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Innovation: Geschlossene Kerne, kontrolliert geöffnete Peripherien

Letzteres ist ein Hinweis auf eine nach wie vor starke inhouse-Orientierung der Kon-zerne vor allem im Bereich der Forschung und Entwicklung, die lediglich fallweise durch strategische Allianzen ergänzt wird, welche allerdings vor allem wettbewerbs-politisch motiviert sind (z.B. mit Automobilkonzernen im Bereich vernetzter Autos oder zwischen Apple und IBM im Bereich der mobilen IT-Ausstattung für Unter-nehmen).

Generell ist es für Wirtschaftssektoren, die sich durch oligopolistische Strukturen und starke Innovationsdynamiken auszeichnen, typisch, dass die Konkurrenz dort vor allem anderen über die Erzielung von Forschungsvorsprüngen und die schnelle Vermarktung von Innovationen ausgetragen wird:

„Oligopolies which have at least a few firms are characterized by relatively fierce competitive intensity, especially on dimensions other than price. Further, in in-dustries characterized by rapid technological progress, competition in research is likely to be the primary basis of competition.“ (Ahuja et al. 2008: 22, hier: 11) Das trifft für das kommerzielle Internet in besonderem Maße zu:

„R&D is the central input of production, not merely an episodic activity that af-fects the production process. Put differently, the R&D process and the produc-tion process are essentially the same thing for many products and services rela-ted to the Internet and digital platforms.“ (Shelanski 2013: 1685)

Von daher ist es nicht verwunderlich, dass alle Internetkonzerne ausgesprochen for-schungsintensiv sind, über große konzerneigene Forschungs- und Entwicklungszen-tren verfügen und dort einen wesentlichen Teil ihrer Mitarbeiter beschäftigen. Im Ge-schäftsjahr 2013 gaben Google, Facebook, Amazon, Apple und Microsoft zusammen etwa 28,4 Mrd. US-$ für Forschung und Entwicklung aus (Tab. 1) – das entspricht gut 40% der internen FuE-Aufwendungen, die 2013 in der gesamten deutschen Wirt-schaft getätigt wurden (Stifterverband für die deutsche WissenWirt-schaft 2013).

Das zentrale Merkmal der Organisierung ihrer Forschungs- und Entwicklungsaktivi-täten ist nicht nur eine starke inhouse-Orientierung, sondern auch das, was seit ge-raumer Zeit etwas despektierlich als closed innovation (Chesbrough 2003, 2003a;

West et al. 2014) bezeichnet wird: Eine Politik der Eigenentwicklung sowie der strikten Abschottung und Geheimhaltung strategischer FuE-Projekte. Ein wesentli-cher Teil der Produkte und Dienste, die das Internet heute prägen und mit denen die Nutzer in schneller Folge konfrontiert werden, kommt aus ihrer internen Forschung und wird von ihnen unter Bedingungen strenger Geheimhaltung selbst (weiter-)ent-wickelt und produziert – etwa der Search Algorithm von Google, der Social Graph von Facebook und die Softwarepakete von Microsoft, die Datenauswertungs- und Werbesysteme von Google und Facebook, die Betriebssysteme von Apple und Microsoft, die Gerätefamilien von Apple und Amazon, die Cloud-Dienste von Apple, Amazon und Google oder die Beststell- und Logistiksysteme von Amazon. Dort, wo know-how für Eigenentwicklungen fehlt, setzen die Konzerne wie gesehen vor allem auf Akquisitionen von Technologiefirmen mit entsprechenden Ressourcen – und da-neben immer wieder auch auf die zum Teil intensive Abschöpfung von Software-Entwicklungen, die im Rahmen von Open-Source Communities entstanden sind.

Stellvertretend für die anderen Konzerne begründet Microsoft (2014: 8) die starke interne Ausrichtung der Forschung und Entwicklung folgendermaßen:

„We develop most of our products and services internally. Internal development allows us to maintain competitive advantages that come from product differenti-ation and closer technical control over our products and services. It also gives us the freedom to decide which modifications and enhancements are most im-portant and when they should be implemented. We strive to obtain information as early as possible about changing usage patterns and hardware advances that may affect software design. Before releasing new software platforms, we pro-vide application vendors with a range of resources and guidelines for develop-ment, training, and testing. Generally, we also create product documentation in-ternally.“

Und ebenso stellvertretend für die anderen Konzerne weist Google (2010: 16) auf die große Bedeutung von Vertraulichkeit und Geheimhaltung in der konzerneigenen Forschung und Entwicklung hin, zu der sowohl die Beschäftigten des Unternehmens als auch Dritte rigoros verpflichtet werden:

„We rely on a combination of patent, trademark, copyright, and trade secret laws in the U.S. and other jurisdictions as well as confidentiality procedures and contractual provisions to protect our proprietary technology and our brand. We also enter into confidentiality and invention assignment agreements with our employees and consultants and confidentiality agreements with other third par-ties, and we rigorously control access to proprietary technology.“

Den Kern des Innovationsmodells aller hier untersuchten Internetkonzerne bildet eine starke interne Ausrichtung ihrer Forschung und Entwicklung sowie eine zum Teil ex-treme Abschottung der dortigen Aktivitäten. Die erfolgreiche Entwicklung und Ver-marktung proprietärer Innovationen ist auf den Internetmärkten die zentrale Grundla-ge für die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen Grundla-geGrundla-genüber Mitkonkurrenten. Dazu setzen alle Konzerne auf eine möglichst umfassende Geheimhaltung und Kontrolle ihrer unternehmensstrategisch relevanten Forschungsaktivitäten und Innovationspro-jekte sowie eine möglichst weitreichende Absicherung der geistigen Eigentumsrechte an ihren Produkten und Diensten (Trott/Hartmann 2009; Braun/Herstatt 2008).

Gleichzeitig gibt es allerdings auch kontrollierte Öffnungen an den Rändern dieses geschlossenen Modells – vor allem in Form von Beziehungen der Internetkonzerne zu Open-Source Communities und im Rahmen der konzerneigenen App Stores.

Alle Internetkonzerne profitieren seit langem von der Adaption von Software-Ent-wicklungen, die im Zusammenhang von Open Source Communities wie Linux, Mo-zilla oder Apache vorangetrieben worden sind (Lerner/Tirole 2002). Open Source Software ist Bestandteil vieler Bereiche von Betriebssystemen (wie OS X und iOS von Apple oder Android von Google) und Servern, von Geräten (wie dem iPhone von Apple oder dem Kindle von Amazon), von Tools für externe Entwickler und vorin-stallierten Apps auf mobilen Geräten oder der Cloud-Dienste, die die Internetkonzer-ne anbieten.5 Entsprechend wichtig sind für sie der Zugang und das systematische Sichten des weit gestreuten Wissens, das in den verschiedenen Open Source Commu-nities generiert wird. Zu diesem Zweck beschäftigen die Konzerne in ihrer Forschung eine nicht unerhebliche Zahl an Mitarbeitern, die mit Open Source Entwicklungen be-fasst sind und in Open Source Communities arbeiten, nehmen über ihre Beschäftigten an den großen Entwicklerkonferenzen der Gemeinschaften teil und tragen auch zur Finanzierung von Open Source Projekten und der Stiftungen bei, die als Klammer der etablierten Gemeinschaften dienen (West/O’Mahoney 2008). Die Mozilla Foundation beispielsweise wird maßgeblich von Google finanziert, zu den Hauptsponsoren der Apache Software Foundation gehören Google, Yahoo, Microsoft und Facebook als Platinum-Mitglieder mit Spenden von mehr als 100.000 US-$ pro Jahr, und die Linux Foundation wird von zahlreichen Großunternehmen finanziell unterstützt, unter ihnen Google, Amazon, Yahoo, Twitter, Samsung und Nokia.

Dahlander und Gann (2010) bezeichnen dies treffend als inbound innovation sour-cing: Die Unternehmen verschaffen sich mit ihren Aktivitäten im Open Software

5 So weist Google selbst auf „the vital role that open source software plays at Google“ hin (https://developers.google.com/open-source/) und Apple betont: „Open Source development [is] a key part of its ongoing software strategy”. (https://www.apple.com/opensource/). Auch Amazon

„uses tons of Linux, not only to power all the servers that it uses for retail but also for Amazon Web Services – and in its own Kindle Device, which is by all accounts selling like hot-cakes.“ (Brockmeier 2011)

reich unterhalb formalisierter und vertraglich geregelter Kooperationsbeziehungen und mit vergleichsweise geringen Gegenleistungen Zugriff zu einem weiten Spek-trum an externen Ideen und Wissensbeständen, die sie für ihre interne Forschung und Entwicklung abschöpfen und nutzbar machen – und zeichnen sich zum Teil auch durch das aus, was West und Lakhani (2008) als „parasitic actions by firms“ be-zeichnet haben. Vor allem Amazon ist ein Unternehmen, das „harvests code from vast fields of open-source software while obscuring its code donations and distancing itself from the wider world of computing“ (Clark 2014).

Kontrollierte Öffnungen gibt es auch im schnell wachsenden Bereich von Software-anwendungen, die auf mobile Geräte zugeschnitten sind und als Apps bezeichnet werden. Ohne ein breitgefächertes Angebot an Apps lassen sich mobile Geräte heute nicht mehr verkaufen. Die zentralen Drehscheiben für die Verbreitung mobiler An-wendungen sind Google und Apple, die mit jeweils weit über einer Million Apps die mit Abstand größten App-Stores unterhalten. Daneben ist auch Amazon mit einem eigenen App-Store, der über eine Viertelmillion Apps bereithält, in diesem Feld aktiv.

Es ist offenkundig, dass nur ein Bruchteil der zahllosen Apps aus der eigenen Ent-wicklung kommen kann und die Konzerne in diesem für sie neuen Feld auf die Ar-beit zahlloser externer Entwickler und Firmen angewiesen sind. Sie haben sich im Bereich der Mobile Apps in einer für sie bislang ungekannten Weise auf Drittanbie-ter einzulassen und dort das Verhältnis von Kontrolle und dezentralen Spielräumen der Kreativität neu auszubalancieren (Eaton et al. 2011; Schreyögg/Sydow 2010).

Die notwendigen Öffnungen ihres Innovationsmodells, die die Internetkonzerne in diesem Bereich eingehen müssen, gehen allerdings mit rigiden Kontrollstrategien einher. Der App-Markt selbst ist nicht in einem bottom-up-Prozess und getragen von zahllosen Entwicklern entstanden, sondern top-down von Apple und Google aufge-baut und etabliert worden. Die Konzerne koordinieren und überwachen ihre App Stores, definieren die dortigen Zulassungskonditionen und Preisstrukturen, geben die Kriterien vor, die eine Anwendung erfüllen muss, um dort verkauft werden zu kön-nen, entfernen Angebote, die ihnen nicht opportun erscheinen oder als politisch in-korrekt eingestuft werden, bestimmen mit ihren unterstützenden Software Develop-ment Kits sowohl das Aussehen als auch die Nutzungsprinzipien der Apps mit und tragen durch die Such-Algorithmen in ihren Stores wesentlich zum Erfolg oder Misserfolg von Angeboten bei. Darüber hinaus dienen ihnen auch ihre App-Stores als großer Ideenpool, aus dem sie gegebenenfalls für den Eigenbedarf schöpfen kön-nen. Apple und Google haben in den letzten Jahren immer wieder neue Anwen-dungsideen ohne Beteiligung der originären Schöpfer in ihre eigenen Produkte inte-griert oder vielversprechende Markteinsteiger übernommen. So hat Google die Apps Flutter (Bewegungskontrolle), Sparrow (E-Mail-Client) und Waze (Social GPS) ge-kauft; Apple hat Siri (Sprachsteuerung), Cue (Personal Assistant) und Spotsetter (Social Maps) erworben (Dolata/Schrape 2014; Tab. 3).

Die Internetkonzerne nehmen ihre Umwelten also durchaus wahr und sind in der Lage, externe Innovationsimpulse systematisch aufzugreifen und für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Sie beobachten sehr genau, was in den Open Source Communities geschieht, arbeiten selbst an Open Source Projekten, greifen in nicht unerheblichem Maße auf dort entstandene Software und know-how zurück, überlassen Entwicklungsaktivitäten dann, wenn ihre eigenen FuE-Kapazitäten an offenkundige Grenzen stoßen, externen Entwicklern und Firmen und durchforsten ebenso regelmäßig wie systematisch das weite Feld von Start-up Firmen nach interessanten Übernahmekandidaten.

Eine nachhaltige Öffnung ihres im Kern geschlossenen Innovationsmodells ist mit alldem aber nicht verbunden. Sein wesentliches Charakteristikum ist eine nach wie vor starke Konzentration auf Eigenentwicklungen, die vornehmlich in den nach au-ßen abgeschotteten konzerneigenen Forschungs- und Entwicklungszentren stattfin-den. Damit weicht das Innovationsmodell der Internetkonzerne deutlich von den für andere Hochtechnologie-Sektoren typischen Mustern kollaborativer Technik- und Produktentwicklung ab. Das, was in den 1990er Jahren breit als Networks of Innova-tors diskutiert wurde – „The locus of innovation will be found in networks of learn-ing, rather than in individual firms“ (Powell et al. 1996: 116; auch Freeman 1991;

Nohria/Eccles 1992; Pittaway et al. 2004; Powell/Grodal 2005) – und seit Anfang der 2000er Jahre unter dem Etikett Open Innovation recycelt wird – „a distributed innovation process based on purposively managed knowledge flows across organiza-tional boundaries“ (Chesbrough/Bogers 2014: 4; auch Chesbrough 2003, 2003a;

West et al. 2014) – lässt sich für die Internetkonzerne bislang nicht bestätigen.