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und Öffentlichkeitsarbeit, durch die Herausgabe von Massenmedien sowie die Entwicklung von Maßnahmen und Konzepten, welche die örtlichen Polizeidienststellen in ihrer Präventionsarbeit unterstützen.

Im Rahmen dieses Programms ist auch der weitaus größte Teil der bun-desweit abgestimmten Strategien entwickelt, umgesetzt und der Polizei in den Ländern und im Bund für ihre Beratungs- und Vorbeugungsarbeit zur Verfügung gestellt worden, z. B. als Broschüren, Faltblätter oder Filme.76 Über dieses zentrale »Serviceangebot« hinaus setzen die Länder und der Bund in unterschiedlichem Ausmaß eigenständige Präventions-strategien um.

Die polizeilichen Strategien der Gewaltprävention werden – wie das gesamte Handlungsfeld Polizei –von gesellschaftlichen, insbesondere auch kriminalpolitischen Entwicklungen beeinflusst und unterliegen einem ständigen Wandel. In welchem Ausmaß sie sich in den letzten knapp zwei Jahrzehnten verändert haben, macht der Vergleich mit den 1990 veröffentlichten Gutachten der Unabhängigen Regierungskommis-sion zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (GewaltkommisRegierungskommis-sion, vgl. Schwind/Baumann 1990) deutlich, hier insbesondere mit dem Gut-achten der Unterkommission V – Polizeipraxis – »Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt aus der Sicht der Polizeipraxis« (Stand: Frühjahr 1989; im folgenden zitiert als UK V).77

76 Quellen für die gemeinsamen Strategien, Konzepte und Maßnahmen sind die vom Programm Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) veröffentlichten Medien, darunter auch das Handbuch für die polizeiliche Praxis »Prävention auf einen Blick«

und die Jahresberichte der Kommission Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (KPK). Grundlage dieser Strategien und ebenfalls Länder übergreifend verbindlich sind die »Leitlinien Polizeiliche Kriminalprävention« von 1998 und die Ausführungen zur Kriminal-prävention in der Polizeilichen Dienstvorschrift (PDV) 100 »Führung und Einsatz der Polizei«

(Ausgabe 1999).

77 Der Bezug auf dieses Gutachten gewinnt noch dadurch an Bedeutung, dass der Koordi-nator der UK V – Alfred Stümper, Landespolizeipräsident von Baden-Württemberg – als damaliger Vorsitzender der Projektleitung für das Kriminalpolizeiliche Vorbeugungsprogramm des Bundes und der Länder (KPVP; 1997 umbenannt in ProPK) für den Bereich der bundeswei-ten, Länder übergreifend abgestimmten Polizeilichen Kriminalprävention verantwortlich war.

Die Aufgaben der Polizei ergeben sich aus Recht und Gesetz. »Sie um-fassen insbesondere

Gefahrenabwehr einschließlich Gefahrenvorsorge und vorbeugende Bekämpfung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten

Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten (...).

Die Polizei hat die öffentliche Sicherheit und Ordnung in erster Linie durch vorbeugende Maßnahmen zu gewährleisten; sie soll zu diesem Zweck Initiativen ergreifen. Erforderlichenfalls ist über den Vorrang inner-halb der Aufgabenwahrnehmung zu entscheiden; grundsätzlich geht die Gefahrenabwehr der Strafverfolgung vor« (siehe Polizeidienstvorschrift [PDV] 100, 1.2). Diese Priorität ergibt sich auch aus dem Grundsatz einer bürgernahen Ausrichtung der Polizeiarbeit, der herausragenden Bedeu-tung des Schutzes vor Kriminalität für die Bevölkerung und der Erkennt-nis, dass es sinnvoller ist, Straftaten gar nicht erst entstehen zu lassen, als sie später mit großem Aufwand verfolgen zu müssen.78

Kriminalprävention wird von der Polizei als gesamtgesellschaftliche Auf-gabe verstanden, für die nicht nur die Polizei, sondern insbesondere die Politik, andere staatliche und nichtstaatliche Stellen, die Wirtschaft, die Medien sowie die Bevölkerung selbst Verantwortung tragen und ihre spezifi-schen Beiträge leisten müssen.79 Im Rahmen der gesamtgesellschaftlichen Kriminalprävention ist die polizeiliche Kriminalprävention Aufgabe aller Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten (siehe Leitlinien; PDV 100).

Ziele und Verständnis polizeilicher Gewaltprävention

Im Verständnis dieses Berichtes zielt polizeiliche Gewaltprävention auf die Verhinderung bzw. Reduzierung gewalttätigen Handelns Kindern und 2.5.1 Kriminalprävention als Aufgabe der Polizei

2.5.1.1 Voraussetzungen polizeilicher Gewaltprävention80 im Kindes- und Jugendalter

78 So hat das auch die UK V 1989 gesehen: »Maxime muss sein, dass es weniger darauf ankommt, geschehene Taten sachgerecht, schnell und vollständig abzustrafen, als vielmehr darauf, Gewalt zu verhindern« (Rn. 329).

79 In welchem Ausmaß das inzwischen auch von den anderen Präventionsträgern so gesehen wird, macht nicht zuletzt dieser Bericht zu den Strategien der Gewaltprävention in den einzelnen Handlungsfeldern deutlich. Siehe dazu auch die Ausführungen in der Einleitung zu 3 Kap. 1.1.

80 Um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Die Polizei hat keine spezifischen, nur für die Gewaltprävention geltenden Strategien; diese entsprechen bzw. ergeben sich vielmehr aus den allgemein geltenden und gültigen Strategien polizeilicher Kriminalprävention.

Jugendlichen gegenüber bzw. durch sie (3 Kap. 1.2.1). Erreicht werden sollen diese Ziele mit eigenständig durch die Polizei wahrzunehmenden Aufgaben und mit der Mitwirkung an Präventionsmaßnahmen anderer Verantwortlicher. Eine wichtige Zielgruppe sind Eltern und Erziehungsver-antwortliche sowie Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der Prävention.

Die eigenständig durch die Polizei wahrzunehmenden Präventionsaufga-ben orientieren sich zum einen an dem situativen oder spezifischen Prä-ventionsansatz und sind auf die Reduzierung von Tatgelegenheiten gerichtet; insbesondere durch

die Erstellung von Kriminalitätslagebildern, lageangepasste Präsenz,

sicherungstechnische und verhaltensorientierte Beratung, kriminalpräventive Öffentlichkeitsarbeit.

Darüber hinaus orientieren sich die Präventionsaufgaben, auch an den Aufgaben und Zielen des Jugendkriminalrechts. Hierbei steht die Ver-hinderung weiterer Straftaten jener Jugendlicher im Vordergrund, die bereits durch Gewalt aufgefallen und von der Polizei erfasst worden sind (3 Kap. 2.6.2 »Justiz/Jugendgerichtsgesetz« und der PDV 382 »Bear-beitung von Jugendsachen« [Ausgabe 1995]). Diese ist »Grundlage für moderne polizeiliche Jugendarbeit, die auch neueste kriminologische Erkenntnisse berücksichtigt. Für die Polizei gilt besonders im Jugendbe-reich der Grundsatz: »Prävention geht vor Repression« (aus der Einlei-tung zur PDV 382).

Innerhalb der polizeilichen Jugendarbeit sind die Übergänge zwischen der situativ-präventiv ausgerichteten Jugendkontaktarbeit und der repressiv-präventiv ausgerichteten Jugendsachbearbeitung fließend und es kommt zu Überschneidungen (vgl. Dietsch/Gloss 2005).

Die Verhinderung von Straftaten durch allgemein förderliche Maßnah-men, beispielsweise im Bereich der sozialen Prävention, die sich präventiv auswirken können – wie etwa Erziehung, Wertevermittlung und Bildung, Verhinderung von Defiziten in der Persönlichkeitsentwicklung oder Besei-tigung sozialer Mängellagen – ist nicht originäre Aufgabe polizeilicher Gewaltprävention. Hier kann die Polizei allenfalls mittelbar Einfluss neh-men; und zwar insbesondere dadurch, dass sie die im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung gewonnenen Erkenntnisse und Einsichten hin-sichtlich individueller und sozialer Problemlagen anderen Instanzen und Institutionen sowie den politischen Entscheidungsträgern zur Verfügung stellt.

Insofern hat die Polizei neben den eigenständig wahrzunehmenden Aufgaben den Auftrag, an den Präventionsmaßnahmen anderer Verant-wortlicher mitzuwirken. Da Polizei wie Justiz – anders als etwa Kommu-nalbehörden, schulische und außerschulische Einrichtungen, Eltern oder andere Beteiligte an der Prävention – die Kriminal- und damit auch die Gewaltprävention als ausdrückliche Aufgabe zugewiesen bekommen haben (»originäre Kompetenz«), ist es ihre Pflicht, diese in das Handeln der Anderen einzubringen. »Mitwirkung« bedeutet in diesem Sinne vor allem die Verpflichtung, andere Verantwortliche auf gewaltrelevante Probleme hinzuweisen, die notwendigen polizeilichen Informationen bereitzustellen und auf gemeinsame Präventionsmaßnahmen hinzuwir-ken.

Kinder und Jugendliche als Zielgruppe polizeilicher Gewaltprävention Kinder und Jugendliche als Opfer, Zeugen und Täter strafbarer Handlun-gen sind die wichtigste Zielgruppe der polizeilichen Gewaltprävention.

Sie sollen entweder zusammen mit Kooperationspartnern, also etwa Schulen oder Einrichtungen der Jugendarbeit und Jugendhilfe oder mit-telbar über die Erziehungsverantwortlichen angesprochen werden.

Bevorzugte Vorgehensweise der polizeilichen Gewaltprävention ist im Rahmen des ProPK nicht die »direkte Ansprache« von Kindern und Jugendlichen selbst, sondern die Information und Aufklärung der origi-när zuständigen Personen und Institutionen, also z. B. der Erziehungsver-antwortlichen oder der Schule über die ProPK-Broschüre »So schützen Sie Ihr Kind«. Diese Verantwortlichen und Akteure der Prävention will die Polizei »von außen« unterstützen, sodass sie ihre pädagogische und erzieherische Arbeit gewaltpräventiv kompetent wahrnehmen können.

Dem auf Kooperation und Unterstützung ausgerichteten polizeilichen Präventionsansatz entsprechend, werden die Konzepte wie die zur Verfü-gung gestellten Materialien grundsätzlich zusammen mit den relevanten – etwa pädagogischen – Fachkräften entwickelt und gegebenenfalls mit den jeweiligen Gremien und Fachministerkonferenzen (etwa der Kultus-ministerkonferenz) abgestimmt. Ob und in welchem Ausmaß die Kon-zepte um- und die Materialien eingesetzt werden, entscheiden vor allem die originär zuständigen Partner außerhalb der Polizei.

Zum Gewaltbegriff

Es wird davon ausgegangen, dass Gewalt immer dann vorliegt, wenn eine Person an Körper oder Seele verletzt bzw. wenn eine Sache beschä-digt wird. Schädigende Handlungen von und an Kindern und

Jugendli-chen sind – in der Sprache des Strafrechts – körperliche, seelische und sexuelle Misshandlungen, Körperverletzungen, Bedrohungen, Nötigun-gen, Erpressungen und Raubdelikte, aber auch Beleidigungen. Dazu zählt auch die Gewalt gegen Sachen, die Sachbeschädigung.81

Da Gewalt im Gesamtbericht vorrangig als gegen Personen zielgerichtet schädigendes Handeln verstanden wird, werden Strategien, Maßnahmen und Konzepte der polizeilichen Prävention von Gewalt gegen Sachen allenfalls am Rande erwähnt.

Bereiche polizeilicher Gewaltprävention im Kindes- und Jugendalter Polizeiliche Gewaltprävention findet im Kindes- und Jugendalter vor allem

im sozialen Nahraum in der Schule

bei Mehrfach- und Intensivtätern im öffentlichen Raum

in der Kommunalen Kriminalprävention statt.

Die Verhinderung und Verfolgung von Gewaltkriminalität stehen im Zentrum polizeilicher Arbeit – nicht nur, wenn Kinder und Jugendliche Opfer, Zeugen oder Täter sind. Dies liegt vor allem an der Qualität der Taten: An ihren oft erheblichen Auswirkungen auf Opfer und Zeugen und an der durch sie verursachten Beeinträchtigung der Sicherheit und des Sicherheitsgefühls.

Für die gewaltpräventiven Strategien der Polizei sind die Daten der PKS (mit-) bestimmend, obwohl deren Aussagekraft begrenzt ist. Die Ein-schränkungen liegen vor allem darin, dass der Polizei nur ein Teil der Gewalttaten bekannt wird, meist durch Strafanzeigen und eher selten durch eigene Aktivitäten oder im Zusammenhang von Ermittlungen.

Dieses Anzeigeverhalten ist jedoch keine konstante Größe, sondern variabel und beeinflussbar, vor allem durch die Berichtererstattung in den Medien. Kinder- und Jugendkriminalität und insbesondere Gewalt 2.5.1.2 Art, Ausmaß und Entwicklung der Gewalt von und an Kindern und Jugendlichen:

Aussagemöglich keiten und -grenzen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS)

81 So die Definition der ProPK-Broschüre »Wege aus der Gewalt« (vgl. Programm o.J.).

waren und sind »beliebte« Themen der Medien – Stichwort: »immer mehr, immer jünger, immer schlimmer«. Es ist empirisch belegt, dass die Berichterstattung zu einer Überschätzung jugendlicher Gewaltkriminali-tät in der Bevölkerung (und in der Politik!) geführt hat (vgl. Pfeiffer u. a.

2004). Ebenso gibt es Hinweise darauf, dass die Anzeigebereitschaft gegenüber gewaltauffälligen Kindern und Jugendlichen zugenommen hat (vgl. Oberwittler/Köllisch 2004) – und dass diese bei Gewalt im öffentlichen Raum – die für Jugendliche »typische« Tatörtlichkeit – erheblich größer ist als bei Gewalt im privaten Raum – die für Erwachse-ne »typische« Tatörtlichkeit.

Der Einflussfaktor »Anzeigeverhalten« und andere variable Faktoren – etwa polizeiliches Kontrollverhalten, statistische Erfassungen, Änderun-gen des Strafrechts – erschweren insbesondere AussaÄnderun-gen zu Entwicklun-gen der polizeilich registrierten Kriminalität: Hat sich die Kriminalität verändert oder wirken sich mögliche Einflussfaktoren aus oder muss von beidem ausgegangen werden? Da es in Deutschland bislang keine statis-tikbegleitenden Dunkelfelduntersuchungen gibt, kann bei Art, Ausmaß und Entwicklung der polizeilich registrierten Kriminalität immer nur mehr oder minder plausibel vermutet werden, wie »realitätsgerecht« die erfassten Daten sind.

Wird die PKS in ihrer Funktion als Geschäftsanfallstatistik der Polizei betrachtet, dann lässt sich für den Zehnjahresvergleich 1996 bis 200582 feststellen (Basis: PKS für die Bundesrepublik Deutschland):

2005 wurden von der Polizei insgesamt 2,3 Millionen Tatverdächtige ermittelt, 4,5% mehr als 1996. 17% (oder 387.574) davon waren Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren – 5,1% weniger als 1996.

Wegen Körperverletzung wurden insgesamt 456.618 Tatverdächtige ermittelt, 51% mehr als 1996. 26% (oder 82.968) davon waren Kinder und Jugendliche, 64% mehr als 1996.

Wegen Raub wurden insgesamt 36.755 Tatverdächtige ermittelt, 11%

weniger als 1996. 35% (oder 12.829) davon waren Kinder und Jugendli-che, 20% weniger als 1996.

82 Da wegen der Wiedervereinigung Deutschlands die PKS-Daten »vor und nach der Wende« nicht miteinander vergleichbar sind, kann nicht auf das Jahr 1989 – den Zeitpunkt der Berichterstellung der »Gewaltkommission« – Bezug genommen werden. Deshalb der methodisch übliche Zehn-Jahres-Vergleich.

Wegen Gewaltkriminalität im engeren Sinne83 wurden 2005 insgesamt 206.557 Tatverdächtige erfasst, 33% mehr als 1996. 26% (oder 53.979) waren Kinder und Jugendliche, 36% mehr als 1996. 2005 wurde gegen 9% aller Tatverdächtigen und 14% der Tatverdächtigen unter 18 Jahren wegen Delikten der Gewaltkriminalität ermittelt.

Zwar werden immer noch überwiegend Jungen als Tatverdächtige polizei-lich registriert, doch haben die Mädchen »aufgeholt«: 2005 liegt der Anteil der unter 18-jährigen Mädchen an allen Tatverdächtigen dieser Altersgruppe bei 27% – 1996 lag er bei 26% (hinter dieser Entwicklung liegt bei den Mädchen eine leichte Zunahme der absoluten Tatverdächti-genzahlen von 0,2% – bei den Jungen dagegen ein Rückgang um 7%).

Bei Raub haben Mädchen 2005 einen Anteil von 11% – 1996 lag dieser noch bei 3% (obwohl auch bei den Mädchen die absoluten Tatverdächti-genzahlen im Vergleichszeitraum zurückgegangen sind: um 16% – bei den Jungen allerdings um 24%). Bei Körperverletzungen haben Mädchen 2005 einen Anteil von 20% – 1996 lag er bei 17% (dahinter liegen Zunahmen der absoluten Tatverdächtigenzahlen bei Mädchen um 97%

und bei Jungen um 57%). Bei der Gewaltkriminalität im engeren Sinne (siehe dazu die Definition in der Fußnote 12) haben Mädchen einen Anteil von 17% – 1996 lag er bei 14% (dahinter liegen Zunahmen der absoluten Tatverdächtigenzahlen bei Mädchen um 62% und bei Jungen um 32%).

Hinsichtlich der »Qualität« der Gewalt lässt sich feststellen, dass Mäd-chen nach wie vor ganz überwiegend und noch häufiger als Jungen im Bagatellbereich auffallen und/oder nur als Mittäterinnen. Die »hart zuschlagenden Mädchenbanden« sind eine absolute Ausnahme – und auch deshalb ein Medienereignis.

Im Vergleich mit der Berichterstattung in den Medien und der dadurch wesentlich geprägten Wahrnehmung der Jugendgewalt, ergibt die Analy-se des Hellfeldes der bei der Polizei angezeigten und in der PKS ausge-wiesenen Gewalttaten ein differenzierteres und weniger »erschrecken-des« Bild:

Es wird keineswegs »alles immer schlimmer«, sondern manches auch besser: So geht etwa die Häufigkeit, mit der Kinder und Jugendliche als

83 Der PKS-Summenschlüssel 8920 »Gewaltkriminalität« umfasst Tötungsdelikte, Vergewal-tigung, Raub, gefährliche und schwere Körperverletzung, erpresserischen Menschenraub, Geiselnahme, Angriff auf den Luftverkehr, wobei der größte Anteil der registrierten Tatver-dächtigen – ca. 80% – auf den Deliktsbereich der gefährlichen Körperverletzung entfällt.

»Räuber« polizeilich registriert werden, seit einigen Jahren deutlich zurück.

Gewalt ist keineswegs nur »jugendtypisch«: Zwar haben Kinder und Jugendliche höhere Anteile an den Gewalt-Tatverdächtigen als an den insgesamt ermittelten Tatverdächtigen, aber selbst beim Raub stellen sie nur 35% der Tatverdächtigen – zwei Drittel der Tatverdächtigen sind also 18 Jahre und älter.

Dem entspricht, dass im Gewaltbereich keineswegs nur die absolute Häufigkeit der tatverdächtigen Kinder und Jugendlichen zugenommen hat, sondern auch die der 18-Jährigen und älteren Tatverdächtigen.

Wenn weiter berücksichtigt wird, dass die von Kindern und Jugendlichen bevorzugt im öffentlichen Raum und gemeinsam mit anderen verübte Gewalt wesentlich eher angezeigt wird als die für Erwachsene typische Gewalt im privaten Raum, und dass wirklich schwere Gewalttaten von Kindern und Jugendlichen erheblich seltener begangen werden als von Erwachsenen, dann wird deutlich: Gewalt ist keine »Spezialität« nur junger Menschen und die Dramatisierung der Jugendgewalt so nicht gerechtfertigt.

Im sozialen Nahraum, insbesondere in der Familie, können Kinder und Jugendliche Opfer von Gewalt durch Erwachsene sowie Zeugen von Gewalt zwischen Erwachsenen werden.84 Und das keineswegs erst in jüngster Zeit. Im Gegenteil: Das Ausmaß an innerfamiliärer Gewalt auch und gerade gegen Kinder war noch vor 10 oder 20 Jahren deutlich grö-ßer als heute.85

Dennoch war der soziale Nahraum für die UK V ein eher »zögerlich«

2.5.2 Strategien polizeilicher Gewaltprävention im Kindes- und Jugendalter in einzelnen Bereichen

2.5.2.1 Verhinderung von Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im sozialen Nahraum

84 2005 wurden 17.558 kindliche Opfer des sexuellen Missbrauchs registriert, 10% weniger als 1996; fast die Hälfte (49%) von ihnen war mit dem Tatverdächtigen verwandt oder bekannt; 1996 lag dieser Anteil noch bei 31%. Dazu kommen 3.390 Opfer von Misshandlun-gen, 52% mehr als 1996; 95% von ihnen waren mit den Tatverdächtigen verwandt oder bekannt (1996: 92%).

85 Das belegen etwa die Ergebnisse der umfangreichen Dunkelfelduntersuchungen des KFN zu Art und Ausmaß der Misshandlung von Kindern durch ihre Eltern.

behandelter Bereich polizeilicher Gewaltprävention. Im Mittelpunkt der Aussagen zur »Gewalt in der Familie« stand 1989 die körperliche Miss-handlung von Kindern, während ihr sexueller Missbrauch nicht themati-siert wurde. Auch dass Frauen und ältere Menschen Opfer werden, wur-de – ebenso wie die »Schlichtung von Streitigkeiten« – zwar erwähnt, aber nicht weiter vertieft. Dem entspricht die zurückhaltende Beurteilung der präventiven Möglichkeiten der Polizei: »Die Polizei ist grundsätzlich verpflichtet, Straftaten zu verhüten und zu verfolgen. Das gilt auch für diesen Bereich. Allerdings setzt der grundgesetzlich geschützte Nahraum von Wohnung und Familie unmittelbaren Einwirkungen Grenzen. Miss-handlungen in der Familie entziehen sich somit einer direkten Prävention.

Zudem muss sich die Polizei mit Eingriffen auch zurückhalten, um eine bestehende Krise nicht noch zu verschärfen oder therapeutische Maß-nahmen nicht zu verhindern oder zu beeinträchtigen. Daher muss der Grundsatz gelten, die Polizei soll möglichst am Ende der Interventionsket-te sInterventionsket-tehen. Allerdings kann auf den Strafrechtsschutz als Notbremse nicht völlig verzichtet werden« (siehe Rn. 315, 316; sieben von insgesamt 127 Seiten des UK V-Gutachtens beziehen sich auf die »Gewalt in der Familie«).

Seither haben sich die Strategien der Polizei bei der Gewaltprävention im Bereich des sozialen Nahraums erheblich verändert. Zwar ist nach wie vor und ohne jede Frage polizeiliches Handeln – ob präventiv oder repressiv – im sozialen Nahraum prekär: Die Polizei »dringt« in die wohl am meisten geschützte Sphäre ein. Dennoch hat sich die noch 1989 von der UK V vertretene Sichtweise inzwischen völlig verändert – und das nicht zuletzt aus der Erfahrung heraus, dass sich auch und gerade bei den »eigentlich zuständigen« Institutionen erst dann etwas nachhaltig verbessert, wenn sich die Polizei der Gewaltprobleme annimmt – und zwar nicht erst am Ende der Interventionskette.86

Polizeiliche Strategien der Verhinderung von Gewalt an Kindern, in deren Mittelpunkt der Schutz der Opfer steht, richten sich nicht nur auf die

86 Diese Erfahrung hat die Polizei übrigens veranlasst, sich jetzt auch eines der letzten tabuisierten und »privatisierten« Bereiche der Gewalt im sozialen Nahraums anzunehmen: Der Gewalt gegen alte Menschen, insbesondere der Gewalt in der (häuslichen) Pflege. Zu den Konsequenzen, die sich aus dieser Neu-Ausrichtung für die Aus- und Fortbildung der Polizei ergeben – Stichwort: Professionalisierung – vgl. 2.5.3.

87 Bereits die Gewaltkommission hat ein Verbot des Züchtigungsrechtes gefordert und einen entsprechenden Vorschlag gemacht: »Kinder sind gewaltfrei zu erziehen. Die Anwendung physischer Gewalt und anderer entwürdigender Erziehungsmaßnahmen ist unzulässig. § 1631 Abs. 2 BGB ist entsprechend zu ändern« – Endgutachten Teil B: Vorschläge, S. 183.

direkte, unmittelbare Gewalt an ihnen, sondern auch auf die indirekte, mittelbare Gewalt an Kindern als Zeugen häuslicher Gewalt.

Diese Neu-Ausrichtung ist auch durch die Änderungen der gesetzlichen Grundlagen beeinflusst worden: Seit November 2000 ist das Verbot körperlicher und seelischer Gewalt in der Erziehung in § 1631 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verankert: »Entwürdigende Erziehungs-maßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Misshandlungen, sind unzulässig«.87

Zum 1.1.2002 trat das »Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalt-taten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz)« in Kraft, das für die Polizei erhebliche Konsequenzen hatte: In allen Ländern sind für die Polizei Rahmenvorgaben und Richtlinien erlassen worden, um einen effektiven Schutz der von häuslicher Gewalt Betroffenen zu erreichen, insbesondere auch der Kinder, die in dem von Gewalt geprägten Umfeld aufwachsen müssen. Die im Auftrag des BMFSFJ erfolgte wissenschaftli-che Begleitung der Interventionsprojekte gegen häusliwissenschaftli-che Gewalt stellt fest: »Die Polizei hat ... sich als Vorzeigeinstitution bei der Bekämpfung der häuslichen Gewalt erwiesen: Erreicht wurden andere Umgangs- und Arbeitsweisen vor allem in der polizeilichen ... Praxis bei Fällen häuslicher Gewalt«.88

Schutz von Kindern als Opfer und Zeugen im Kontext häuslicher Gewalt Die spätestens mit diesem Gewaltschutzgesetz auch »offiziell« anerkann-te und bestätiganerkann-te Tatsache, dass Gewalt im sozialen Nahraum, und hier

Schutz von Kindern als Opfer und Zeugen im Kontext häuslicher Gewalt Die spätestens mit diesem Gewaltschutzgesetz auch »offiziell« anerkann-te und bestätiganerkann-te Tatsache, dass Gewalt im sozialen Nahraum, und hier