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Journalistische Darstellungsformen

Wie Māšāʿallāh Šamsolvāʿezin, der Chefredakteur der Zeitung Ğāmeʿe, in der ersten Ausgabe dieser Zeitung betont hatte, versuchte Ğāmeʿe als eine „professionelle Zeitung“ bei ihrer Tätigkeit die üblichen Darstellungsformen der Presse wie Kommentar, Bericht, Reportage, Bild, Karikatur usw. zu berücksichtigen.4 Die Darstellungsformen der Zeitung Gāmeʿe wurden hinsichtlich ihrer Beiträge in zwei Kategorien eingeordnet: Die erste Ebene beschäftigt sich mit tatsachenbetonten Formen. Dazu zählen Meldungen, Nachrichten, Berichte, Reportagen, Interviews und Dokumentationen. Die zweite Ebene umfasst die meinungsbetonten Formen, wie Leitartikel, Kommentare, Glossen, Kolumnen, Porträts, Karikaturen und Kritiken. Damit umfassen die Darstellungsformen, die von Gāmeʿe benutzt

1 S. Kapitel 3 dieser Arbeit.

2 Weichenberg, Siegfried: Journalistik, Theorie und Praxis aktueller Medienkommunikation (Band 1).

Mediensysteme, Medientechnik, Medieninstitutionen, Opladen - Wiesbaden 1998, S. 92.

3 Ebenda, S.92.

4 S. Kapitel 5 dieser Arbeit.

wurden, die allgemein üblichen Darstellungsformen des Journalismus, weshalb an dieser Stelle ein allgemeiner Überblick über diese Darstellungsformen gegeben wird.

Günter Bentele und Hans-Bernd Brosius1 bezeichnen Darstellungsformen als typische Muster für die journalistische Aufbereitung von Informationen im weitesten Sinne. Informierende, meinungsäußernde und unterhaltende Beiträge zählen zu den wichtigsten journalistischen Darstellungsformen.2 Zu den am häufigsten verwendeten Darstellungsformen im Pressejournalismus gehören Bericht, Essay, Feature, Gerichtsbericht, Glosse, Kolumne, Kritik, Leitartikel, Leserbrief, Meldung, Porträt, Reportage und Interview. Die heute gebräuchlichen journalistischen Formen lassen sich nach Kurt Reumann3 in drei Gruppen einteilen:

TATSACHENBETONTE FORMEN: Nachricht (als Wortnachricht: Meldung und Bericht, aber auch als Bildnachricht: Foto), Reportage, Feature, Interview und Dokumentation.

MEINUNGSBETONTE FORMEN: Leitartikel, Kommentar, Glosse, Kolumne, Porträt, Karikatur, politisches Lied und (vorwiegend ästhetisch urteilende) Buch-, Theater-, Musik-, Kunst-, Film- und Fernsehkritik.

PHANTASIEBETONTE BZW. UNTERHALTENDE FORMEN: Zeitungsroman, Kurzgeschichte, Feuilleton, Spielfilm, Hörspiel, Fernsehspiel, Lied (auch in der Form des Schlagers), Comic und Witzzeichnung.4

Eine Untersuchung der insgesamt 34 Beiträge der Zeitung Ğāmeʿe, die vor Gericht als Beweismaterialien verwendet wurden, zeigt, dass es sich bei den neunzehn Fällen ausschließlich um tatsachenbetonte bzw. referierende Darstellungsformen handelt. Das heißt, die Zeitung Ğāmeʿe hat in diesen Fällen ohne jede Subjektivität berichtet. Aufgrund dieser objektiven Berichterstattung wurde aber die Zeitung Ğāmeʿe in meisten Fällen schuldig gesprochen.5

1 S. Bentele, Günter/ Brosius, Hans-Bernd/ Jarren, Otfried (Hrsg.): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft, Wiesbaden 2006.

2 Ebenda, S. 35,36.

3 Noelle-Neumann, Elisabeth/ Schulz, Winfried/ Wilke, Jürgen (Hrsg.): Fischer Lexikon Publizistik Massenkommunikation, Frankfurt a. M. 2004, S. 126-152.

4 Ebenda.

5 S. Kapitel 6.

Bei den neun weiteren Beweismaterialien handelt es sich um Karikaturen und Satiren, die - obwohl sie zu den meinungsbetonten bzw. interpretierenden Darstellungsformen gehören - nicht jedoch in erster Linie für ernsthafte Meinungsäußerung verwendet werden. Insgesamt wurden drei Satiren als Beweismaterialien bezeichnet. Dabei wurde in zwei Fällen die Zeitung von Geschworenen freigesprochen. Dagegen wurde die Zeitung Ğāmeʿe wegen der Veröffentlichung von allen sechs Karikaturen, die als Beweismaterialien vorgeführt worden waren, schuldig gesprochen.

Zwei Teile eines Fortsetzungsromans wurden in der Klageschrift als weitere Beweismaterialien bezeichnet. Unter den Beweismaterialien gibt es nur zwei Leitartikel und zwei Kommentare, die zu den wichtigsten meinungsbetonten Darstellungsformen zählen.

Abgesehen von Karikaturen und Satiren handelt es sich bei den gesamten Beweismaterialien im Prozess gegen Ğāmeʿe nur um vier Fälle, in denen diese Zeitung sich über das Thema (d.h.

die Äußerungen von Safavi) kritisch geäußert hat. Dabei waren sogar zwei Kommentare von fremden Autoren verfasst worden, und wegen der Veröffentlichung von einem Leitartikel von Ğalāipur wurde die Zeitung Ğāmeʿe von Anschuldigungen freigesprochen.

Im Folgenden werden die wichtigsten Darstellungsformen, die als Beweismaterialien in dieser Arbeit oft erwähnt werden, kurz erläutert (s. auch Tabelle 2):

Gattung Vorkommen in Textcharakter meist

Presse Hörfunk Fernsehen Refer. interpr. komment.

Bericht * * * *

Tabelle 2, Quelle: Weichenberg, Siegfried: Journalistik, Theorie und Praxis aktueller Medienkommunikation (Band 1). Mediensysteme, Medientechnik, Medieninstitutionen, Opladen - Wiesbaden 1998, S. 121.

NACHRICHT UND BERICHT

Mindestens vier kurze Nachrichten sind in der Klageschrift gegen die Zeitung Ğāmeʿe als Beweismaterialien erwähnt worden. Dabei gilt die Nachricht als Kernstück des informationsorientierten Journalismus. Sie will neutral aktuelle Neuigkeiten, die für die Öffentlichkeit von Interesse sind, in knapper Form vermitteln. Nach Kurt Reumann ist eine Nachricht eine nach bestimmten Regeln gestaltete aktuelle Information über Ereignisse, Sachverhalte und Argumente. Der Anspruch, dass nur die erste Mitteilung über ein Ereignis eine Nachricht sei, lässt sich nicht aufrechterhalten. Eine Erstmitteilung einer Nachricht in den Funkmedien müsste dann eine weitere Bekanntmachung durch die Zeitungen aussetzen.

Aber eine Botschaft mit Neuigkeitswert sollte eine Nachricht enthalten. Man unterscheidet harte oder gewichtige Nachrichten (hard news) von weichen und leichten Nachrichten (soft news). 1

Der Bericht ist laut dem Lexikon der Kommunikations- und Medienwissenschaft die klassische Darstellungsform für die umfassende aktuelle Information. Er ist ausführlicher als die Meldung. Längere Nachrichten kann man grundsätzlich als Berichte bezeichnen.2 In der Klageschrift gegen die Zeitung Ğāmeʿe sind zwei Berichte als Beweismaterialien genannt.

Dabei hatte die Zeitung lediglich über öffentliche Äußerungen zweier Politiker berichtet.

INTERVIEW

In jeder Ausgabe druckte die Zeitung Ğāmeʿe mindestens ein Interview. Über die umstrittenen Äußerungen des Oberkommandeurs der Revolutionsgardisten veröffentlichte die Zeitung viele Interviews. Zehn kurze Interviews über das Thema wurden während des Prozess gegen Ğāmeʿe erwähnt. Das Interview ist nicht nur eine Darstellungsform, sondern auch eine Methode des Recherchierens. Durch Nachfragen bei Augenzeugen, Fachleuten, Politikern usw. wird ein erheblicher Teil des Nachrichtenrohstoffs beschafft (Materialsammlung).

Solche formlose Interviews gehören zum selbstverständlichen Handwerkszeug der Journalisten. Im Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft wird das Interview als ein journalistisches Genre bezeichnet, das auf der zielgerichteten Befragung einer Person durch den Journalisten basiert. Je nach Anlass konzentriert sich diese Befragung auf die

1 Noelle-Neumann, Elisabeth/ Schulz, Winfried/ Wilke, Jürgen (Hrsg.): Fischer Lexikon Publizistik Massenkommunikation, Frankfurt a. M. 2004, S. 126-152.

2 Bentele, Günter/ Brosius, Hans-Bernd/ Jarren, Otfried (Hrsg.): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft, Wiesbaden 2006, S. 21.

Person, das in Rede stehende Thema oder verbindet beides.1 Das Interview will entweder „die Haltung einer Person zu bestimmten Sachfragen ergründen oder die Persönlichkeit eines Menschen darstellen“.2

LEITARTIKEL

Wie die Untersuchungen in dieser Arbeit zeigen, war die Zeitung Ğāmeʿe eher eine politische Zeitung,3 die einen großen Wert auf Leitartikel, als eine wichtige meinungsbetonte journalistische Darstellungsform, legte. Zwei Leitartikel der Zeitung Ğāmeʿe werden in dieser Arbeit erwähnt.

Zeitungen und Zeitschriften bezeichnen ihre Meinungsartikel häufig unterschiedlich. Zu den häufigsten Bezeichnungen gehören Kommentar, Analyse, Kritik oder Leitartikel. Die Funktion eines Leitartikels ist die Meinungsbildung sowie das Marketing der Position, die eine Zeitung oder eine Redaktion zu einem Ereignis einnimmt.4 Im Fischer Lexikon der Publizistik und Massenkommunikation ist der Leitartikel als „Quintessenz“ oder „Flagge der Zeitung“ und als eine „Kundgebung der Redaktion“ bezeichnet worden.5 Oft wird der Leitartikel nicht namentlich gezeichnet:6 Das besagt, dass er nicht die Meinung eines Einzelnen, sondern – im Gegensatz zur Kolumne - die der Mehrheit der Redaktion wiedergibt.7 Die Leitartikler formulieren die politische und kulturelle Linie der Zeitung.

KOMMENTAR

Ein Kommentar über die fundamentalistischen Hintergründe einer Gesetzgebung im konservativen Parlament der Islamischen Republik8 und ein Kommentar über die Gewaltbereitschaft in der iranischen Gesellschaft9 wurden in der Klageschrift als Beweismaterialien bezeichnet. Der Kommentar interpretiert und bewertet aktuelle Ereignisse und Meinungsäußerungen. Gegenüber dem Leitartikel ist er nach dem Fischer Lexikon der

1 Bentele, Günter/ Brosius, Hans-Bernd/ Jarren, Otfried (Hrsg.): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft, Wiesbaden 2006, S. 111.

2 Noelle-Neumann, Elisabeth/ Schulz, Winfried/ Wilke, Jürgen (Hrsg.): Fischer Lexikon Publizistik Massenkommunikation, Frankfurt a. M. 2004, S. 143.

3 S. Kapitel 5.

4 Bentele, Günter/ Brosius, Hans-Bernd/ Jarren, Otfried (Hrsg.): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft, Wiesbaden 2006, S. 152.

5 S. Noelle-Neumann, Elisabeth/ Schulz, Winfried/ Wilke, Jürgen (Hrsg.): Fischer Lexikon Publizistik Massenkommunikation, Frankfurt a. M. 2004.

6 S. Text Nr. 23 im Anhang.

7 Noelle-Neumann, Elisabeth/ Schulz, Winfried/ Wilke, Jürgen (Hrsg.): Fischer Lexikon Publizistik Massenkommunikation, Frankfurt a. M. 2004, S. 145.

8 S. Text Nr. 25.

9 S. Text Nr. 7.

Publizistik und Massenkommunikation, wenigstens scheinbar, eine nicht so subjektive, eine eher sachbezogene Darstellungsform. Der Kommentar argumentiert, indem er Tatsachen in Zusammenhänge stellt, das Entstehen von Meinungen untersucht und deren Bedeutung diskutiert. Dem Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft1 zufolge bewertet und deutet der Kommentar Meinungen und Ereignisse. Er ist die Darstellungsform, die eher Fragezeichen als Ausrufezeichen setzt. Er darf sogar mit einer Frage des Autors beginnen, was der Nachricht nicht erlaubt ist. Allerdings sollte er auch nach Antworten suchen.2

KARIKATUR

Insgesamt sechs Karikaturen wurden in der Klageschrift gegen Zeitung Ğāmeʿe als Beweismaterialien erwähnt. Dabei druckte die Zeitung fast in jeder Ausgabe eine Karikatur auf ihrer ersten Seite. Diese meist kritische Karikaturen hatten nicht unbedingt immer mit den aktuellen Themen oder mit der Politik zu tun. Karikaturen zählen zu den wichtigsten illustrativen Darstellungsformen in der Presse. Karikatur ist ein Lehnwort aus dem Italienischen: Das Verb „caricare“ heißt ursprünglich und unabhängig von künstlerischen Phänomenen beladen, übertreiben.3 Nach dem Fischer Lexikon gibt es Karikaturen, die in der Form (durch ihren Strich) übertreiben, sie werden gelegentlich auch Zerrbilder genannt, weil sie verzerrend vom antiken Schönheitskanon abweichen. Andere Karikaturen übertreiben im Inhalt. Künstlerisch gilt jene Karikatur als gelungen, die sowohl in der Form als auch im Inhalt übertreibt und das Wesentliche trifft.4

1 Bentele, Günter/ Brosius, Hans-Bernd/ Jarren, Otfried (Hrsg.): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft, Wiesbaden 2006, S. 125. 126.

2 Noelle-Neumann, Elisabeth/ Schulz, Winfried/ Wilke, Jürgen (Hrsg.): Fischer Lexikon Publizistik Massenkommunikation, Frankfurt a. M. 2004, S. 147.

3 Unverfehrt, Gerd: Karikatur. Zur Geschichte eines Begriffs, in: Lngemeyer, Gerhard/ Unverfehrt, Gerd/

Guratzsch, Herwig/ Stölzl (Hrsg.): Bild als Waffe. Mittel und Motive der Karikatur in fünf Jahrhunderten, München 1984, S. 345.

4 Noelle-Neumann, Elisabeth/ Schulz, Winfried/ Wilke, Jürgen (Hrsg.): Fischer Lexikon Publizistik Massenkommunikation, Frankfurt a. M. 2004, S. 152.