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IIp6<f>aoic in der griechischen Literatur vor Thukydides

n. Der Prophasisbegriff als Indiz für die Anwendung des medizinischen Aitiologiekonzeptes bei

1. IIp6&lt;f&gt;aoic in der griechischen Literatur vor Thukydides

Der Forschungsbericht hat gezeigt, daß das mit dem Prophasisbegriff in Thuk. I 23, 6 verbundene Problem bisher nicht in zufriedenstellender Weise gelöst werden konnte. So versucht ein Teil der Erklärer die Stelle I 23, 6 unter mehr oder minder großen Schwierigkeiten in das allgemeine Schema von 7rp6<{>a(jic = „Vorwand", „Rechtfertigung", einzuordnen. A n -dere wiederum werten diesen Begriff als Indiz für eine Verbindung des Thukydides zur Medizin, ihre Erklärungsversuche sind aber vor allem darin unzulänglich, daß sie den angeblich medizinischen Fachausdruck nicht eindeutig gegen den eben erwähnten landläufigen Prophasisbegriff ab-grenzen. Durch diese Unscharfe entziehen sie jedoch ihrer Hypothese unweigerlich die Argumentationsbasis. Die Frage, ob Thukydides diesen Terminus in demselben Sinn wie die hippokratische Medizin gebraucht, kann also nur dann eindeutig geklärt werden, wenn sich für das Corpus Hippocraticum und Thukydides eine Verwendungsweise nachweisen läßt, die von dem allgemein üblichen Wortgebrauch entschieden abweicht^.

U m den Unterschied dieser beiden zunächst hypothetisch vorausgesetzten Verwendungsweisen deutlich zu machen, ist es erforderlich, kurz auf Ge-brauch und Bedeutung von Trp6<|>a(jic im außermedizinischen Bereich bei den vorthukydideischen Autoren einzugehen.

In der frühgriechischen Literatur sind Belege für das Wort 7Tp6<f>a(Tic nicht allzu häufig. Die früheste Verwendung dieses Wortes findet sich in der Ilias, wo es an zwei Stellen (T 262 und T 302) vorkommt. Bei Hesiod und Ibykos begegnet Trp6<f>acric je einmal, bei Theognis zwei- und bei Pindar viermal.

Aischylos verwendet es überhaupt nicht. Häufiger wird das Wort erst ab der Mitte des 5. Jahrhunderts gebraucht. So steht es bei Herodot

zwanzig-1) Vgl. die methodische Inkonsequenz bei Weidauer, a.a.O., S. 19. Weidauer behauptet dort, auch Herodot verwende den Terminus TTp&^aoic in der »für die Hippokratischen Schriften und einige Stellen bei Thukydides neu gewonnene(n) Bedeutung" und wertet diesen „charakteristischen Gebrauch des Wortes" bei Herodot als „eine Bestätigung des an den Hippokratischen Schriften und Thukydides Beobachteten" (a.a.O., S. 19). Damit stellt Weidauer jedoch seine Hypothese, Thukydides verwende den Prophasisbegriff im medizinischen Sinne, wiederum in Frage.

mal, bei Sophokles einmal, bei Euripides neunmal und bei Aristophanes elfmal2 ). Bei dem Redner Antiphon, einem Zeitgenossen Herodots, ist es achtmal belegt, einmal begegnet es in einem Elegienfragment (1, 2 Diehl) des eben dieser Zeit angehörigen Dichters Ion von Chios3 ).

Versucht man, die Bedeutung von Trp6(J>acric bei diesen Autoren zu erfassen, so wird man weitgehend mit dem Wortfeld „Vorwand", „vorge-schützter Grund", „Rechtfertigung" auskommen. Wie semantische Unter-suchungen gezeigt haben"0, gehört Trp6c{>aaic dem Bereich der Rede, des X6yoc an und dient dazu, das eigene Verhalten, falls es unter Umständen erfolgt, die zu einem In-Frage-Stellen desselben fuhren können, einer Öffentlichkeit gegenüber als begründet hinzustellen^. Die Verbindung mit dem Bereich des Subjektiven tritt vor allem an solchen Stellen zutage, worin TTp6<|>aaic ausdrücklich von dem tatsächlichen Grund abgehoben wird. Dies geschieht z.B. in Ii. T 302 oder in der Stelle aus den hesiode-ischen Frauenkatalogen (Frg. 204, 99 Merkelbach-West)6) durch eine mit

\ikv - 8£ kontrastierte Formulierung, während sich bei Herodot mehrfach die Gleichsetzung von TTp6<f>acnc mit updax^^0- T° u X6you findet, etwa in VI 133, 1, wo der Historiker von Miltiades berichtet, er sei gegen Paros gefahren: irpö^xzaiv f ° ^ üdpioi Ü7Tfjp£av irpÖTepoi urpaTev6[ievoi Tpifjpei kc MapaBcSVa ä\ia TO> IT^pcrn um anschließend festzustellen:

TOÜTO \ikv 8f) rrp6axriaa \6yov ?ji>.7) Die semantischen Beziehungen von Trp6<|>acric zum Bereich subjektiver Rede deuten zweifelsohne auf eine

2) Vgl. die Zusammenstellung der Belege bei A. Nikitas, Zur Bedeutung von trp6<f>a(Jic in der altgriechischen Literatur, Abh. d. Akad. d. Wiss. Mainz 1976/4. Nicht vollständig erfaßt sind diese Stellen von H.R. Rawlings, A Semantic Study of Prophasis to 400 B.C., S. 19 ff.

Rawlings verzeichnet z.B. nicht die Stelle in den pseudo-hesiodeischen Frauenkatalogen (Frg. 204, 99 ed. Merkelbach-West).

3) Die Stellen bei Antiphon behandelt erstmals L.S. Wilson, ITPOfrAZIZ and AITIA and its cognates in pre-Platonic Greek, S. 48 ff. Weder Nikitas noch Rawlings fuhren diese Stellen auf. Der Beleg bei Ion v. Chios ist in keiner der bislang einschlägigen Arbeiten be-sprochen.

4) Grundlegend sind die Studien von H.R. Rawlings (vgl. Anm. 2) und L.S. Wilson (vgl. Anm.

3). Diese Arbeiten gelangen in eingehender Interpretation und unter Vorführung reichen Materials zu tragfähigen Ergebnissen. Von einer erneuten Darstellung anhand der Textzeugnisse sei daher in den folgenden Ausführungen abgesehen.

5) Vgl. Wilson, a.a.O., S. 33; Rawlings, a.a.O., S. 28; A. Heubeck, IIp&fxKHC und kein Ende (zu Thuk. I 23), Glotta 58, 1980, S. 225.

6) Rawlings übergeht diesen Beleg. Zur Problematik dieser Stelle vgl. K. Stiewe, Die Entstehungszeit der Hesiodischen Frauenkataloge, Philologus 106, S. 291-299 sowie Philologus 107, S. 1-29 (Fortsetzung dieses Aufsatzes).

7) Ebenso Her. IV 167, 3.

etymologische Herleitung dieses Wortes von TrpÖTJyrpi h i n8 ), eine Ansicht, die bereits von antiken Kommentatoren vertreten wurde9 ).

Wilamowitz umschreibt Trp6<j>aaic in diesem Sinne treffend als <J>datc Trp6 TLVOC1 0 ), als eine Aussage, die für einen bestimmten Sachverhalt zur Er-klärung gegeben wird. Dieser Definition ordnen sich auch drei weitere Belegstellen bei Herodot e i nn ), die von dem bisher skizzierten Wortge-brauch dadurch unterschieden sind, daß Trpöcfxiaic nicht mehr die rein subjektive Rechtfertigung von Seiten der Beteiligten für ihr Verhalten be-zeichnet1 2^ sondern die Begründung, die der Erzähler zur Erklärung eines bestimmten Geschehens angeben kann. Da Herodot sich jedoch hierfür stets auf die von den Beteiligten vorgebrachte Rechtfertigung bezieht, bleibt auch die von ihm selbst gegebene irpötjxiaic weitgehend im Bereich

8) Vgl. auch A. Heubeck, a.a.O., S. 224: »Auf eine Ableitung des Nomen actionis prophasis (I) von TTpo - (fxivai deutet nicht weniger als alles." Ebenso Rawlings, a.a.O., S. 32: „...

points to a derivation from «fx^pl rather than (JWLIUÜ) for this lexeme as it appears in Homer, Pindar and Herodotus." L.S. Wilson, a.a.O., S. 20 ff.; H. Jones, Homeric Nouns in -sis, Glotta 51, 1973, S. 26 0rp6<f>a<jic bei Homer von TTp6<f>rm.i). Dagegen gibt Liddell-Scott-Jones, A Greek-English Lexicon, Oxford 91977, s.v. TTp6<)>aaic für sämtliche Belegstellen

die Herleitung von irpcxj>ali>ü) an. Ebenso vertritt J. Holt, Les noms d' action en -sis (-tis), Aarsskrift für Aarhus Universitet 13,1, Aarhus-Copenhagen 1941, S. 44 die Ansicht, daß Trp6<f>a<7tc (bei Homer) von iTpcxfxiivQ) abzuleiten sei. Ähnlich nimmt J. Lohmann, Das Verhältnis des abendländischen Menschen zur Sprache, Lexis III, 1, S. 24 für TTp6<f>acric die Grundbedeutung „Vorerscheinung" an. Sehr problematisch ist Lohmanns Erklärung von Her. VII 229, 2 (a.a.O., S. 23 f.).

9) Vgl. Eustathii Commentarii ad Homeri Iliadem, Tom. n, Leiden 1976, S. 723, 27: Aiö Kai

&c &TTÖ TOO 4x3, TÖ X£y<i>, TTp64>aaic ... Tom. III, Leipzig 1829, S. 1185, 41: 'lartov ÖTL irp6<J>aatc koriv fj ui) dXr^rV:, äXX' £miroXala Kai Trpoße{JXnuii/n cfxiaic.

10) U.v. Wilamowitz-Moellendorff, Euripides Herakles, 3- Bd., Darmstadt 21959, S. 43: „... das was man für eine Sache sagen kann." Für abwegig halte ich dagegen Wilamowitzens zweiten Erklärungsversuch: 4>d(7ic diri TIVOC, „Rede statt der Tat" (ibidem). Vgl.

Deichgräber, nP04>A2IS, S. 2: ((xiaic iTp6 nvoc = <f>dcnc imtp TIVOC.

Wenn Weidauer ebenso für Thukydides und die hippokratischen Schriften die Bedeutung

„Grund, den man angeben kann" erschließt (a.a.O., S. 12), erschwert er die Unterschei-dungsmöglichkeit zu der vorthukydideischen Verwendungsweise zumindest sehr, wenn er sie nicht ganz aufhebt. Wir wiesen schon weiter oben (Anm. 1) auf die Inkonsequenz seines Verfahrens hin.

11) II 161, 3; IV 79, 1; IV 145, 1.

12) Dieser Umstand hat wohl auch Rawlings bewogen, diese Stellen zu unterschlagen.

Rawlings zieht für seine Untersuchung nur solche Belege heran, die sich problemlos in das Bedeutungsfeld „self-justification", „exculpation" (S. 19 ff-, 33) einordnen, wohl um den Unterschied zum medizinischen Gebrauch des Wortes irp64>acric stärker hervortreten zu lassen.

des Subjektiven1 3 ). Der Begriff erfährt somit keine eigentliche Bedeutungs-erweiterung in Richtung „wirklicher Grund", „Ursache"1"0 - dagegen spricht schon, daß Herodot hierbei jeweils neben der TTp6c/>aatc eine metaphy-sisch-schicksalshafte Notwendigkeit als kausales Moment einfuhrt - son-dern lediglich eine Veränderung der Perspektive: Der Blickwinkel ver-schiebt sich von der subjektiven Rechtfertigung, die von den Beteiligten gegeben wird, auf das Ereignis, das zur Rechtfertigung benutzt bzw. zum Vorwand genommen wird1 5 ). Man muß demnach auch für diese Verwen-dungsweise an der Herleitung von Trp6tf>r|ui festhalten1^.

2. Trp6<{>aaic im Corpus Hippocraticum als Leitbegriff medizini-schen Kausalverständnisses

a) Differenzen des medizinischen Prophasisbegriffes zur früheren Ver-wendungsweise des Wortes Trp6(J>acric

Im Unterschied zu den im vorhergehenden Abschnitt erwähnten Autoren findet sich der Terminus Trp6<j>acjic bei den medizinischen Schriftstellern in auffallender Häufigkeit, nämlich genau 97 mal1 7 ). Bemerkenswerterweise tritt dabei auch die erwähnte Perspektivenverschiebung nicht mehr auf, derart, daß Trp6({>acric neben der subjektiven Rechtfertigung durch den

13) Vgl. dazu Wilson, a.a.O., S. 40 ff.

14) Diese Bedeutung setzt Nikitas für 19 der 51 von ihm untersuchten Prophasissteilen an.

Vgl. die Zusammenfassung, a.a.O., S. 31-34. Dieses von unserem Befund abweichende Ergebnis rührt daher, daß Nikitas jeweils das im Deutschen am geeignetsten erscheinen-de Äquivalent für tTp6<f>a(7ic einsetzt, ohne nach semantischen und funktionalen Bezügen zum Kontext zu fragen. Vgl. auch die Kritik von A. Heubeck, a.a.O., S. 222 Anm. 2; S. 225 Anm. 8.

15) Vgl. auch Wilson, a.a.O., S. 37 ff. Abweichend von unserem Ergebnis behauptet sie allerdings, (that) „this use represents an objective side of the term" (S. 37). Damit komme trp64>aaic, so Wilson S. 40, der Bedeutung „cause" sehr nahe. Sie übersieht dabei jedoch, daß für Herodot noch andere metaphysische Ursachen hinter dem Geschehen stehen.

ITp64>a(7ic hat daher nur die Funktion eines ^Anlasses". Ähnlich wie Wilson tritt Ch.

Schäublin, Wieder einmal iTp6<f>a<7tc, MH 28, 1971, S. 133 ff. für eine subjektiv-objektive Ambivalenz von iTp6<f>acric ein.

16) Darauf weist nicht zuletzt die Verbindung mit einem Verbum des Sagens hin, die sich an zwei dieser drei Belegstellen findet (Her. II l 6 l , 3; IV 145, 1: dirnyrVro^ai).

17) Vollständig verzeichnet sind die Belegstellen in der Concordance des ceuvres hippocra-tiques, ed. par G. Maloney & W. Frohn, Tome IV, Montreal (u.a.) 1984, S. 3874 f.

Beteiligten auch vom Standpunkt des Betrachters aus das zur Rechtferti-gung dienende Ereignis bezeichnen kann1 8 ), vielmehr zeigt der Begriff bei den Medizinern eine weitgehend einheitliche Bedeutungsstruktur. Sogar zwischen den einzelnen Schriften des Corpus besteht in dieser Hinsicht kein großer Unterschied1^. Entscheidend ist jedoch, daß sich die für die Medizin geforderte Bedeutung von irp6<{>acTic keineswegs mit der allge-mein geläufigen Verwendungsweise dieses Wortes als „Rechtfertigung für ein Verhalten" bzw. „Vorwand" in Einklang bringen läßt2 0 ). Der Grund für diese Diskrepanz liegt unseres Erachtens darin, daß der von den Ärzten gebrauchte Prophasisbegriff auf eine andere etymologische Wurzel zu-rückgeht, nämlich auf Trpo-<f>ati>ou.cu im Unterschied zu Trpö^r||j.L, das der vorhin besprochenen Verwendungsweise zugrunde liegt. Das würde bedeuten, daß es sich bei dem Wort Trp6<j>a(Xic, wie es von der Medizin verwendet wird, um einen neugeschaffenen Fachterminus handelt. Damit hätten wir also in dem griechischen Wort Ttpöc/xifjic eine homonyme Form für zwei etymologisch und bedeutungsmäßig zu unterscheidende Lexeme vor uns2 1 ). Für diese Vermutung sprechen folgende Beobachtungen:

a) Von den 97 Belegstellen, an denen Trpöcfxiaic im Corpus Hippocraticum vorkommt, stehen 17 im Nominativ, d.h. 17,5 %2 2 ). Dagegen findet sich

18) Es sei noch darauf hingewiesen, daß diese Ambiguität seit dem 4. Jahrhundert fast völlig verschwindet. ITp6$a(7ic tritt von da an fast ausschließlich in der „Schulbedeutung" des angeführten falschen Grundes, des „Vorwandes" auf. Vgl. die methodischen Erläuterun-gen des Polybios III 6, 6-7, 3 über alrta, äpxA und trp&fxxaic eines Krieges.

19) Vgl. Rawlings, a.a.O., S. 36 f.

20) Die einzige Ausnahme bilden TT.I.V. II 28 und 31 (Jones), wo der Prophasisterminus die Bedeutung „Ausrede", „Vorwand" hat.Vgl. dazu H.W. Nörenberg, Das Göttliche und die Natur in der Schrift über die heilige Krankheit, Bonn 1968, S. 64.

21) Vgl. dazu Rawlings, a.a.O., S. 55: „... thatthere were infact two distinct lexemes, onefrom

4xdvbs and one from 4*1^» phonologically identical, etymologically and semantically different." Ebenso Nörenberg, a.a.O., S. 67: „... daß bei gleichem Wortbild zwei grund-verschiedene Ableitungsstämme vorliegen, die scharf auseinanderzuhalten sind." Nicht so eindeutig äußert sich J. Lohmann, Lexis III, 1. Zwar sieht auch er in Prophasis eine

„doppelte Überschichtung", ein „zweifaches Vexierbild" (a.a.O., S. 28), trennt aber nicht nach zwei verschiedenen etymologischen Wurzeln. Vielmehr ist Lohmann der Ansicht, daß in iTp6<|>acrtc eine Ableitung von ty)\d vorliegt, und faivu erst sekundär auf die Bedeutung eingewirkt hat (S. 27). Schwer verständlich bleibt dann allerdings, wie er als Grundbedeutung des Wortes „Vorphänomen", „Vorerscheinung" (S. 23, 24) annehmen kann.

22) Die übrigen Stellen: 49 mal Genitiv, 3 mal Dativ, 28 mal Akkusativ (hierbei sind die Stellen, an denen TTpo^aotc in Verbindung mit Präpositionen erscheint, jeweils mit inbegriffen).

Als adverbialer Akkusativ kommt TTp&fxioiC bei den Medizinern im Unterschied zu den bisher besprochenen Autoren dagegen nicht vor.

beispielsweise unter den 20 Prophasisstellen bei Herodot keine im Nominativ. ITpöcfxicjic begegnet dort überwiegend als adverbialer Akkusativ bzw. als Objekt zu Verben wie trporelveiv, rrpoSeLKvOvat,

TrpotaxeaOai, £m\a|ißävea9ai u.a. Allein bei Pindar wird das Wort zweimal im Nominativ verwendet. Hieran läßt sich eine Veränderung im Wortgebrauch ablesen, die vermutlich damit zusammenhängt, daß Trp6<£acac im Rahmen der medizinischen Terminologie eigenständiges Gewicht erlangt hat2 3 ).

ß) Diese Vermutung wird weiterhin durch den Befund gestützt, daß im Corpus Hippocraticum Zusammensetzungen von irp6<{>aaic mit Adjek-tiven relativ häufig sind (23 Verbindungen), während sie bei den früheren Autoren fast völlig fehlen. So finden sich bei Homer, Ps.-Hesiod, Theognis, Ibykos, Pindar, Herodot und Sophokles zwei Adjektiwerbindungen (rjp,iicptj Theogn. 323; d£i6xp€ov Her. 1156, 1).

Die Verwendung von Trp6<j>aaic bei diesen Autoren unterscheidet sich also vom medizinischen Wortgebrauch durch eine weitgehende qua-litative Unbestimmtheit.

y) Sowohl für das von <f>di>ai wiedasvoncfxilveiv gebildete Verbalabstrak-tum ergibt sich sprachgeschichtlich die Form <{>dcric. Von den 23

-cJ>dcjLC- Lexemen (ausschließlich TTpöcfxzaic), die in der altgriechischen Literatur begegnen, sind fünf von Qdvai abgeleitet, 14 von fyaiveiv, für vier dagegen steht eine doppelte Herleitung sowohl von 4>dvat wie von fyaiveiv fest, d.h. es gibt nur eine homonyme Form für jeweils zwei ety-mologisch zu unterscheidende Wörter. Es handelt sich hierbei um die

23) Vgl. Rawlings, a.a.O., S. 40: . . . . the nominative uses show that prophasis in the Hippocratics functions as the name of a concept." Auch L.S. Wilson, a.a.O., S. 22 gibt zu, daß sich für die Ärzte mit dem Wort irp6$aoic ein „fundamental concept" verbunden haben muß. In diesen Zusammenhang gehört weiterhin die Beobachtung, daß sich in der Verwendungsweise der -oic-Denominativa bei den Ärzten gegenüber den früheren Autoren ein grundlegender Wandel vollzogen hat, den R. Browning, Greek Abstract Nouns in -sis, -tis, Philologus 102,1958, S. 69 f. folgendermaßen umschreibt: „From being (sc. bei Herodot etc.) an equivalent of a clause, capable of functioning as a subject of only a few kinds of sentences, the -oic noun has become (sc. bei den hippokratischen Ärzten, Thukydides) the name of a concept - the conept of a certain process or action - of which all kinds of things can be predicated." Und: „... the formation now extends to all typ es of verb -stem, and -oxc nouns can be formed at will." (A.a.O., S. 70). Die Schaffung eines neuen Prophasisbegriffes durch die Medizin fügt sich somit gut in diese Entwicklung. Die Bedeutung von - oxc - Denominativen für technische Vokabulare, insbesondere für das medizinische, betont P. Chantraine, La formation des noms en grec ancien, Paris 1933, S. 284.

Wörter äiTo^acnc, £K^XKJIC, Trapd<{>aaic und 4>dcric. Um die Bedeutung je nach der Herleitung klar auseinanderzuhalten, bilden drei der genannten Nomina sogar parallele -4>dv<JicFormen. So drückt Aristote-les die Unterscheidung in der Schreibweise aus, wenn er in De

interpretatione 11 (16 a 1) und 16 (17 a 25) dTr6<f>acric neben dTt6<f>avaLC stellt: dTr6<}>acric 8£ kunv diT6(J>avatc TLVOC duö TIVOC (16). Es ist daher nicht unwahrscheinlich, für 7rp6(f>acric eine ähnliche Entwicklung anzu-nehmen2^.

8) Im Corpus Hippocraticum finden wir auch andere Zusammensetzun-gen mit dem Suffix -<f>daLC verwendet, die sich eindeutig von cfxitveiv herleiten lassen, so z.B. kiri^aaic: u n d uTTrjcJwaLC25^ Den Medizinern war also das vom Verb ({xitveiv, <{>ati>e<70ai abgeleitete -<j>daic Nomen durchaus geläufig.

Anders als bei den beiden genannten -<}>daric-Lexemen liegt allerdings für das Wort Trp6<|>acric eine Schwierigkeit darin, daß es hierzu, außerhalb der Medizin eine gleichlautende Form von einem anderen Stamm gibt. Die Ärzte dürften darin kein Problem gesehen haben, da sie ohnehin selten Gelegenheit hatten, d e n Begriff in der geläufigeren, von <frr)ul abgeleiteten Bedeutung z u gebrauchen2 0.

24) Nicht zustimmen kann ich dem Einwand von L.S. Wilson, a.a.O., S. 67 f., „ . . . that the verb 4>ali>ü) (and its Compounds) does not seem to be generating nouns in the fifth Century."

Dagegen spricht eindeutig die Verwendung von lrrr6(f>aaic in Prognostikon 2 (II 116, 11 L), Aphor. VI 52, MJXKTIC in TT£pl 8UXITT)C Ö&Ü>I> (App.) X (II 450, 6 L) und cjxiaic bei Lysias Frg. 209 (Sauppe), wobei alle drei Nomina zweifellos von(j>aii>eif bzw. <{>ati/ea8ai gebildet sind. Außerdem läßt sich aus der Tatsache, daß Aristoteles in De interpretatione 11 und I 6 diT6<{>a<nc je nach Ableitung unterscheidet, indem er das einemal dtr64>aaic, das anderemal diT6<f>av<7ic schreibt, erschließen, daß es sowohl die von <fxiyai wie die von (fxxli/eii' abgebildete Form schon seit längerer Zeit gegeben haben muß. Auf keinen Fall kann das Argument überzeugen, mit dem Wilson die Bedeutung, die die Stellen aus De interpretatione für den Nachweis zweier nebeneinander existierender -cJxiatc-Lexeme besitzen, zu schmälern versucht: (Diese Passagen seien) „... of limited use in seeking to prove the existence of two different lexemes drotyaaic from dtTÖ^fii and diT6<f>a(7ic from dTTo<fxili>ü), because Aristotle himself seems to be speaking about problems in semantics and not etymology" (a.a.O., S. 70). Gegen Wilson's oben angeführten Einwand vgl. auch die Bemerkung von G.R. Vowles, Words in -sis and -tis, CP 23,1928, S. 37:.... a productive suffix -sis, forming verbal abstracts from every type of verb - from primary verbs and denominatives..."

25) 'ETTi^xiaic in uept 8iatTT)C 6{£ü)i> (App.) X (II 450, 6 L), (m^acrtc in Progn. 2 (II 116, 11 L), Aphor. VI 52. Vgl. dazu Rawlings, a.a.O., S. 44 f. Wilson versucht diese Stellen als

„circumstantial at best" abzutun (a.a.O., S. 88).

26) Vgl. die bereits erwähnten Ausnahmen TTX.V. II 28 und 31 ( Jo n e s) iw o die herkömmliche Verwendungsweise als „Vorwand", „Ausrede" vorliegt. L.S. Wilson nimmt allerdings

Nach diesen einführenden Bemerkungen über einige augenfällige Diffe-renzen zwischen dem medizinischen und dem allgemeinen Wortgebrauch sowie die prinzipielle Möglichkeit der Schaffung eines etymologisch eigen-ständigen Prophasislexems bei den Ärzten wollen wir uns der Untersu-chung von Bedeutung und Funktion des in den ärztlichen Schriften

ge-! brauchten Prophasisbegriffes zuwenden; denn erst von dieser Seite aus

| wird auf die Frage, ob es sich bei diesem Terminus um eine Neuschöpfung I der Mediziner handelt, eine zuverlässige Antwort zu gewinnen sein.

b) Bedeutung und Funktion von TTjxS^acric im Corpus Hippocraticum

Man hat vielfach angenommen, das Wort Trp6c{>acric werde von den hip-pokratischen Ärzten als Bezeichnung für „Ursache" verwendet2 7 ). Auch Littre und Jones geben es in ihren Übersetzungen durchweg als „cause"

wieder. Und in der Tat zeigt sich im Corpus Hippocraticum eine Verwen-dungsweise dieses Begriffes, die die vorgeschlagene Deutung als gerecht-fertigt erscheinen läßt, so etwa in TT.d.l. XXII (1632 L), w o es heißt: A i d 8k Tf]v dTraX6TT]Ta Kai rt)v £vaiu.6TT)Ta ob Sbvarai &vev TTÖVCOV etvou, K a i 8id T a f i T a c T d c Trpo<f>d<7iac Ö8(a>ai re 6 £ { r r a T a i ... ylvcnrai.

Im Gegensatz zu dem subjektiven Gebrauch des Wortes Trp6<f>aoic im außermedizinischen Bereich als „Rechtfertigung", „Vorwand" bezieht sich Trp6<f>a<7LC in diesem Beispiel auf objektive physiologische Gegebenheiten, nämlich die zarte und stark durchblutete Struktur des Lebergewebes. Ganz eindeutig ist dabei der ursächliche (8id Ta(rrac ...) Zusammenhang

Im Gegensatz zu dem subjektiven Gebrauch des Wortes Trp6<f>aoic im außermedizinischen Bereich als „Rechtfertigung", „Vorwand" bezieht sich Trp6<f>a<7LC in diesem Beispiel auf objektive physiologische Gegebenheiten, nämlich die zarte und stark durchblutete Struktur des Lebergewebes. Ganz eindeutig ist dabei der ursächliche (8id Ta(rrac ...) Zusammenhang