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Hypothese 1: Fehlender Wettbewerb erhöht das Krisenpotenzial

An-passung und Innovation. Wettbewerbsbeeinträchtigende Regeln − ganz besonders Markteintrittsbarrieren − bergen somit die Gefahr, dass Krisenpotenzial aufgebaut wird;

zumal in dynamischen Sektoren eine Abkoppelung von den realen Marktbedingungen ent-stehen kann.54 Dabei können die Wettbewerbsbeeinträchtigungen staatlicher wie privater Natur sein. Letztere haben aber auf Dauer nur Bestand, wenn sie vom Staat zumindest toleriert werden. Diese Überlegungen führen zur Hypothese 1, welche besagt, dass Re-geln, welche den Wettbewerb beeinträchtigen oder beseitigen, zur Bildung oder Erhaltung ineffizienter Strukturen und damit zur Bildung oder Erhöhung eines Krisenpotenzials füh-ren.

Die Beispiele, die zur Veranschaulichung und Plausibilisierung dieser Hypothese dienen, werden in drei Gruppen gegliedert. (Die Regeln werden nachfolgend immer nur grob skiz-ziert, dies im Sinne eines Zusammenzugs der wichtigsten Punkte aus den Detailanalysen im Anhang.)

Erste Gruppe (vorwiegend staatliche Regeln)

Bei der ersten Gruppe handelt es sich um Markteintrittsbarrieren und weitere Wettbe-werbsbeeinträchtigungen, die durch staatliche Regeln (v.a. durch ausschliessliche Betäti-gungsrechte) hervorgerufen werden.

• Bei der Briefpost wird im Postgesetz ein Teil des Marktes explizit vom Wettbewerb ausgenommen (die „reservierten Dienste“). Weiter kann der Bundesrat auch auf die

„Freiräume“ Einfluss nehmen, welche die Post bei der Umorganisation und Bereit-stellung der Grundversorgung theoretisch hätte.

• Im Käsemarkt beeinträchtigt eine Vielzahl an staatlichen Regulierungen den Wett-bewerb. So unterliegt die Milch als wichtigster Input einer Kontingentierung und es sind hohe Schutzzölle für Importmilch zu entrichten. In der Vergangenheit wurden Produktion und Absatz von Käse subventioniert.55 All diese Regulierungen führ(t)en dazu, dass der Schweizer Käse heute international wenig wettbewerbsfähig ist.

• Bei der Uhrenproduktion herrschte lange Zeit (bis in die 70er Jahre) eine gesetzli-che Fabrikationsbewilligungspflicht, die kurz vor der Uhrenkrise in eine gesetzligesetzli-che Qualitätskontrolle für Schweizer Bestandteile umgewandelt wurde. Zudem stützte

54 Unter „realen“ Marktbedingungen ist ein Zustand zu verstehen, der ohne die betreffenden Regeln vorherrschen könnte, und der in den meisten Fällen in internationalen Märkten auch wirklich vorherrscht.

55 Diese Subventionen werden inzwischen sukzessive abgebaut.

der Staat private Bezugs- und Exportkartelle, förderte aktiv die Konzentration in der Rohwerksproduktion und erklärte sogar die Kartell-Rohwerkspreise als allgemein-verbindlich. Bis zum zweiten Uhrenstatut, welches 1962 in Kraft gesetzt wurde, war die Uhrenindustrie faktisch vollständig staatlich und privat durchreguliert.

Zweite Gruppe (vorwiegend private Regeln)

In dieser Gruppe sind es nicht einzelne klar formulierte gesetzliche Regulierungen, welche den Wettbewerb beeinträchtigen, sondern das Zusammenspiel von privaten Regeln und permissivem staatlichen Verhalten.

• Die Marktordnung im Buchhandel ist durch den staatlich tolerierten „Sammelre-vers“ beeinflusst. Durch dieses zugleich horizontale wie vertikale (konglomerate) Kartell56 zwischen Verlegern und Buchhändlern wird der Preiswettbewerb unter den Sortimentsbuchhändlern sowie weitgehend (für 90% aller deutschsprachigen Bü-cher) auch zwischen verschiedenen Vertriebskanälen ausgeschaltet. Integrierender Bestandteil dieses Kartells sind auch stringente Boykott- und Sanktionsregeln.

• Im Flugverkehr spielten ebenfalls staatliche und private Regeln zusammen eine Rolle. Auf der einen Seite wurde das private Preiskartell der IATA staatlich legiti-miert, auf der anderen Seite wurden die Streckenkonzessionen in der Regel an die nationalen Fluggesellschaften vergeben. Schliesslich fungierte der Bund auch als Aktionär und finanzierte bestimmte Teile des Betriebes (beispielsweise einen Teil der Pilotenausbildung).

• Beim Retail banking verhinderten von der Schweizerischen Bankiervereinigung aufgelegte und von den Banken unterzeichnete Konventionen bis Ende der 80er Jahre den wirksamen Wettbewerb. Dieser wurde zusätzlich beeinträchtigt, indem sich die Kantonalbanken auf ihre jeweiligen Kantone als geographisches Tätig-keitsgebiet beschränkten.

• Beim Schienenfahrzeugbau wurde das Innovationsrisiko notorisch von der Nach-frage, also von den meist öffentlich-rechtlichen Verkehrsunternehmen (v.a. SBB) getragen. Zudem wurden bis weit in die 1990er Jahre alle Aufträge unter starkem politischem Einfluss ausschliesslich an schweizerische Werke oder an Syndikate unter schweizerischer Führung vergeben. Die Aufträge wurden offenbar nach re-gionalpolitischen statt nach kompetitiven Kriterien auf die Werke verteilt.

56 Gemeinhin werden horizontale und vertikale Abreden unterschieden. Der Sammelrevers umfasst jedoch die gemeinsame horizontale Koordination von Verlegern und Buchhändlern sowie die vertikalen Bindungen zwischen Verlegern und Buchhändlern. Diese komplizierte Konstruktion kann als konglomerate Abrede bezeichnet werden (horizontal und vertikal).

• Schliesslich hat auch bei den Uhren (ab den 70er Jahren) eine Kombination priva-ter und staatlicher Regeln und permissiver Verhaltensweisen zum (weipriva-teren) Auf-bau des Krisenpotenzials beigetragen.57 Von grosser Bedeutung waren die immer noch staatlich gestützte Zentralisierung der Rohwerksproduktion in der ASUAG sowie selektive Exportverbote für Bestandteile, spezifische Maschinen und Roh-werke.

Dritte Gruppe (positive Beispiele)

In den oben geschilderten Fällen beider Gruppen haben staatliche und private Regeln mehr oder weniger dazu beigetragen, dass zumindest für eine bestimmte Zeit der Wettbe-werb beeinträchtigt oder verhindert wurde bzw. noch ist. Es gibt aber auch Beispiele, wel-che zur Beschreibung von Hypothese 1 herangezogen werden könne, in welwel-chen Regeln gerade keine solche Rolle gespielt haben. Die Energietechnik und die Medizinaltechnik wurden in diesem Zusammenhang eingehender analysiert:

• In der Energietechnik verhinderten die ausgeprägte Exportorientierung sowie die Abwesenheit von wettbewerbshinderlichen staatlichen und privaten Regeln, dass sich ein Krisenpotenzial aufbauen konnte. Vielmehr musste die Branche den not-wendigen, starken Strukturwandel stets im Einklang mit der weltwirtschaftlichen Entwicklung vollziehen.

• Ein Verzicht auf spezifische Marktabschottungen trug bei der Medizinaltechnik of-fenbar wesentlich dazu bei, dass Hersteller am Standort Schweiz sehr stark von ei-nem globalen Wachstumsmarkt profitieren konnten.

57 Anders gesagt, die per 1962 und 1972 durchgeführten Liberalisierungsschritte gingen zu wenig weit. (Vgl. das Fallbeispiel im Anhang.)

Tabelle 6: Relevante Fallbeispiele zu Hypothese 1 (Zusammenfassung)

Hypothese 1: Regeln, welche den Wettbewerb beeinträchtigen oder beseitigen, führen zur Bildung oder Erhaltung ineffizienter Strukturen und damit zur Bildung oder Erhöhung des Krisenpotenzials.

Fallbeispiele Relevante Regeln Erste Gruppe (vorwiegend staatliche Regeln)

Briefpost Reservierte Dienste (Briefpost) begründen einen Monopolbereich

Käsemarkt Handelshemmnisse (Importzölle) und staatliche Planung (Marktordnung: Trans-fers und Kontingentierung sowie Mindestpreise)

Uhrenindustrie

bis 1962/72 Fabrikationsbewilligungspflicht stellt Marktzutrittsschranke dar; Allgemeinverbind-lichkeitserklärung von Kartellpreisen kommt staatlicher Preisregulierung gleich (nur für Rohwerke)

Zweite Gruppe (vorwiegend private Regeln)

Buchhandel Privates Preisbindungssystem (Sammelrevers) begründet ein horizontales Preis-kartell

Flugverkehr Staatliche Markteintrittsbarrieren (Streckenkonzessionen und Grossvaterrechte) und private Absprachen (IATA-Kartell)

Retail banking Private Absprachen (Konventionen)

Schienenfahrzeugbau Willkürliche (im Bezug auf die Kosten) Auftragsvergabe im Submissionswesen Uhrenindustrie

ab 1963/73 Standards bei Vorleistungen, zentralisierte Produktion von Rohwerken und tole-rierte Preisabreden führen zu Abhängigkeiten und Ineffizienzen

Dritte Gruppe (positive Beipiele)

Energietechnik Wirksamer Wettbewerb und Exportorientierung

Medizinaltechnik Harmonisierung mit EU Standards und Exportorientierung