• Keine Ergebnisse gefunden

historischen Romans Ruth Leiserowitz

Es lässt sich kurz und ohne Umschweife sagen: Die große dreitägige Schlacht bei Leipzig im Oktober 1813 ist kein Thema des polnischen historischen Romans. Das mag auf den ersten Blick verwundern, haben doch polnische Streitkräfte in beträcht -licher Zahl daran teilgenommen – allein 16.000 Soldaten, die als VIII. Korps im Juli 1813 in die Grande Armée Napoleons eingegliedert worden waren. Darüber hinaus kam in der Völkerschlacht ein überaus prominenter Pole ums Leben, der Feldherr und Fürst Józef Poniatowski (1763–1813). Insofern sind Ort und Zeitpunkt für die polni-sche Erinnerungskultur a priori markiert. Mustert man die gesamten polnipolni-schen his-torischen Romane über die Ära der Napoleonischen Kriege, fällt – jedoch erst nach genauerer Betrachtung – auf, dass es keine qualifizierte belletristische Auseinander -setzung mit der Völkerschlacht gibt. Auch der Terminus Bitwa narodów (Völker-schlacht) scheint eine spätere Übernahme zu sein. Genuin sprach man in Polen von der Bitwa pod Lipskiem (Schlacht bei Leipzig).

Es bedarf allerdings einiger Erklärungen, warum die Völkerschlacht keinen Weg in den polnischen historischen Roman gefunden hat. Diese sollen hier dargelegt werden, da sie einerseits ein interessantes Licht auf das Phänomen des polnischen historischen Romans über die Ära der Napoleonischen Kriege werfen und andererseits einige Hin-tergründe über die Wahrnehmung der Völkerschlacht aus der polnischen Perspektive vermitteln.1 Es lassen sich zu den Geschehnissen in Leipzig weder eindeutige Deutun -gen im polnischen kollektiven Gedächtnis aufzei-gen, noch existiert jenseits des Hel -dentodes von Józef Poniatowski eine sinnstiftende patriotische Erzählung. Das polnische Kapitel der Napoleonischen Kriege ist in Polen in erster Linie von Militärhistorikern ausführlich untersucht worden.2 Es liegt aber auch eine aktuelle Arbeit von Jarosław Czubaty vor, die sich mit dem gesamten Phänomen des Herzogtums Warschau ausein

-1 Der Beitrag basiert auf der Forschung innerhalb des Internationalen Forschungsprojektes „Nations, Borders, Identities. The Revolutionary and Napoleonic Wars in European Experiences and Memo -ries (1815–1945)“. Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Arts and Humanities Research Council geförderte deutsch-britische Projektgruppe unter der Leitung von Karen Hagemann und Etienne François„Nations, Borders, Identities: The Revolutionary and Napoleonic Wars in Euro -pean Experiences and Memories“(NBI) schließt mit einer komparativen und transfergeschichtlichen Analyse europäischer Erfahrungen und Erinnerungen an die Revolutions- und Napoleonischen Kriege eine Forschungslücke.

2 nieuwaŻny, Andrzej: Czasy napoleońskie [Napoleonische Zeiten]. Wrocław 2001; morawski, Ryszard/nieuwaŻny, Andrzej: Wojsko Ksie̜stwa Warszawskiego. Artyleria, inżynierowie, saperzy [Das Heer des Herzogtums Warschau. Artillerie, Ingenieure, Pioniere]. Warszawa 2004.

andersetzt.3 Darin resümiert er, dass die Kriege Anfang des 19. Jahrhunderts wichtig für die Ausformung der politischen Mentalität der Polen gewesen sind.4 Sie fanden damals aufgrund der entstandenen Bedingungen Möglichkeiten, Verwaltungs- und Regierungsfähigkeiten auszubauen sowie ihre Staatstugenden zu vervollkommnen.

Kulturgeschichtliche Aspekte dieses Zeitabschnitts sind in Polen vor allem von Litera -turwissenschaftlern untersucht worden. Dazu zählen vor allem die Arbeiten von Maria Janion5 und Zdzisław Libera.6

Polnische Erfahrungen und Erinnerungen aus der Völkerschlacht Da die Analysen, die die Autorin in den vergangenen Jahren bei der Untersuchung der polnischen belletristischen Literatur zu den Napoleonischen Kriegen vorgenom-men hat, zeigen, dass zur Abfassung der historischen Romane überwiegend Erfah-rungsberichte und Erinnerungen zum Thema herangezogen wurden, gilt es als Erstes zu fragen, inwieweit polnische Zeugnisse über die Völkerschlacht in den polnischen Teilgebieten kursierten. Es gibt sie, so z.B. von Antoni Białkowski,7 den Stabsoffizie -ren Dezydery Chłapowski8 und Józef Grabowski9 sowie den Generälen Jan Henryk Dąbrowski und Klemens Kołaczkowski10. Allerdings sind sie zu diesem Thema nicht besonders umfangreich, eher einsilbig, denn sie schildern die allseits bekannten Tat-sachen in relativ kurzen Zusammenfassungen. Darüber hinaus können sie keine weite Verbreitung aufweisen. In der Regel werden diese Texte, obwohl gedruckt vorliegend, nur herangezogen, wenn sie sich als nötig erweisen, d.h., wenn der literarische Nach -weis der polnischen Präsenz bei der Schlacht geführt werden soll. Bei der Lektüre fällt durchweg auf, dass die Völkerschlacht bei den polnischen Verfassern und Litera

-3 cZubaTy, Jarosław: Księstwo Warszawskie (1807–1815) [Das Herzogtum Warschau (1807–1815)].

Warszawa 2011 (Biblioteka humanisty).

4 Ebd., S. 568.

5 Janion, MariamiGrodzka, Maria: Romantyzm i historia [Romantik und Geschichte]. Gdańsk 2001.

6 libera, Zdzisław: Od Sejmu Czteroletniego do Napoleona [Vom vierjährigen Sejm bis zu Napoleon].

Warszawa 2004.

7 białkowski, Antoni: Wspomnienia starego żołnierza [Erinnerungen eines alten Soldaten]. Warszawa -Kraków 1903.

8 chlaPowski, Adam Dezyderisz: Pamiętniki. cz. 1. Wojny napoleońskie 1806–1813 [Erinnerungen. T.

1. Die Napoleonischen Kriege 1806–1813]. Poznań 1899.

9 grabowski, Józef (auch goeTZendorf-grabowski): Pamiętniki wojskowe Józefa Grabowskiego oficera sztabu cesarza Napoleona I; 1812–1813–1814 opracował Waclaw Gąsiorowski [Die Kriegs-erinnerungen von Józef Grabowski, Stabsoffizier des Kaisers Napoleon I; 1812–1813–1814 in der Bearbeitung von Waclaw Gąsiorowski]. Warszawa 1905.

10 kołaczkowski, Klemens: Henryk Dąbrowski twórca legionów polskich we Włoszech 1755–1818.

Wspomnienie historyczne / Klemens Kołaczkowski; z francuskiego rękopisu przeł … [autor] [Henryk Dąbrowski Gründer der polnischen Legionen in Italien 1755–1818. Historische Erinnerungen / Kle-mens Kołaczkowski; aus der französischen Handschrift übersetzt … [vom Verfasser]]. Kraków 1901;

ders.: Wspomnienia jenerała Klemensa Kołaczkowskiego. Ksieg̨a I, od roku 1793 do 1813 [Erinne -rungen des Generls Klemens Kołaczkowski. Band I, von 1793 bis 1813]. o.O. 1898.

ten nicht als singuläres Ereignis erfahren wurde, sondern als Endpunkt des von ihnen so genannten „sächsischen Feldzuges“ (kampania saska) Darüber hinaus fällt dem kritischen Leser die folgende Stelle in den Erinnerungen des Stabsoffiziers Dezydery Chłapowski auf. Die Fassung der Textpassage stammt aus der deutschen Übersetzung, die 1910 unter dem Titel: „Als Ordonnanzoffizier Napoleons in den Kriegen 1806–

1813“ in Berlin erschien:

Die russischen Ulanen kamen, als sie angaloppiert hatten, etwas auseinander […]. Die Ulanen flohen noch schneller, als sie attackiert hatten. Einige blieben in unseren Händen. Es berührte mich schmerzlich, als die schwer Verwundeten jammernd polnisch sprachen. Ein Ulan wollte sich nicht ergeben und wehrte sich mit seinem Säbel, bis ihm ein Chevauxleger zurief: „Bruder, wir sind Polen wie Du!“, worauf er seinen Säbel fortwarf; jedenfalls war ihm gesagt worden, wir wären zwar Ulanen, aber Franzosen.11

Es war davon auszugehen, dass das russische Heer auf seinem Weg durch das Herzog -tum Warschau Polen für die Armee rekrutiert hatte. Genauere Untersuchungen liegen dazu jedoch bisher nicht vor. Zwar wird die Polnische Reservearmee unter General Leontij (Levin August) von Bennigsen mehrfach in der Literatur angeführt, jedoch sind keine Quellen bekannt, die über die Rekrutierung Auskunft geben.12

Von den Erfahrungen zu den Erinnerungen: Die kollektive Erinnerung an die Völ-kerschlacht gab es im polnischen Kontext nicht. Der Ort Leipzig und der Herbst des Jahres 1813 verdichteten sich für die Polen rasch auf das Ereignis, während dessen der Fürst Józef Poniatowski sein Leben verloren hatte.

Als belletristische Lektüre, die nicht auf den polnischen Fokus ausgerichtet war, aber lebhaft und eindrücklich von den Kämpfen um Leipzig berichtete, diente der pol -nischen Gesellschaft seit 1881 das Buch des Autorenpaares Émile Erckmann und Alexandre Chatrian Histoire d‘un conscrit de 1813 (Geschichte eines Konskribierten Anno 1813)13, das in jenem Jahr in einer polnischen Übersetzung unter dem Titel His-toria rekruta z 1813 roku erschien und auch mehrmals wieder aufgelegt wurde.14 Ins-gesamt aber war Leipzig als Erfahrungsort der polnischen Soldaten innerhalb der Napoleonischen Kriege nicht präsent.

11 chlaPowski, Dezydery Baron: Aus der Umgebung Bonapartes. Als Ordonnanzoffizier Napole -ons in den Kriegen 1806–1813. In: http://www.polona.pl/dlibra/doccontent?id=12894&from=FBC (04.06.2014 Link abgeschaltet).

12 boGdanovič, Modest Ivanovič: Geschichte des Krieges im Jahre 1813 für Deutschlands Unabhängig -keit: Nach zuverlässigen Quellen. Auf Allerhöchsten Befehl 1868. Bd. 2, Abschnitt 2. St. Petersburg 1868, S. 56. Auch Dominic Lieven wiederholt nur bereits Bekanntes: lieven, Dominic: Russland gegen Napoleon. Die Schlacht um Europa. München 2011 (englische Originalausgabe: Russia against Napoleon – The Battle for Europe, 1807 to 1814. London 2009), S. 398 f.

13 chaTrian, Alexandre/erckmann, Émile: Histoire d’un conscrit de 1813. Paris u.a. 1864.

14 dies.: Historia rekruta z 1813 roku [Die Geschichte eines Rekruten aus dem Jahr 1813]. o.O. 1881.

Der polnische historische Roman

Der historische Roman war die zentrale Literaturgattung des 19. Jahrhunderts. Dieses Genre trat „einen beispiellosen europäischen Siegeszug“ an.15 Mit ihm erschien erst-mals ein auf die Erinnerungsbedürfnisse der Neuzeit zugeschnittenes Genre.16

In Polen entwickelte sich der historische Roman überaus zögerlich. Am Ende des 18.

und am Anfang des 19. Jahrhunderts war eine einheimische polnische Belletristik eher eine Seltenheit. Die Bedürfnisse in dieser Richtung wurden hauptsächlich durch den französischen, teilweise durch den deutschen und ein wenig durch den englischen Roman befriedigt.17 Allerdings hatte die Lesekultur im Polen des 19. Jahrhunderts elitären Cha -rakter und war gleichzeitig auch durch die breit gehandhabte Zensur, die ebenfalls importierte Literatur betraf, in der Isolation verhaftet.18 Noch 1870 betrug die Anzahl der nicht Lesefähigen im Königreich Polen und in Galizien ca. 80 Prozent der Gesamt -bevölkerung, während der Prozentsatz in der Provinz Posen bei ca. 30 Prozent lag.19

Aufgrund der Teilungsgeschichte des Landes konnte sich der Buchmarkt im 19. Jahr-hundert nur schwer entwickeln. Es gab über einen langen Zeitraum hinweg lediglich drei Buchmärkte mit gewollten Vermischungen, Überlappungen sowie starken auslän -dischen Mischformen, da polnische Bücher mit imitiertem polnischem Impressum im Ausland gedruckt wurden. Dies ermöglichte deren Zirkulation im Königreich Polen, wo eine starke politische Zensur herrschte. So kam es, dass sich der historische Roman nur sehr allmählich als polnisches Genre etablierte. Erste Höhepunkte erlebte diese Gattung kurz vor der Jahrhundertwende mit den Werken von Henryk Sienkiewicz und Bolesław Prus. Allerdings widmeten sie sich historischen Themen anderer Jahrhunderte, wie z.B. Ereignissen des 15. und des 17. Jahrhunderts oder Motiven der römischen Geschichte, wie etwa „Quo vadis“ oder der „Pharao“. Diese Erzählungen weisen jedoch auch allegorischen Charakter auf.20

Ende des 19. Jahrhunderts entstand der polnische historische Jugendroman. Dieses Genre bildete sich gleichzeitig europaweit heraus, wobei in jedem Land Werke zu eigenen Topoi entstanden. Während der polnische historische Roman zu dieser Zeit nur allmählich seine Bedeutung erlangte, verlief die Entwicklung des polnischen historischen Jugendromans dagegen rasant. Diese Werke wurden vorrangig zur „Stärkung der Her -zen“ (ku pokrzepeniu serc) verfasst. Dieser Ausdruck bezieht sich auf eine Aussage des polnischen Schriftstellers Henryk Sienkiewicz, der seinem Volk die nationale Würde

15 humPhrey, Richard: Literarische Gattung und Gedächtnis. In: Gedächtniskonzepte der Literaturwis -senschaft. Theoretische Grundlegung und Anwendungsperspektiven. Hg. v. Astrid erll und Asgard nünning. Berlin-New York 2005, S. 73–95, hier S. 89.

16 humPhrey (wie Anm. 15), S. 88.

17 arcT, Stanisław: Okruchy wspomnień [Reste von Erinnerungen]. Warszawa 1962, S. 198.

18 sZyndler, Bartłomiej: Dzieje cenzury w Polsce do 1918 roku [Die Geschichte der Zensur in Polen bis 1918]. Kraków 1993, S. 66.

19 maleczyńska, Kazimiera: Książki i biblioteki w Polsce okresu zaborów [Bücher und Bibliotheken in Polen zu Zeiten der Teilung]. Wrocław 1987, S. 51.

20 sienkiewicZ, Henryk: Quo vadis. Kraków 1896; Prus, Bolesław: Faraon [Pharao]. Warszawa 1897.

wiedergeben wollte und somit in den 1880er Jahren seine große Trilogie über Zeiten schrieb, in denen der Patriotismus der Polen ihr bedrohtes Vaterland gerettet habe.21 Diese „Geschichte zur Stärkung der Herzen“ hob, laut der Historikerin Halina Kozińska-Witt, „die siegreichen und großartigen Momente der polnischen Vergangenheit hervor, unterstrich die kontinuierliche Existenz des Polentums, die Einheit der polnischen Provinzen sowie die gesellschaftliche Solidarität aller Schichten und Stände. Die Ver -mittlung dieser Tradition diente der Schaffung der polnischen modernen Nation, was die Wiedergewinnung der Staatlichkeit unterstützten sollte.“22

Die Erinnerung an die Napoleonischen Kriege im polnischen Jugendroman

Es soll noch einmal unterstrichen werden, dass es viele andere Themen für polnische historische Romane gab und die Napoleonischen Kriege nicht den Hauptfokus der Erzählung bildeten. Diese Tatsache war u.a. auch auf die starke politische Zensur zu -rückzuführen, die seit 1819 im Königreich Polen herrschte.23 1823 wurde von der zu -ständigen Behörde in einer politischen Richtlinie verfügt, dass der Kampf gegen den Gebrauch des Namens Napoleon die wichtigste Aufgabe sei. Das Komitee für Zensur war der Meinung, dass jedwede Publikation von „Erinnerungen an den ehemaligen Herrscher Frankreichs“ verboten werden müsse, da „seine Absichten in hohem Maße radikal-revolutionär-reformerisch“ gewesen seien.24

Demzufolge konnte für eine gewisse Zeit das Thema der Napoleonischen Kriege weder publizistisch noch literarisch verwirklicht werden. Allerdings gab es später eine Zeit, in der das Thema Konjunktur hatte. Von den 142 ausgewerteten polnischen histo -rischen Romanen, die sich hauptsächlich mit Narrativen zu den Napoleonischen Krie -gen beschäfti-gen und die zwischen 1833 und 1945 erschienen, wurden 86, also mehr als die Hälfte, der Erstauflagen zwischen 1895 und 1914 herausgegeben, was beweist, dass die Lockerung der Zensur ein großes Potenzial von Literatur freisetzte.

Für Schriftsteller und Leser war es wichtig, dass die Handlung an Orten spielte, die sich stark mit einer patriotischen Erzählung verbinden ließen. So wurden Geschichten aus Spanien erzählt oder von polnischen Orten unter österreichischer Besatzung, die nach dem Feldzug 1809 an das Herzogtum Warschau kamen. Dabei ging es vorrangig um die Geschichte von Siegen, es gab keine „Niederlagenkultur“ im Roman.

Militärische Handlungen, die sich an deutschen Orten abspielten, wurden höchst selten für Romane ausgewählt. So existiert ein (!) bescheidener Roman zu der Schlacht

21 sienkiewicZ, Henryk: Pan Wołodyjowski. 1Warszawa 1888, hier Warszawa 1970, S. 547.

22 kozińska-wiTT, Hanna: Zeremonielle Landschaften. Das Beispiel Krakau. In: Stadt und Öffentlich-keit in Ostmitteleuropa 1900–1939. Beiträge zur Entstehung moderner Urbanität zwischen Berlin, Charkiv, Tallinn und Triest. Hg. v. Andreas R. hofmann und Anna Veronika wendland. Stuttgart 2002 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 14), S. 97–110, hier S. 99.

23 sZyndler (wie Anm. 18), S. 66.

24 Ebd., S. 74.

von Jena,25 für Preußisch Eylau ist kein einziger bekannt. Die Völkerschlacht ist hier nur äußerst marginal vertreten – durch wenige Seiten in zwei historischen Jugendro -manen, zum einen in dem Werk von Walery Przyborowski Bóg mi powierzył honor Polaków. Opowiadanie młodego Krakusa (Gott hat mir die Ehre der Polen anvertraut.

Die Erzählung eines jungen Krakauers),26 erschienen 1912 in Warschau, sowie in dem Band von Zuzanna Morawska Na posterunku (Auf Posten), erschienen 1914 in Posen.27 Auf beide Werke wird im Folgenden eingegangen.

Im Gegensatz zu den allgemeinen Themen des polnischen historischen Romans waren die Napoleonischen Kriege das beliebteste Thema des historischen Jugendromans.

Augenscheinlich verlieh auch der in erster Linie an die Fachkollegen gerichtete Appell des Historikers Szymon Askenazy auf dem Dritten Polnischen Historikerkongress 1900 in Krakau, sich stärker mit der Geschichte der Legionen und der Napoleonischen Kriege zu beschäftigen, den Jugendbuchautoren Ansporn,28 denn innerhalb der nächsten Dekade wurden dazu 23 Werke veröffentlicht.29 Hier trafen die Entwicklung des Genres und die Folgen der Entschärfung der Zensur nach 1905 aufeinander, sodass Jugendbücher zu diesem Thema überhaupt erst möglich wurden.30

Dieser Lektüre, die heute nicht mehr rezipiert wird und fast vollkommen in Verges -senheit geriet, gebührt besondere Aufmerksamkeit, denn sie leistete einen wesentlichen Beitrag zur patriotischen Erziehung der Kinder und Jugendlichen, die die erste Gene-ration der Staatsbürger im ab 1918 wieder unabhängigen Polen darstellte. Darüber hinaus lasen auch Erwachsene diese Literatur; die Forschung hat nachgewiesen, dass jene, die nicht besonders gut lesen konnten, häufig auch zu Jugend- und Kinderbüchern griffen.31

Morawskas Roman Na posterunku wurde 1943 in dem Warschauer Verlag Tajne Wojskowe Zakłady Wydawnicze (Geheime Militärische Verlagsgesellschaft) neu aufge

-25 PrZyborowski, Walery: Było to pod Jeną … Opowiadanie legjonisty [Es war bei Jena ... Die Erzählung eines Legionärs]. Warszawa 1903.

26 ders.: Bóg mi powierzył honor Polaków. Opowiadanie młodego Krakusa [Gott hat mir die Ehre der Polen anvertraut. Die Erzählung eines jungen Krakauers]. Warszawa 1912.

27 morawska, Zuzanna: Na posterunku: powieść historyczna na tle życia ks. Józefa Poniatowskiego [Auf Posten: Historischer Roman vor dem Hintergrund des Lebens des Fürsten Józef Poniatowski].

Poznań 1914.

28 sTasiak, Arkadiusz Michał: Przyborowski między prawdą semantyczną i prawdą artystyczną [Przy -borowski zwischen semantischer und künstlerischer Wahrheit]. In: Walery Przy-borowski i Józef Brandt [Walery Przyborowski und Józef Brandt]. Hg. v. Krzysztof sTęPnik und Monika Gabryś. Lub-lin 2007 (Obrazy kultury polskiej), S. 69–78, hier S. 77.

29 skoTnicka, Gertruda: Tradycje narodowo-kulturowe w literaturze dla dzieci i młodzieży: materiały z sesji, Jachranka 30 XI2 XII 1994 r [Nationalkulturelle Traditionen in der Kinder- und Jugendlitera -tur: Seminarmaterialien, Jachranka 30. November–2. Dezember 1994]. Warszawa 1996, S. 175.

30 olsZewska, Maria Jolanta: Powieści historyczne Wiktora Gomulickiego – pasje i poszukiwania [Die historischen Romane von Wiktor Gomulicki – Passion und Suche]. In: Ostrołęckie Towarzystwo Naukowe im. Adama Chętnika, Zeszyty naukowe T. XX, S. 9–42, hier S. 29.

31 dunin, Janusz: Papierowy bandyta. Ksiaż̨ka kramarska i brukowa w Polsce [Der Papierbandit.

Gebrauchs- und Schundliteratur in Polen]. Łódź 1974, S. 284.

legt, da dessen patriotischen Bildungsinhalte augenscheinlich immer noch sehr hoch bewertet wurden.

Heldinnen und Helden

Welche Figuren wurden in den Romanen angesiedelt? Fiktive oder reale Helden? Kol -lektive oder individuelle? Als ideal galt die Verbindung von beiden Heldentypen. We -sentliche Aufgabe der Autoren war, mittels der Kombination von fiktiven und realen Helden eine sinnstiftende patriotische Erzählung zu konstruieren.

Vorrangig war es ein romantisches Heldenmuster. Es wurden polnische Männer dargestellt, die um Freiheit kämpften und ihr Leben auf dem Altar des Vaterlandes und der Menschheit opferten. Kampf, Heldentum, Militärdienst waren also die notwendigen Elemente der Heldenbiografie.32 In vielen Werken wurde das Leben fiktiver Legionäre oder Soldaten erzählt und dazu Episoden mit Napoleon und Kościuszko oder Józef Poniatowski und Jan Henryk Dąbrowski eingebaut.33 In den Jugendromanen handelte es sich immer um sehr junge Soldaten, die häufig auch eine Verlobte zu Hause hatten.

Dadurch wurden Identitätsvorlagen auch für Leserinnen geliefert. Kriegswaisen beider Geschlechter waren ebenfalls beliebte Heldinnen und Helden im Jugendroman, wodurch sich militärische Erzählstränge und jugendliche Rezipienten in der Konstruktion gut kombinieren ließen. Unter den polnischen Prominenten war besonders Poniatowski wichtig, bildeten doch seine Legenden einen laut Maria Janion „integralen Bestandteil des Mythos der nationalen Armee“.34

Die Polen erinnerten sich 1912 an das Jahr 1812 als eine Zeit großer Hoffnungen, aber auch der Enttäuschungen und der Trauer. Damals wurde die Jugend von polnischen patriotischen Literaten und Publizisten dazu angehalten, sich mit der Geschichte zu beschäftigen:

[…] dieses Jahr 1812, dessen hundertste Wiederkehr wir begehen, sollte uns anregen, in den Geschichten jener großen Kriege nachzulesen, und unsere heilige und große Vergangenheit zu überdenken.35

Darüber hinaus wurde die polnische Öffentlichkeit aufgefordert, über ihre zeitgenös -sischen patriotischen Verpflichtungen nachzudenken und „sich im Geiste bereit[zu]

halten für zukünftige Kämpfe und Opfer, welche Überraschungen uns auch treffen mögen.“ 36

32 Janion, Maria: Bohater, spisek, śmierć. Wykłady żydowskie [Held, Verschwörung, Tod. Jüdische Vor-träge]. Warszawa 2009, S. 5.

33 JanionmiGrodzka (wie Anm. 5), S. 322.

34 Ebd., S. 304.

35 króliński, Kazimierz: Rok 1812 [Das Jahr 1812]. Stanisławów 1913, S. 29.

36 Ebd.

Dieser Konditionierung für die Zukunft Polens diente die patriotische Literatur mit ihren Helden. Sie alle sollten weiterhin eine Stärkung im kulturellen Gedächtnis erfah -ren. 1913 war für die Polen ausschließlich das Jahr des Gedenkens an den Tod Ponia -towskis. Die Völkerschlacht und andere polnische Gefallene rückten dagegen deutlich in den Hintergrund.

Der Held Józef Poniatowski

Wer war der viel bedachte Held? Józef Antoni Poniatowski war ein polnischer Aristo -krat, der 1807 nach dem Tilsiter Frieden Kriegsminister des neu entstandenen Herzog -tums Warschau und Oberbefehlshaber der polnischen Truppen wurde. In der Folge -zeit baute er eine neue polnische Armee auf und führte 1809 erfolgreich Krieg gegen Österreich. Im Juni 1812 übernahm Poniatowski innerhalb des Russlandfeldzugs den Oberbefehl über das V. Korps der Grande Armée. 1813 begann er in Krakau mit dem Aufbau einer neuen Streitmacht, die dann das VIII. Korps der Armee Napoleons bil-dete. In der Völkerschlacht bei Leipzig standen die Truppen am südlichen und südöst-lichen Saum des napoleonischen Heeres. Während der Völkerschlacht wurde Ponia -towski von Napoleon zum französischen Marschall ernannt. Nachdem die Schlacht verloren war, deckten die Einheiten Poniatowskis den Rückzug Napoleons und seiner Truppen. Poniatowski ertrank währenddessen bei der Durchquerung der Weißen Els -ter durch irrtümlich abgegebene französische Schüsse (häufig auch als friendly fire bezeichnet). Erst 1814 wurde der Sarg nach Polen überführt, kurzzeitig in Warschau bestattet und schließlich 1817 feierlich in der Kathedrale des Wawels in Krakau bei-gesetzt. Poniatowski war der erste nichtmonarchische Pole, der dort Platz fand. Im

Wer war der viel bedachte Held? Józef Antoni Poniatowski war ein polnischer Aristo -krat, der 1807 nach dem Tilsiter Frieden Kriegsminister des neu entstandenen Herzog -tums Warschau und Oberbefehlshaber der polnischen Truppen wurde. In der Folge -zeit baute er eine neue polnische Armee auf und führte 1809 erfolgreich Krieg gegen Österreich. Im Juni 1812 übernahm Poniatowski innerhalb des Russlandfeldzugs den Oberbefehl über das V. Korps der Grande Armée. 1813 begann er in Krakau mit dem Aufbau einer neuen Streitmacht, die dann das VIII. Korps der Armee Napoleons bil-dete. In der Völkerschlacht bei Leipzig standen die Truppen am südlichen und südöst-lichen Saum des napoleonischen Heeres. Während der Völkerschlacht wurde Ponia -towski von Napoleon zum französischen Marschall ernannt. Nachdem die Schlacht verloren war, deckten die Einheiten Poniatowskis den Rückzug Napoleons und seiner Truppen. Poniatowski ertrank währenddessen bei der Durchquerung der Weißen Els -ter durch irrtümlich abgegebene französische Schüsse (häufig auch als friendly fire bezeichnet). Erst 1814 wurde der Sarg nach Polen überführt, kurzzeitig in Warschau bestattet und schließlich 1817 feierlich in der Kathedrale des Wawels in Krakau bei-gesetzt. Poniatowski war der erste nichtmonarchische Pole, der dort Platz fand. Im