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Interkulturelle Unterschiede im Umgang mit Natur

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Die bisherigen Studien waren weitgehend auf Deutschland und andere Industrienationen bezogen. Diese Gesellschaften haben bei aller Verschiedenartigkeit ihrer sozialen Struktur und ihres kulturellen Selbstverständnisses viele Gemein-samkeiten, die auf relativ homogene Bewertungen von Natur hinweisen und damit eine faktische Grundlage für Verhand-lungs- und Abstimmungsprozesse schaffen. Wie sieht es aber bei anderen Kulturen und in Ländern mit anderem öko-nomischen Entwicklungsstand aus?

Leider gibt es nur wenige empirische Arbeiten, die einen aussagekräftigen Vergleich verschiedener Länder und Kultu-ren im Hinblick auf Umweltbewußtsein und Umweltverhal-ten erlauben. Die Möglichkeit kulturell bedingter Reaktionen auf Frageformulierung und Forschungsdesign verlangt ein hohes methodisches Niveau, das leider von den meisten kommerziellen Umfragen, die über mehrere Länder hinweg vergleichend durchgeführt wurden, nicht erreicht wird. Die Problematik der fragwürdigen Gültigkeit internationaler und kulturvergleichender Untersuchungen ist bereits mehrfach vom Beirat kritisch angemerkt worden (WBGU, 1993). Zur Frage der Risikowahrnehmung liegt seit kurzem ein Sam-melband vor, in dem international vergleichende Studien zur Wahrnehmung und Bewertung von Umweltrisiken gesam-melt worden sind (Renn und Rohrmann, 1999). In diesem Band sind Industrieländer wie die USA, Deutschland, Frank-reich, Australien und Japan vertreten, Entwicklungs- bzw.

Schwellenländer wie Brasilien und China und schließlich Transformationsländer wie Bulgarien und Rumänien. Afri-kanische Kulturen sind aber auch in diesem Band nicht repräsentiert.

Was sind die wichtigsten Ergebnisse des interkulturellen Vergleichs? Zunächst einmal wird deutlich, daß die primären

Ziele „Erhalt des Lebens“ und „Unversehrtheit des Men-schen“ ebenso universell sind wie der Wunsch nach weiterer wirtschaftlicher und persönlicher Entfaltung. Selbst in China, wo nach offizieller Lesart freiheitliche Entfaltungs-werte gegenüber kollektiver Disziplin in den Hintergrund tre-ten, läßt sich ein klarer Wunsch nach Ausweitung des indi-viduellen Freiheitsraums feststellen. Allerdings ist das Ver-trauen in kollektive Risiko-Management-Institutionen dort wesentlich höher als in den meisten Industriestaaten (Rohr-mann und Chen, 1999).

Ein zweiter überraschender Befund besteht in der zuneh-menden Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Subkulturen, die sich immer weiter globalisieren und damit universell wer-den. Die Bankiers, die Feministinnen, die Physiker, die Ver-waltungsbeamten oder die Umweltschützer dieser Welt wer-den sich zunehmend ähnlicher, während sie mit ihren Landsleuten immer weniger gemein haben. Überspitzt aus-gedrückt: Die Bankiers von Brasilien, Neuseeland, Rumä-nien und Deutschland verstehen sich untereinander besser als mit ihren eigenen Kindern. Während sich nationale Kul-turen immer weiter differenzieren bis hin zur Gefahr eines Verlusts an integrativer Kraft, gleichen sich internationale Subkulturen immer weiter an. Daran sind die neuen Infor-mationsmedien, die Globalisierung der Wirtschaft und die Funktionalisierung von Aufgabenbereichen sicherlich maß-geblich beteiligt. Zwar gibt es immer noch relevante Unter-schiede zwischen den Vertretern ähnlicher Gruppen in unterschiedlichen Ländern, diese sind aber weniger stark ausgeprägt als die Unterschiede zwischen den Gruppen innerhalb eines Landes (Rohrmann, 1994).

Ein dritter Aspekt ist vor allem für die Debatte um anthro-pozentrische und biozentrische Sichtweisen von Bedeutung.

In allen untersuchten Ländern werden risikoreiche Eingriffe in die Natur als im wesentlichen kompensationsfähige Wert-verletzungen wahrgenommen. Fundamentalistische Einstel-lungen gegenüber der Natur (im Sinn der unbedingten Norm der Erhaltung gegenüber der Nutzung) finden sich selbst bei Umweltschützern selten. Allerdings variieren die für erfor-derlich gehaltenen Kompensationsleistungen erheblich von Interkulturelle Unterschiede 101

Land zu Land. Während vor allem in den Transformations-ländern (Bulgarien und Rumänien) ökonomische Nutzenge-winne als ausreichendes Gegengewicht zu schwerwiegenden Eingriffen in die Natur angesehen werden, sind in vielen Industrie-, aber auch Entwicklungsländern Verbesserungen des Gemeinwohls (wie auch immer definiert) notwendige Bedingung dafür, daß in die Natur eingegriffen werden darf.

Wenig Belege gibt es auch für einen direkten Einfluß von Religion und traditioneller Kultur auf die Wertschätzung von Umwelt. Asiatische Vorstellungen einer biozentrischen Sichtweise sind meist kontemplativ gemeint und nicht als Anleitung für praktisches Handeln; dementsprechend findet sich auch in diesen Ländern wenig Widerstand gegen eine Ausbeutung der Natur (Szejnwald-Brown et al., 1995).

Natürlich stellten die empirischen Sozialforscher auch eine Reihe von wesentlichen Unterschieden bei der Wahrneh-mung von Umweltrisiken fest: So variiert etwa der Grad der Apathie gegenüber Umweltrisiken (Schicksal oder Folge menschlicher Aktivität) zwischen den untersuchten Ländern ebenso wie das Ausmaß der Furcht vor natürlichen im Gegensatz zu technischen Risiken. Kulturelle Faktoren sind sicherlich auch mit dafür verantwortlich, was Menschen angeben, wenn sie gefragt werden, wovor sie sich am meisten fürchten (unabhängig von der Höhe des Risikos). Dennoch ist der Grad der Übereinstimmung zwischen den Ländern wesentlich höher, als man dies auf Grund der sehr unter-schiedlichen Kulturen vermuten würde.

Was bedeuten diese Befunde für die Frage nach den ethi-schen Bewertungskriterien für Eingriffe in die Biosphäre?

Die stereotype Antwort, diese Kriterien müßten immer rela-tiv zur jeweiligen Kultur bestimmt und gesehen werden, deckt sich nicht mit den bisherigen (zugegebenermaßen dürftigen) empirischen Ergebnissen. Zumindest bei den pri-mären Prinzipien herrscht weitgehende Einigkeit unter den Menschen aller Kulturen. Dort, wo diese Einigkeit angezwei-felt wird, ist kritisch zu fragen, ob es nicht im Interesse der jeweiligen Regierungen, aber keineswegs in der Tradition der Kultur, begründet liegt, daß auf Abweichungen vom interna-tionalen Konsens bestanden wird. Darüber hinaus bringt es

die zunehmende Professionalisierung und Globalisierung von Subkulturen mit sich, daß in den internationalen Ver-handlungen Personen mit ähnlicher Grundauffassung und ähnlichem Bewertungshintergrund zusammenkommen.

Auch dort werden sogenannte kulturelle Unterschiede oft aus taktischen Überlegungen hochgespielt, ohne daß es dafür wirklich eine empirisch belegbare Grundlage gibt.

Aus diesem Grund empfiehlt der Beirat der Bundesregie-rung, bei der Frage nach den primären Prinzipien zum Schutz der Biosphäre mit dem Anspruch auf universelle Gül-tigkeit aufzutreten. Die in den unterschiedlichen Kulturen vertretenen Werte und Normen sind weder faktisch noch in ihrer normativen Begründung so divers, daß man für jede Kultur eine eigene Umweltethik entwickeln oder berücksich-tigen müßte. Dies bedeutet natürlich nicht, daß jede Norm, die in Deutschland besteht, auf die gesamte Welt zu übertra-gen sei. Hier geht es vielmehr um die primären Prinzipien, wie sie etwa in den Menschenrechtserklärungen zusammen-gefaßt sind.

Interkulturelle Untersuchungen über Naturverständnis und Umweltverhalten sind trotz des hier vertretenen Anspruchs der Universalität primärer Handlungsprinzipien weiterhin wichtige und unabdingbare Indikatoren für die Erfassung von individuellem und sozialem Verhalten der Menschen gegenüber ihrer natürlichen Umwelt. Ohne dieses Wissen ist es schwer, wenn nicht sogar unmöglich, konkrete Maßnahmen zur Ausgestaltung von umweltrelevanten Prin-zipien und Normen zu entwerfen und Formen der Umset-zung dieser Normen in Alltagshandeln zu entwickeln und zu realisieren. Es ist das dringlichste Forschungsdesiderat in diesem Gutachten, die interkulturell vergleichende Sozialfor-schung zu den Themen Umweltbewußtsein, Umweltverhal-ten und institutionelle Umsetzung von Umweltnormen zu fördern.

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6 Verfahren zur Schaffung und Begründung von Normen zum Biosphärenschutz

6.1 Das Wertbaum-Verfahren zur Erfassung

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