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und interdisziplinären Diakoniker

Im Dokument DWI-INFO Nr. 30 ISSN 0949-1694 (Seite 92-95)

Zum Tod von Heinrich Huebschmann Eine Persönlichkeit der alten Garde des

Diakonie-wissenschaftlichen Instituts ist am 24. Dezember

1995 – einem Datum mit Symbolcharakter – im Alter von 82 Jahren verstorben: Herr Dr. med.

Hein-rich Huebschmann. Von 1968 bis 1981 hatte er den Lehrauftrag für Sozialmedizin am DWI inne. Bis kurz vor seinem Tod behandelte er noch private Patienten in seiner eigenen Handschuhsheimer Praxis. Bei den Institutsabenden und Sommerfesten des DWI war er bis in sein Todesjahr zu Gast. Die-se rund drei Jahrzehnte Verbundenheit mit dem In-stitut sind Grund genug, auf die Person und das Werk von Heinrich Huebschmann erinnernd zurück-zublicken.1

Der Verstorbene wurde am 17. Mai 1913 in Leip-zig als Sohn eines Pathologieprofessors geboren.

Im Jahre 1923 verzog die Familie nach Düsseldorf, wo er das Gymnasium besuchte und 1931 das Abitur machte. Zum Medizinstudium ging er zu-nächst nach Genf und dann nach München. Dort legte er 1936 sein Staatsexamen ab und wurde 1937 approbiert. Im Jahre 1938 erhielt er einen Ruf an das Kaiser-Wilhelm-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg (heute: Max-Planck-In-stitut). 1939 wurde er zum Militärdienst eingezogen.

Daß er bald darauf – von einem Asthmaleiden ge-plagt – entlassen wurde, deutete er später autobio-graphisch folgendermaßen: „Meine Bronchien hin-derten mich daran, mich auf einen Krieg vorzuberei-ten, den ich nicht bejahen konnte. Sie waren klüger als mein Kopf, der die Soldatenpflicht erfüllen woll-te. Eine Art Körperstreik.“2Auch setzte sich Heinrich Huebschmann mit den nationalsozialistischen Ver-brechen auseinander.3So fungierte er jahrelang als medizinischer Gutachter bei den ’Wiedergutma-chungsprozessen’ für Opfer des NS-Regimes. Seit der Jahresmitte 1940 wurde der junge, ’untaugliche’

Arzt als notdienstverpflichteter ’Hilfskassenarzt’ in Neckargemünd eingesetzt wie vorher bereits in verschiedenen anderen Praxen der Umgegend. Aus sechs Jahren Erfahrung als Landarzt hat Heinrich Huebschmann wichtige Schlüsse gezogen, die er später z.B. unter dem Schlagwort „Dialog als Thera-pie“4theoretisch verarbeitete.

Mit seiner Berufung als Assistent an die Ludolf-Krehl-Klinik in Heidelberg durch Richard Siebeck Ende 1945 begann für Huebschmann ein neuer Lebensabschnitt. Er wurde Schüler von Viktor von Weizsäcker, den er bereits 1938 kennengelernt hatte und in dessen Haus er später verkehrte, so-wie von Siebeck und Wilhelm Kütemeyer. Letzterer war sein Vorgänger als Lehrbeauftragter für Sozial-medizin am DWI. Mit diesen Kontakten war der zweiunddreißigjährige Arzt mitten in den Kreis der

’Heidelberger Schule’ geraten, die einen psychoso-matischen Ansatz vertrat und „die Einführung des Subjektes in die Medizin“ (V. v.Weizsäcker) an-strebte. Das Verständnis von Krankheit als perso-nenbezogenes, sehr individuelles und deshalb stets spezifisches ’Kranksein’ (R. Siebeck) und die Er-kenntnis der Bedeutung der zwischenmenschlichen Beziehung von Arzt und Patient sowie die Neuent-deckung des Zusammenhangs von psychischen

und somatischen Entwicklungen und Symptomen in der Pathogenese beeinflußten Huebschmann zu-tiefst. Von Viktor von Weizsäcker übernahm er eine grundsätzlich medizinkritische Einstellung, wie er sie seinem Lehrer selbst zuschreibt: „Es gibt heute Psychotherapie, Psychoanalyse, Psychosomatik, Psychologie, Verhaltensmedizin, und das hatte auch Weizsäcker im Auge. Es ging ihm aber um mehr. Er wollte keine neuen Spezialgebiete neben der Körpermedizin sehen, sondern erstrebte eine Reform der Heilkunde von Grund auf mit einer ent-sprechend veränderten Praxis.“5 Huebschmann hatte während seiner ’Hilfskassenarzt’-Zeit Anfang der 1940er Jahre gelegentlich von Weizsäcker als Konsiliarius zu seinen Kranken geholt und dabei dessen überragende Fähigkeit kennengelernt, mit Menschen umzugehen, ihnen zuzuhören, sie auf-zubauen. Huebschmann sagte später einmal über seinen Lehrer: „Für mich war von Weizsäcker ein Meister der Dialogs. ... Ich versuchte, besonders in dieser Hinsicht von ihm zu lernen. Ist doch Sprache etwas, was jeder Arzt anwenden kann, was aber, soweit ich sehe, mit dem Fortschritt der chemischen und physikalischen Techniken immer seltener ge-schieht.“6

1948 bis 1952 leitete Huebschmann die Tuberkulo-sestation der Krehl-Klinik. Die Erkenntnisse dieser Zeit sind in seiner Studie „Psyche und Tuberkulo-se“7zusammengefaßt. Aus den dortigen Erfahrun-gen folgerte er, daß „Krankheiten und zwar nicht nur ’psychische’, sondern auch ’organische’, körper-liche Erkrankungen seelische und soziale Ursachen haben.“8Daraus entwickelte sich ein psychosozialer Ansatz für sein Therapiekonzept, der Huebschmann zu einem der Schulmedizin fremden Krankheits-begriff führte. Danach ist Krankheit zu verstehen als

„Form von Protest des Körpers gegen das malträ-tierte Selbst, als eine Art ’Körperstreik’ gegen Un-zumutbares, als körperlicher Versuch der Befreiung aus Zwangslagen, gegen die das Bewußtsein wehr-los ist.“9An anderer Stelle definiert er: „Krankheit ist ... nicht nur ein Schaden der Natur, sondern auch die Lokalisierung von verborgenen Sozialkonflikten im Leibe des Einzelnen.“10

Von diesem Krankheitskonzept ist es kein weiter Weg zum Therapieverfahren der „Erinnerungsmedi-zin“. Huebschmann hat diesen Begriff geprägt und ihn auch seit etwa 1980 in seinem Briefkopf geführt:

„Heinrich Huebschmann, Dr. med., Arzt für Innere und Erinnerungs-Medizin (Psychotherapie)“. Daß er seinen Doktortitel seinem Namen nach- und nicht voranstellt, hat sicher auch etwas mit seiner Auf-fassung des Arzt-Patienten-Verhältnisses zu tun, bei dem es ihm um die sehr persönliche Begegnung zwischen zwei Menschen und weniger um eine Fachmann-Hilfsbedürftigen-Hierarchie ging. Seine Erinnerungsmedizin hat er im Oktober 1994 der 101. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin 1995 mit folgendem „Abstract“ als ’freien

88 Nachrichten aus dem Diakoniewissenschaftlichen Institut

Beitrag’ angeboten. Die ausgefallene gereimte Form zeigt ebenso wie der Inhalt, wie wichtig Huebschmann die Sprache war und was er unter seinem genuinen Ansatz verstand:

„ERINNERUNGS-MEDIZIN ...

Was ist Innere Medizin?

Wissenschaft von Innereien, die wir wie ein Glas Urin

schütteln, untersuchen, seihen?

Es ist völlig unbestritten, daß es ohne das nicht geht.

Aber was ein Mensch erlitten, offenbart sein Alphabet.

Sein Erinnern, was und wie, das gehört zur Therapie.

Ist das „Psychoanalyse“?

Wird die „Seele aufgelöst“?

Wie so eine Art Gemüse, das an die Organe stößt?

Ana-tomie? Ana-mnese!

Auch der Leib erinnert sich!

Eine bloße Hypothese?

Nein, es geht um dich und mich, mich, den Arzt, und dich, den Kranken, die wir beide Menschen sind:

Beide sind wir voll Gedanken, aber beide etwas blind.

Wenn wir Ärzte untersuchen, fällt dem Kranken oft was ein.

Auch wenn wir Befunde buchen, sollen wir da wachsam sein.“11

Nachdem Richard Siebeck emeritiert war, über-nahm dessen Nachfolger Heinrich Huebschmann nicht. Folglich eröffnete er zusammen mit seiner Gattin, Frau Dr. med. Eva Huebschmann, eine Praxis in Heidelberg-Handschuhsheim. Hier sam-melte er weitere Erfahrungen mit Innerer Medizin und Psychotherapie, hier konnte er das bei von Weizsäcker und Siebeck Gelernte umsetzen und weiterführen. Huebschmann wollte auch theoretisch weiterarbeiten und reichte seine Habilitationsschrift über die psychosozialen Bedingungen des Herz-infarktes ein, die 1974 unter dem Titel „Krankheit – ein Körperstreit“12publiziert wurde. Doch die Habili-tation wurde im Gefolge der herrschenden naturwis-senschaftlich orientierten schulmedizinischen Mei-nung abgewiesen. Neben seiner Arztpraxis wirkte der Erinnerungsmediziner lange Jahre in der Ehe-beratungsstelle des Evangelischen Gemeindedien-stes Heidelberg mit. Von Herbert Krimm und Paul Philippi wurde er als Lehrbeauftragter für „Sozial-medizin“ an das DWI berufen. Das spornte ihn an, sich stärker mit theologischen Fragen auseinander-zusetzen und die beiden Wissenschaften Medizin und Theologie füreinander fruchtbar zu machen. Er verstand die urchristliche Gemeinschaft der Heili-gen als heilende Gemeinschaft, die auch

körperli-che Heilung als genuin geistlikörperli-che Aufgabe sah.

Demgegenüber warf er der zeitgenössischen Theo-logie eine gewisse „Leibvergessenheit“ vor, auf die die Medizin mit ihrer „Körperbesessenheit“ reagiert habe.13

Huebschmann hat die sozialen Probleme der Zeit in den verschiedenen kranken Menschen patholo-gisch manifestiert gefunden und sie – wie es einem guten Arzt ziemt – am Individuum, z.T. unter syste-mischer Einbeziehung von Dritten, zu therapieren gesucht. Zugleich hat er sich immer wieder als Therapeut an einer fehlgeleiteten, rein naturwissen-schaftlich orientierten Medizin verstanden und ist so zum medizinpolitischen Diakoniker geworden. Ich habe ihn im hohen Alter als einen ausgesprochen gebildeten und interessanten Menschen kennen-lernen dürfen, der nach dem Tod seiner Frau am 9.

Februar 1995 noch sein Lebenswerk vollenden wollte: die Veröffentlichung eines Sammelbandes seiner verstreuten Publikationen, die Pnina Navè Levinson bereits am 28. Dezember 1993 in einem Brief an Heinrich Huebschmann anregte. Leider kam es nicht mehr zur Herausgabe des Bandes.

Doch lohnt sich die Lektüre der Huebschmann-schen Gedanken, die wir uns aus verschiedenen Bibliotheken zusammensuchen müssen, auch – oder besser gesagt gerade – heute allemal. Hein-rich Huebschmann wird allen, die ihn persönlich kannten, und allen seinen Leserinnen und Lesern als ein äußerst anregender Querdenker in Erinne-rung bleiben, der Medizin und Theologie kritisch zu einer Art psychosozialer Diakonik verband.

Anmerkungen:

1 Viele Anregungen zu diesem Rückblick habe ich dem Bei-trag von Hillard Smid, Er-Innern – Befreien – Heilen, Hein-rich Huebschmann zum 80. Geburtstag, in: DWI-Info Nr. 27, 1993/94, 15-19, zu verdanken. Vgl. auch das Foto vom DWI-Sommerfest 1995 in diesem Info, 122.

2 Heinrich Huebschmann, Von der Wirksamkeit des Somati-kers auf die Psyche des Kranken, in: M. Zielke u.a. (Hg.), Die Entzauberung des Zauberbergs. Therapeutische Strate-gie und soziale Wirklichkeit. Rahmenbedingungen der the-rapeutischen Arbeit und deren Bedeutung für die klinische Praxis, Dortmund 1988, 218.

3 Heinrich Huebschmann, Vom Geist im Leibe – Eine Lehre aus dem Holocaust. Vortrag auf einem Kongreß des Inter-nationalen Kollegs für Psychosomatische Medizin in Jeru-salem (September 1979), in: Junge Kirche 42, 1981, 538 ff.

4 Vgl. etwa Heinrich Huebschmann, Dialog als Therapie, ÖZS 10, 1985, 206 ff.

5 Heinrich Huebschmann, Verstehen und Heilen, in: Zeitwen-de 58 (1987), 1-4. 1.

6 Podiumsgespräch: Viktor von Weizsäcker – heute, Modera-tion: P.Hahn, Gesprächsteilnehmer: P.Achilles, W. Bräuti-gam, H. Huebschmann, W. Jacob, D. Janz, M. Kütemeyer, M. von Rad, M. Siirala, Th. von Uexküll, E. Wiesenhütter, in:

Viktor von Weizsäcker zum 100. Geburtstag. Beiträge zum Symposion der Universität Heidelberg (1.-3.5.1986), hg.v.

P. Hahn und W. Jacob, Berlin u.a. 1987.

7 Heinrich Huebschmann, Psyche und Tuberkulose, Stuttgart 1952.

8 Heinrich Huebschmann, Eine Art seelischer Kernenergie im Kranken selbst. Hilfe zur Selbsthilfe bei körperlich Kranken, in: Blätter der Wohlfahrtspflege 127 (1980), 7 ff.: 8.

9 Heinrich Huebschmann, Von der Wirksamkeit des Somati-kers auf die Psyche des Kranken, a.a.O., 219.

10 Heinrich Huebschmann, Die heilende Wirksamkeit einer Wir-Gemeinschaft, in: Weltweite Hilfe 31 (1981), Sonderteil WH 2/1981: Psychosoziale Medizin, II/2 ff. II/7.

11 Aus einer Photokopie des Originalantrags von Heinrich Huebschmann für die 101. Tagung der Deutschen Gesell-schaft für Innere Medizin 1995 vom 4. Okt. 1994, die Herr Huebschmann mir Mitte 1995 gab.

12 Heinrich Huebschmann, Krankheit – ein Körperstreit. Le-benskonflikte und ihre Bewältigung, Freiburg i.Br. u.a. 1974.

13 Vgl. Heinrich Huebschmann, Die heilende Wirksamkeit einer Wir-Gemeinschaft, a.a.O., II/7.

Volker Herrmann

Im Dokument DWI-INFO Nr. 30 ISSN 0949-1694 (Seite 92-95)