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Die Gottesmutter: Das Motiv der Rose und die Erlösungsidee des christlichen Glaubens bei Vrubel’ und Kandinsky

4. Die Frau als Symbolgestalt bei dem symbolistischen Maler Michail Vrubel´ und Kandinsky

4.5 Die Gottesmutter: Das Motiv der Rose und die Erlösungsidee des christlichen Glaubens bei Vrubel’ und Kandinsky

Ein Vergleich zwischen Vrubel´s Philosophie (Abb. 52) und Böcklins Die Nacht (Abb. 58) weist nicht nur eine frappierende Ähnlichkeit der jungen Frauen auf, beide mit teilweise entblößtem Oberkörper und weitaufgerissenen Augen, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen, sondern auch hier tritt die Frauengestalt als scheinbar physisches Wesen auf und verwandelt sich in eine

„reine Imagination“. Sarab´janov hat schon früh auf die Verbindung zwischen Vrubel’ und den deutschen Symbolisten – Arnold Böcklin und Franz von Stuck hingewiesen, ohne es näher auszuführen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass einige Bilderfindungen wie das apokalyptische Werk Böcklins Der Krieg (1896) und das im gleichen Jahr von Vrubel´ entstandene Werk Flug des Doktor Faust und Mephistopheles(1896) sowie Kandinskys Apokalyptische Reiter I (1911) einen vielschichtigen Bezug zwischen Vrubel´, Kandinsky und Böcklin demonstrieren, doch sprengt ein solcher Vergleich den zeitlichen Rahmen des hier untersuchten Frühwerks Kandinskys.399

So wenden wir uns einem weiteren Motiv des Symbolismus zu: der Rose400, die nicht nur im späteren, abstrakten Werk Kandinskys vermehrt auftritt, sondern auch schon in unserem untersuchten Zeitraum - der Frühzeit.

4.5 Die Gottesmutter: Das Motiv der Rose und die Erlösungsidee des

taucht sie in folgenden Arbeiten auf403: Rosen 1903 (Abb. 18/19), Begräbnis 1907 (Abb. 59), Die Raben 1907 (Abb. 60), Fuga 1907 (Abb. 61), Verfolgung 1907 (Abb. 44). Gemein ist allen unterschiedlichen Darstellungen, dass das Symbol der Rose immer im Zusammenhang mit einer weiblichen Figur erscheint. In den Werken Begräbnis (Abb. 59) und Verfolgung (Abb. 44) sind zudem im Hintergrund orthodoxe Kuppelkirchen zu entdecken. Bei einer näheren Betrachtung der Temperaarbeit Begräbnis (Abb. 59) auf schwarzem Papier und Pappe wird die christliche Erlösungsidee in subtiler Weise durch die Gruppe mit dem Mädchen, das eine weiße Rose in der Hand hält, verkörpert. Im Hintergrund links findet ein Leichenzug statt, der von einem orthodoxen Popen mit einer Fackel in der Hand zum linken Bildrand hin angeführt wird. Die Gegenbewegung dazu formuliert ähnlich wie in Verfolgung das kleine Mädchen mit weißer Rose und der ebenfalls in Seitenansicht parallel zu ihr in den Hintergrund versetzte Mann in rotem Gewand und roter Mütze, der wie in vielen Werken Kandinskys die Tuba bläst. Die Rose ist die Blume Christi und der Maria gleichzeitig404 und hier weckt sie sogar die Assoziation an die Jungfrau Maria, die als Zeichen ihrer Reinheit die weiße Rose trägt. Während also das Mädchen das ewige Leben symbolisiert wird es von den Fanfaren der Auferstehung begleitet. Schon hier formuliert Kandinsky die Dichotomie von Untergang und Auferstehung von Leben und Tod (Begräbnis). Und genau hier unterscheidet sich Kandinsky von Vrubel’, der die Blume zum „Symbol und Maß alles Schönen“405 erwählt, der sie aber in seiner Kunst nicht als christliches Symbol der Erlösung darstellt. In

403Christiane Schmidt kommt in ihrer Arbeit nach einer interessanten Interpretation eines Blümchenmotives in bezug auf Puškins Gedicht Die Blume zu dem überraschenden Schluss, dass „ das Blümchenmotiv, wie es in Kandinskys Arbeit Dämmerung vorkommt, rein sporadisch von ihm eingesetzt wird, zum Beispiel als Ornament für einen Kleidentwurf. Doch im Gesamtwerk Kandinskys wird dem Blumenmotiv als solchem kein wichtiger Platz eingeräumt.“ Im gleichen Atemzug fährt die Autorin fort „Trotzdem sei auf die Rose in der Hand der Dame in Moskau (…) hingewiesen. Könnte diese Rose nicht als Querverweis auf die Künstlerformation der Blauen Rose-Bewegung verstanden werden?“ In der Tat verweist die Rose auf den russischen Symbolismus und sie zieht sich vor allen Dingen, wie ein Leitfaden vom Frühwerk in die „abstrakten Werke“ wie Klang der Posaunen (Große Auferstehung) 1910/1911, Phantasievogel und schwarzer Panther, Juni 1911, Große Auferstehung, Frühsommer 1911, Große Auferstehung (Große Fassung), Ende Juni-Juli1911, und weitere Werke. Es erscheint in dem aufgezeigten eschatologischen Kontext, in dem Kandinskys Rose auftaucht, ein wenig zu kurz gegriffen, dieses Motiv einzig auf die Gruppierung der Blauen Rose zu reduzieren, zumal sie als Gruppe nur noch wenige Monate nach ihrer einzigen Ausstellung im März/ April 1907 existierte und somit zeitlich zu Schmidts gewählter Assoziation Dame in Moskau von 1912 gar nicht passt. Vgl. dazu SCHMIDT 2002:

112-113. Vgl. zur Problematik der Blauen Rose: BOWLT 1989: 65.

404 CHRISTLICHE IKONOGRAPHIE 1998: 71.

405 ILING 1997: 175.

Kandinskys Werk Verfolgung (Abb. 44) suggeriert die rote Blume in der Hand, der mit einem roten Heiligenschein versehenen weiblichen Figur wiederum die christliche Symbolik. Angesichts der Bedrohung durch die im rasenden Galopp vorbei ziehenden Reiter im Bildmittelgrund und der drei rätselhaften Figuren mit Schwert, drängt sich die Assoziation der Verfolgung Christi auf – die schließlich in seinem Martyrium endete. Die rote Rose ist zugleich das Symbol für das Martyrium.406 Auch mit der Rose in Kandinskys Fuga (Abb. 61) lässt sich hinter der mystischen Frau mit Kopfschmuck und Schleier – die den Volchova-Brauttypus verkörpert - die Gottesmutter assoziieren.

Bereits in dieser frühen Phase ist zu konstatieren, dass das Thema Apokalypse und Erlösung bei Kandinsky virulent ist und nicht wie in der Forschung von Schmidt behauptet, erst 1909/10 einsetzt.407 Plausibel erscheint es, die Datierung der „apokalyptischen Themen“ auf 1907 anzusetzen, zumal Schmidt selbst auf das erste Kapitel ihrer Arbeit verweist, das eine „Fülle von apokalyptisch inspirierter Literatur“ 408 für die Jahre 1904 bis 1906 in Russland nachweist. Für den „bildhaften Durchbruch“ dieses Themas scheint sich jedoch im Jahr 1907 in Sèvres vieles gekreuzt zu haben. Merežkovskijs wichtiger „apokalyptischer Aufsatz“ über die Theorie der drei Testamente, der in der Revue Mercure de France erschien409 und die Russische Ausstellung im Salon d´Automne einige Monate zuvor.

Während Vrubel’ von „allen guten Geistern verlassen“ seinen Dämon schuf, der „religös unerlöst“ blieb und von niemandem, außer von sich selbst

»Antworten auf seine Zweifel erhielt410, zeichnet sich im Frühwerk Kandinskys bereits eine an Merežkovskij und die mythopoetischen Symbolisten angelehnte Heilserwartung ab. Der Dichter Belyj formulierte diese apokalyptische Stimmung mit folgenden Worten:

406 CHRISTLICHE IKONOGRAPHIE 1998: 71.

407 SCHMIDT 2002: 126: „Besonders die Jahre 1909 und 1910 – in Anbetracht von Kandinskys Zuwendung zu religiös, auch apokalyptisch geprägten Kompositionen des Jahres 1911 – waren für das Thema erneut anfällig, nachdem die damaligen Wissenschaftler für diesen Zeitraum das Nahen des Halleyischen Kometen vorhersagten.“ Schmidt hebt in ihrer Untersuchung hervor, dass die Auseinandersetzung mit dem Weltende ein Thema ist, das um 1900 insbesondere in Russland durch die Schriften von Dmitrij Merežkovskij verbreitet wurde.

408 SCHMIDT 2002: 126

409 SCHMIDT 2002: 126.

410 GORSEN 1997:66.

„Wir erleben jetzt in der Kunst alle Epochen und alle Nationen wieder; das vergangene Leben saust vor unseren Augen. Das ist so, weil wir an der Schwelle einer großen Zukunft stehen.“411

Auch Kandinsky spricht in Rückblicke 1913 von einer „Schwelle“ in seiner Zeit, er bezeichnet damit den Übergang vom Reich des „Neuen Testaments“

zum Reich des „ Heiligen Geistes“ oder zur „dritten Offenbarung“.

„Wäre unsere Zeit der Schwelle der «dritten« Offenbarung ohne die zweite denkbar?“412

Merežkovskij benutzte den Begriff des „dritten Testaments“ schon in seinem Aufsatz La question religieuse, enquete internationale in der Zeitschrift Mercure de France von 1907. Er schreibt:

„Le troisième Testament est la révélation de Dieu dans l´Humanité, de Dieu-Humanité. Le Père s´incarne dans le Cosmos. Le Fils dans le Logos. L´Esprit dans l´union suprême du Logos et du Cosmos, dans l´Etre Un, personnel et universel, Dieu-Humanité.˝413

Kandinskys Aussagen über die „dritte Offenbarung“ stammen zwar aus dem Jahre 1913, doch aufgrund der intensiven russischen Kontakte im Salon der Werefkin ist es gut vorstellbar, dass er schon 1907 mit dem apokalyptischen Gedankengut Merežkovskijs vertraut war und diese Inhalte auch in seine Kunst transponierte.

Die aktuelle Auseinandersetzung des Künstlers mit religösen Fragen – insbesondere mit der russischen Orthodoxie - spiegelt auch das folgende Werk Lied (Wolga-Lied) aus dem Jahre 1906 in verborgener Weise wider. In ikonographischer Hinsicht lassen sich jedoch auch Anleihen bei Michail Vrubel´

finden.

411 BELYJ 1994, BAND I: 143:

412 KANDINSKY 1913 (RÜCKBLICKE): 46.

413 MEREŽKOVSKIJ 1907: 69.

4.6 Kandinskys Lied (Wolga-Lied) 1906414 und Vrubel’s Die

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