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2. Die »russisch geprägten« Anfänge in München

2.3 Die Malschule von Anton Ažbe und die Kontakte zu russischen Malerkollegen

2.3.3 Jawlensky und Werefkin – eine frühe Bekanntschaft

den 40er Jahren des 20. Jahrhundert formuliert Kardovskij in einer nicht veröffentlichten Notiz seine Kritik an Kandinsky. Es ist schwer zu beurteilen, warum der „einstige Freund“ so heftig gegen Kandinsky polemisiert. Es lässt sich nur vermuten, dass gewiss auch die politischen Veränderungen in der damaligen Stalin-Ära und im nachfolgenden Sowjet-Regime eine entscheidende Rolle für die Beziehung Kardovskij-Kandinskij in der Rezeption in Russland gespielt haben. Wie wäre es sonst zu verstehen, dass in der sowjetischen Ausgabe Kardovskijs aus den 60er Jahren des 20.

Jahrhunderts plötzlich diese nie veröffentlichte Notiz über Kandinsky publiziert wurde?179 In einer privaten Notiz schrieb Kardovskij:

„Sogar Kandinsky, bei aller meiner Hochachtung vor ihm als gebildetem Menschen mit festem Charakter, sogar er hätte nicht als Lehrer und schon gar nicht als Professor an der Fakultät für Malerei zugelassen werden dürfen, da er, was sein wirkliches malerisches Können betrifft, eine komplette Null ist, und weil er als ungegenständlicher Künstler geradezu ein gefährlicher Mensch ist.“180

Während Kardovskij ab 1907 Professor für Graphik und ab 1911 ordentliches Mitglied der renommierten Kunstakademie St. Petersburg wurde und als

„historischer“ Buchillustrator ein Höchstmaß an realistischer Wiedergabe in der Kunst vertrat181, muss ihm die Entwicklung Kandinskys zur Abstraktion unverständlich gewesen sein.

Doch wie sieht es mit den Anfangsjahren in München aus? Nur allzu leicht entsteht der Eindruck, Kandinsky hätte schon von Anfang an, also seit 1896, eine intensive Beziehung zu den beiden Künstlern gepflegt. So schreibt Vivian Barnett:

„Kandinsky kannte Jawlensky und Werefkin bereits seit gut einem Jahrzehnt;

sie verband nicht nur die gemeinsame Nationalität, sondern auch eine Vertrautheit mit der russischen, der deutschen und der französischen Kultur sowie ein Interesse für das Geistige.“183

Diese Art der Beziehung soll näher untersucht werden. Ganz bewusst ist hier nur der Zeitraum von 1896-1907 gewählt, um die wechselseitigen Einflüsse zwischen Jawlensky, Werefkin und Kandinsky in den formativen Jahren herauszukristallisieren, ungeachtet der späteren intensiven Zusammenarbeit.

Wie Grabar´in seinen Erinnerungen berichtet, kamen Jawlensky und Werefkin im Herbst 1896 in München an, einige Monate später als Kardovskij und Grabar´.184 Nachdem die Forschung lange davon ausgegangen war, dass auch Marianne von Werefkin an der Schule von Ažbe eingeschrieben war, wird auch aus den Erinnerungen Jawlenskys185 deutlich, dass sie, anders als er, keine offizielle Schülerin von Ažbe wurde.186 Jawlensky berichtet von der

„Partei“, die Grabar´, Kardovskij und er bildeten und von dem „frischen Wind“, den sie in die Schule brachten. Von Kandinsky ist in dem Zusammenhang keine Rede.

„Wir drei bildeten in der Azbèschule eine Partei für uns, hielten zusammen, arbeiteten sehr viel und unterhielten uns über Kunst. Und das, was wir Neues hörten, versuchten wir in unsere Arbeit zu übertragen. Wir hörten zum ersten Mal von großer Form und Linie. Aber wir nahmen alles mit Kritik auf. Und wir brachten in diese Schule einen frischen Wind.“187

Bemerkenswert ist, dass Jawlensky von der Form und der Linie spricht, die für seine neue Kunst wichtig ist. Kandinsky erinnert sich rückblickend an

183 EBENDA.

184 GRABAR´ 2001: 113ff.

185 JAWLENSKY 1970: 107. „Morgens um acht schellte Kardowsky an meiner Tür, und wir gingen dann zusammen in die Schule. Wir arbeiteten den ganzen Tag, und nach dem Aktzeichnen, das gewöhnlich um acht Uhr abends aus war, gingen wir meistens zu mir, um zusammen zu essen und nachher zu plaudern. Werefkin war immer zuhause.“

186Vgl. dazu: PODZEMSKAIA 2000, HAHL-KOCH 1993, AMBROZIû 1988. Nur Avtonomova erwähnt irrtümlich, dass auch Werefkin in der Ažbe-Schule eingeschrieben war.

Vgl. dazu: AVTONOMOVA 1989:47.

187 JAWLENSKY 1970:107.

Jawlensky in den Anfangsjahren, wo dieser für ihn eher die Rolle eines Lehrers verkörperte. In einem Brief vom 23. März 1934 schreibt Kandinsky an Jawlensky:

„Ich habe damals viel von Ihnen gelernt und werde Ihnen dafür immer dankbar sein. Es ging mir weniger um den ›Kopf‹, als um den organischen Zusammenhang, die Einheitlichkeit der Form, die nur im Summarischen existieren kann.“188

Kandinsky lernte in seinen formativen Jahren bei Ažbe nach eigenen Aussagen gerade was das zeichnerische Element, die Form betrifft, viel von Jawlensky.189 Da Grabar´, Kardovskij und Jawlensky ohnehin von Azbè als eine Art „Meisterschüler“ eingesetzt wurden, die auch Korrekturen und Verbesserungen an Schülerarbeiten vornahmen, ist gut nachvollziebar, wie es zu dieser „Lehrer-Schüler-Beziehung“ zwischen Kandinsky und Jawlensky kam.

Jelena Hahl-Koch hat auf die Bedeutung eines der Hauptprinzipien von Ažbes

„Weg vom Detail! Breit und ausdrucksvoll verallgemeinern!“ für Jawlensky in seinen formativen Jahren in München hingewiesen. Dieses Prinzip trifft auch gerade für die Holzschnitte Kandinskys der frühen Jahre zu. Man denke dabei an die detaillierten Darstellungen „Somovscher Reifrockdamen“190, die Kandinsky vereinfacht oder mit den Worten Ažbes „breit und ausdrucksvoll verallgemeinert“. Aus dem Briefwechsel zwischen Kardovskij und Kandinsky wird deutlich, dass Kandinsky auch immer wieder im persönlichen Kontakt zu Jawlensky stand, jedoch nicht ohne eine gewisse Außenseiterrolle innerhalb der Kollegen der Ažbe-Schule, die er sich in seinen Erinnerungen ebenfalls zugeschrieben hatte.

„Ich habe mich schließlich auch in dieser Umgebung isoliert, fremd gefühlt und ging mit desto größerer Intensität in meinen Wünschen auf.“191

In einem Brief vom 13. März 1901 schreibt Kandinsky:

„Ich treffe mich nur mit Nikolaj Nikolaevic (Zeddler), da mir alle

»Diskussionen« zum Halse heraushängen. Jawlensky hat sich anscheinend

188 HAHL-KOCH 1983:43

189 Jelena Hahl-Koch geht sogar soweit, dass sie die Meinung vertritt, Kandinsky habe nicht bei Ažbe, sondern bei Jawlensky das Kopfzeichnen gelernt.

190Auf die Bedeutung des Historismus von Konstantin Somovs für die Motivik Kandinskys wird im Kapitel 3 dieser Arbeit ausführlich eingegangen.

191 KANDINSKY 1913 (RÜCKBLICKE): 43.

völlig mit Grabar´ angefreundet: sie suchen zusammen … Psychologie + Nationalität. Wie gefällt Ihnen ein solches Bild?“192

Es geht aus dem Kontext des Briefes nicht hervor, was Kandinsky mit Psychologie + Nationalität eigentlich meinte in Bezug auf Grabar´und Jawlensky. Nur scheint Kandinsky sich in der Zeit, als Kardovskij schon wieder nach Russland zurückgekehrt war, ein wenig von Grabar´ und Jawlensky distanziert zu haben.Wie launisch und wechselhaft die ersten Jahre der Bekanntschaft zwischen Kandinsky und Jawlensky waren, zeigt auch das Bemühen Kandinskys, der noch kurz zuvor praktisch als „Schüler“ seine Anfänge bei Ažbe und Jawlensky absolvierte, schon im Herbst 1900 eine Ausstellung u.a. mit eigenen Werken und denen von Jawlensky, Salc´man und Zeddler zu organisieren suchte.

„Nun ist folgende Sache: Es besteht die Hoffnung, daß die „Moskauer Künstlervereinigung“ einen separaten Saal einer neuen Gruppe von Künstlern zur Verfügung stellt, von der ich Ihnen schon gesprochen habe. Zu dieser Gruppe werden gehören – aus München: Jawlensky, Salzmann, Zeddler und ich; (…) aus Petersburg; Kardovskij, falls er nicht ablehnt.“193

Es bestand ein intellektueller Austausch zwischen Kandinsky, Jawlensky und von Werefkin, die in der Giselastraße einen Künstler-Salon, die Lukasbruderschaft, unterhielt.194 Dazu extistieren ein paar Erinnerungen von Gustav Pauli195 an diese Zusammenkünfte, doch eine systematische Erforschung dieses Zirkels steht noch aus. Hier wurden Kandinskys Kontakte zu den russischen Symbolisten – in erster Linie zu Merežkovskij196 geknüpft

192AVTONOMOVA 1989: 49.

193Das Zitat stammt aus einem Brief an Kardovskij vom 14. November 1904.

AVTONOMOVA 1989: 48/49.

194 Vgl. dazu FÄTHKE 1998: 93-104.

195 PAULI 1936: 264-269. Pauli beschreibt den außergewöhnlichen Kunstsalon der „Baronin Werefkin“, in die er durch einen Freund Kandinskys, durch den russisch-deutschen Maler Alexander Salzmann aus Odessa eingeführt worden war. Über die Inhalte der Diskussionen berichtet Pauli: „Von Politik war am wenigsten die Rede. (…) Über alle Fragen der Kunst und Literatur, der alten und neuen, wurde dagegen mit unerhörtem Eifer und ebensoviel Geist debattiert – endlos (…).“ Die weitere Beschreibung Paulis des Künstlers Salzmann, vermittelt etwas von der „mystisch-innerlichen Konstruktion“[Franz Marc], die wohl auch für Kandinsky in dieser Zeit so kennzeichnend ist: „Im Kern seines Wesens war Salzmann mystisch-religiös.Und aus diesem Kern entsprangen manchmal in einer beschaulichen Stunde seltsame symbolhafte Märchen, die er improvisierte um ein Erleben zu umschreiben. In solchen Augenblicken, in denen er sich über sich selbst erhob, konnte er seine Hörer hinreißen. Aber dann war alles wieder erloschen, wie ein flüchtiger Sonnenblick hinter Wolken verschwindet.“

196 HAHL-KOCH 1993: 28. Hingewiesen sei hier noch auf die hervorragende frühe Arbeit, die Dissertation von Jelena Hahl-Koch über Marianne von Werefkin und den russischen Symbolismus aus dem Jahre 1967. Es ist gerade vor dem Hintergrund dieses

und gleichzeitig war der Salon die Drehscheibe zwischen der Kunst in Ost und West.197

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