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7. Frau Rosmarie Pfriem-Vogt im Gespräch mit Peter Wegener anlässlich ihrer Verabschiedung in den Ruhestand

Nach 20 Jahren als Leiterin der Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle (EFL) in Heidelberg trat Rosmarie Pfriem-Vogt zum Ende des Jahres in den Ruhestand. Nach dem Abitur hatte sie in Würzburg Theologie studiert mit dem Ziel dort in ihrer Heimatdiözese Pastoralreferentin zu werden.

Warum sie nach Heidelberg kam und was die Schwerpunkte ihres beruf-lichen Wirkens waren, erzählte Rosmarie Pfriem-Vogt im Gespräch mit

„Kirche auf dem Weg“.

Ein „Zufall“ hat Sie am Beginn Ihres Berufslebens nach Heidelberg geführt – wie kam es dazu?

Ein Würzburger Studienkollege hatte die Assistentenstelle am Institut für klinische Seelsorgeausbildung in Heidelberg inne. Er plante seine Rückkehr nach Würzburg. Wir trafen uns zufällig bei einer Veranstal-tung am Institut für Pastoralpsychologie in Würzburg. So erfuhr ich von der frei werdenden Stelle und bekam den Tipp, dass die nächste Bewerbung eine Frau sein sollte. Mein Studium in der Pastoraltheologie mit Schwerpunkt Pastoralpsychologie und die begonnene Eheberaterausbildung waren sehr gute Voraus-setzungen. Am Gründonnertag 1984 war ich zum Vorstellungsgespräch in Heidelberg.

Ende August 1984 verließ ich meine erste Stelle bei Würzburg für den damaligen „4-Monatskurs“ in Klinischer Seelsorgeausbildung, der für die neue Stelle eine Voraussetzung war. Ab Januar 1985 begann die Assistentenstelle für 4 Jahre. Damals hätte ich nicht gedacht, dass ich in Heidelberg bleiben werde.

- Neben der Mitarbeit im KSA-Institut und der Klinikseelsorge in Heidelberg haben Sie eine Aus-bildung zur Eheberaterin begonnen. Was hat Sie daran besonders gereizt?

Ich hatte mich bereits zwei Jahre nach Abschluss meines Theologiestudiums um einen Ausbildungsplatz in der Eheberaterausbildung in Würzburg beworben. Nach dem 2. Vatikanischen Konzil herrschte eine sehr positive Aufbruchsstimmung in der Kirche, die Hörsäle in der Theologischen Fakultät waren voll.

Neben den Grundfächern der Theologie fand ich in einem breit angelegten Angebot in den unterschied-lichen Fachbereichen „meine Themen“. Das hat mich sehr fasziniert.

Die Würzburger Synode habe ich als Studentin hautnah miterlebt. Dort waren erstmals Ehe und Familie als zentrale Themen der Seelsorge stark im Blick. Dies war die Geburtsstunde zum Ausbau der Ehebera-tungsstellen.

Die Begleitung von Menschen in Krisen war auch aus persönlichen Gründen schon damals mein Thema.

Und die ganze Palette der therapeutischen Methoden der 80er Jahre wie Gestalttherapie, Körperthera-pie, Transaktionsanalyse und systemische Familientherapie fanden auch Eingang in die pastorale Ausbil-dung. Das Ausbildungscurriculum zur EFL-Beraterin war noch jung, und das erschien mir als eine sehr passende fachliche Erweiterung und eine gute Ergänzung zur klinischen Seelsorgeausbildung.

INTERVIEW MIT ROSMARIE PFRIEM-VOGT

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- Die Ehe ist in katholischem Verständnis ein Sakrament und mit hohen Anforderungen an die Ehe-partner verbunden, Scheitern ist eigentlich nicht vorgesehen. Wie gehen Sie in der Eheberatung mit dieser Spannung zwischen der Lehre und der Realität der Paare um?

Eine junge, Frau sagte mir nach der schmerzlichen Trennung von ihrem Mann: „Wenn man im Internet nach dem Sakrament der Ehe sucht, findet man zuerst Einträge zum katholischen Kirchenrecht“. So drückte sie die enorme Schattenseite der kirchenrechtlichen Umsetzung des Ehesakraments aus.

Der positive Blick auf die Ehe als einem Heilszeichen, das Gottes Liebe in der Liebe und Treue zweier Menschen sichtbar macht, wird in der rein kirchenrechtlichen Betrachtung zu einer schmerzlichen Krän-kung für all die Gemeindemitglieder, die sich ohne Aussicht auf eine nachhaltige Vergebung von der Ge-meinschaft ausgeschlossen fühlen, falls sie noch einmal den Mut finden sollten, eine zweite Ehe zu wagen.

Man kann eine Ehe annullieren lassen, wenn es dafür kirchenrechtlich relevante Gründe gibt. Die Ehe war rückwirkend nicht gültig, ist sozusagen gelöscht. Das öffnet kirchenrechtliche Türen, doch es übergeht den Schmerz eines Bruches im Leben. Laut Umfragen ist für sehr viele Menschen das Scheitern ihrer Ehe im Rückblick ihre größte Lebenskrise gewesen. Diese Erschütterung vieler Menschen nach einer Trennung wird in diesem Verfahren übergangen. Daher orientiere ich mich in der Begleitung von Menschen an der erstaunlichen Liebe, dem Respekt und der großen Barmherzigkeit, die Jesus vorgelebt hat. „Sieben Mal siebzig Mal“, also immer, sollen wir bereit sein, zu verzeihen. Diese Haltung eröffnet einen Weg nach vorne, die Chance zu einer Heilung vergangener Verletzungen. Daher war es für mich in der Beratung wesentlich, nicht zu urteilen, sondern Raum zu geben für die Trauer, für die Suche nach neuen

Lebensper-spektiven und für einen Heilungsprozess. Im Idealfall für eine Aussöhnung mit dem Scheitern.

Die Suche nach einem Weg, zurückliegende Verletzungen zu vergeben und sich auch mit sich selbst neu auszusöhnen, ist oft ein sehr intensiver, schmerzlicher und ein befreiender Entwicklungsprozess. – Insbe-sondere auch im Blick auf die gemeinsamen Kinder, wenn die getrennten Partner gute Eltern bleiben wollen. Mir war in meiner Arbeit immer wichtig, Zeit zur Verfügung zu stellen, dass seelische Brüche heilen können, und dass so irgendwann eine Versöhnung mit dem Erlebten möglich ist. Versöhnung heißt auch neues Leben und die Chance zu einem Neuanfang.

- Unverheirateten Priestern wird landläufig die Kompetenz abgesprochen, beim Thema Ehe wirk-lich mitreden zu können. Fließen Erfahrungen aus dem eigenen Leben in die Beratung ein?

Ja, alle wichtigen Lebenserfahrungen fließen in die Beratungsarbeit ein, dessen müssen wir Berater und Beraterinnen uns bewusst sein und damit sollten wir sehr sorgfältig umgehen. Meine erste Ehe scheiterte.

Das habe ich meinen Klient*innen natürlich nicht erzählt. Doch genau wie alle schönen Erfahrungen mei-nes Lebens prägte mich auch diese sehr schmerzliche Zeit. Sie prägte meinen hoffentlich immer achtsa-men Umgang mit dem Schmerz anderer.

Prof. Rolf Zerfass, bei dem ich meine Diplomarbeit geschrieben hatte, schickte mir damals einen Artikel über den “verwundeten Heiler“. Verbunden mit seiner Ermutigung zur Geduld und der Hoffnung, dass eine bewältigte Krise, eine durchlebte Krankheit oder eine erlittene Trauer später für mein Leben und für meine Arbeit eine Bereicherung sein könnten.

Im Rückblick auf so viele unterschiedliche Schicksale und auf so viele wunderbare Menschen, die ich begleiten durfte, weiß ich, dass diese Lebenskompetenz nur wirksam ist, wenn ich als Beraterin immer den Respekt vor der ganz eigenen, sehr persönlichen, anderen Erfahrung meines Gegenübers bewahre und diese im Blick habe.

INTERVIEW MIT ROSMARIE PFRIEM-VOGT

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- 35 Jahre sind Sie mit der Heidelberger EFL verbunden. Was sind aus Ihrer Sicht die gravierendsten Veränderungen in dieser Zeit?

Als ich 1986 als Honorarmitarbeiterin begonnen habe, war das Team noch sehr klein. Es gab zwei ange-stellte Mitarbeiter*innen und 4 Honorarkräfte. Dies hat sich mit dem steigenden Beratungsbedarf sehr verändert. Phasenweise gab es 12 Mitarbeiter*innen, angestellte Berater*innen und kleine freiberufliche Deputate. Die Organisation der Arbeitsabläufe in einem großen Team mit z.T. sehr kleinen Deputaten war allerdings oft schwierig.

Eine sehr positive Veränderung in dieser Zeit war die Entscheidung der Erzdiözese Freiburg für den Ausbau und die Weiterentwicklung der EFL-Beratung, d.h. auch für die personelle Erweiterung des Teams.

Inzwischen besteht unser Team ausschließlich aus angestellten Mitarbeiter*innen, das Team ist nun klei-ner mit größeren Anstellungsdeputaten, und wir alle sind kontinuierlich in der Beratungsstelle präsent.

Die Psychologische Ausbildungsstelle EFL war mit dabei, als der erste EFL Masterstudiengang in Koope-ration mit der der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen startete. Diesen Herbst begann nun der 3. Freiburger Masterstudiengang mit unserer neuen Stellenleiterin, Frau Dr. Petra Holz, im Dozenten-team. Neben der Fachausbildung spielen auch Fort- und Weiterbildung eine große Rolle.

Ein sehr großer Einschnitt war die Planung für den Um- und Neubau im Haus der Begegnung. Damit ver-bunden unser Umzug Ende 2009 nach Kirchheim und sieben Jahre später im April 2017 der Einzug zurück in die Merianstraße und der Neustart in der größeren, neuen Beratungsstelle.

Zunehmend kommen auch Ratsuchende aus anderen Ländern und anderen Kulturen zu uns. Beratungen in Englisch, Italienisch und Spanisch sind in unserer Beratungsstelle möglich.

Seit ich im Februar 2000 die Leitung der Beratungsstelle übernahm, wird nun ca. das Vierfache an Bera-tungsstunden pro Jahr angeboten. Und dennoch sind unsere Wartelisten phasenweise weiterhin sehr lang. Man kann sagen, die EFL-Beratung ist seit ihrer Entstehung zu einem sehr gefragten und erfolgrei-chen Angebot der katholiserfolgrei-chen Kirche geworden.

- Gibt es so etwas wie eine Essenz nach all den Berufsjahren, in denen Sie vor allem Menschen im Kontext von Krankheit und Beziehungsfragen begleitet und beraten haben?

Die Frage nach dem Wesentlichen, dem Wichtigsten im Rückblick auf insgesamt 38 Jahre im kirchlichen Dienst wird mich bestimmt noch in den kommenden Monaten begleiten.

Ich habe bei Aristoteles nachgeschaut: Die quinta essetia, das „fünfte Seiende“ neben den 4 Elementen war für ihn der „himmlische Äther“, unwandelbar und zeitlos: DAS, WAS BLEIBT.

Was bleibt?:

- Die interessierte Neugierde: Meine innere Triebfeder schon als Kind, durch genaues Nachfragen, durch Widerspruch und durch Zweifeln an schnellen Antworten in vielen Gesprächen zu lernen und Lösungen zu finden.

- Das, was mich lebenslang angezogen und fasziniert hat: Die Freude an Begegnungen, an Gesprächen, an neuen Ideen.

- Die vielen besonderen, kostbaren Momente in meiner Arbeit, in denen sich durch Fragen, durch War-ten, auch manchmal durch Schweigen Neues entwickelt hat.

INTERVIEW MIT ROSMARIE PFRIEM-VOGT

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- Es bleibt der Nachhall von besonderen Gesprächen und Begegnungen in meinem Leben und hoffent-lich auch im Leben mancher meiner Klient*innen.

- Die Erfahrung, dass ich immer in schweren Zeiten Menschen getroffen habe, die mich unterstützten und im Rückblick Wegweiser waren. Dankbarkeit dafür.

- Mein großer Respekt und oft auch mein hochachtungsvolles Staunen vor der Kraft, mit der Menschen, die ich begleiten durfte, ihr schweres Schicksal gemeistert haben.

- Der große Schmerz, den das Leben oft bereithält, und noch immer mein Aufbegehren dagegen. Die Erfahrung der Sprachlosigkeit als wichtige Essenz meines Lebens.

- Und dann manchmal diese besonderen, oft stillen Momente in einem Gespräch, in denen etwas heilte.

- Berührt worden sein, Nähe zu teilen, gemeinsam auf dem Weg zu sein.

Was bleibt, ist im Rückblick auch die Gewissheit, dass ich „geführt“ wurde, oft ohne das zu bemerken.

Denn Vieles kam völlig anders, als ich mir das vorgestellt hatte, aber es passte Schritt für Schritt immer wieder neu zusammen und wurde rund.

Ich habe als junge Frau nicht gewusst, was das bedeuten würde für mich, erst Klinikseelsorgerin, dann EFL-Beraterin und dann Leiterin der Beratungsstelle zu werden. Und die Quintessenz ist:

Es hat gestimmt so.

Rosmarie Pfriem-Vogt