3. Elektronenstrahltomographische Untersuchungen zur koronaren
3.4. Quantifizierung koronararterieller Verkalkungen mit der
3.4.5. Interpretation der Gesamtkalkscores
Für die therapeutische Umsetzung der elektronenstrahltomographischen
Koronarkalkmessung bei der konventionellen koronaren Herzerkrankung liegen inzwischen von der Arbeitsgruppe Elektronenstrahltomographie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung herausgegebene
Empfehlungen vor, die insbesondere bei asymptomatischen Patienten mit zunehmender Kalklast differenzierte Instrumente der Behandlung
vorschlagen76. Eine hohe Kalklast indiziert dabei ein aggressiveres Angehen der Risikofaktoren (Rauchen, Ernährung, Übergewicht, Hyperlipidämie, Bewegungsmangel, Bluthochdruck) im Rahmen der einschlägigen
Richtlinien78. Bei der Interpretation elektronenstrahltomographischer
Kalkmessungen sollte allerdings beachtet werden, daß fehlende Verkalkungen atherosklerotische Plaques nicht vollständig ausschließen, und daß vorhandene Verkalkungen nicht notwendigerweise mit dem Ort einer vorhandenen Stenose übereinstimmen77.
Bei der Interpretation des Gesamtkalkscores nicht transplantierter Patienten spielt der Vergleich des gemessenen Scorewerts mit der geschlechts- und alterskorrigierten Häufigkeitsverteilung in einer Vergleichspopulation eine wichtige Rolle. Dieser Zugang beruht auf der Beobachtung, daß sowohl bei Patienten mit fehlender als auch bei Patienten mit angiographisch gesicherter Koronarstenose die Kalkscoreverteilung mit zunehmendem Lebensalter zu höheren Scorewerten hin ansteigt, so daß auch optimierte diagnostische Grenzwerte mit zunehmendem Lebensalter ansteigen50 ,79. Der Lage eines Meßwertes innerhalb der sog. Kalkscoreperzentilen wird deshalb eine wichtige Rolle bei der Risikoeinschätzung eingeräumt. Eine Einordnung des Kalkscores in Perzentilen hat bei herztransplantierten Patienten bislang keine zusätzliche diagnostische Information erbracht, da für eine verläßliche Normierung noch nicht genügend viele Patienten untersucht worden waren, außerdem aber das Patientenalter nach Herztransplantation keinen faßbaren Zusammenhang mit dem Koronarscore hat. Ersatzweise käme statt dessen das Spenderalter als Risikofaktor in Betracht (Tab. 3), das ja mit der Verkalkungsschwere
korrelierte. In Tab. 2 kommt dieser Zusammenhang dadurch zum Ausdruck, daß
die in Perzentilen ausgedrückte Kalkschwere anders als bei einer
Normalbevölkerung mit konventionellen Risikofaktoren80 nicht monoton mit dem Lebensalter ansteigt. Andererseits käme aber auch die seit der Operation vergangene Zeit als Risikofaktor ersatzweise in Betracht. Prinzipiell wäre die Aufstellung solcher Perzentilentafeln für sämtliche bekannten Risikofaktoren möglich. Eine Tabellierung nach weiteren Faktoren würde die Interpretation allerdings komplizieren und für eine verläßliche Tabellierung eine noch viel größere Patientenzahl benötigen.
Tab. 3 Häufigkeitsverteilung der Gesamtkalkscorewerte nach Geschlecht und Spenderalter
Perzentile Spender-alter
(Jahre) 15-24 25-34 35-44 45-54 55-64 65-74
Männer
-Testtheoretische Überlegungen lassen jedoch auch prinzipielle Zweifel am Nutzen der Interpretation von Kalkscoreergebnissen anhand von
Häufigkeitstabellen in Perzentilenform zu. Die Perzentilentabelle gibt zunächst statistisch betrachtet eine rein deskriptive Information über die
Häufigkeitsverteilung des Scorewertes. Die Interpretation des Kalkscores verlangt andererseits nach einer Bewertung in Hinblick auf pathologische Befunde, also eine Unterscheidung zweier Zustände. Diese Unterscheidung ist mit den Mitteln der Testtheorie bewertbar. Ein Kalkscore oberhalb der 75.
Altersperzentile wird üblicherweise als Hinweis auf eine Hochrisikosituation verstanden, sagt aber unmittelbar lediglich aus, daß 75% der Altersgenossen weniger ausgeprägte Verkalkungen aufweisen. Eine Reihe von Untersuchungen hat erwiesen, daß die aus testtheoretischer Sicht optimalen diagnostischen Grenzwerte im Regelfall nicht mit dem zunächst willkürlich benannten -Perzentilenwert übereinstimmen, sondern zumeist von der Definition der gesuchten Erkrankung abhängen, z.B. vom Grad der Lumenobstruktion beim Versuch, eine Koronarstenose zu diagnostizieren52,81. Die testtheoretisch
angebrachte Methode zur Interpretation dieser Daten ist die ROC-Analyse. Mit der ROC-Analyse kann der die Diagnose definierende Grenzwert optimiert werden. Ein Vorteil dieses Vorgehens besteht darin, daß im Gegensatz zur Beurteilung nach Perzentilen keine Risikostufen gebildet werden müssen, sondern kontinuierlich verteilte Variablen als solche in die Berechnung eingehen. Die Perzentilentafel definiert daher lediglich eine gewisse
"Altersnorm" nach Prävalenzgesichtspunkten, besagt aber nicht, ob diese Altersnorm nicht schon in den Bereich des Pathologischen fällt. Statt dessen belegen histopathologische Untersuchungen, daß die Kalklast bei allen untersuchten Altersgruppen eng mit den Wandumbauten einer koronaren Herzerkrankung korreliert82. Bislang konnte vor allem für die
Prognoseabschätzung ein Nutzen der Kalkscoreinterpretation anhand von
Vergleichen mit der Scorewerthäufigkeit in einer Vergleichsgruppe gezeigt werden80, während vergleichbare Daten für diagnostische Fragen noch ausstehen.
Ein weiteres Problem der Anwendung von Altersperzentilen besteht in der Datenbasis der Perzentilentabelle. Bislang sind für die
Elektronenstrahltomographie nur begrenzte nordamerikanische
Perzentilendaten verfügbar. Im Einzelfall wird sich die Grundpopulation der Perzentilentafel möglicherweise erheblich von der konkret zu beurteilenden Person unterscheiden, z.B. durch das Vorliegen von einschlägigen Symptomen oder anderen Risikofaktoren. In diesen Fällen ist die Perzentilentafel nicht ohne weiteres anwendbar. Also ist die Interpretation des Kalkscores immer darauf angewiesen, daß die relevanten klinischen und biographischen Daten des Patienten berücksichtigt werden. Da die Inzidenz der konventionellen
koronaren Herzerkrankung mit zunehmendem Lebensalter zunimmt, ist eine Zunahme der Kalkscoreperzentilen mit dem Alter zu erwarten. Andererseits ist es noch nicht abschliessend geklärt, ob ein Kalkscore X bei einem bestimmten Lebensalter Y tatsächlich per se gefährlicher ist als bei einem zehn Jahre älteren Patienten.
Schließlich könnten für eine Synthese der Bewertungsmethoden für jeden Einflußfaktor getrennt nach Perzentilen mehrere ROC-Optimierungen diagnostischer Grenzwerte vorgenommen werden. Damit würde die in den unabhängigen Faktoren enthaltene prognostische Information in die
Diagnosefindung einbezogen. Dafür spricht, daß ein bestimmter
Kalkscoregrenzwert in Abhängigkeit vom Lebensalter unterschiedliche prognostische Bedeutung zeigt51. Nachteilig wäre an diesem Vorgehen, daß durch eine solche Zerlegung der Vergleichsgruppe in Perzentilen enorme Fallzahlen notwendig werden, bis eine verläßliche Analyse gelingt.
3.5. Stellenwert der elektronenstrahltomographischen