• Keine Ergebnisse gefunden

Interviews

V. „Integration“? V. „Integration“?

stand erreichen. Somit war ich bei Rechtsangelegenheiten, Arztbesuchen, Versi-cherungen etc. immer beratend, unterstützend dabei und das schon als Jugend-licher.

Aber noch viel wichtiger war, dadurch dass die 2. Generation viel mehr in der Gesellschaft drin war, mussten wir die Verantwortung der Eltern bzw. eigentlich der gesamten Generation übernehmen, d.h. auch für die 1. Generation gerade stehen. So war ich schon als Kind „der Türke“ und ich musste wissen – auch in der Schule - wie die Türken sind, wie die Türkei ist, egal ob im negativen oder positiven Sinne. Es wurde davon ausgegangen, dass ich jedes Feriendorf, in dem ein Tourist sein konnte, kenne. Jeder fragte mich dann: Kennst du das Dorf? Du kommst doch aus der Türkei? Als ob jeder, der hier lebt, jedes Dorf hier kennen würde. Dadurch entstand ein gewisser Zwang, sich mit dem so genannten „Hei-matland“ auseinander zu setzen, obwohl es gar kein eigener Impuls war.

Wenn die Lehrerin fragte, was kocht ihr, was esst ihr, mussten wir erst mal nach Hause gehen und die Mutter fragen und feststellen, dass die Anderen was an-deres Essen … dadurch kamen wir in eine Rolle, die die Elterngeneration recht-fertigen musste, auch schon in ganz jungen Jahren als Kind – wo das eigentlich noch gar kein Thema sein dürfte.

Wie ist dein Umgang mit den Generationenbegriffen, auch durch deine Erfahrungen, fühlst du dich dadurch als Anderer definiert?

Eigentlich muss da schon viel früher angesetzt werden, wenn man als MigrantIn bezeichnet wird, obwohl ich persönlich keine Migrationserfahrung habe. Einer-seits bin ich froh, dass wir nicht mehr als AusländerIn oder als GastarbeiterIn be-zeichnet werden – das kann als gewisser Fortschritt angesehen werden, auf der anderen Seite müssen wir damit leben, immer noch als anders, als fremd und als nicht dazugehörig angesehen zu werden. Nachdem dieser Punkt, dass man eigentlich nicht als Teil dieser Gesellschaft angesehen wird, sondern als Fremd-körper wahrgenommen wird, irgendwo von uns auch akzeptiert wurde, ist der Punkt der Generationenbegriffe nicht mehr so schlimm. Viel schlimmer ist, dass (wenn von der 2.Generation gesprochen wird) noch immer von Migration gere-det wird und diese nicht automatisch als Teil dieser Gesellschaft gilt.

Welche gesellschaftlichen Zuschreibungen entstehen durch die Wahrnehmung als Andere/r? Hat sich durch die Veränderung der Begriffe von AusländerIn zu MigrantIn etwas geändert?

Die Menschen sind zumindest vorsichtiger geworden. Ich werde beispielsweise nicht mehr gleich gefragt, wo ich herkomme, aber heute heißt es dann stattdes-sen: Wo kommt denn Ihr Name her? Was hat Ihr Name für einen Ursprung?

V. „Integration“?

Interviews

V

Und wenn man schon von Kind auf mit solchen Fragen: Wo kommt ihr her? oder ähnlichen, kämpfen muss, entsteht mit der Zeit eine Sensibilität zu solchen Fra-gen. Insbesondere dann, wenn ein fremder Mensch gleich nach der Namens-herkunft fragt. Dadurch entsteht das Gefühl, dass hier kategorisiert werden soll oder in Schubladen gedacht werden könnte. Vorurteile werden heute nicht mehr so offen angesprochen und ausgesprochen, aber ich weiß nicht, was in den Köp-fen wirklich vorgeht.

Welche prekären Verhältnisse entstehen durch Zuschreibungen auch in der 2. Gene­

ration?

Dazu könnte ein ganzes Buch geschrieben werden, da es Alltagserlebnisse sind.

Beispielsweise dass die Nachbarin fragt, ob wir auch Torte essen, nur weil ich kein Schweinefleisch esse, bis hin zur Lehrerin, die im Unterricht bemerkte: „sogar die-ser Schüler, der nicht von hier ist, hat im Aufsatz eine 2 bekommen“ und diese Bemerkung dann als Lob ansieht. Aber auch an der Universität gab es einen Pro-fessor, der meinte, dass er die Rechtschreibfehler ja verstehen kann, weil man ja Migrationshintergrund hat. In diesem Fall – würde ich sagen – hat eigentlich das Schulsystem versagt, wenn nach so vielen Jahre Schulunterricht noch immer keine richtige Rechtschreibung beigebracht werden konnte. Das sind kleine Bei-spiele aus dem Alltag, die einem immerwährend begegnen.

Viel gravierender waren natürlich Erlebnisse Ende der 90er, wo ich mich nicht mehr alleine auf den Bahnhof getraut habe, weil immer wieder Übergriffe statt-gefunden haben, wenn du als „AusländerIn“ identifiziert wurdest, oder auch wenn du in der Disko nicht hinein gelassen wirst, weil du „Ausländer“ bist.

Ich weiß auch von Erfahrungen meiner Freunde, die viel schlechtere Jobs be-kommen haben oder schlechter bezahlt wurden oder bei der Wohnungssuche – beispielsweise meine Schwester – Sie musste sich eine Wohnung kaufen, weil sie als Migrantin keine Wohnung zur Miete bekommen hat.

Kanak Attak war ein Zusammenschluss von jugendlichen Menschen mit so genann­

tem Migrationshintergrund, die Kampagnen, Aktionen, Symposien zum Thema Mi­

gration gemacht haben. Du warst mit dabei. Kanak Attak, was war das für eine Zeit für dich?

Es war damals einfach die Zeit reif, dass die 2. Generation vom Bildungsstand und Alter so weit war, dass sie gesagt hat, wir leben hier und uns interessieren nicht die Gesetze des „Heimatlandes“ sondern die Gesetze des Landes, in dem wir le-ben, denn genau diese Gesetze beschneiden uns und regulieren unseren Alltag.

Gleichzeitig gab es auch eine jahrelange Lüge, dass die vielen unterschiedlichen Kulturen das eigentliche Problem seien.

V. „Integration“?

Interviews

V. „Integration“?

Wir wollten auch zeigen, dass nicht die unterschiedlichen Kulturen das Problem sind.

Möglicherweise habe ich mit einem Portugiesen vieles gemeinsam, obwohl unsere Eltern aus sehr verschiedenen „Kulturen“ kommen und somit hier ein Pro-blem der Mehrheitsgesellschaft mit der Migrationsgesellschaft besteht und kein kulturelles Problem, dass man irgendwo aus einem Heimatland mitbringt.

Diese zwei Punkte – die bestehenden Gesetze und die kulturelle Lüge – haben dazu geführt, dass es eine Bewegung in diese Richtung geben musste. Ich weiß nicht, ob es wirklich provokant war, oder ob es einfach auch eine Wut war, um der Mehrheitsgesellschaft zu sagen: Moment! Wir leben hier, wir haben gewisse Rechte, wir kämpfen für unsere Rechte und wir sind keine unsichtbare Randge-sellschaft, die ein Problem darstellt.

Wir wollten auch zeigen, wir sind Menschen mitten unter euch, wir sind Men-schen, die in allen kulturellen Bereichen, von unten bis ganz oben, vertreten sind und lassen uns nicht zu einem Randproblem abdrängen.

Wir wollten einfach sagen, was wir denken, ohne Fürsprecher – denn wir kön-nen selber für uns sprechen, da wir unsere Forderungen und unsere Bedürfnisse selber formulieren können.

Dabei gab es vielleicht auch provokante Positionen, aber diese haben auch mit unseren Erfahrungen, unserer Geschichte hier und mit der Mehrheitsgesell-schaft zu tun.

Du hast gesagt, du möchtest namentlich nicht genannt werden, warum?

Gibt es für dich als 2. Generation einen Grund, warum es wichtig sein kann, anonym zu bleiben?

Es ist eigentlich nur meine eigene Geschichte, auch das Thema Datenschutz…, aber ich habe keine Angst vor Repressionen oder zu meiner Meinung zu stehen.

Aber ich glaube, dass ich hier ein Fürsprecher bin von vielen. Von dieser Perspek-tive betrachtet braucht es das nicht, das Thema auf eine einzelne Person und eine einzelne Meinung zu reduzieren, weil das auch allgemeine Realitäten sind.

Durch Anonymisierung wird das Gefühl einer Gruppe viel stärker transportiert.

Vielen Dank für das Interview!!!

V. „Integration“?

Theaterprojekt

V

Ich gehöre zu keiner Kultur –