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Informelles und selbstgesteuertes Lernen

2.1 Empirische Weiterbildungsforschung

2.1.2 Arbeitsplatzbezogenes Lernen

2.1.2.3 Informelles und selbstgesteuertes Lernen

verstan-den, ist nichts grundlegend Neues. Aber Entwicklungen wie die Dynamisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt, die Unzufriedenheit mit „traditionellen“

Lehr- und Lernarrangements, Veränderungen von Lernkulturen („von Wissens-vermittlern zu Lernbegleitern“) und steigende Ansprüche an Transfererfolge, eine abnehmende Bereitschaft zur Investition in Training und Personalentwicklung und die Verfügbarkeit von neuen Technologien zur Unterstützung von Kommunikation und Zusammenarbeit (Social Media) haben dazu beigetragen, dass informelles Lernen ein wichtiges Thema geworden ist. Zudem verspricht man sich durch informelle Lernformen ein Lernen in vernetzten (internen und externen) Struk-turen. Eben diese scheinen im Zuge der digitalen Transformation angemessen,

2.1 Empirische Weiterbildungsforschung 41 um durch den Aufbau von Expertennetzwerken mittels Twitter, LinkedIn oder Xing einen hochwertigen Informationskanal zu generieren, der den immer neuen Wissensbedürfnissen am Arbeitsplatz „on Demand“ gerecht werden kann.

In diesem Zusammenhang wird oft das derzeit sehr beliebte 70:20:10 Modell aufgeführt, das durch den bekannten Corporate-Learning-Berater Charles Jen-nings bekannt wurde (Singh, 2014).

Abbildung 2.1 Das 70:20:10 Modell (Eigene Darstellung nach C. Jennings)

Das Modell geht zurück auf die Autoren Michael M. Lombardo und Robert W. Eichinger, die 1996 in einer Publikation erstmals darüber berichteten, dass das Lernen am Arbeitsplatz einen viel größeren Stellenwert einnimmt als bisher angenommen (Lombardo & Eichinger, 1996). Durch die konsequente Anwendung im Beratungsalltag konnte Charles Jennings weitere praxisorientierte Erfahrungen sammeln, die er seither auf seinem Weblog veröffentlicht (Jennings, 2017). Wis-senschaftliche Befunde bzw. Publikationen, die das Modell validieren, gibt es nicht.

Im Kern geht es bei dem 70:20:10 Modell darum, dass das betriebliche Ler-nen zum Großteil am Arbeitsplatz im Arbeitsprozess direkt stattfindet. Dabei wurde eine Faustregel entwickelt, wonach 70 % des Lernens informell direkt am Arbeitsplatz stattfindet, 20 % des Lernens über sozialen Austausch erfolgt und lediglich 10 % auf formale Weiterbildungsangebote zurückzuführen ist (vgl.

Abbildung2.1).

42 2 Interdisziplinäre Grundlagen aus Pädagogik, Informatik … Das 70:20:10 Framework soll dabei unterstützen, informell erlangte Kenntnisse und Fähigkeiten am Arbeitsplatz zu fördern, indem bei der Gestaltung von betrieb-lichen Lernprozessen insbesondere auch informelle Lernsettings und -formate in die Weiterbildungsarbeit einbezogen werden. Jennings betont dabei, dass es sich bei der zahlenmäßigen Zuordnung um keine absoluten bzw. validen Zuordnungen handelt, sondern dass es sich hierbei um Erfahrungswerte handelt, die er über die eigene Weiterbildungspraxis erlangt hat.

Formen arbeitsintegrierten und informellen Lernens spielen jedoch seit jeher eine große Rolle in der betrieblichen Weiterbildung. Die institutionalisierte Wei-terbildung ist nur „das Tüpfelchen auf dem i“ (Dunkel 1976, S. 10). Insofern sind auch aktuelle Publikationen zum Thema im Vergleich zur „traditionel-len, formalen Weiterbildung“ nicht unbedingt neu (vgl. Staudt & Kriegesmann 2000, S. 39, Erpenbeck & Von Rosenstiel, 2011), liefern aber relevante und insbesondere aktuelle Empfehlungen hinsichtlich einer kompetenzorientierten Weiterbildung im digitalen Zeitalter. So formulieren Erpenbeck & Sauter (2013) acht konkrete, didaktische Empfehlungen im Kontext eines Blended-Learning Szenarios, welches besonders dazu geeignet ist, formale Weiterbildungseinheiten mit informellen, selbstgesteuerten Lernphasen am Arbeitsplatz zu verschränken:

1. Individuelles, selbstorganisiertes Lernen: Die Lerner organisieren ihre Lern-prozesse im Rahmen der vereinbarten Ziele selbstverantwortlich.

2. Organisation und Flankierung durch E-Tutoren bzw. E-Coaches und Trai-ner*innen: Die Lernbegleiter planen und steuern vor allem die formellen Lernprozesse und unterstützen die Lerner in ihren informellen Lernprozes-sen. Sie geben den Lernern regelmäßig Feedback und helfen ihnen, ihre Lernprozesse laufend zu optimieren.

3. Problemlösung statt Pauken von Wissen: Der Lernprozess integriert Transfer-aufgaben und reale Problemstellungen, die die Lerner in ihrer Arbeitswelt zu bewältigen haben.

4. Strukturierungshilfen für individuelles Lernen: Für jede Selbststudienphase werden im jeweils vorhergehenden Seminar verbindliche Vereinbarungen über die Gestaltung der selbstorganisierten Lernphase getroffen.

5. Rückmeldungsstrukturen: Lernen ist dann besonders effizient, wenn die Ler-ner laufend Rückmeldungen über ihren Lernprozess und ihre Lernleistungen erhalten. Die Rückmeldungen erfolgen grundsätzlich auf zwei Ebenen:

a. Bei standardisierten Aufgaben, z. B. Multiple Choice, Drag and Drop oder Rechenaufgaben, automatisiert über das Lernprogramm.

2.1 Empirische Weiterbildungsforschung 43 b. Offene Aufgaben, z. B. Reflexionen, entscheidungsorientierte Fallaufgaben, Fallstudien oder Transferaufgaben, erlauben keine automatische Bewer-tung der Lösungen. Es wird deshalb eine Kommunikationsplattform mit E-Portfolio und Learning Community benötigt, die eine entsprechende Kommunikation auch dann zulässt, wenn die Lerner auf verschiedene Orte verteilt sind.

6. Vergleichsmaßstäbe: Die Arbeitsergebnisse anderer Lerner werden netzba-siert zur Verfügung gestellt. Damit kann der Lerner sehen, wie weit er von deren Leistungen entfernt ist. In der Learning Community sowie in Work-shops können Arbeitsergebnisse aus der Lerngruppe präsentiert und diskutiert werden.

7. Lernwegflankierung durch Tandems: Diese soziale Flankierung ist eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiche Lernprozesse. Eine besonders bewährte Form ist der Zusammenschluss zweier Lerner zu einem Lerntan-dem. Hierbei unterstützen sich die Lerner in der Tandemarbeit emotional, motivational und lernstrategisch.

8. Lernwegflankierung durch Kleingruppen: Tandemarbeit reicht nach unseren Erfahrungen im Regelfall nicht aus, um den Lernerfolg im Sinne der Kompe-tenzentwicklung zu sichern. Notwendig ist eine weitere soziale Flankierung in Kleingruppen, da Gruppen mehr Motivierungsmöglichkeiten und mehr Korrekturmöglichkeiten haben als Einzelpersonen.

Die dargestellten Empfehlungen lassen direkte Bezüge des informellen und selbst-gesteuerten Lernens am Arbeitsplatz erkennen, wobei zugleich eine Verschrän-kung von informellen und formalen Lernformate in Form von Blended-Learning gelingt. Entsprechend gibt es umfassende theoretische Konzepte, auf Basis derer eine „erfolgsversprechende“ Gestaltungsarbeit aufbauen kann.

Kritik an diesen Konzepten resultieren vielfach über eine nicht strukturierte und systematische Konzeption im Vorfeld. Arbeitsplatzbezogene Weiterbildungs-maßnahmen müssen über den Status eines „learning by doing“ hinausgehen (Wittwer, 2001). Arbeitsplatzbezogenes Lernen verlangt nach entsprechenden Rahmenbedingungen, nach einer Lerninfrastruktur am Arbeitsplatz, die es den Beschäftigten ermöglicht, bewusst und effizient zu lernen (vgl. Abbildung 2.2).

Nur auf dieser Grundlage sind Beschäftigte in der Lage, das neuerworbene Wissen bzw. die neuen Fähigkeiten und Fertigkeiten in anderen Situationen anzuwenden (Stichwort Transfer). Die betriebliche Weiterbildung muss hier zusammen mit den Fachabteilungen die Arbeitsplätze arbeitsorganisatorisch und -inhaltlich so gestalten, dass ein Lernen im Arbeitsprozess aktiv unterstützt wird.

44 2 Interdisziplinäre Grundlagen aus Pädagogik, Informatik …

Abbildung 2.2 Arbeitsplatz als Lernplatz (Quelle: Nach Wittwer, 2001)

Auch Straka (2001) verweist auf die Bedeutsamkeit des selbstgesteuerten Ler-nens von Mitarbeiter*innen und einer direkten Beziehung zu den erlebten Umge-bungsbedingungen am Arbeitsplatz. Das in diesem Zusammenhang auftretende Problem, wie in einer nach wie vor fremdbestimmten Arbeitswelt Selbststeue-rung von Lernprozessen überhaupt möglich ist bzw. welche Dimensionen dabei erreicht werden können, ist laut Straka noch weitgehend ungeklärt.

Als Unterstützung des selbstgesteuerten Lernens am Arbeitsplatz formulie-ren die Autoformulie-ren Sauter & Sauter (2013) konkrete Lösungsvorschläge, die auf einer Anwendung neuer Medien sowie dem Einsatz moderner Lerntechnologien beruhen. Damit wird es möglich, die selbstgesteuerten Lernprozesse strate-gisch zu begleiten und aktiv zu fördern. In diesem Kontext beschreiben sie das Konzept einer persönlichen Lernumgebung. Hierbei können die Lernen-den sich eine personalisierte Lern-Infrastruktur selbst entwickeln. Persönliche Lernumgebungen (engl.: Personal Learning Environment (PLE)) sind individu-elle und cloudbasierte, nach den persönlichen Interessen und Bedürfnissen des Lernenden gestaltete Lernlandschaften, in die sie online Informationen, Erfah-rungswissen, Ressourcen oder Kontakte integrieren und Ergebnisse ihrer formalen und informellen Lernprozesse auf der Basis von Standards speichern können.

Aufbauend auf den formulierten Herausforderungen arbeitsplatzbezogenen Lernens wird im Folgenden eine Arbeits- und Lerninfrastruktur vorgestellt, die die

2.1 Empirische Weiterbildungsforschung 45 notwendigen Rahmenbedingungen für selbstgesteuerte Lernprozesse am Arbeits-platz herstellen kann. Dabei wird das Konzept einer persönlichen Lernumgebung detaillierter erläutert, um eine sich anschließende technologische Weiterentwick-lung skizzieren zu können, die sich auf adaptive und ubiquitäre Lernformen bezieht und somit ideale Anknüpfungspunkte für eine mögliche Anwendung des Internet der Dinge auf Lehr- und Lernprozesse liefert.