenn die systemische Absorption noch nicht eingesetzt hat (Hui et al. 2013).

In Szenarien mit endlicher Dosierung wird jGGW nicht oder nur für einen sehr kurzen Zeitraum erreicht; die Höhe der dermalen Absorptionsmassenflussdichte j(t) hängt vom jeweils betrachteten Zeitpunkt ab. Üblicherweise wird jmax, also die maximale dermale Absorptions-massenflussdichte im betrachteten Expositionszeitraum, ermittelt (siehe Abbildung 5b). jmax

ist charakteristisch für das jeweils betrachtete Szenario und ermöglicht eine realistischere Risikoabschätzung als bei Verwendung der Gleichgewichtsgrößen jGGW und kP.

Aus diesem Grund präferieren die WHO (2006) und die OECD (2010) die Verwendung der zeitabhängigen maximalen Absorptionsmassenflussdichte jmax gegenüber der Gleich-gewichtsabsorptionsmassenflussdichte jGGW. Ein Vergleich von Studien unterschiedlicher Expositionsszenarien (inbesondere mit verschiedenen Arten der Analytdosierung) soll nur unter Einsatz „besonderer Sorgfalt“ erfolgen.

2.2.3.3 Das Evaporations-/Absorptionsverhältnis χ

Eine wesentliche Rolle für die Höhe der dermalen Absorption spielt der Prozess der Evaporation (siehe Abbildung 6).

Abbildung 6 Evaporations- und Absorptionsmassenflussdichten

berechnet mit dem FDSP-Calculator (siehe Abschnitt 2.2.5.3) am Beispiel von Biphenyl (Inputparameter: log KOW = 3,76; pD = 2 Pa, T = 32 °C, einmalige Applikation)

Je nach Flüchtigkeit einer Substanz kann ein Teil der applizierten Substanzmasse nicht dermal absorbiert werden, da der konkurrierende Prozess der Evaporation die auf der Haut zur Absorption zur Verfügung stehende Substanzmasse verringert. Diesem Effekt kommt besonders zu Beginn der Expositionszeit eine große Bedeutung zu, da die dermale

Absorption erst nach einer substanzspezifischen Anlaufzeit tlag einsetzt, während der Prozess der Evaporation sofort nach der Applikation der Substanz beginnt.

Die Neigung einer Substanz zur Evaporation im Verhältnis zu ihrer Absorptionsneigung wird durch den dimensionslosen Parameter χ ausgedrückt, der, nach Kasting & Miller (2006), folgendermaßen definiert ist:

χ= 𝑘𝑘𝑀𝑀𝑣𝑣𝑎𝑎𝑎𝑎 ∙ 𝑧𝑧 ∙ 𝜌𝜌

𝐷𝐷𝑆𝑆𝑂𝑂∙ 𝑐𝑐𝑆𝑆𝑂𝑂,𝑎𝑎𝑎𝑎𝑣𝑣 (2-18)

mit: χ = Evaporations-/ Absorptionsverhältnis [-]

kevap = Evaporationskoeffizient [cm/h]; analog zu kP (siehe Abschnitt 2.2.3.2) z = Dicke des Stratum Corneum (SC)[cm]

𝜌𝜌 = Dichte der Analyt-Reinsubstanz [g/cm³]

DSC = Diffusionskoeffizient im Stratum Corneum [cm²/h]

cSC,sat = Analytsättigungskonzentration im Stratum Corneum [g/cm³]

Ist die applizierte Analytmasse hinreichend klein13, gilt, nach Kasting & Miller (2006), für lipophile Substanzen folgender empirischer Zusammenhang:

χ= (𝑝𝑝𝐷𝐷∙ 𝑀𝑀𝐵𝐵)𝑖𝑖𝑎𝑎

(𝐾𝐾𝑂𝑂𝐴𝐴∙ 𝐿𝐿)𝑖𝑖 (2-19)

mit: χ = Evaporations-/ Absorptionsverhältnis pD = Analyt-Dampfdruck

MW = Analyt-Molekulargewicht

KOW = Octanol-Wasser-Verteilungskoeffizient L = Wasserlöslichkeit des Analyten n = normalisiert14

b = 2,7 (empirischer Faktor, ermittelt von Kasting & Miller 2006)

Das so ermittelte, analytspezifische Evaporations-/Absorptionsverhältnis χ ist, für gleich-bleibende Umgebungsbedingungen, konstant.15

Für die in Abbildung 6 gezeigte Beispielsubstanz Biphenyl wurde ein χ-Wert von 25 ermittelt.

Dieser Wert gilt für hinreichend kleine Analytmassen von 1 µg/cm² (gelbe Kurve) und 5 µg/cm² (hellgrüne Kurven) bei einer Temperatur von 32 °C. Generell gilt: Substanzen, mit Werten von χ >> 1 werden sich größtenteils verflüchtigen, während Substanzen mit Werten von χ << 1 überwiegend absorbiert werden. Kasting & Miller (2006) kategorisieren Substanzen entsprechend der Höhe ihrer χ-Werte folgendermaßen (siehe Tabelle 3):

13„Hinreichend klein“ bedeutet, dass die applizierte Analytmasse so klein ist, dass sie die Analytsättigungs-konzentration des Stratum Corneum deutlich unterschreitet (siehe gelbe und hellgrüne Kurve in Abbildung 6).

14 Die dimensionsbehafteten Größen wurden normalisiert (durch Division mit einer charakteristischen Größe) und dadurch dimensionslos gemacht (siehe Kasting & Miller 2006).

15 χ = konstant ist gültig für eine konstante Körper- und Umgebungstemperatur und Expositionszeiten ≥ tlag.

Tabelle 3 χ-Wert und Flüchtigkeit: Kategorien nach Kasting & Miller (2006)

χ 0,1 1 10

Kategorie minimal flüchtig moderat flüchtig hoch flüchtig Beispielsubstanz

(χ)a Benz(a)anthracen

(0,11) Phenanthren

(1,01) Naphthalin (60) a Die χ-Werte der aufgeführten Beispielsubstanzen wurden mit Hilfe des FDSP-

Calculators (siehe Abschnitt 2.2.5.3) für eine Temperatur von 32°C ermittelt (siehe DVD-Anhang Anhang\2_Theorie).