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I. E INLEITUNG

2. Humane Coronaviren und ihre klinische Bedeutung

2.1 HCoV-229E und HCoV-OC43 verursachen Erkältungskrankheiten

Das erste humane Coronavirus, B814, wurde in den 1960er Jahren aus einem an einer typischen Erkältung (Rhinitis, Kopf-, Gliederschmerzen, Reizhusten) leidenden Patienten isoliert und in Organkultur vermehrt. Gesunde Testpersonen, die mit dem propagierten Virus inokuliert wurden, entwickelten ebenfalls eine Erkältung (Kendall et al., 1962; Tyrrell & Bynoe, 1965). 1966 konnten Hamre und Procknow den Prototyp der Gruppe-I-Viren, HCoV-229E, isolieren (Hamre & Procknow, 1966).

Wenig später gelang McIntosh et al. die Isolierung weiterer Coronaviren aus Patienten mit akuten Atemwegserkrankungen, darunter HCoV-OC43 (McIntosh et al., 1967). Da HCoV-229E und HCoV-OC43 am einfachsten zu kultivieren waren, konzentrierten sich nachfolgende Studien nur noch auf diese beiden Virusstämme.

Alle anderen frühen Isolate gingen im Laufe der Jahre verloren und stehen bedauerlicherweise nicht mehr zur Verfügung (van der Hoek, 2007).

Allgemein verursachen HCoV-229E und HCoV-OC43 bei gesunden Erwachsenen Infektionen der oberen Atemwege (URTI: upper respiratory tract infection), die häufig inapparent verlaufen. Ansonsten sind die Auswirkungen überwiegend harmlos, wie etwa Schnupfen (Koryza), Kopf- und Halsschmerzen. Bei Kindern, älteren Menschen und immunsupprimierten Patienten scheinen gelegentlich auch die unteren Atemwege betroffen zu sein (LRTI: lower respiratory tract infection), was sich hauptsächlich durch Bronchitis, Laryngotracheitis, Bronchiolitis und Lungenentzündung äußert (Bradburne et al., 1967; van Elden et al., 2004). Etwa 10

bis 30% aller Erkältungskrankheiten werden durch diese Coronaviren verursacht und symptomatische Reinfektionen sind möglich (Larson et al., 1980; Reed, 1984).

Neben Infektionen des respiratorischen Trakts, steht HCoV-OC43 im Verdacht, Durchfallerkrankungen zu verursachen. Elektronenmikroskopische Untersuchungen und Virusisolierungen von Patienten mit Infekten des Gastrointestinalsystems legten diesen Zusammenhang nahe (Gerna et al., 1985; MacNaughton & Davie, 1981).

Auch zeigten auf RT-PCR basierende Studien, dass Coronaviren Mittelohrentzündungen (Otitis media) verursachen können (Pitkäranta et al., 1998).

Darüber hinaus wird ein möglicher Einfluss von HCoV-Infektionen bei multipler Sklerose (MS) diskutiert. Aus dem Gehirngewebe an MS verstorbener Patienten wurden Coronaviren isoliert und kultiviert (Burks et al., 1980). Allerdings konnten HCoV-229E und HCoV-OC43 nicht bei allen an multipler Sklerose erkrankten Patienten detektiert werden. HCoV RNA ließ sich öfter bei Patienten mit MS, als bei einer gesunden Kontrollgruppe nachweisen (Arbour et al., 2000; Dessau et al., 2001). Weitere Studien müssen klären, ob es sich hierbei um opportunistische oder krankheitsrelevante Infektionen handelt.

2.2 Das SARS-assoziierte Coronavirus

Unter den humanen Coronaviren verursacht SARS-CoV das schwerste Krankheitsbild. SARS gilt als systemische Erkrankung. Das Virus vermag sich in schweren Fällen in Darm, Niere, Leber und Milz zu verbreiten (Farcas et al., 2005), infiziert aber hauptsächlich die oberen Atemwege und alveoläre Epithelzellen. Dies kann zu massiver Schädigung der Lunge führen (diffuse alveloar damage, DAD).

Nach einer Inkubationszeit von 2-7 Tagen beginnt die Erkrankung meist mit grippeähnlicher Symptomatik, wie etwa schnell ansteigendem Fieber, Muskelschmerzen, Husten, Kopfschmerzen und Atemnot. Der verursachte Schaden an den Pneumozyten kann im weiteren Verlauf zu Lungenentzündung, ARDS (acute respiratory distress syndrome) und schließlich Versagen der Atmung führen, was die Hauptursache für die Todesfälle darstellt. Die Zerstörung von Lungengewebe bei SARS Patienten scheint sowohl direkt durch virale Replikation, als auch indirekt durch eine überschießende Immunantwort verursacht zu werden. Diese Phase der Erkrankung ist vor allem durch eine erhöhte Zytokin- und Chemokinproduktion charakterisiert („Zytokinsturm“) und Patienten mit stark erhöhten Werten haben eine

schlechtere Prognose (Hui & Chan, 2008). Etwa 40% bis 70% der Patienten leiden zusätzlich unter Durchfall (Chen & Subbarao, 2007; Nicholls & Peiris, 2007), reaktive Hepatitis wurde in bis zu 69% der Patienten beobachtet (Hui & Chan, 2008).

Die Übertragung findet hauptsächlich durch den Respirationstrakt über Tröpfchen statt, aber auch fäkal-orale Transmission wurde beschrieben (Poutanen & Low, 2004; Weiss & Navas-Martin, 2005).

Das schwere akute respiratorische Syndrom (SARS) trat erstmals im November 2002 in der südchinesischen Provinz Guangdong auf. Dort wurde zunächst eine infektiöse, atypische Pneumonie vermehrt unter Marktarbeitern und ihren Familien beobachtet.

Kurz darauf erkrankte auch medizinisches Personal, welches die Patienten versorgte (Peiris et al., 2004). Bis zur offiziellen Eindämmung der Epidemie im Juli 2003, breitete sich SARS in 29 Ländern auf fünf Kontinenten aus und infizierte 8096 Menschen, wovon 9,6% der Krankheit erlagen (WHO, 2003). Die weltweite Zusammenarbeit von mehreren Forschungsinstituten und der WHO führte zur raschen Identifikation des Krankheitserregers. Ein bis dato unbekanntes Coronavirus, SARS-CoV, konnte aus Lungengewebe und Sputum der Patienten isoliert und in Meerkatzen-Nierenzellen (Vero E6) vermehrt werden (Drosten et al., 2003; Ksiazek et al., 2003; Peiris et al., 2003). Phylogenetische Analysen und Sequenzvergleiche zeigten, dass SARS-CoV mit den bisher bekannten humanpathogenen Coronaviren 229E und OC43 nur entfernt verwandt ist (Marra et al., 2003; Rota et al., 2003). Das plötzliche Auftreten von SARS und das Fehlen jeglicher Seroprävalenz in der breiten Bevölkerung vor der Epidemie, legen einen zoonotischen Ursprung nahe. Die Übertragung von Tier auf Mensch fand offensichtlich auf den Fleischmärkten Guangdongs statt, begünstigt durch den engen Kontakt mit Tieren und dessen Verzehr. SARS-ähnliche Viren, welche mit den humanen Isolaten eng verwandt sind (99,8% Sequenzhomologie), konnten in verschiedenen auf den Märkten gehandelten Spezies, wie z. B. Schleichkatzen (Paguma larvata) und Marderhunden (Nyctereutes procyonoides), nachgewiesen werden. Interessanterweise fanden Guan et al. unter Marktarbeitern eine erhöhte Seroprävalenz von humanen und animalen SARS Coronaviren, wobei keine der untersuchten Personen tatsächlich SARS entwickelte (Guan et al., 2003). Eine schrittweise Anpassung an den Menschen führte letztendlich zur erfolgreichen Infektion und zur effizienten Mensch-zu-Mensch Übertragung (Chen & Subbarao, 2007; Holmes, 2005; Qu et al., 2005). Als natürliches Reservoir SARS-ähnlicher

Coronaviren konnten Fledermäuse ausgemacht werden (Li et al., 2005a; Normile, 2005).

Die globale Epidemie von 2002 und 2003 konnte hauptsächlich durch Quarantäne-Maßnahmen unter Kontrolle gebracht werden (Pyrc et al., 2007b). Seither zirkuliert SARS-CoV nicht mehr in der Bevölkerung. Allerdings wurden bis Januar 2004 in China sporadisch weitere SARS-Erkrankungen bestätigt. Die meisten davon gingen auf Laborinfektionen zurück, bei vier Personen jedoch schien es sich um ein erneutes Überschreiten des Virus vom Tier auf den Menschen zu handeln. Obwohl diese Fälle schnell behandelt werden konnten und ohne weitere Folgen blieben, zeigten sie eindrucksvoll, dass ein plötzliches Wiederauftauchen von SARS durchaus im Bereich des Möglichen liegt und eine Gefahr für die Bevölkerung darstellt (Liang et al., 2004).

2.3 Neue Coronaviren der post-SARS-Ära: HCoV-NL63 und HCoV-HKU1 Das wieder auflebende Interesse an Coronaviren nach der SARS-Epidemie führte zur Identifikation von zwei weiteren humanen Coronaviren. 2004 berichteten van der Hoek et al. über die Isolierung eines neuen Gruppe-I-Virus, HCoV-NL63, aus einem sieben Monate altem Kleinkind, das an Bronchiolitis erkrankt war (van der Hoek et al., 2004). Die etwa zur selben Zeit beschriebenen Virusstämme HCoV-NL (Fouchier et al., 2004) und HCoV-NH (Esper et al., 2005b) sind praktisch mit HCoV-NL63 identisch und repräsentieren dasselbe Virus (Kahn, 2006; van der Hoek & Berkhout, 2005). RT-PCR basierende Analysen lassen vermuten, dass HCoV-NL63 weltweit verbreitet ist und hauptsächlich bei Kindern, älteren oder immunsupprimierten Menschen in Zusammenhang mit Infekten der oberen und unteren Atemwege detektiert wird (Arden et al., 2005; Bastien et al., 2005; Chiu et al., 2005; Garbino et al., 2006; Kaiser et al., 2005). HCoV-NL63 ist besonders mit schweren Erkrankungen der unteren Atemwege bei Kindern, wie Morbus Krupp (Laryngotracheitis), assoziiert (van der Hoek et al., 2005). Ein Zusammenhang zwischen einer HCoV-NL63-Infektion und der Kawasaki Krankheit, einer systemischen Vasculitis bei Kindern (Burns & Glode, 2004), wird zur Zeit noch kontrovers diskutiert (Belay et al., 2005;

Ebihara et al., 2005; Esper et al., 2005a; Pyrc et al., 2007c; Shimizu et al., 2005).

Das neue Gruppe-II-Virus HCoV-HKU1 wurde 2005 in einem an Lungenentzündung erkrankten 71 Jahre alten Mann in HongKong entdeckt (Woo et al., 2005a). Auch

HKU1 tritt global in Zusammenhang mit respiratorischen Infekten (LRTI und URTI) auf (Esper et al., 2006; Garbino et al., 2006; Lau et al., 2006; Sloots et al., 2006;

Vabret et al., 2008). Meist wurden Fälle von Pneumonie und Bronchiolitis beschrieben, aber auch weniger schwerwiegende Symptomatik wie Rhinorrhö und Halsschmerzen (Gerna et al., 2007). Oft sind hierbei Patienten mit anderen zugrunde liegenden Erkrankungen betroffen, wobei HKU1 das Krankheitsbild stark verschlechtert (Pyrc et al., 2007c). Darüber hinaus scheint HCoV-HKU1 eine Rolle bei Infektionen des Gastrointestinaltraktes zu spielen (Vabret et al., 2006).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass HCoV-NL63 und HCoV-HKU1, ähnlich wie HCoV-229E und HCoV-OC43, weit verbreitete Erreger gewöhnlicher Erkältungskrankheiten sind. Sie können bei Kleinkindern, geschwächten oder immunsupprimierten Menschen schwerere klinische Symptome auslösen, rufen jedoch im Allgemeinen keine lebensbedrohlichen Infektionen hervor.