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keine maximale, sondern optimale Medizin

Ein neuer Bundesgerichtsentscheid klär t offene Fragen Jürg Nadig , Thomas Kroner, Jürg Zollikofer

den, dass durch eine extensive Praxis der ordentliche Weg der Listenaufnahme durch Einzelfallbeurteilung ersetzt und dadurch die mit der SL verbundene Wirtschaftlich-keitskontrolle der Preisfestsetzungsbehörde umgangen wird. Der hohe therapeutische Nutzen wird als ein allgemeiner Wirksamkeitsnachweis umschrieben. Die Wirkung am Ein-zelfall allein könne nicht genügen. Um ein Medikament im off-Label-Bereich zu Lasten der OKP zu übernehmen, braucht es keine Heilung und keine hohe Remissionsrate, sondern die Wirksamkeit muss in einer Studie nachge-wiesen sein, bevor es im Einzelfall übernommen werden kann. Eine Wunderheilung kann also nicht zu Lasten der OKP übernommen werden.

Das BG weist ferner darauf hin, dass die Frage nach dem hohen therapeutischen Nutzen nicht mit einem katego-rialen Ja oder Nein beantwortet werden könne: Die Frage nach dem hohen therapeutischen Nutzen sei graduell und in Relation zu den Behandlungskosten zu beurteilen.

Prüfungskriterien

Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer off-label-Indikati-on sind nicht die gleich strengen Kriterien an den Wirk-samkeitsnachweis gefordert, wie bei einer generellen Auf-nahme in die Spezialitätenliste. Die Studiendaten sollten lediglich rechtfertigen, im Einzelfall vom Listenerfor-dernis abzuweichen. Wirksamkeit und Zweckmässigkeit müssen in einer wissenschaftlichen Studie nachgewiesen sein. Die minimalen Voraussetzungen für einen Wirksam-keitsnachweis sollen die gleichen sein, wie bei der befris-teten Bewilligung nicht zugelassener Arzneimittel: Zwi-schenergebnisse von Studien weisen darauf hin, dass ein grosser therapeutischer Nutzen zu erwarten ist. Ohne wis-senschaftliche Daten, die die Wirksamkeit beschreiben, kann kein Medikament off label übernommen werden.

Wirtschaftlichkeitsprüfung im off-label-Bereich Auch im off-label-Bereich ist die Wirtschaftlichkeit einer Behandlung zu prüfen. An Hand verschiedener Gerichts-entscheide tastet sich das BG an einen Kostenrahmen he-ran, der von der OKP zu übernehmen ist. Wo staatlich administrierte Güter nicht unbegrenzt zur Verfügung ste-hen, ist eine möglichst rechtsgleiche Verteilung anzustre-ben; es soll vermieden werden, dass die einen alles oder sehr viel und die anderen nichts oder fast nichts erhalten.

Es gehe deshalb nicht an, dass für die Heilung eines ein-zelnen Kranken jeder Preis bezahlt werde, weil sonst die Mittel an einem anderen Ort fehlten. Kriterium für die Beschaffung und die Verteilung staatlicher Mittel sei die Verteilungsgerechtigkeit. Rechtsgleichheit setze

Verall-SGMO

gemeinerungsfähigkeit voraus. Verallgemeinerungsfä-hig sei aber nur, was allen, die sich in der gleichen Situation befi nden, in gleicher Weise angeboten wer-den kann. Ohne besondere Rechtfertigung sei es mit der Rechtsgleichheit und der Gleichwertigkeit aller Men-schen nicht vereinbar, einzelnen Versicherten Leistungen zu erbringen, die anderen Versicherten in gleicher Lage nicht erbracht werden können.

Damit verlangt die Beurteilung einer off-label-Indikation auch für die Wirtschaftlichkeit einheitliche Kriterien, da-mit nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kran-kenkasse oder die Postleitzahl über den Zugang zu einer Behandlung entscheidet.

Obergrenze für eine medikamentöse Therapie Gemäss diesem Prinzip berechnet das BG die Therapie-jahreskosten. Beim M. Pompe begrenzt die Atemnot we-gen einer Schwäche der Atemmuskulatur die Mobilität der Kranken. In der Schweiz gebe es 2.5 % Einwohner, die wegen einer schweren COPD gleich eingeschränkt seien, wie die Patientin mit M. Pompe. Müsste ihnen al-len eine gleich teure Therapie zugänglich gemacht wer-den, wäre allein für diese fi ktive Behandlung 1.5-mal das Gesamtbudget des öffentlichen Gesundheitswesens aufzuwenden. Damit sei die Behandlung nicht verallge-meinerungsfähig. So hohe Kosten könnten deshalb nicht zu Lasten der OKP übernommen werden. Monatliche Me-dikamentenkosten von Fr. 7 000.– beim fortgeschrittenen Kolonkarzinom gelten noch als wirtschaftlich, ebenso Spitexkosten von Fr. 100 000.– pro Jahr, auch wenn die gleiche Pfl ege im Pfl egeheim dreieinhalb Mal günstiger erbracht werden kann. In beiden Fällen handelt es sich nicht um Kosten pro gewonnenes Lebensjahr, sondern um Behandlungskos ten pro Jahr.

Was heisst das für die Arbeitsgruppe der Vertrauensärzte und Onkologen?

Zuerst wird an Hand von Studien beurteilt, ob die Wirk-samkeit ein Abweichen von der Listenzulassung rechtfer-tigt. Dann werden die Therapiekosten berechnet. Kann die Wirksamkeit gemäss den Kriterien des BAG bejaht werden, wird im Preissegment bis Fr. 8 000.– Monats-kosten bei metastasierenden Krankheiten die Kostengut-sprache für die Zeit erteilt, die nötig ist, um das Anspre-chen beim Patienten zu beurteilen. Die Ansprechkriterien werden bei der Kostengutsprache im Voraus festgelegt.

Nach dieser Testzeit muss das Ansprechen durch den On-kologen beurteilt werden. Lässt sich beim Patienten die

Wirksamkeit auch im konkreten Einzelfall nachweisen, erfolgt eine zweite (zeitlich ebenfalls begrenzte) Kosten-gutsprache.

Eine besondere Regelung verlangt der adjuvante Einsatz (noch) nicht zugelassener Medikamente, weil die Wirk-samkeit am Einzelfall nicht geprüft werden kann. Die ini-tiale unentgeltliche Abgabe der Medikamente für einen bis zwei Monate ist kein taugliches Mittel, da adjuvante Therapien sich über Jahre hinziehen können. Stützt man sich auf den BGE, so soll durch den off-label-use das Lis-tensystem nicht ausgehöhlt werden. Dieser Forderung kann nachgekommen werden, wenn der Medikamen-tenpreis so gesenkt wird, dass die adjuvante Behandlung nicht mehr Kosten verursacht als die Behandlung mit dem gleichen Medikament in der palliativen Situation.

Mit einer solchen Lösung kann die pharmazeutische In-dustrie dem Vorwurf begegnen, sie wolle die Registrie-rung umgehen und über den Off label use den Marktan-teil ohne Preissenkung ausweiten.

Nach interner Diskussion in der Arbeitsgruppe off-la-bel-use wurde ein Arbeitspapier verabschiedet, das diese Punkte nun umzusetzen versucht, um so eine einheitliche Behandlung der Gesuche zu erreichen. Möglicherweise werden Krankenkassen im off-label-Bereich in Zukunft gemeinsam Preisverhandlungen mit der Industrie führen, um bessere Konditionen zu erhalten und den administra-tiven Aufwand zu verkleinern.

Prüfung der Indikationen

Bei der Prüfung der Indikation wird zwischen einer sum-marischen und einer differenzierten Prüfung unterschieden:

Eine summarische Prüfung wird durchgeführt

- falls die zu prüfende Indikation von FDA und / oder EMA bereits anerkannt1 ist oder

- falls eine randomisierte Phase III-Studie dazu einen kli-nisch und statistisch signifi kanten Nutzen gezeigt hat mit vollständiger Publikation in einem anerkannten Journal mit peer review.

In allen anderen Fällen wird eine differenzierte Prüfung durchgeführt.

Als Grundlage für eine differenzierte Beurteilung gelten Studien, die in einem anerkannten Journal mit peer re-view vollständig publiziert wurden.

In Anlehnung an die Kriterien der FDA wird eine Stu-die mit klinisch und statistisch signifi kantem Ergebnis

1 bei unterschiedlichen Zulassungen von FDA und EMA wird eine differenzierte Beurteilung durchgeführt.

SGMO

als ausreichend für eine positive Bewertung angesehen.

Dabei versteht sich von selbst, dass einer solchen Studie nicht eine oder mehrere mit negativem Ergebnis gegenü-ber stehen dürfen.

Veröffentlichte Abstracts werden als Grundlage nur akzep-tiert, falls sie

- sich auf eine randomisierte Studie beziehen

- an der Jahresversammlung von ASCO, ESMO oder ei-ner ähnlichen, aei-nerkannten Organisation vorgetragen wurden

- klinisch und statistisch einen signifi kanten Vorteil im Gesamtüberleben zeigen.

Grundlagen für die ökonomische Beurteilung Die Medikamentenkosten werden durch eine Pharmazeu-tin der Arbeitsgruppe berechnet. Grundlage ist der Pu-blikumspreis des günstigsten Generikums. Angebrochene Vials und Infusionskonzentrate etc. werden als ganze in die Berechnung einbezogen. Die angegebenen Kosten be-ziehen sich nur auf das geprüfte Medikament, nicht auf die ganze Therapie.

Nach den Kosten werden die Medikamente in drei Grup-pen eingeteilt:

- Monatliche Wirkstoffkosten unter Fr. 1 - Monatliche Wirkstoffkosten Fr. 1 000.- bis Fr. 8 000.- 000.-- Monatliche Wirkstoffkosten über Fr. 8 000.-In Anlehnung an das Myozyme-Urteil des Bundesgerichts betrachtet die Arbeitsgruppe Monatskosten über Fr. 8’000.- (Jahreskosten über 96’000.-) für ein Medikament in einer off-label Indikation als unwirtschaftlich.

Publikation

Die Empfehlungen der Arbeitsgruppe werden in den Homepages der SGV und der SGMO in folgender Form publiziert:

Medizinischer Nutzen:

- grün: Nutzen erwiesen - rot: Nutzen nicht erwiesen

- gelb: Kein Konsens innerhalb der Arbeitsgruppe (2/3 Quorum nicht erreicht)

Kosten:

- grün: Monatliche Wirkstoffkosten unter Fr. 1 000.-- gelb: Monatliche Wirkstoffkosten Fr. 1 bis Fr. 8 000.-- rot: Monatliche Wirkstoffkosten über Fr. 8

000.-Zusätzlich werden auch die Grundlagen für jede Emp-fehlung in Form eines strukturierten Abschlussberichts publiziert.

Bedeutung der Empfehlungen für Vertrauensärzte, Onkologen und Versicherer

Die publizierten Empfehlungen der Arbeitsgruppe haben juristisch keinen bindenden Charakter. Sie sollen aber den Vertrauensärzten und Onkologen als verbindliche An-haltspunkte dienen. Der Entscheid, ob ein Medikament im konkreten Einzelfall übernommen wird, liegt letztlich beim Versicherer, unabhängig von den Empfehlungen der Arbeitsgruppe.

Die von der Arbeitsgruppe auf Grund der SL angegebenen Medikamentenkosten dienen lediglich dem Abschät-zen der Wirtschaftlichkeit im Rahmen der Beurteilung durch die Arbeitsgruppe. Sie sind für die Kostenübernah-me durch die Versicherer nicht relevant. Für sie gilt im off-label use KVV Art. 71a: «Der Versicherer bestimmt die Höhe der Vergütung. Der in der Spezialitätenliste aufgeführte Preis gilt als Höchstpreis.» Möglicherweise schliessen sich die Krankenkassen zusammen, um mit den pharmazeutischen Firmen die Medikamentenpreise im off label Bereich auszuhandeln.

1. Nadig J. Off Label Use: Pragmatische Lösung eines komplexen Problems, Schweizer Krebsbulletin 30, 271; 2010

2. BGE 9C_334.201

Korrespondenz:

Dr. med. Jürg Nadig MAE

Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie

Facharzt für Medizinische Onkologie und Innere Medizin FMH

juerg.nadig@hin.ch Dr. med. Thomas Kroner

Facharzt für Medizinische Onkologie und Innere Medizin FMH

Leiter der Paritätische Arbeitsgruppe SGV - SGMO t.kroner@wws24.ch

Dr. med. Jürg Zollikofer

Facharzt für Allgemeinmedizin FMH Präsident der Schweizerischen Gesellschaft der Vertrauensärzte

juerg.zollikofer@hin.ch